# taz.de -- „Ich hatte nicht das Geld für mehr Miete“ | |
> Kunst Jahrelang kämpfte Ina Wudkte um ihre Mietwohnung in der Schwedter | |
> Straße. Jetzt stellt sie ihre Blessuren zur Schau | |
Bild: Die Mieterin und Künstlerin Ina Wudtke vor ihrem Werk. Auch die Prozessa… | |
Interview Peter NowakFotos Wolfgang Borrs | |
taz: Frau Wudtke, in Ihrer aktuellen Ausstellung setzen Sie sich mit Ihrer | |
eigenen Verdrängung aus Ihrer Wohnung auseinander. War es denn gar kein | |
Problem für Sie, sich selbst zum Gegenstand Ihrer Arbeit zu machen? | |
Ina Wudtke:Meine künstlerische Arbeit ist oft autobiografisch geprägt. | |
Zudem musste ich in den Kampf um meine Wohnung so viel Zeit und Energie | |
stecken, dass ich daneben wenig Zeit für etwas anderes hatte. So habe ich | |
den Mietkampf und meine künstlerische Arbeit verbunden. | |
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Video „Der 360.000-Euro-Blick“, in | |
dem Sie in 45 Minuten die Geschichte Ihrer Vertreibung erzählen. Zu sehen | |
ist ein Ausblick auf den Fernsehturm. Was sollen der Titel und die | |
Einstellung ausdrücken? | |
Das Videobild zeigt den Blick aus dem Fenster meiner ehemaligen Wohnung in | |
der Schwedter Straße in Mitte auf den Fernsehturm. Im Zeitraffer wird es | |
einmal Tag und einmal Nacht. Ich kombinierte den Blick auf Berlins | |
Wahrzeichen mit einer Icherzählung, in der Beobachtungen zu ökonomischen | |
Strukturen und individuellen Lebensbedingungen, künstlerischer Produktion | |
sowie zeitgenössischer Politik und Stadtplanung ineinanderfließen. | |
Nämlich welche? | |
Als ich 1998 dort eingezogen bin, gab es kaum sanierte Häuser in der | |
Straße. 15 Jahre später wurde meine Wohnung mit dem darüberliegenden | |
Dachboden verbunden. Wohnungen dieser Art wurden 2013 für 360.000 Euro zum | |
Verkauf angeboten. Ich verbinde die Geschichte meines Mietkampfs mit der | |
Geschichte der Stadtplanung nach der Wende, die mit der Politik der | |
Privatisierungen die Vertreibung von Menschen mit wenig Einkommen bewirkte, | |
und stelle meine persönliche Geschichte so in einen gesellschaftlichen | |
Kontext. | |
Sie berichten dort auch, wie Bauarbeiter in Ihren Keller einbrachen und Sie | |
bestohlen, was trotz Anzeige ohne strafrechtliche Folgen blieb. Hinterließ | |
das bei Ihnen ein Gefühl von Ohnmacht? | |
Mir waren solche Entmietungspraktiken natürlich schon bekannt. Trotzdem war | |
ich wütend, dass man mich so offensichtlich bestehlen konnte und ich trotz | |
eines guten Polizeiprotokolls den Prozess nicht gewinnen konnte. Zudem | |
hatte ich in dieser Zeit besonders wenig Geld, weil in der Kunst auch für | |
die Beteiligung an großen Ausstellungen keine Honorare gezahlt wurden. Da | |
traf mich der Verlust der Kohlen und meines Fahrrads, die aus dem Keller | |
verschwanden, auch finanziell hart. | |
Gab es eine Solidarität unter den Mietern im Haus? | |
Dem Eigentümer gelang es, die Mieterinnen zu spalten und mit jeder | |
Mietpartei andere Vereinbarungen zu treffen. Dies führte dazu, dass einige | |
aufhörten, sich zu grüßen. Sie hatten Angst, ihre Wohnung zu verlieren, | |
wenn sie nicht mit dem Eigentümer kooperierten. | |
In der Installation „Entmietung“ haben Sie einen Teil der Prozessakten | |
Ihres siebenjährigen Kampfs um Ihre Wohnung zu einer langen Papierschlange | |
verarbeitet. Was hat Sie motiviert, so lange um die Wohnung zu kämpfen? | |
Als Künstlerin mit geringem Einkommen konnte ich mir keine teurere Wohnung | |
leisten. Ich hatte nicht das Geld, mehr Miete zu bezahlen. Deshalb wollte | |
ich dort gern wohnen bleiben. Ohne Badezimmer und mit Ofenheizung kann man | |
aber keine Modernisierungsklage gewinnen, weil alle Wohnungen per Gesetz | |
auf einen sogenannten Mittelklassestandard angehoben werden. | |
Warum haben Sie die Wohnung 2013 schließlich doch noch verlassen? | |
Die Modernisierung meiner Wohnung war gerichtlich angeordnet worden. Nach | |
Abschluss der Bauarbeiten wäre die Miete um mehr als das Doppelte | |
angestiegen. Zusammen mit den monatlich anfallenden Kosten für die | |
Zentralheizung kam ich auf eine zirka 300-prozentige Mieterhöhung, die alle | |
zwei Jahre um 15 Prozent hätte angehoben werden können. Das konnte ich mir | |
nicht leisten. Daher musste ich die Wohnung mit großem Bedauern räumen. | |
Modernisierungsklagen sind ebenso wie Eigenbedarfskündigungen dazu | |
geeignet, Einkommensschwache gegen Einkommensstarke auszutauschen. | |
Wie viele Berlinerinnen und Berliner sind betroffen? | |
Momentan werden Tausende damit aus ihren Wohnungen vertrieben. Dabei muss | |
man sich doch wundern, dass es erlaubt ist, während der Laufzeit eines | |
Vertrags von Vermieterseite den Standard einer Wohnung gegen den Willen der | |
Mieterin zu erhöhen und sie dafür zahlen zu lassen. Am Beispiel eines | |
Leihautos wäre das undenkbar. Da kann der Autoverleih nicht während des | |
Mietvertrags einen Wohnwagen an den Pkw anhängen lassen und verlangen, dass | |
der nun auch noch vom Kunden bezahlt wird, der den Pkw gemietet hat. Bei | |
Wohnungen soll das aber normal sein. | |
Ihre Ausstellung heißt schlicht „Eviction“. Warum? | |
Eviction ist der englische Begriff für den unfreiwilligen Verlust der | |
Wohnung. „Evictions: Art and Spatial Politics“ ist auch der Titel eines | |
Buchs von 1996 der US-Amerikanerin Rosalyn Deutsche. Dort hat sie den | |
Prozess, der sich gerade in Berlin abspielt, in den 90er Jahren in New York | |
beobachtet und beschrieben. | |
Künstler werden oft als Verursacher und Nutznießer von Gentrifizierung | |
wahrgenommen. Wollten Sie mit Ihrer Ausstellung einen Blickwechsel | |
einleiten? | |
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat dazu einmal sehr richtig geäußert, dass | |
der Grund für Gentrifizierung keinesfalls die Künstlerinnen sind. Der wahre | |
Grund ist, dass mobiles Kapital in Immobilien investiert wird aus Angst, | |
dass das Geld in einer Finanzkrise wertlos werden würde. | |
Gibt es denn für prekär arbeitende Künstlerinnen und Künstler in Berlin | |
keine Lobby? | |
Als Teil der politischen Künstlerplattform namens Haben und Brauchen habe | |
ich mich dazu bereits mehrfach öffentlich geäußert. Der Mitbegründer von | |
Haben und Brauchen, Florian Wüst, hat in seinem Filmvortrag im Rahmen | |
meiner Ausstellung „Das Geschäft mit dem Wohnen“ dargestellt, wie die | |
derzeitigen Modelle des sozialen Wohnungsbaus Instrumente der Förderung der | |
einkommensstarken und keinesfalls zur Förderung einkommensschwacher | |
Menschen geeignet sind. Im Gegenteil, es ist eine Umverteilung von unten | |
nach oben. Auch darauf will ich mit der Ausstellung aufmerksam machen. | |
9 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
Wolfgang Borrs | |
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