# taz.de -- Film-Screening im Berliner Arsenal: Freiheit ist relativ | |
> Filmtipp: Das Roadmovie „Touki Bouki“ erzählt von der Sehnsucht zweier | |
> Dandys im gespaltenen Senegal der 1970er Jahre. | |
Bild: Zwei Dandys mit Stil im Senegal der 1970er Jahre | |
„Paris, Paris, Paris – auf der Welt ein Stück vom Paradies“, singt | |
Josephine Baker in ihrem Chanson im Film „Touki Bouki“ und benennt damit | |
das Atlantis von Anta und Mory: ein Ort, dazu bestimmt ein Versprechen zu | |
bleiben, ein ferner, verheißungsvoller Klang. Anta (Mareme Niang): | |
Studentin und Eigenbrötlerin. Mory (Magaye Niang): Kuhhirte und | |
Herumtreiber. Beide Träumer, Außenseiter. | |
Irgendwo zwischen revolutionären Intellektuellen, selbstzufriedenen | |
Neureichen und verschlagenen Dorfbewohnern sind sie verlorengegangen, sehen | |
keinen anderen Weg, als sich das Geld zusammenzuklauen, das sie aus ihrer | |
Heimat, aus Freud- und Perspektivlosigkeit wegbringen soll. Nur weg aus der | |
senegalesischen Hauptstadt Dakar, dieser „intellektuellen Wüste in | |
Staubgelb“, wie es ein dicker Weißer verächtlich hervorstößt. | |
„Touki Bouki“ oder „Die Reise der Hyäne“ ist der Beginn einer als Tril… | |
angelegten, leider unvollendet gebliebenen Reihe über Macht und Wahnsinn, | |
so sagte es der Regisseur Djibril Diop Mambéty. „Der Citizen Kane Afrikas“, | |
lobte der Filmwissenschaftler Mark Cousins. „Die Nouvelle Vague Senegals“, | |
bezeugten andere. Ein wilder Ritt durch die Filmgeschichte, von Eisenstein | |
über Godard bis New Hollywood. Zugleich Krimi und Roadmovie, Western und | |
Film noir, Coming-of-Age-Komödie und Experimentalfilm. | |
„Touki Bouki“ ist das Regiedebüt von Mambéty, ohne Ausbildung 1973 draufl… | |
gefilmt und mit nur 30.000 US-Dollar Budget. In einer Zeit also, als der | |
Négritude-Begründer Léopold Sédar Senghor Präsident Senegals war. Er | |
verdammte den Kolonialismus zwar, regierte den Staat aber nur mithilfe | |
französischer Berater. In dieser Zeit hing die Filmindustrie des Landes | |
noch ganz von Frankreich ab, selbst was den Kauf des Materials betraf. | |
Es zeugt von Chuzpe, einen Film zu drehen, in dem Paris eine verschwommen | |
auditive Fata Morgana bleibt – und in dem zwei Individuen im Verhältnis zur | |
senegalesischen Gesellschaft das ganze Interesse gilt. Einer Gesellschaft, | |
die vor innerer Spannung zu zerbersten droht, in der sich weder soziale | |
Schichten noch Generationen oder einfach nur die Marktfrauen beim | |
Wasserholen untereinander einigen können. Die Ideale der Négritude sind | |
vorerst gescheitert, die sang- und klanglose Anbiederung an europäische | |
Gepflogenheiten ist aber auch keine Alternative. | |
Es bleibt das Potenzial der Transgression, der Hybridität, des sich | |
eröffnenden Raumes zwischen zwei Polen. Anta und Mory füllen diesen Raum | |
aus, schaffen sich ihre eigene Welt. Das hat Programm: „Ich interessiere | |
mich für marginalisierte Leute“, erklärte Mambéty noch kurz vor seinem Tod | |
1998 in einem Interview, „weil ich glaube, sie tun mehr für die Evolution | |
einer Gemeinschaft als die Konformisten.“ | |
Im imaginierten Reich ihrer zweisamen Autonomie ficht kaum etwas die beiden | |
an: Ein Felsen am Meer ist ihr Zufluchtsort, Morys von stattlichen | |
Kuhhörnern geschmücktes Motorrad ihr wertvollster Komplize und Symbol der | |
Hoffnung, darauf vielleicht irgendwann den Horizont zu erreichen – oder für | |
den Anfang wenigstens den Hafen von Dakar. | |
Unablässig sind sie in Bewegung: Das gestohlene Auto eines reichen Freundes | |
wird später zum Katalysator ausufernder Herrschaftsfantasien, seine feinen | |
Kleider zur Eintrittskarte in die Welt der scheinbar endlosen | |
Möglichkeiten. | |
In seinen beinahe rührend kindlichen Wunschträumen sind es Morys Feinde und | |
Gläubiger, die ihn ungestüm mit Tanz und Gesang als heimgekehrten Sohn, als | |
Erbringer von Bildung und Reichtum ehren. „Sie werden mich Monsieur Mory | |
nennen“, fantasiert er mit Anta und pafft seine imaginäre Zigarre. | |
Djibril Diop Mambéty ermöglicht seinen Figuren diese Welt mithilfe seiner | |
frappanten Filmsprache und schafft in „Touki Bouki“ etwas radikal Eigenes �… | |
als Senegalese und als junger Auteur. Sein Film verweigert sich gegenüber | |
Chronologie und narrativer Logik, fragmentiert lustvoll Zeit und Raum. | |
Der Film ist durchdrungen von Traumsequenzen, unbändiger Freude am | |
Experimentellen, reich an plakativen Symbolen und dabei doch völlig frei in | |
seinem Interpretationsspielraum. Am besten lässt sich das im Kino Arsenal | |
erfahren, wo der Film in seiner ganzen farb- und klanglichen Pracht auf 35 | |
mm gezeigt wird. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
11 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Doerksen | |
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