# taz.de -- Nahrhaftes Essen für alle Bedürfnisse | |
> AKTIVISMUS Besuch beim krisenbewährten Kochkollektiv „Black Wok“ in | |
> Dresden-Löbtau | |
Bild: Die Suppenterrine von früher: Vorbild für selbst geschweißte 200-Liter… | |
Von Gabriele Goettle | |
P eter P. studiert im letzten Studienjahr Geschichte und Englisch an der TU | |
Dresden, mit dem Ziel, Lehrer zu werden. 1983 in Hessen geboren und | |
aufgewachsen, kam er 2005 zum Studium nach Dresden, wo er sich bald in | |
regionalen politischen Gruppen engagiert. 2011 war er einer der | |
Mitbegründer des Küfa-Kollektivs „Black Wok“ Dresden, in dem er unter | |
anderem seither aktiv ist. Seine Eltern sind bereits in Rente, die Mutter | |
war Arztassistentin, der Vater war diplomierter Betriebswirt. Peter ist | |
unverheiratet und kinderlos. | |
Die Ausspeisungen für Arme, vor allem durch Kirchen und Klöster, gab es | |
schon im Mittelalter und es gibt sie bis heute. Eine weltliche Variante der | |
„Klostersuppe“ kam Ende des 18. Jahrhunderts in England auf. Im Mutterland | |
der Industrialisierung und Verelendung des Proletariats wurden von | |
wohltätigen Privatpersonen und der neu gegründeten Heilsarmee zahlreiche | |
„Suppenhäuser“ für Arme eröffnet. 1866 gründete in Berlin die jüdische | |
Sozialreformerin Lina Morgenstern – eine Vertreterin der fortschrittlichen | |
bürgerlichen Frauenbewegung – die erste Volksküche. Morgensterns Idee hatte | |
Vorbildcharakter, weitere folgten. Sie gab sogar ein Kochbuch für | |
Volksküchen heraus. | |
Es gibt auch eine linke Tradition der Volksküche, so betrieb die | |
Internationale Arbeiterhilfe in den zwanziger Jahren Streikküchen. Hier hat | |
man stets das solidarische Motiv betont, während die karitative | |
Essensausgabe als Kaschieren von herrschender Armut abgelehnt wurde. In den | |
USA existierten zahlreiche Volksküchen in der Zeit der Großen Depression. | |
Während der sechziger Jahre gründete die US-Studentenbewegung solidarische | |
Volksküchen, die 68er-Bewegung hingegen blieb hierzulande diesbezüglich | |
vollkommen passiv. | |
Erst die Hausbesetzerbewegung der achtziger Jahre führte Volksküchen wieder | |
ein und nannte sie VOLXKÜCHEN. Heute gibt es allein in Berlin über 30 | |
autonome Volxküchen, betrieben von kleinen linken Kollektiven. Meist wird | |
zusätzlich zu preiswerten vegetarisch/veganen Gerichten auch kulturelles | |
und politisches Programm geboten. Mit der steigenden Zahl der Geflüchteten, | |
die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, etablierten sich in | |
allen Städten auch viele Volxküchen für Flüchtlinge. | |
## Das Hausprojektals Angriffsziel von Nazis | |
Peter, der anonym bleiben möchte, ist Mitglied des Küfa- Kollektivs und | |
wohnt nicht weit entfernt von Zentrum und Uni, in Nord-Löbtau, einem | |
ruhigen Stadtviertel Dresdens, das, im Gegensatz zur Neustadt, noch nicht | |
gentrifiziert ist. Peter lebt in einem selbst verwalteten Studentenprojekt. | |
Der vierstöckige villenartige Klinkerbau mit Garten, Vorgärtlein und Zaun | |
ist saniert und liegt direkt an einer auf Stelzen stehenden Stadtautobahn. | |
Das Haus war schon mehrfach Angriffsziel rechter Gruppen, deshalb wird die | |
Haustür geschlossen gehalten. Eine junge Frau öffnet und führt mich | |
freundlich durch das nach Essen duftende Treppenhaus hinauf in eine | |
geräumige WG-Küche. Peter nimmt mich in Empfang und führt mich in sein | |
kleines Zimmer, in dem gerade mal Hochbett, Bücher, Kletterseile | |
Schreibtisch und Stuhl Platz haben. Ich bitte ihn, vom Küfa-Projekt zu | |
erzählen und weshalb sie es nicht Volxküche nannten.„Wegen des historisch | |
stark belasteten Begriffs Volk, an dem ja auch das halbherzige X nichts | |
ändert, wollten wir uns davon distanzieren. Küfa heißt einfach nur ‚Küche | |
für alle‘. Zur Gründung kam es eigentlich durch die Lage hier in der Stadt | |
Dresden. Sie ist seit Langem geprägt durch eine äußerst angespannte | |
politische Situation: Es gibt ständige Repressalien gegen Linke, auch | |
bedingt durch die Diskurse nach den Großveranstaltungen des 13. Februar, | |
also den Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden. | |
Die Aufmärsche der Neonazis waren von Jahr zu Jahr massiver und aggressiver | |
geworden, bis dann 2011 der Zenith erreicht war. Mit 20.000 bundesweit | |
mobilisierten Leuten waren die Nazis unterwegs zu ihrem ‚Trauermarsch‘. Nur | |
durch die Präsenz der vielen Gegendemonstranten konnte ihr Aufmarsch | |
blockiert werden. In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem Angriff von | |
80 Nazis auf das linke Wohn- und Kulturprojekt ‚Praxis‘ im Stadtteil | |
Löbtau. Sie schleuderten Steine und Stöcke, das dauerte eine ganze Weile, | |
während die Polizei den Verkehr regelte, ansonsten abwartete und nicht | |
eingegriffen hat. | |
Im Viertel hat sich daraufhin eine Nachbarschaftsinitiative gebildet. | |
Ergebnis jener Vernetzung war etwa ein Straßenfest, bei dem auch Geld übrig | |
blieb. So kam es dann zum Entschluss, das Küfa-Kollektiv ‚Black Wok‘ | |
aufzubauen, das Geld in die Infrastruktur zu stecken, um die Linke und die | |
sozialen Bewegungen praktisch stärken zu können bei Aktionen. Also wir | |
begreifen Kochen als politische Arbeit. Seitdem gab es unzählige | |
Demonstrationen, Vorträge und Workshops, bei denen wir gekocht haben, und | |
auch eine Einbindung in internationale Netzwerke, Reisen nach Calais und | |
Kooperationen mit vielen anderen Gruppen. Das Konzept war gut. Wir wollten | |
keine Küfa- Gruppe sein, die stationär einmal die Woche an einem festen Tag | |
kocht, das gab es schon in der Stadt. Wir wollten von Anfang an eine mobile | |
Küche betreiben – natürlich unkommerziell – eine ‚Aktionsküche‘. Wir… | |
an jedem Ort zu jeder Zeit eine Feldküche aufbauen und loslegen. Wir nutzen | |
selbst gebaute Töpfe, selbst geschweißte 200- Liter-Töpfe. Das sind | |
Modelle, die von Vorreitern der Aktionsküchen wie ‚LeSabot‘, ‚Feine | |
Gerüchteküche‘, ‚Food for action‘ oder auch die ‚Maulwürfe‘ in Fre… | |
konzipiert und genutzt werden. Es gibt ein internationales Netzwerk mobiler | |
solidarischer, selbst organisierter Küchen, die zum Teil mehr als 10.000 | |
Leute versorgen können: etwa beim G-8 Gipfel, den Klimakonferenzen und | |
Nato-Protesten. | |
## Großer Aufwandfür 1.000 Essenportionen | |
Unsere Kapazität ist natürlich viel geringer, aber für ein paar hundert | |
Leute können wir problemlos kochen. Anfangs mussten wir noch eine Menge | |
lernen. Es ist ja einfach, für 20 Leute zu kochen, für 50 geht es auch | |
noch, aber, wenn es um 200, 500, 1.000 oder mehr Portionen geht, wird es | |
ein logistisch und auch finanziell großer Aufwand. Aber das sind | |
Erfahrungswerte, die von den Kollektiven auch untereinander ausgetauscht | |
werden. Ich erzähle dir am besten mal an einem Beispiel, wie das so vor | |
sich geht. Wir sind zweimal – 2012 und 2014 – mit der Gruppe nach Calais | |
gefahren. Zuvor haben wir eine Spendenkampagne organisiert, um das Geld | |
dafür aufzubringen, haben große Gebinde Reis, Nudeln, Bohnen, Linsen, Tee | |
usw. gekauft und sind losgefahren. Wir wollten in Calais für die | |
Flüchtlinge kochen und auch, um die dortigen Gruppen, wie die ‚No | |
Border‘-Bewegung, zu unterstützen. | |
## Nadelöhr am Eingangzum Eisenbahntunnel | |
In dieser französischen Küstenstadt am Ärmelkanal, die Teil der Festung | |
Europa ist, warten Tausende Menschen ohne gültigen Pass, ohne | |
Aufenthaltsstatus, viele sogenannte Sans-Papiers, auf irgendeine | |
Möglichkeiten, trotz strenger Bewachung der Grenze, durch ein sehr winziges | |
und gefährliches Nadelöhr auf illegale Weise nach England zu gelangen. Es | |
gibt bereits eine Reihe von jungen Frauen und Männern, die beim Versuch, | |
heimlich auf Lastwagen oder Zügen durch den Eisenbahntunnel nach England | |
einzureisen, zu Tode gekommen sind. | |
Die Wartenden, die es immer wieder versuchen, sind schutzlos der Witterung | |
und den polizeilichen Repressionen ausgeliefert. 2012 war die Repression | |
gegen die Geflüchteten besonders heftig, weil anlässlich der Olympischen | |
Spiele in London eine ‚Säuberungskampagne‘ in Calais durchgeführt wurde. | |
Ständige Polizeigewalt in dem Lager, Razzien, Vertreibung von Menschen und | |
Beschlagnahme ihrer Zelte, Schlafsäcke und sonstigen lebenswichtigen | |
Utensilien waren an der Tagesordnung. Von Anfang Juni bis Ende September | |
wurde die Essenversorgung der Geflüchteten besonders durch zwei Gruppen | |
sichergestellt, ‚Salam‘ und ‚La Belle Etoile‘. Diese beiden Kochkollekt… | |
pausierten ab und zu. Damit die Versorgung der Geflüchteten gewährleistet | |
war, wurden die Mahlzeiten während dieser Zeit von einem Freiwilligennetz | |
aus ganz Europa zubereitet, so auch von uns. | |
Es kamen immer meist um die 200 Geflüchtete zu unserer täglichen | |
Essenausgabe. Gekocht wird übrigens – und das von fast allen Küfas – | |
ausschließlich vegetarisch/vegan. Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus | |
finanziellen und hygienischen Gründen. Wir versuchen, grundsätzlich | |
biologische Zutaten zu verwenden und saisonal zu kochen. Bei den | |
Flüchtenden berücksichtigen wir die unterschiedlichen Bedürfnisse. Also wir | |
haben in Calais eine Art Dreikomponentenessen kreiert, bestehend vor allem | |
aus Nudeln, Reis, Linsen und anderem frischem Gemüse. | |
Viele haben sich Gefäße und Plastikbehälter mitgebracht und sich das Essen | |
eingepackt oder Portionen für andere mitgenommen, die nicht selbst kommen | |
konnten. Wir legen großen Wert darauf, das Essen sehr nahrhaft | |
zuzubereiten, damit die Leute, die ja im Stress sind und teilweise sehr, | |
sehr lange Strecken zu Fuß zurücklegen, auch auf ihre notwendigen Kalorien | |
kommen. | |
In Calais gab es einen zentralen Ausgabeplatz, der natürlich in dem Sinne | |
nicht legalisiert war. Auch das Kochen selbst ist ja nicht legal, es ist im | |
Prinzip eine Straftat, gilt als Unterstützung … als Fluchthilfe! Aber die | |
Polizei hat uns lediglich observiert, ist mit dem Auto hinter uns her | |
gefahren, mehr nicht. Die Verhältnisse in Calais insgesamt sind | |
unbeschreiblich, und das schon über Jahre hinweg. Früher gab es große | |
Feldlager, die von der UNHCR gestellt wurden und die die Regierung Sarkozy | |
dann hat schließen lassen. Danach hat sich alles dezentralisiert. Es gibt | |
Geflüchtete, die leben in besetzten Häusern – meist Frauen und Kinder. | |
Andere haben in Industrieruinen Unterschlupf gefunden, wieder andere leben | |
in Parks oder in kleinen Camps entlang der Autobahn – ohne Toiletten und | |
Zugang zu Trinkwasser. Sie hausen unter Brücken, in den Wäldern an den | |
Stadtgrenzen oder im Jungle de Calais, einer großen improvisierten | |
Zeltstadt, in der Tausende unter notdürftigen, menschenunwürdigen | |
Lebensbedingungen existieren. Sie alle waren und sind ständig von der | |
Räumung ihrer Unterkünfte und der Zerstörung der Zeltlager durch Polizei | |
und Bulldozer bedroht. | |
## Auch in Calais marschieren rechte Gruppen | |
Aber auch auf Angriffe durch rechte Gruppen mit Feuerwerkskörpern und | |
Molotowcocktails müssen sich die Geflüchteten jederzeit gefasst machen; so | |
wie überall. Es gibt eine internationale Vernetzung der Rechten, in der | |
übrigens auch die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des | |
Abendlandes“, die Pegida, eine gewisse Rolle spielen. Pegida und andere | |
Rechte planten ja am 6. Februar erstmals einen europaweiten Aktionstag, und | |
da war auch Calais einer der ‚Aktionsorte‘, an denen Aufmärsche stattfinden | |
sollten. Es wurden in Calais für diesen Tag zum Glück alle Demos verboten. | |
Also man muss sagen, in Calais laufen sehr, sehr faschistoide Gruppen | |
herum. Es herrscht eigentlich eine ständige Gefahr für Leib und Leben der | |
Geflüchteten. | |
Voriges Jahr im November gab es einen Großbrand im Jungle de Calais, das | |
war ein paar Stunden nach den Anschlägen in Paris, deshalb ging der Brand | |
in der Berichterstattung ziemlich unter. Kaum jemand hat mitbekommen, dass | |
mehr als 4.000 Menschen evakuiert werden mussten. Quasi das gesamte | |
Zeltlager. Die Räumung stand übrigens unmittelbar bevor. Dass es keine | |
Toten gab, grenzt an ein Wunder. Jedenfalls, beide Male, als wir in Calais | |
waren, herrschte dort bedrückende Stimmung, besonders wegen der | |
Polizeipräsenz und den Spezialeinheiten. Die waren jeweils nur kurze Zeit | |
im Einsatz. Alles wirkte sehr militarisiert. Die Polizei kam auch öfter | |
während unserer Essenausgabe, hat die Wartenden dort gezählt und dadurch | |
sicher viele abgeschreckt. Denn es kommt vor, dass Geflüchtete einfach weg | |
geholt und ins Polizeipräsidium oder gleich ins Gefängnis gebracht oder | |
einfach irgendwo weit außerhalb der Stadt ausgesetzt werden. Das ist ohne | |
Geld, ohne Orts- und Sprachkenntnisse furchtbar für die Betroffenen und | |
überdies auch gefährlich. | |
Wir haben da einige Geschichten gehört von lokalen Aktivisten, die über das | |
internationale Netzwerk Aktionsküchen den kompletten Sommer 2012 vor Ort | |
waren. Gewohnt haben wir auch bei einem Aktivisten in seinem kleinen Haus, | |
außerhalb von Calais. Haben dort im Garten unsere Küche aufgebaut und da | |
gekocht. Wasser gab es aus dem Gartenschlauch. Das fertige Essen und den | |
heißen Tee haben wir dann in Töpfen und Thermophoren in Autos verladen, | |
sind damit zum Sammelpunkt gefahren und haben es ausgeteilt. Und das | |
dreimal am Tag. Dort haben meist bereits 150 bis 200 Geflüchtete gewartet. | |
Diese Essenmengen können wir sehr gut bewältigen, technisch kein Problem, | |
aber psychisch schon. Das war jetzt das Beispiel Calais. | |
In Dresden haben wir auch viel gemacht. So bei der Besetzung des | |
Theaterplatzes Anfang März 2015. Der Platz war ja quasi von Pegida in | |
Beschlag genommen worden für ihre Kundgebungen. Samstag/Sonntag war damals | |
eine Solidemo für die Geflüchteten mit etwa 5.000 Leuten, und im Anschluss | |
daran wurde spontan auf dem Theaterplatz, direkt vor der Semper-Oper, ein | |
Protestcamp errichtet. Die Forderungen waren: Abschiebestopp für alle | |
Geflüchteten, Bewegungsfreiheit überall im Land, die Möglichkeit zu | |
arbeiten, bessere medizinische Versorgung. Und, dass sie aus den | |
Übergangsheimen und Bettenlagern rauskommen. Raus aus den Umständen, die | |
dort herrschen, stattdessen dezentrale Unterbringung. Wir haben da | |
Unterstützung geleistet und gekocht. Es war ja noch kalt und es gab einige | |
größere Zelte, vergleichbar mit denen vom THW – eins davon war das | |
Essenzelt. Strom gab es von der Semper- Oper, Wasser hatten wir im | |
Wassertank mitgenommen. Da haben wir 200 Leute versorgt mit Essen, abends | |
waren es ein bisschen mehr. Um Plastikmüll zu vermeiden, haben wir essbare | |
Schalen verwendet, das ist zwar ein bisschen teurer, aber sinnvoll. Die | |
Stimmung war sehr gut, Leute kamen vorbei, haben Lebensmittel gebracht, | |
sich unterhalten, Tee getrunken, Musik gemacht. Aber es gab auch andere | |
Situationen! Am Sonntagnachmittag und in der Nacht haben Hooligans von | |
Dynamo Dresden das Camp angegriffen, wurden aber von Unterstützern und | |
Polizei abgewehrt. | |
## Unterstützer-Schutzringum die Essenkübel | |
Es gab auch einen konkreten Angriff der Pegisten während ihrer Montagsdemo, | |
die sind eines Abends vorbeimarschiert. Plötzlich kam eine größere Gruppe | |
angestürmt und sie brüllten ständig: ‚Räumen, räumen!‘ und ‚Deutschl… | |
Deutschen, Ausländer raus!‘. Wir befürchteten, dass sie uns die Essenkübel | |
umwerfen, aber das Camp war vorbereitet, es hatte sich so ein Schutzring | |
von mehreren hundert Unterstützern um uns herum gebildet, den konnten die | |
Pegisten nicht knacken. Viele der Geflüchteten und Unterstützer blieben | |
über Nacht, denn man rechnete mit weiteren Angriffen und auch mit der | |
Räumung. | |
Das Protestcamp war eigentlich für einen Monat geplant, es wurde aber | |
bereits am nächsten Tag polizeilich geräumt.“ (Im Gerichtsbeschluss hieß | |
es: Wer sich unter freiem Himmel versammle, setze sich zwangsläufig der | |
Witterung aus und könne „nicht aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit | |
ein Recht zur Aufstellung von Zelten und Toiletten ableiten“. Anm.G. G.). | |
„Die Räumung verlief übrigens friedlich. Trotz der kurzen Dauer dieses | |
Protestes war es doch ein Erfolg und eine große Aktion. Er hat für sehr | |
viel Wirbel gesorgt in der Stadt. Momentan haben wir in Dresden noch ein | |
weiteres Problem, und zwar im Zusammenhang mit dem 13. Februar. Am Vorabend | |
der Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden wollten | |
mehrere hundert Neonazis einen Gedenkmarsch mit Fackeln veranstalten, um – | |
so ihre Diktion – an den ‚Bombenholocaust‘ zu erinnern. Wir hatten | |
Informationen, dass die Marschroute – in diesem Jahr liegt sie wenigstens | |
außerhalb des Stadtzentrums – vom S-Bahn-Haltepunkt Döbritz durch die | |
Stadtteile Prohlis und Nickern zu einem Gedenkstein für die Opfer des 13. | |
Februar in Altnickern führen soll. Dort gibt es Kranzablage und Ansprache. | |
Der Gedenkstein ist in jedem Jahr eine Art Wallfahrtsort für Neonazis. Er | |
trägt die Inschrift: ‚Wir gedenken der Opfer des angloamerikanischen | |
Bombenterrors‘. | |
Sie passt damit ganz genau in ihr Geschichtsverständnis. Keinem scheint | |
aber aufzufallen, dass es ohne die Nazis, auf die sie sich berufen, gar | |
keine Bombardierung Dresdens gegeben hätte. Ich werde mal hingehen heute | |
Abend. Man muss dem ja was entgegensetzen! In früheren Jahren sind sie | |
immer am 13. Januar marschiert, aber seit 2014 machen sie das am 12. Wohl, | |
weil sie für die Innenstadt keine Genehmigung mehr bekommen und auch, weil | |
sie sich für den 12. mehr Medienaufmerksamkeit versprechen. Sie geben vor, | |
mit ihrem Fackelzug still zu trauern, aber sie missbrauchen skrupellos die | |
Emotionen in der Stadt, um auf sich aufmerksam zu machen und ihr braunes | |
Gedankengut zu propagieren. Überhaupt sind sie in den letzten Monaten sehr | |
selbstbewusst geworden, besonders nach den Auftritten in Freital und | |
Heidenau. Da gab es 2015 ganz besonders heftige ausländerfeindliche | |
Demonstrationen und Angriffe auf Geflüchtete und Unterstützer, Anschläge | |
auf Flüchtlingsheime. Dort hatte die rechte Szene besondere | |
Erfolgserlebnisse, ist auch verwurzelt in Kameradschaften und kann auf | |
weitgehendes Wohlwollen der Bewohner zählen “ (Siehe dazu den ausführlichen | |
Text zur Lage in Freital, taz v. 9./10. April 2016. Anm. G. G.). | |
## Wie Pegida den Diskursin Dresden dominiert | |
„Und natürlich haben ihnen auch AfD und Pegida sehr viel Auftrieb gegeben. | |
Seit über einem Jahr haben wir hier ja jede Woche montags Tausende von | |
Asylgegnern, Fremdenfeinden und Rassisten auf der Straße. Der öffentliche | |
Diskurs ist leider stark dominiert von Pegida. Und das liegt auch daran, | |
dass es viele Punkte gibt, die einige tiefgreifende Schwierigkeiten in der | |
Gesellschaft ansprechen, beispielsweise das mangelnde Vertrauen in Politik | |
und Presse, der Mangel an Wertschätzung, die Mängel des sozialen Systems | |
usw. Aber anstatt in einer kritischen Ursachenanalyse und Demonstrationen | |
gegen die Verursacher zu münden, machen sich die Pegisten vorwiegend mit | |
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Luft. Das kann ja nicht hingenommen | |
werden. | |
Ich bin total überrascht, auf welcher Ebene die Xenophobie stattfindet. | |
Beispielsweise diese angebliche Angst vor den sexwütigen Männern, die | |
vergewaltigend übers Land ziehen, dann der Futterneid: ‚Die kriegen alles, | |
wir kriegen nichts!‘. Oder auch: ‚Die Kultur passt nicht zu uns.‘ Solche | |
Sprüche hört man sogar von gebildeten Menschen. Sie sehen nicht, dass hier | |
geistige Brandstiftung betrieben wird und dass die sich auswirkt, auch | |
durch Übergriffe auf Geflüchtete und durch das Anzünden von Wohnheimen. | |
Aber kleine und sehr wichtige Fortschritte gibt es auch. Ein großer Erfolg | |
ist, dass sich der offizielle Gedenkdiskurs 2016 deutlich verändert hat. | |
Die Politik hat alte Muster revidiert, z. B. indem sie festgestellte, dass | |
sie zuvor eigentlich jahrelang auf dem Heidefriedhof Seite an Seite mit den | |
Nazis Kränze niedergelegt hat. Dort gibt es ja ‚das Rondell im Ehrenhain‘, | |
mit einzelnen Gedenkstelen für die Konzentrationslager und für die | |
Bombardierung Coventrys, Leningrads und Warschaus. Und es gibt auch eine | |
Stele mit der Aufschrift ‚Dresden‘, womit die Bombardierung der Stadt | |
sozusagen in eine Reihe gestellt wird mit Auschwitz, Bergen-Belsen und | |
Coventry. Und diese Gleichsetzung, diese Opfer-Täter-Verdrehung, diesen | |
besonders in Dresden herrschenden Opfermythos, prangern wir seit Jahren an. | |
In diesem Jahr findet dort zum ersten Mal keine Veranstaltung statt. Aber | |
die Stadt Dresden hat halt immer noch ihre Menschenkette. Das Umdenken | |
dauert, aber es setzt allmählich ein! Das zeigt sich auch daran, dass der | |
Täterinnen- und Täter-Mahngang, der ‚Mahngang auf den Täterspuren‘, | |
inzwischen geradezu institutionalisiert wurde und beworben wird. Früher war | |
er verboten und wurde kriminalisiert. Den Mahngang gibt es seit 2011, | |
organisiert vom Bündnis ‚Dresden nazifrei‘. Die Idee war, zu zeigen, dass | |
Dresden eben nicht die unschuldige Kulturstadt war, die hinterrücks | |
zerstört wurde von den ‚Barbaren‘. Zum Mahngang kommen meist mehr als 2.000 | |
Teilnehmer zusammen, jung und alt. Er bewegt sich an jedem 13. Februar | |
durch die Stadt und sucht Orte auf, an denen die Nationalsozialisten | |
Verbrechen begangen haben. Die Leitthemen sind immer sehr gut recherchiert | |
und von Einführungen begleitet. Dieses Jahr ist der Themenschwerpunkt | |
Euthanasie. Wir sind in Dresden gut vernetzt, es gibt zum Beispiel das | |
NAMF, das Netzwerk für Asyl, Migration und Flucht, ein Netzwerk, das | |
Aktivisten und Aktivitäten koordiniert, kann man sagen, also von | |
Deutschkursen bis zu verschiedenen Unterstützungsstrukturen. Es gibt sehr | |
viele alternative Wohn- und Kulturprojekte. Da hängen wiederum viele | |
Personen und Gruppen zusammen. Es gibt in Dresden jede Menge Gruppen, die | |
es geschafft haben, Menschen zu aktivieren, Leute dazu zu bringen, sich für | |
dieses Thema zu engagieren. | |
## Nachbarschaftsinitiativen sind sehr bedeutsam | |
Ich glaube, dass die Vernetzung auf diesen vielen kleinen Ebenen sehr | |
wichtig ist: Nachbarschaftsarbeit hat große Bedeutung, man muss sich im | |
Viertel zusammentun und gemeinsam die politische Arbeit organisieren, ob | |
das nun die Solidarität mit den Geflüchteten ist oder in anderen Bereichen. | |
Es geht auch darum, soziale Räume zu schaffen, in denen die Menschen | |
zusammenkommen und auch mal gemeinsam miteinander Zeit verbringen können. | |
Damit nicht nur immer über die Geflüchteten geredet wird, sondern auch mit | |
ihnen. Wir haben Kontakte zu verschiedenen selbst organisierten | |
Flüchtlingsgruppen, Kontakte, die im Laufe der Zeit entstanden sind, auch | |
auf persönlicher Ebene, auf Freundschaftsebene. Das hat sich eigentlich | |
sehr gut entwickelt. | |
Wie es mit uns, mit dem Kochprojekt ‚Black Wok‘, weitergehen soll, ist | |
momentan allerdings etwas unklar. Viele von unserem Kollektiv, die seit | |
Langem das Material von ‚Black Wok‘ verwalten, die Aktionen planen und | |
kochen, haben kaum noch Kapazitäten. Es wird demnächst ein Treffen geben, | |
auf dem wir uns mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Mehr kann ich nicht | |
sagen.“ | |
25 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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