| # taz.de -- Die Zeiten von Türküola | |
| > Helden der Migration Mit ihrer CD „Songs of Gastarbeiter“ haben Imran | |
| > Ayata und Bülent Kullukcu alias AY-KU eine Lawine losgetreten. Im | |
| > kommenden Frühjahr soll eine zweite Compilation erscheinen, auch ein | |
| > Festival ist geplant | |
| Bild: Haben „kommentiertes Auflegen“ als audiovisuelles Showformat etablier… | |
| von Hülya Gürler | |
| Als ein deutsches Musiklabel vor drei Jahren sein Musikstück „Deutsche | |
| Freunde“ herausbrachte, freute und wunderte sich Ozan Ata Canani. „Ich muss | |
| der Musikwelt einen Dienst erwiesen haben, als ich das Lied vor 35 Jahren | |
| schrieb“, spöttelt der 52-Jährige heute. | |
| Mit zwölf kam Canani 1976 aus der Türkei nach Bremerhaven, drei Jahre | |
| später zog seine Familie nach Köln. Dort bekam er unverhohlenen Rassismus | |
| zu spüren. „Damals las ich an Hauswänden öfter die Parole ‚Ausländer | |
| raus‘.“ Kämpferisch, wie er sich auch heute noch gibt, beschloss der damals | |
| 15-Jährige, sich mit Musik zu wehren. Ein Freund brachte ihn auf die Idee | |
| zu einem Fernsehauftritt. „Es gab keine Aufnahmen des Stücks: Wir haben | |
| ‚Deutsche Freunde‘ im Studio vorgespielt“, erzählt er. Der WDR zögerte | |
| damals nicht lange: Canani sang den Song 1979 in der „Aktuellen Stunde“, | |
| dann folgte ein Auftritt in Alfred Bioleks legendärer Unterhaltungstalkshow | |
| „Bio’s Bahnhof“. | |
| Lange blieb das Stück vergessen, bis ein Künstlerduo es wieder | |
| hervorkramte. Der Berliner Autor und Werber Imran Ayata wühlte gemeinsam | |
| mit dem Münchner Theatermacher, Musiker und DJ Bülent Kullukcu in alten | |
| Kisten und Musiksammlungen von Eltern und Bekannten herum. Ihr Ziel: | |
| Musikstücke von „Gastarbeitern“, wie Einwanderer in den 1970ern und -80ern | |
| genannt wurden, für eine CD zu finden. „Auf die Idee kamen wir 2011 nach | |
| einer Show zum 50. Jahrestag der Einwanderung im Berliner Theater ‚Ballhaus | |
| Naunynstraße‘, als jemand vom Münchner Musiklabel Trikont auf uns zukam“, | |
| erinnert sich Ayata. Sechzehn Stücke, auf Deutsch und Türkisch gesungen, | |
| versammelten sie auf der Kompilation „Songs of Gastarbeiter Vol. 1“, die | |
| Ende 2013 herauskam. „Wir wollen Unbekanntes bekannt machen eine | |
| vielfältige Musikkultur dokumentieren, damit sie nicht verlorengeht“, | |
| schreiben AY-KU, wie sich die beiden nennen, im Beiheft zur CD. | |
| Eine zweite CD soll im nächsten Frühjahr erscheinen, wenn alles klappt. | |
| Darauf werden Stücke von „Gastarbeitern“ aus den anderen Anwerbestaaten | |
| erscheinen, aus Italien, Marokko oder Exjugoslawien. Händeringend suchen | |
| Ayata und Kullukcu auch nach Songs von Vertragsarbeitern in der DDR. | |
| „Außerdem sind wir mit deutschen Musikern und Bands im Gespräch, die auf | |
| dem Album vertreten sein sollen.“ Mehr will Ayata auch auf hartnäckiges | |
| Nachfragen nicht verraten. | |
| Bis dahin sind AY-KU mit ihrem audiovisuellen Showformat „kommentiertes | |
| Auflegen“ unterwegs auf Bühnen, Clubs und Festivals. „Wir hatten bisher an | |
| die 40 bis 50 Auftritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, zählt | |
| Ayata auf. Im Sommer nehmen sie mit ihrem Projekt am alljährlichen | |
| Sziget-Festival auf einer Donauinsel in Budapest teil. | |
| Mit Filmsequenzen, Fotocollagen und Lifemusikern bringen AY-KU auf ihren | |
| Gigs der Öffentlichkeit ein Stück deutscher Musikgeschichte näher. Die | |
| Reaktionen der Zuschauer reichen von Tränen der Rührung bis zur | |
| Verwunderung über die eigene Unwissenheit. „Die offizielle Erzählung ist | |
| immer noch so: Die Gastarbeiter kamen und zerbrachen an ihrem Kummer“, sagt | |
| Ayata. „Eine andere, nicht von Klischees besetzte Geschichte unserer | |
| Elterngeneration hat die deutsche Öffentlichkeit komplett ignoriert.“ Dabei | |
| zeugen schon die Stücke auf der ersten CD von Kampfgeist und Sprachwitz, | |
| und mansche sind voll von sexuellen Zweideutigkeiten. | |
| Selbstverständlich handeln einige der Lieder auch von Trennungsschmerz und | |
| Sehnsucht. „Doch gemessen an ihrer extrem schwierigen ökonomischen und | |
| sozialen Lage ist die Verarbeitung der damaligen Verhältnisse unglaublich | |
| vielschichtig“, findet Ayata. Pioniere seien diese Künstler gewesen, weil | |
| sie unterschiedliche Musikstile hervorbrachten: Viele Sänger versuchten | |
| sich im Crossover oder experimentierten mit zwei Sprachen. Die Gruppe | |
| Derdiyoklar – frei übersetzt „die Sorglosen“ – kreierte etwa eine neue | |
| Richtung, den anatolischen Diskofolk. Und Ozan Ata Canani gelang es, das | |
| sperrige Deutsch in türkische Volksklänge zu packen und damit potenzielle | |
| Ohrwürmer zu schaffen. | |
| Mit einer gehörigen Portion Ironie ließ sich der eher triste Alltag in den | |
| Wohnheimen und Fabrikhallen leichter ertragen. Der Sänger Yusuf zieht in | |
| seinen Songs sämtliche Register über türkische Männer und nimmt damit sich | |
| und die Klischees in der Mehrheitsgesellschaft auf den Arm. Von | |
| Verständigunsproblemen handelt der Song „Dir, Dir“ von Riza Taner; | |
| übersetzen lässt er sich mit „Bla, Bla“. Ein Meister in der Fabrik pflaumt | |
| den Arbeiter an. Der wiederum versteht das „Dir Dir“ des Meisters nicht und | |
| antwortet mit „Ja, ja“. Doch am liebsten würde er ihm seinerseits ein „D… | |
| Dir“ auf Türkisch entgegenschleudern. Am Ende erfährt der Arbeiter von | |
| seiner Entlassung und macht sich Sorgen um seine fünfköpfige Familie. Zu | |
| allem Überfluss muss er auch noch das „Dir Dir“ seiner Frau anhören. „I… | |
| tue mich schwer mit ernster Musik. Ironie liegt in meiner Natur“, sagt der | |
| Berliner Riza Taner dazu. | |
| Ein anderer Musiker, der sich musikalisch mit seinem Meister anlegte, war | |
| Metin Türköz. Das Lied „Guten Morgen, Mayestero“ strotzt nur so von | |
| fröhlichem Sarkasmus. Türköz jongliert mit einem Sprachmix aus Türkisch | |
| und Deutsch. Ob der gelernte Schlosser mit diesem Lied darauf anspielt, | |
| dass er seine Stelle bei Ford aufgab, um sich fortan nur noch der Musik zu | |
| widmen? Metin Türköz wurde jedenfalls einer der bekanntesten Sänger des von | |
| der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Genres der | |
| „Gurbetci“-Songs – der Musik von und über die erste Einwanderergeneration | |
| aus der Türkei und deren Nachfahren. Das bekannteste Label für | |
| türkischsprachige Musik, das nicht nur für den deutschen Markt produzierte, | |
| war Türküola. Die in den 60er Jahren gegründete Kölner Plattenfirma | |
| veröffentlichte viele Platten von Metin Türköz. Bis er in den 70er Jahren | |
| seine Musikkarriere beendete, brachte er es auf 13 Langspielkassetten und | |
| 72 Singles. Eine andere Sängerin, die es dank Türküola über Deutschland | |
| hinaus zu großer Beliebtheit brachte, war Yüksel Özkasap: Die „Nachtigall | |
| von Köln“, wie türkische Migranten die Sängerin eher melancholischer | |
| Arabesk-Lieder nannten, brachte es auf rund 500 Songs und mehrere | |
| Goldschallplatten. Neben Türküola spielten Labels wie Minareci und Uzelli | |
| beim Musiktransfer zwischen Deutschland und der Türkei eine wichtige Rolle. | |
| Dass sich Ayata und Kullukcu zunächst auf türkischsprachige Künstler | |
| beschränkten, hat pragmatische Gründe. „Wir glaubten, dass wir aufgrund | |
| unserer Geschichte und Netzwerke einen leichteren Zugang zu diesen Songs | |
| haben würden. Doch die Suche war alles andere als einfach“, gesteht Ayata. | |
| In einer Istanbuler Garage wühlte er in alten Kisten herum. „Dann mussten | |
| wir noch die Musikrechte klären.“ Sänger in der Türkei stellten hohe | |
| finanzielle Forderungen. Auffällig sei aber gewesen, dass Musiker, die | |
| selbst Migrationserfahrung hatten, sofort Feuer fingen und das Projekt in | |
| jeder Hinsicht unterstützten. „Einigen boten wir eine Bühne. Das war für | |
| uns eine Art später Dank für ihre Leistungen.“ | |
| Eine noch größere Bühne wird es für einige der Künstler | |
| höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr geben. Denn zur Veröffentlichung der | |
| zweiten CD ist in Berlin ein ganzes Festi-val geplant. Ozan Ata Canani wird | |
| dann mit seiner Langhalslaute, der Baglama, vermutlich wieder mit von der | |
| Partie sein. | |
| 14 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hülya Gürler | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |