# taz.de -- Der Fußballer Seitdem Alianni Urgélles Montoya 2014 von Kuba nach… | |
Interview Alina SchwermerFotos David Oliveira | |
taz: Herr Urgélles Montoya, was macht ein kubanischer Nationalspieler wie | |
Sie in der Berliner Landesliga? | |
Alianni Urgélles Montoya: Meine Frau ist Deutsche; ich bin ihretwegen nach | |
Deutschland, nach Berlin gekommen. Der Fußball hatte für mich anfangs keine | |
so starke Priorität, weil es mir wichtiger war, die Sprache zu lernen und | |
mich hier einzugewöhnen. | |
Wie haben die Spieler Ihres Vereins Schwarz-Weiß Neukölln reagiert, als sie | |
erfahren haben, dass ein kubanischer Nationalspieler bei ihnen spielen | |
will? | |
Sie waren überrascht. (lacht) Ich war 2014 gerade nach Deutschland gekommen | |
und habe einen Typen kennengelernt, der auch hier im Verein spielt. Der | |
sagte: „Wenn du Fußball spielen willst, kenne ich da eine Mannschaft. Sie | |
sind nicht besonders gut, aber du kannst es ja einfach mal probieren.“ Ich | |
habe gar nicht nachgefragt, in welcher Liga die spielen. Das habe ich erst | |
hinterher erfahren. | |
Es war Ihnen egal …? | |
Ich wollte einfach wieder Fußball spielen. Als wir dann gemeinsam zum | |
Training gingen, sagte meine Begleitung, dass ich für die kubanische | |
Nationalelf gespielt habe. Die Spieler konnten es nicht fassen: Der will | |
für uns spielen? In dieser Liga? | |
Sie haben das Team jetzt schon von der Achten in die Siebte Liga | |
geschossen. Berichtet die deutsche Presse jetzt mehr über Sie als damals | |
die kubanische? | |
In der Nationalelf gab es auch viel Rummel um uns. Wir waren immerhin die | |
Nationalelf von Kuba. Aber hier ist es noch etwas anderes. In Deutschland | |
wird Fußball etwa so gelebt wie Baseball in meiner Heimat. Das ist wahre | |
Leidenschaft. Dass jetzt so viel über unser Team berichtet wird, ist | |
großartig. | |
Sie stehen aktuell auf dem ersten Platz in der Landesliga. Steigen Sie | |
wieder auf? | |
Wenn wir dieses Mal aufsteigen, dann steigen wir auch nächstes Jahr wieder | |
auf. | |
Ach so …? | |
Wir sind das beste Team und haben keine ernsthaften Rivalen in der Liga. | |
Deshalb stehen wir verdient auf dem ersten Platz – und es geht weiter nach | |
vorn. | |
Ihr Trainer hat einmal gesagt, dass es ihm gar nicht so lieb wäre, noch | |
höher aufzusteigen. | |
Davon weiß ich nichts. Kann sein, dass der Club nicht genug finanzielle | |
Möglichkeiten hat, um in der Berlin-Liga zu bestehen, aber man muss doch | |
für seine Träume kämpfen. | |
Haben Sie bei Ihren Fähigkeiten nie überlegt, sich einen höherklassigen | |
Club in Deutschland zu suchen? | |
Doch, absolut. Mein Traum ist es, hier in Deutschland als Profi zu spielen. | |
Aber zunächst fand ich es wichtiger, die Sprache zu können. Ich will | |
schließlich den Rest meines Lebens hier verbringen, dafür muss ich die | |
Menschen verstehen und einen Job finden. Als ich nach Deutschland kam, habe | |
ich kein Wort verstanden, das fühlte sich schon ein bisschen absurd und | |
völlig fremd an. | |
Ist es Ihnen schwergefallen, sich einzugewöhnen? Sie hatten zuvor nur auf | |
Ihrer Insel gelebt. | |
Die Unterschiede zwischen Deutschland und Kuba sind riesig. Ich habe mein | |
ganzes Leben lang beim FC Guantánamo gespielt. In Kuba richtet sich die | |
Vereinszugehörigkeit nach der Provinz, aus der man kommt. Es gibt keine | |
Möglichkeit, seinen Verein zu wechseln – außer der Verein steigt in die | |
Zweite Liga ab, dann gibt es die Option, zu einem Erstligisten zu wechseln. | |
Was mich aber am allermeisten belastet hat, war das Klima. Aus Kuba, wo es | |
jeden Tag 33 Grad warm ist, hierherzukommen und dann bei sieben Grad | |
Fußball spielen zu müssen, das war anfangs fast unmöglich für mich. Und | |
dann waren es plötzlich minus zwei, und dann minus zehn Grad, und ich | |
spielte in einem dünnen Trikot und in kurzen Hosen. (lacht) Mit der Zeit | |
aber gewöhne ich mich ein; jetzt geht es schon viel besser. | |
Haben Sie auf Kuba anders trainiert als in Neukölln? | |
Das Training in Kuba war natürlich professioneller, weil wir | |
Nationalspieler waren. Hier ist das Niveau nicht so hoch, aber wir bemühen | |
uns, guten Fußball zu spielen. Wir hatten damals in der kubanischen | |
Mannschaft einen deutschen Trainer, Reinhold Fanz. Als ich in Neukölln zum | |
Training kam, habe ich viel von Reinhold Fanz’ Stil wiedererkannt. Er hat | |
damals viel auf Kraft geachtet und viel Laufbereitschaft gefordert; das ist | |
für mich der typisch deutsche Stil. Die Deutschen spielen mit stärkerem | |
Körpereinsatz als die Kubaner, es kommt sehr aufs Durchsetzungsvermögen an. | |
Wie groß empfanden Sie die kulturellen Unterschiede? | |
Kulturelle Unterschiede waren nie ein Problem für mich, weil Berlin eine | |
extrem multikulturelle Stadt ist. Es gibt unglaublich viele Menschen aus | |
unterschiedlichen Kulturkreisen, als Ausländer fällt man überhaupt nicht | |
auf. Das ist es, was ich an dieser Stadt so liebe. Ich habe nie Probleme | |
gehabt, mich hier zu integrieren. | |
Haben Sie das Gefühl, dass sich seit der Flüchtlingskrise die Haltung | |
gegenüber Fremden geändert hat? | |
Es heißt zwar immer, die Stimmung sei gekippt, aber mich behandeln alle | |
Leute genauso wie früher. | |
Waren Sie auch schon in anderen deutschen Städten? | |
Als wir mit der kubanischen Nationalelf unterwegs waren, habe ich in | |
Berlin, Frankfurt, Düsseldorf und Hannover gespielt. | |
Nicht viele Ihrer Landsleute haben diese Möglichkeit. Wie hat Sie das | |
Privileg, reisen zu dürfen, damals beeinflusst? | |
Mit der kubanischen Nationalelf zu reisen war ein großer Vorteil, weil sich | |
der Verband um alle Formalitäten und Papiere kümmert. So hatten wir die | |
Möglichkeit, legal auszureisen. Als ich aber meine Frau kennengelernt habe, | |
bekam ich Probleme mit dem Verband. Du darfst nicht nach Deutschland | |
ausreisen, du musst hierbleiben und für uns spielen, sagten die Funktionäre | |
mir. Der Fußball stand zwischen mir und meiner Frau. Doch für mich war | |
klar, dass ich in Deutschland leben und eine Familie gründen wollte. | |
Letztendlich habe ich mich durchgesetzt. Das hat ein bisschen Mühe | |
gekostet, aber ich habe es geschafft. | |
Das heißt, der kubanische Verband wollte nicht, dass einer seiner Spieler | |
im Ausland lebt? | |
Es gibt in Kuba ein Gesetz: Wenn ein Spieler nicht in Kuba lebt, darf er | |
nicht mehr für die Nationalelf antreten. Und so musste ich mich | |
entscheiden. Vielleicht wäre es heute sogar möglich, dass ich wieder im | |
Nationalteam spiele, weil ich legal aus Kuba ausgereist bin. Seit einem | |
Jahr gibt es außerdem ein neues Gesetz, das es kubanischen Spielern | |
erlaubt, ins Ausland zu wechseln. Diese Erlaubnis gab es früher nicht. | |
War Ihnen immer klar, dass Sie eines Tages aus Kuba ausreisen würden? | |
Nein, ich habe gut in Kuba gelebt. Es ist das Land, in dem ich geboren und | |
aufgewachsen bin. Ich habe mich da immer wohlgefühlt. Aber der Fußball hat | |
mich dazu gebracht, über den Tellerrand zu schauen. Durch die Reisen habe | |
ich gemerkt, dass es eine Welt außerhalb von Kuba gibt, die viel | |
entwickelter ist. Und dann habe ich meine Frau kennengelernt | |
Auf Kuba …? | |
Ja, in Havanna. Sie war dort mit ihrem Vater in Urlaub, und ich war gerade | |
mit der Nationalelf dort. Wir sind uns am Flughafen begegnet und saßen | |
beide im selben Flugzeug nach Baracoa. Das war Schicksal. Wir haben dann | |
den ganzen Flug über gequatscht, es war Liebe auf den ersten Blick. Drei | |
Monate später kam sie mich besuchen und hat für zwei Monate bei meiner | |
Familie im Haus in Baracoa gelebt. Anfangs war es etwas schwierig, weil wir | |
immer Englisch miteinander reden mussten. Mittlerweile spricht sie fast | |
perfekt Spanisch. Nach der gemeinsamen Zeit war uns klar, dass wir heiraten | |
wollen. Die Hochzeit fand dann im März 2013 in Baracoa statt. Es war | |
fantastisches Wetter, ihre Familie kam aus Deutschland eingeflogen. | |
Wenn auch aus der Ferne: Wie erleben Sie den politischen Wandel Ihres | |
Landes? | |
Ich denke, es ist eine gute Chance für Kuba. Die Mehrheit der Kubaner ist | |
zufrieden mit dem Abkommen zwischen Kuba und den USA. Das Land kann dadurch | |
große Fortschritte machen. Es passiert unglaublich viel im Moment, wir | |
nähern uns wieder an die Vereinigten Staaten an, und wir sind sehr | |
glücklich darüber. | |
Haben Sie keine Angst vor sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft? | |
Daran denken die Menschen im Moment nicht. Sie denken an den Wandel und | |
daran, dass alles besser sein wird. Dass sie mehr Möglichkeiten haben | |
werden, mehr Chancen. Wir Kubaner sind Optimisten. Wir denken nicht darüber | |
nach, dass irgendwas Schlechtes passieren könnte. | |
Genießen Sie hier eigentlich mehr Freiheiten? | |
Ich habe mich auch in Kuba frei gefühlt. Ich habe mich nie in die Politik | |
eingemischt, deshalb hatte ich auch keine Schwierigkeiten. | |
Konnten Sie in Kuba vom Fußball leben? | |
Eigentlich nicht. Ich habe in Kuba ein Studium als Sportlehrer | |
abgeschlossen und habe dafür ein monatliches Gehalt von 500 Pesos bekommen. | |
Dazu kam vom Verband das Gehalt für Nationalspieler, das sind 1.000 Pesos | |
[entspricht etwa 42 Dollar; Anm. d. Red.]. Wirklich gut haben wir nur | |
verdient, wenn Turniere wie der Gold Cup anstanden. Da haben wir Prämien | |
für das Erreichen des Viertel- oder Halbfinales bekommen. Für den Sieg im | |
Caribbean Cup 2012 gab es beispielsweise 125.000 Pesos, das ist unheimlich | |
viel Geld in Kuba. | |
Interessieren sich die Kubaner für Fußball? Baseball ist doch wesentlich | |
populärer? | |
Wenn man eine gute Leistung bringt, bekommt man die Aufmerksamkeit, die man | |
verdient. Aber Baseball ist unser Nationalsport. Alle kleinen Jungs träumen | |
davon, Baseballspieler zu werden. Auch wird Baseball vom Staat bevorzugt. | |
Wenn es Mittel für Sport gibt, gibt es die erst mal für Baseball. | |
Doch Ihr Sport war es nicht? | |
Nein, es gab immer eine andere Sache, die mich neugierig gemacht hat: Ich | |
wollte lernen, einen Ball mit meinen Beinen zu kontrollieren. Deshalb habe | |
ich angefangen, Fußball zu spielen. Im Sportstudium habe ich erfahren, dass | |
die Beine der Teil des Körpers sind, der am schwersten zu beherrschen ist. | |
Als ich acht Jahre alt war, hat mich zudem ein Scout beim Fußballspielen | |
entdeckt und an eine Sportschule in Guantánamo gebracht. | |
Und dann haben Sie es sogar in die Nationalmannschaft geschafft. Fünf Jahre | |
haben sie dort gespielt. | |
Oh ja, das war eine tolle Zeit. Was ich nie vergessen werde, war das | |
Qualifikationsspiel gegen Guatemala zur WM 2010, unter Reinhold Fanz. Wir | |
mussten gewinnen; ich wurde eingewechselt, und wir machten das Tor zum | |
2:1-Sieg. Das ist eine meiner schönsten Erinnerungen. Oder auch die | |
Karibik-Meisterschaft 2012, wo wir gegen Jamaika gewonnen haben und ich mit | |
einem Kopfball das 1:0 gemacht habe. Das war das einzige Tor, das ich je | |
für die Nationalelf gemacht habe. Hinterher haben wir den Pokal gewonnen. | |
Was für Ziele haben Sie sich für Deutschland gesetzt? | |
Ich bin studierter Sportlehrer. Mir wurde gesagt, dass mein Abschluss in | |
Deutschland anerkannt wird, dass ich nur erst genug Deutsch lernen muss. | |
Ich möchte gern als Lehrer arbeiten. Und mich um meine drei Monate alte | |
Tochter Kimberley kümmern. Und ich möchte gern meine Mutter und meinen | |
Bruder hierherholen. Ich weiß, dass wird Zeit brauchen, und es ist ein | |
bisschen kompliziert. Formalien in Kuba brauchen immer viel Zeit. Aber dann | |
müssen wir eben Geduld haben. | |
16 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
David Oliveira | |
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