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# taz.de -- Nahrhaftes Essen für alle Bedürfnisse
> AKTIVISMUS Besuch beim krisenbewährten Kochkollektiv „Black Wok“ in
> Dresden-Löbtau
Bild: Die Suppenterrine von früher: Vorbild für selbst geschweißte 200-Liter…
Von Gabriele Goettle
P eter P. studiert im letzten Studienjahr Geschichte und Englisch an der TU
Dresden, mit dem Ziel, Lehrer zu werden. 1983 in Hessen geboren und
aufgewachsen, kam er 2005 zum Studium nach Dresden, wo er sich bald in
regionalen politischen Gruppen engagiert. 2011 war er einer der
Mitbegründer des Küfa-Kollektivs „Black Wok“ Dresden, in dem er unter
anderem seither aktiv ist. Seine Eltern sind bereits in Rente, die Mutter
war Arztassistentin, der Vater war diplomierter Betriebswirt. Peter ist
unverheiratet und kinderlos.
Die Ausspeisungen für Arme, vor allem durch Kirchen und Klöster, gab es
schon im Mittelalter und es gibt sie bis heute. Eine weltliche Variante der
„Klostersuppe“ kam Ende des 18. Jahrhunderts in England auf. Im Mutterland
der Industrialisierung und Verelendung des Proletariats wurden von
wohltätigen Privatpersonen und der neu gegründeten Heilsarmee zahlreiche
„Suppenhäuser“ für Arme eröffnet. 1866 gründete in Berlin die jüdische
Sozialreformerin Lina Morgenstern – eine Vertreterin der fortschrittlichen
bürgerlichen Frauenbewegung – die erste Volksküche. Morgensterns Idee hatte
Vorbildcharakter, weitere folgten. Sie gab sogar ein Kochbuch für
Volksküchen heraus.
Es gibt auch eine linke Tradition der Volksküche, so betrieb die
Internationale Arbeiterhilfe in den zwanziger Jahren Streikküchen. Hier hat
man stets das solidarische Motiv betont, während die karitative
Essensausgabe als Kaschieren von herrschender Armut abgelehnt wurde. In den
USA existierten zahlreiche Volksküchen in der Zeit der Großen Depression.
Während der sechziger Jahre gründete die US-Studentenbewegung solidarische
Volksküchen, die 68er-Bewegung hingegen blieb hierzulande diesbezüglich
vollkommen passiv.
Erst die Hausbesetzerbewegung der achtziger Jahre führte Volksküchen wieder
ein und nannte sie VOLXKÜCHEN. Heute gibt es allein in Berlin über 30
autonome Volxküchen, betrieben von kleinen linken Kollektiven. Meist wird
zusätzlich zu preiswerten vegetarisch/veganen Gerichten auch kulturelles
und politisches Programm geboten. Mit der steigenden Zahl der Geflüchteten,
die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, etablierten sich in
allen Städten auch viele Volxküchen für Flüchtlinge.
## Das Hausprojektals Angriffsziel von Nazis
Peter, der anonym bleiben möchte, ist Mitglied des Küfa- Kollektivs und
wohnt nicht weit entfernt von Zentrum und Uni, in Nord-Löbtau, einem
ruhigen Stadtviertel Dresdens, das, im Gegensatz zur Neustadt, noch nicht
gentrifiziert ist. Peter lebt in einem selbst verwalteten Studentenprojekt.
Der vierstöckige villenartige Klinkerbau mit Garten, Vorgärtlein und Zaun
ist saniert und liegt direkt an einer auf Stelzen stehenden Stadtautobahn.
Das Haus war schon mehrfach Angriffsziel rechter Gruppen, deshalb wird die
Haustür geschlossen gehalten. Eine junge Frau öffnet und führt mich
freundlich durch das nach Essen duftende Treppenhaus hinauf in eine
geräumige WG-Küche. Peter nimmt mich in Empfang und führt mich in sein
kleines Zimmer, in dem gerade mal Hochbett, Bücher, Kletterseile
Schreibtisch und Stuhl Platz haben. Ich bitte ihn, vom Küfa-Projekt zu
erzählen und weshalb sie es nicht Volxküche nannten.„Wegen des historisch
stark belasteten Begriffs Volk, an dem ja auch das halbherzige X nichts
ändert, wollten wir uns davon distanzieren. Küfa heißt einfach nur ‚Küche
für alle‘. Zur Gründung kam es eigentlich durch die Lage hier in der Stadt
Dresden. Sie ist seit Langem geprägt durch eine äußerst angespannte
politische Situation: Es gibt ständige Repressalien gegen Linke, auch
bedingt durch die Diskurse nach den Großveranstaltungen des 13. Februar,
also den Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden.
Die Aufmärsche der Neonazis waren von Jahr zu Jahr massiver und aggressiver
geworden, bis dann 2011 der Zenith erreicht war. Mit 20.000 bundesweit
mobilisierten Leuten waren die Nazis unterwegs zu ihrem ‚Trauermarsch‘. Nur
durch die Präsenz der vielen Gegendemonstranten konnte ihr Aufmarsch
blockiert werden. In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem Angriff von
80 Nazis auf das linke Wohn- und Kulturprojekt ‚Praxis‘ im Stadtteil
Löbtau. Sie schleuderten Steine und Stöcke, das dauerte eine ganze Weile,
während die Polizei den Verkehr regelte, ansonsten abwartete und nicht
eingegriffen hat.
Im Viertel hat sich daraufhin eine Nachbarschaftsinitiative gebildet.
Ergebnis jener Vernetzung war etwa ein Straßenfest, bei dem auch Geld übrig
blieb. So kam es dann zum Entschluss, das Küfa-Kollektiv ‚Black Wok‘
aufzubauen, das Geld in die Infrastruktur zu stecken, um die Linke und die
sozialen Bewegungen praktisch stärken zu können bei Aktionen. Also wir
begreifen Kochen als politische Arbeit. Seitdem gab es unzählige
Demonstrationen, Vorträge und Workshops, bei denen wir gekocht haben, und
auch eine Einbindung in internationale Netzwerke, Reisen nach Calais und
Kooperationen mit vielen anderen Gruppen. Das Konzept war gut. Wir wollten
keine Küfa- Gruppe sein, die stationär einmal die Woche an einem festen Tag
kocht, das gab es schon in der Stadt. Wir wollten von Anfang an eine mobile
Küche betreiben – natürlich unkommerziell – eine ‚Aktionsküche‘. Wir…
an jedem Ort zu jeder Zeit eine Feldküche aufbauen und loslegen. Wir nutzen
selbst gebaute Töpfe, selbst geschweißte 200- Liter-Töpfe. Das sind
Modelle, die von Vorreitern der Aktionsküchen wie ‚LeSabot‘, ‚Feine
Gerüchteküche‘, ‚Food for action‘ oder auch die ‚Maulwürfe‘ in Fre…
konzipiert und genutzt werden. Es gibt ein internationales Netzwerk mobiler
solidarischer, selbst organisierter Küchen, die zum Teil mehr als 10.000
Leute versorgen können: etwa beim G-8 Gipfel, den Klimakonferenzen und
Nato-Protesten.
## Großer Aufwandfür 1.000 Essenportionen
Unsere Kapazität ist natürlich viel geringer, aber für ein paar hundert
Leute können wir problemlos kochen. Anfangs mussten wir noch eine Menge
lernen. Es ist ja einfach, für 20 Leute zu kochen, für 50 geht es auch
noch, aber, wenn es um 200, 500, 1.000 oder mehr Portionen geht, wird es
ein logistisch und auch finanziell großer Aufwand. Aber das sind
Erfahrungswerte, die von den Kollektiven auch untereinander ausgetauscht
werden. Ich erzähle dir am besten mal an einem Beispiel, wie das so vor
sich geht. Wir sind zweimal – 2012 und 2014 – mit der Gruppe nach Calais
gefahren. Zuvor haben wir eine Spendenkampagne organisiert, um das Geld
dafür aufzubringen, haben große Gebinde Reis, Nudeln, Bohnen, Linsen, Tee
usw. gekauft und sind losgefahren. Wir wollten in Calais für die
Flüchtlinge kochen und auch, um die dortigen Gruppen, wie die ‚No
Border‘-Bewegung, zu unterstützen.
## Nadelöhr am Eingangzum Eisenbahntunnel
In dieser französischen Küstenstadt am Ärmelkanal, die Teil der Festung
Europa ist, warten Tausende Menschen ohne gültigen Pass, ohne
Aufenthaltsstatus, viele sogenannte Sans-Papiers, auf irgendeine
Möglichkeiten, trotz strenger Bewachung der Grenze, durch ein sehr winziges
und gefährliches Nadelöhr auf illegale Weise nach England zu gelangen. Es
gibt bereits eine Reihe von jungen Frauen und Männern, die beim Versuch,
heimlich auf Lastwagen oder Zügen durch den Eisenbahntunnel nach England
einzureisen, zu Tode gekommen sind.
Die Wartenden, die es immer wieder versuchen, sind schutzlos der Witterung
und den polizeilichen Repressionen ausgeliefert. 2012 war die Repression
gegen die Geflüchteten besonders heftig, weil anlässlich der Olympischen
Spiele in London eine ‚Säuberungskampagne‘ in Calais durchgeführt wurde.
Ständige Polizeigewalt in dem Lager, Razzien, Vertreibung von Menschen und
Beschlagnahme ihrer Zelte, Schlafsäcke und sonstigen lebenswichtigen
Utensilien waren an der Tagesordnung. Von Anfang Juni bis Ende September
wurde die Essenversorgung der Geflüchteten besonders durch zwei Gruppen
sichergestellt, ‚Salam‘ und ‚La Belle Etoile‘. Diese beiden Kochkollekt…
pausierten ab und zu. Damit die Versorgung der Geflüchteten gewährleistet
war, wurden die Mahlzeiten während dieser Zeit von einem Freiwilligennetz
aus ganz Europa zubereitet, so auch von uns.
Es kamen immer meist um die 200 Geflüchtete zu unserer täglichen
Essenausgabe. Gekocht wird übrigens – und das von fast allen Küfas –
ausschließlich vegetarisch/vegan. Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus
finanziellen und hygienischen Gründen. Wir versuchen, grundsätzlich
biologische Zutaten zu verwenden und saisonal zu kochen. Bei den
Flüchtenden berücksichtigen wir die unterschiedlichen Bedürfnisse. Also wir
haben in Calais eine Art Dreikomponentenessen kreiert, bestehend vor allem
aus Nudeln, Reis, Linsen und anderem frischem Gemüse.
Viele haben sich Gefäße und Plastikbehälter mitgebracht und sich das Essen
eingepackt oder Portionen für andere mitgenommen, die nicht selbst kommen
konnten. Wir legen großen Wert darauf, das Essen sehr nahrhaft
zuzubereiten, damit die Leute, die ja im Stress sind und teilweise sehr,
sehr lange Strecken zu Fuß zurücklegen, auch auf ihre notwendigen Kalorien
kommen.
In Calais gab es einen zentralen Ausgabeplatz, der natürlich in dem Sinne
nicht legalisiert war. Auch das Kochen selbst ist ja nicht legal, es ist im
Prinzip eine Straftat, gilt als Unterstützung … als Fluchthilfe! Aber die
Polizei hat uns lediglich observiert, ist mit dem Auto hinter uns her
gefahren, mehr nicht. Die Verhältnisse in Calais insgesamt sind
unbeschreiblich, und das schon über Jahre hinweg. Früher gab es große
Feldlager, die von der UNHCR gestellt wurden und die die Regierung Sarkozy
dann hat schließen lassen. Danach hat sich alles dezentralisiert. Es gibt
Geflüchtete, die leben in besetzten Häusern – meist Frauen und Kinder.
Andere haben in Industrieruinen Unterschlupf gefunden, wieder andere leben
in Parks oder in kleinen Camps entlang der Autobahn – ohne Toiletten und
Zugang zu Trinkwasser. Sie hausen unter Brücken, in den Wäldern an den
Stadtgrenzen oder im Jungle de Calais, einer großen improvisierten
Zeltstadt, in der Tausende unter notdürftigen, menschenunwürdigen
Lebensbedingungen existieren. Sie alle waren und sind ständig von der
Räumung ihrer Unterkünfte und der Zerstörung der Zeltlager durch Polizei
und Bulldozer bedroht.
## Auch in Calais marschieren rechte Gruppen
Aber auch auf Angriffe durch rechte Gruppen mit Feuerwerkskörpern und
Molotowcocktails müssen sich die Geflüchteten jederzeit gefasst machen; so
wie überall. Es gibt eine internationale Vernetzung der Rechten, in der
übrigens auch die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des
Abendlandes“, die Pegida, eine gewisse Rolle spielen. Pegida und andere
Rechte planten ja am 6. Februar erstmals einen europaweiten Aktionstag, und
da war auch Calais einer der ‚Aktionsorte‘, an denen Aufmärsche stattfinden
sollten. Es wurden in Calais für diesen Tag zum Glück alle Demos verboten.
Also man muss sagen, in Calais laufen sehr, sehr faschistoide Gruppen
herum. Es herrscht eigentlich eine ständige Gefahr für Leib und Leben der
Geflüchteten.
Voriges Jahr im November gab es einen Großbrand im Jungle de Calais, das
war ein paar Stunden nach den Anschlägen in Paris, deshalb ging der Brand
in der Berichterstattung ziemlich unter. Kaum jemand hat mitbekommen, dass
mehr als 4.000 Menschen evakuiert werden mussten. Quasi das gesamte
Zeltlager. Die Räumung stand übrigens unmittelbar bevor. Dass es keine
Toten gab, grenzt an ein Wunder. Jedenfalls, beide Male, als wir in Calais
waren, herrschte dort bedrückende Stimmung, besonders wegen der
Polizeipräsenz und den Spezialeinheiten. Die waren jeweils nur kurze Zeit
im Einsatz. Alles wirkte sehr militarisiert. Die Polizei kam auch öfter
während unserer Essenausgabe, hat die Wartenden dort gezählt und dadurch
sicher viele abgeschreckt. Denn es kommt vor, dass Geflüchtete einfach weg
geholt und ins Polizeipräsidium oder gleich ins Gefängnis gebracht oder
einfach irgendwo weit außerhalb der Stadt ausgesetzt werden. Das ist ohne
Geld, ohne Orts- und Sprachkenntnisse furchtbar für die Betroffenen und
überdies auch gefährlich.
Wir haben da einige Geschichten gehört von lokalen Aktivisten, die über das
internationale Netzwerk Aktionsküchen den kompletten Sommer 2012 vor Ort
waren. Gewohnt haben wir auch bei einem Aktivisten in seinem kleinen Haus,
außerhalb von Calais. Haben dort im Garten unsere Küche aufgebaut und da
gekocht. Wasser gab es aus dem Gartenschlauch. Das fertige Essen und den
heißen Tee haben wir dann in Töpfen und Thermophoren in Autos verladen,
sind damit zum Sammelpunkt gefahren und haben es ausgeteilt. Und das
dreimal am Tag. Dort haben meist bereits 150 bis 200 Geflüchtete gewartet.
Diese Essenmengen können wir sehr gut bewältigen, technisch kein Problem,
aber psychisch schon. Das war jetzt das Beispiel Calais.
In Dresden haben wir auch viel gemacht. So bei der Besetzung des
Theaterplatzes Anfang März 2015. Der Platz war ja quasi von Pegida in
Beschlag genommen worden für ihre Kundgebungen. Samstag/Sonntag war damals
eine Solidemo für die Geflüchteten mit etwa 5.000 Leuten, und im Anschluss
daran wurde spontan auf dem Theaterplatz, direkt vor der Semper-Oper, ein
Protestcamp errichtet. Die Forderungen waren: Abschiebestopp für alle
Geflüchteten, Bewegungsfreiheit überall im Land, die Möglichkeit zu
arbeiten, bessere medizinische Versorgung. Und, dass sie aus den
Übergangsheimen und Bettenlagern rauskommen. Raus aus den Umständen, die
dort herrschen, stattdessen dezentrale Unterbringung. Wir haben da
Unterstützung geleistet und gekocht. Es war ja noch kalt und es gab einige
größere Zelte, vergleichbar mit denen vom THW – eins davon war das
Essenzelt. Strom gab es von der Semper- Oper, Wasser hatten wir im
Wassertank mitgenommen. Da haben wir 200 Leute versorgt mit Essen, abends
waren es ein bisschen mehr. Um Plastikmüll zu vermeiden, haben wir essbare
Schalen verwendet, das ist zwar ein bisschen teurer, aber sinnvoll. Die
Stimmung war sehr gut, Leute kamen vorbei, haben Lebensmittel gebracht,
sich unterhalten, Tee getrunken, Musik gemacht. Aber es gab auch andere
Situationen! Am Sonntagnachmittag und in der Nacht haben Hooligans von
Dynamo Dresden das Camp angegriffen, wurden aber von Unterstützern und
Polizei abgewehrt.
## Unterstützer-Schutzringum die Essenkübel
Es gab auch einen konkreten Angriff der Pegisten während ihrer Montagsdemo,
die sind eines Abends vorbeimarschiert. Plötzlich kam eine größere Gruppe
angestürmt und sie brüllten ständig: ‚Räumen, räumen!‘ und ‚Deutschl…
Deutschen, Ausländer raus!‘. Wir befürchteten, dass sie uns die Essenkübel
umwerfen, aber das Camp war vorbereitet, es hatte sich so ein Schutzring
von mehreren hundert Unterstützern um uns herum gebildet, den konnten die
Pegisten nicht knacken. Viele der Geflüchteten und Unterstützer blieben
über Nacht, denn man rechnete mit weiteren Angriffen und auch mit der
Räumung.
Das Protestcamp war eigentlich für einen Monat geplant, es wurde aber
bereits am nächsten Tag polizeilich geräumt.“ (Im Gerichtsbeschluss hieß
es: Wer sich unter freiem Himmel versammle, setze sich zwangsläufig der
Witterung aus und könne „nicht aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
ein Recht zur Aufstellung von Zelten und Toiletten ableiten“. Anm.G. G.).
„Die Räumung verlief übrigens friedlich. Trotz der kurzen Dauer dieses
Protestes war es doch ein Erfolg und eine große Aktion. Er hat für sehr
viel Wirbel gesorgt in der Stadt. Momentan haben wir in Dresden noch ein
weiteres Problem, und zwar im Zusammenhang mit dem 13. Februar. Am Vorabend
der Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden wollten
mehrere hundert Neonazis einen Gedenkmarsch mit Fackeln veranstalten, um –
so ihre Diktion – an den ‚Bombenholocaust‘ zu erinnern. Wir hatten
Informationen, dass die Marschroute – in diesem Jahr liegt sie wenigstens
außerhalb des Stadtzentrums – vom S-Bahn-Haltepunkt Döbritz durch die
Stadtteile Prohlis und Nickern zu einem Gedenkstein für die Opfer des 13.
Februar in Altnickern führen soll. Dort gibt es Kranzablage und Ansprache.
Der Gedenkstein ist in jedem Jahr eine Art Wallfahrtsort für Neonazis. Er
trägt die Inschrift: ‚Wir gedenken der Opfer des angloamerikanischen
Bombenterrors‘.
Sie passt damit ganz genau in ihr Geschichtsverständnis. Keinem scheint
aber aufzufallen, dass es ohne die Nazis, auf die sie sich berufen, gar
keine Bombardierung Dresdens gegeben hätte. Ich werde mal hingehen heute
Abend. Man muss dem ja was entgegensetzen! In früheren Jahren sind sie
immer am 13. Januar marschiert, aber seit 2014 machen sie das am 12. Wohl,
weil sie für die Innenstadt keine Genehmigung mehr bekommen und auch, weil
sie sich für den 12. mehr Medienaufmerksamkeit versprechen. Sie geben vor,
mit ihrem Fackelzug still zu trauern, aber sie missbrauchen skrupellos die
Emotionen in der Stadt, um auf sich aufmerksam zu machen und ihr braunes
Gedankengut zu propagieren. Überhaupt sind sie in den letzten Monaten sehr
selbstbewusst geworden, besonders nach den Auftritten in Freital und
Heidenau. Da gab es 2015 ganz besonders heftige ausländerfeindliche
Demonstrationen und Angriffe auf Geflüchtete und Unterstützer, Anschläge
auf Flüchtlingsheime. Dort hatte die rechte Szene besondere
Erfolgserlebnisse, ist auch verwurzelt in Kameradschaften und kann auf
weitgehendes Wohlwollen der Bewohner zählen “ (Siehe dazu den ausführlichen
Text zur Lage in Freital, taz v. 9./10. April 2016. Anm. G. G.).
## Wie Pegida den Diskursin Dresden dominiert
„Und natürlich haben ihnen auch AfD und Pegida sehr viel Auftrieb gegeben.
Seit über einem Jahr haben wir hier ja jede Woche montags Tausende von
Asylgegnern, Fremdenfeinden und Rassisten auf der Straße. Der öffentliche
Diskurs ist leider stark dominiert von Pegida. Und das liegt auch daran,
dass es viele Punkte gibt, die einige tiefgreifende Schwierigkeiten in der
Gesellschaft ansprechen, beispielsweise das mangelnde Vertrauen in Politik
und Presse, der Mangel an Wertschätzung, die Mängel des sozialen Systems
usw. Aber anstatt in einer kritischen Ursachenanalyse und Demonstrationen
gegen die Verursacher zu münden, machen sich die Pegisten vorwiegend mit
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Luft. Das kann ja nicht hingenommen
werden.
Ich bin total überrascht, auf welcher Ebene die Xenophobie stattfindet.
Beispielsweise diese angebliche Angst vor den sexwütigen Männern, die
vergewaltigend übers Land ziehen, dann der Futterneid: ‚Die kriegen alles,
wir kriegen nichts!‘. Oder auch: ‚Die Kultur passt nicht zu uns.‘ Solche
Sprüche hört man sogar von gebildeten Menschen. Sie sehen nicht, dass hier
geistige Brandstiftung betrieben wird und dass die sich auswirkt, auch
durch Übergriffe auf Geflüchtete und durch das Anzünden von Wohnheimen.
Aber kleine und sehr wichtige Fortschritte gibt es auch. Ein großer Erfolg
ist, dass sich der offizielle Gedenkdiskurs 2016 deutlich verändert hat.
Die Politik hat alte Muster revidiert, z. B. indem sie festgestellte, dass
sie zuvor eigentlich jahrelang auf dem Heidefriedhof Seite an Seite mit den
Nazis Kränze niedergelegt hat. Dort gibt es ja ‚das Rondell im Ehrenhain‘,
mit einzelnen Gedenkstelen für die Konzentrationslager und für die
Bombardierung Coventrys, Leningrads und Warschaus. Und es gibt auch eine
Stele mit der Aufschrift ‚Dresden‘, womit die Bombardierung der Stadt
sozusagen in eine Reihe gestellt wird mit Auschwitz, Bergen-Belsen und
Coventry. Und diese Gleichsetzung, diese Opfer-Täter-Verdrehung, diesen
besonders in Dresden herrschenden Opfermythos, prangern wir seit Jahren an.
In diesem Jahr findet dort zum ersten Mal keine Veranstaltung statt. Aber
die Stadt Dresden hat halt immer noch ihre Menschenkette. Das Umdenken
dauert, aber es setzt allmählich ein! Das zeigt sich auch daran, dass der
Täterinnen- und Täter-Mahngang, der ‚Mahngang auf den Täterspuren‘,
inzwischen geradezu institutionalisiert wurde und beworben wird. Früher war
er verboten und wurde kriminalisiert. Den Mahngang gibt es seit 2011,
organisiert vom Bündnis ‚Dresden nazifrei‘. Die Idee war, zu zeigen, dass
Dresden eben nicht die unschuldige Kulturstadt war, die hinterrücks
zerstört wurde von den ‚Barbaren‘. Zum Mahngang kommen meist mehr als 2.000
Teilnehmer zusammen, jung und alt. Er bewegt sich an jedem 13. Februar
durch die Stadt und sucht Orte auf, an denen die Nationalsozialisten
Verbrechen begangen haben. Die Leitthemen sind immer sehr gut recherchiert
und von Einführungen begleitet. Dieses Jahr ist der Themenschwerpunkt
Euthanasie. Wir sind in Dresden gut vernetzt, es gibt zum Beispiel das
NAMF, das Netzwerk für Asyl, Migration und Flucht, ein Netzwerk, das
Aktivisten und Aktivitäten koordiniert, kann man sagen, also von
Deutschkursen bis zu verschiedenen Unterstützungsstrukturen. Es gibt sehr
viele alternative Wohn- und Kulturprojekte. Da hängen wiederum viele
Personen und Gruppen zusammen. Es gibt in Dresden jede Menge Gruppen, die
es geschafft haben, Menschen zu aktivieren, Leute dazu zu bringen, sich für
dieses Thema zu engagieren.
## Nachbarschaftsinitiativen sind sehr bedeutsam
Ich glaube, dass die Vernetzung auf diesen vielen kleinen Ebenen sehr
wichtig ist: Nachbarschaftsarbeit hat große Bedeutung, man muss sich im
Viertel zusammentun und gemeinsam die politische Arbeit organisieren, ob
das nun die Solidarität mit den Geflüchteten ist oder in anderen Bereichen.
Es geht auch darum, soziale Räume zu schaffen, in denen die Menschen
zusammenkommen und auch mal gemeinsam miteinander Zeit verbringen können.
Damit nicht nur immer über die Geflüchteten geredet wird, sondern auch mit
ihnen. Wir haben Kontakte zu verschiedenen selbst organisierten
Flüchtlingsgruppen, Kontakte, die im Laufe der Zeit entstanden sind, auch
auf persönlicher Ebene, auf Freundschaftsebene. Das hat sich eigentlich
sehr gut entwickelt.
Wie es mit uns, mit dem Kochprojekt ‚Black Wok‘, weitergehen soll, ist
momentan allerdings etwas unklar. Viele von unserem Kollektiv, die seit
Langem das Material von ‚Black Wok‘ verwalten, die Aktionen planen und
kochen, haben kaum noch Kapazitäten. Es wird demnächst ein Treffen geben,
auf dem wir uns mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Mehr kann ich nicht
sagen.“
25 Apr 2016
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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