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# taz.de -- Fahrradfahren ist keine Frage des Alters
> MobilitätDie Initiative „Radeln ohne Alter“ entstand nach einem dänisch…
> Vorbild. Sie gibt Menschen, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt
> sind, das „Recht auf Wind in den Haaren“ zurück. Freiwillige Radler wie
> Michael Röblitz organisieren Spazierfahrten in Fahrradrikschas
Bild: Michael Röblitz und Michaela Thiede radeln an diesem Vormittag zusammen …
von Fabienne von der Eltz
Die hellgrünen Äste der Trauerweide hängen dicht über dem Teich, in dem
sich drei Enten vergnügen. Hier und da liegen Menschen auf dem Rasen und
genießen das Frühlingswetter. Bei strahlendem Sonnenschein lädt der
Stadtpark in Schöneberg zu einem Spaziergang ein – oder zu einer
Spazierfahrt.
Michael Röblitz und Michaela Thiede radeln an diesem Vormittag zusammen
durch den Park. Er tritt, sie nimmt Platz auf der Sitzbank, die vorne an
der Fahrradrikscha befestigt ist. Seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren
kann die 52-Jährige nicht mehr laufen und hat Schwierigkeiten beim
Sprechen. Dank Ehrenamtlichen wie Michael Röblitz kann sie das Heim aber
wieder verlassen und einen Ausflug durch Berlin genießen. Röblitz ist einer
von rund 50 freiwilligen Fahrern der Initiative „Radeln ohne Alter“.
Calle Overweg ist durch ein YouTube-Video auf die dänische Initiative
„Cycling uden alder“ von Ole Kassow aufmerksam geworden (siehe Kasten).
Weil ihn dieses Projekt „emotional bewegt hat“, wie Overweg sagt, hat er es
im Juli 2015 nach Berlin gebracht.
Als Overweg zunächst testen wollte, wie man eine Fahrradrikscha fährt,
wurde er auf Gaya Schütze aufmerksam, die eine besitzt und sie dauerhaft
verlieh – diese Rikscha war der Start der Initiative und steht im
Seniorenzentrum Schöneberg. Außerdem gibt es zwei weitere Kooperationen mit
Seniorenzentren in Kreuzberg und Wedding. Da Overweg selbst das Gefühl vom
Fahrtwind in den Haaren liebt, hat er den Slogan „Das Recht auf Wind in den
Haaren“ von der dänischen Initiative übernommen.
„Spaß an der Freude“ nennt Michael Röblitz als Grund für seine
ehrenamtliche Radlertätigkeit. Seit November letzten Jahres fährt er mit
Menschen, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, durch Berlin.
Eigentlich ist der 58-Jährige selbstständig als Stadtführer tätig, doch in
seiner Wohnung fällt ihm nach eigenen Angaben die Decke auf den Kopf. Daher
genießt er seine Tätigkeit als Fahrer für „Radeln ohne Alter“: „Es ist
genau das Richtige, wenn man in beruflichem Stress steckt.“
## Kontrast zum Heimalltag
Auch für seinen heutigen Fahrgast ist der Ausflug eine willkommene
Abwechslung zum Alltag im Seniorenzentrum Schöneberg. Michaela Thiede ist
nicht zum ersten Mal mit einem freiwilligen Rikschafahrer unterwegs. Bei
einem Latte macchiato, den die zwei an einem kleinen Café im Stadtpark
trinken, versucht sie zu erklären, warum sie diese Ausflüge so mag. „Man
kommt mal raus und kann unbeschwert sein“, schlägt Röblitz vor. „Ja“,
antwortet Thiede und stimmt mit einem breiten Lächeln zu.
Die Kommunikation fällt Röblitz nicht immer leicht, aber meist weiß er nach
ein paar Rateversuchen, was Michaela Thiede ihm sagen möchte. Für ihn ist
der Kontakt zu seinen Fahrgästen sehr wichtig: „Es ist schön, neue Menschen
kennenzulernen, ihre Geschichten zu hören, und andersherum meine erzählen
zu können.“
Ein gewisses Maß an sozialer Kompetenz ist die Voraussetzung für eine
Tätigkeit als „Pilot“ bei „Radeln ohne Alter“. Das Bedienen der Rikscha
können Freiwillige bei einem ein- bis zweistündigen Nachmittagstraining auf
dem Tempelhofer Feld erlernen. Wichtig ist dabei vor allem zu wissen, wie
man die Fahrradrikscha lenkt. Außerdem sollten die Fahrer immer Strecken
aussuchen, auf denen sich die Fahrt nicht zu holprig gestaltet. Sie sollten
auch nicht zu schnell fahren, sondern ein angenehmes Spaziertempo halten.
An Steigungen werden die Radler durch einen kleinen Motor an der Rikscha
unterstützt.
Laut Röblitz ist es aber am wichtigsten, den Sinn der Initiative „Radeln
ohne Alter“ zu verstehen. Für ihn ist das die Kommunikation mit dem
Fahrgast, nicht der bloße Transport. Bei der ersten Fahrt werden die
„Piloten“ deshalb noch von „Kapitänen“ begleitet, das sind Fahrer, die
schon länger dabei sind. Diese beurteilen dann, ob der „Pilot“ sowohl das
Bedienen der Rikscha als auch den Umgang mit den Fahrgästen beherrscht.
Wohin die Fahrradtour geht, dürfen die Fahrgäste entscheiden. „Wenn wir
zusammen unterwegs sind, bin ich der Dienstleister – und der Gast ist
König“, erklärt Röblitz. Kürzlich ist er mit einer Dame zum Brandenburger
Tor gefahren, eine andere wollte gern über den Wochenmarkt radeln. „Ein
Fahrer hat mal eine Tour über den Weihnachtsmarkt gemacht“, erinnert sich
der Stadtführer. Sein heutiger Fahrgast hatte keine besonderen Wünsche,
also hat er den Schöneberger Stadtpark vorgeschlagen.
„Mit der Rikscha wird man überall angelächelt“, erzählt Michael Röblitz.
Wenn er klingelt, machen die Spaziergänger gern Platz. Entgegenkommende
Passanten drehen sich um, eine junge Frau sagt zu ihrer Freundin: „So ein
Ding brauchen wir auch!“ Eine Joggerin, die Röblitz’Weg kreuzt, gewährt i…
die Vorfahrt und schnauft: „Cool!“
## Auf den Fahrgast einstellen
Als die zwei auf der Belziger Straße fahren, zeigt Michaela Thiede
plötzlich auf ein Gebäude und versucht, dem Radler hinter ihr etwas
mitzuteilen. Dieser hält am Straßenrand und steigt vom Fahrrad. Durch
gezieltes Fragen findet er schnell heraus, dass Thiede mal in dieser Straße
gewohnt hat. Gerade diese Kommunikation mit dem Fahrgast schätzt er sehr.
Dafür hält er auch gern hin und wieder an. „Man muss sich immer auf den
Fahrgast einstellen“, erklärt Röblitz, „und mit Frau Thiede kann ich nun
mal besser kommunizieren, wenn wir uns anschauen können.“
Wieder im Seniorenheim angekommen, gibt Michaela Thiede der
stellvertretenden Leiterin Frauke Mönnich zu verstehen, dass sie gern öfter
mit Michael Röblitz fahren möchte. Mönnich ist eine sogenannte Lotsin des
Projekts „Radeln ohne Alter“. Sie vermittelt zwischen den Heimbewohnern und
den Rikschafahrern.
Die Nachfrage nach einer Fahrradtour ist unter den Bewohnern gestiegen. Im
vergangenen Jahr musste Lotsin Mönnich noch mehr Überzeugungsarbeit
leisten: „Viele Bewohner wollten die Dienstleistung nicht annehmen“, aber
mittlerweile kommen mehrmals in der Woche Radler ins Haus. Die
stellvertretende Heimleiterin schätzt vor allem das
generationsübergreifende Miteinander, das durch die Initiative ermöglicht
wird. Sie freut sich, dass „öfter junge, offene Leute ins Heim kommen“. Und
auch Radler Michael Röblitz hat die zweistündige Tour genossen: „Man macht
sich damit eine Freude – und den Fahrgästen.“
7 May 2016
## AUTOREN
Fabienne von der Eltz
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