# taz.de -- Der erste Muttertag der Kosmonautin | |
> ELEKTRONIK Sängerin Ofrin stellt im Roten Salon ihr Album „Ore“ vor. | |
> Nicht alles läuft wie geschmiert – was der Show guttut | |
Bild: Erst Entrückung, dann Annäherung: Ofrin im Roten Salon | |
von Ronny Müller | |
Walentina Tereschkowa war die erste Frau im Weltraum. Daran wird Ofri Brin | |
alias Ofrin zu Beginn ihrer Record Release Show kaum gedacht haben – und | |
doch scheint auch sie in anderen Sphären zu schweben. Ein langer weißer | |
Mantel umhüllt ihren Körper, schwarze Handschuhe reichen bis zu den | |
Ellenbogen, ihre roten Locken stecken unter einer Raumfahrerkapsel. So | |
schreitet sie an aufgestapelten und mit Plastikfolie überdeckten | |
Umzugskartons vorbei auf die Bühne des Roten Salons der Volksbühne. | |
Nebelschwaden ziehen über die Leinwand im Hintergrund. Ofrin wirkt | |
unendlich weit weg. Dabei steht das Publikum keine fünf Meter vor ihr. | |
Ihre Musik verstärkt diese Distanz noch. Über ein wummerndes Bassbett | |
ziehen sich karge Synthie-Melodien. Mit viel Hall auf der Stimme singt sie, | |
„wenn ich tot bin, wird mein Staub nach dir schreien“. Keine Hoffnung. | |
Nirgends. Dystopie bestimmt den Eindruck der ersten Lieder und wird nur | |
gebrochen durch das warme Timbre ihrer Stimme. Das Publikum spiegelt die | |
distanzierte Haltung anfangs wider. Wenige wippen, die meisten beobachten | |
äußerlich unbewegt das Schauspiel aus Musik und Videokunst. | |
Nach vier Liedern ohne Zwischenansage bekommt die bis dahin perfekte | |
Inszenierung erste Brüche. Helm und Overall hat Ofrin mittlerweile | |
abgestreift. Die schwarzen Lederhandschuhe machen ihr in dem aufgeheizten | |
Raum zunehmend zu schaffen. Ofri Brin ist eine warmherzige Frau. Ihre | |
Stimme klingt so freundlich, dass man ihr kein böses Wort zutraut. Selbst | |
die Bitte an den Tontechniker nach etwas weniger lauter Musik klingt aus | |
ihrem Mund wie eine Aufmunterung. Dann wundert sie sich über sich selbst: | |
„Eigentlich halte ich meine Ansprachen nicht auf Deutsch“, sagt sie. Das | |
Publikum jubelt. | |
Seit mittlerweile elf Jahren wohnt die in Israel geborene Künstlerin in | |
Berlin. Anfangs war Ofrin eine Band, angeführt von Sängerin Ofri Brin und | |
dem Keyboarder und Gitarristen Oded K.dar. Seit ihrem dritten Album, „The | |
Bringer“ von 2013, arbeitet sie solo. „Ore“ hat sie gemeinsam mit dem | |
Produzenten T.Raumschmiere aufgenommen. Eigentlich hätte es bereits vor | |
anderthalb Jahren erscheinen können, dann wurde Ofrin Mutter. „Das ist mein | |
erster Muttertag als Mami“, freut sie sich auf der Bühne und lächelt | |
verzückt ihre Tochter in der ersten Reihe an. | |
Das übergeordnete Thema Weltall und Mensch gibt den musikalischen Duktus | |
der Lieder vor. Sie bewegen sich zwischen TripHop, Industrial und | |
progressiver Popmusik. „Avant-Pop“ hat Ofrin das selbst einmal genannt. Von | |
den dunklen Balladen geht eine kühle Anziehungskraft aus. Synthesizer | |
klackern oder funkeln und geben ihrer herausragenden Stimme Raum. Ruhig | |
schwebt jene über den Liedern oder holt zu hohen Schnörkeln aus. | |
Ofrin trägt ihre Songs mit professioneller Hingabe vor. Die Augen hat sie | |
geschlossen oder starr ins Dunkel gerichtet, in dem die ZuschauerInnen | |
stehen. Je nach Beat windet sie ihren Körper zur Musik oder schreitet mit | |
raumgreifenden Bewegungen über die Bühne. Aber stets wirkt das | |
kontrolliert, unnahbar, entrückt. Lediglich zu „Sisyphus“, einem treibenden | |
EBM-Stück, reißt Ofrin die Arme hoch und tanzt heftig kreisend über die | |
Bühne. | |
Wie gut, dass sich bei einer Liveshow nicht alles planen lässt. Bald wird | |
es ihr in den großen Lederhandschuhen zu warm und sie wirft sie lächelnd | |
von sich. Auch die Technik hat ihre Tücken. Ofrin wird lediglich von einem | |
Laptop unterstützt, der die Musik einspielt. Doch der will nicht immer, wie | |
sie es möchte – springt zum falschen Lied und bricht einmal sogar mitten | |
auf dem Höhepunkt eines Stücks ab. Ofrin nimmt es lächelnd hin. „Don’t p… | |
a release to be a perfect thing“, konstatiert sie schließlich. Je mehr die | |
Künstlerin den Anspruch einer perfekten Premierenshow fahren lässt, desto | |
frenetischer applaudiert und jubelt das Publikum. Zum Schluss kommt die | |
Wahlberlinerin richtig ins Plaudern. | |
So handelt der Abend schließlich vom Loslassen – den Ballast zu warmer | |
Kostüme, der Distanz zum Publikum und zu hohen Erwartungen an sich selbst. | |
Mit ihrem letzten Lied nimmt Ofrin erneut die kühle Grundstimmung der | |
ersten Stücke auf. Doch es nützt nichts mehr. Das Eis ist gebrochen – und | |
das ist schön. | |
Ofrin: „Ore“ (Shitkatapult/Indigo) | Ofrin noch mal live: 13. 5., Kantine | |
Berghain, mit NES | |
10 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Ronny Müller | |
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