# taz.de -- Zum Beten bitte die Grünflächen nutzen! | |
> Religion Die TU Berlin schließt zwei Gebets-räume für Muslime, weil sie | |
> Religion für Privatsache hält. Ein Blick an die Berliner Universitäten | |
> zeigt, dass sie Religionen nicht unbedingt gleichstellen. Auf der Suche | |
> nach gläubigen Studierenden | |
Bild: Findet die Andachten, die an seiner Fakultät gehalten werden, sinnvoll: … | |
Von Ralf Pauli | |
Sami Atris ist froh, auf der Toilette niemandem zu begegnen. Mehrfach | |
musste er in dieser Woche erklären, warum er seine Füße nicht zu Hause, | |
sondern im Waschbecken einer Unitoilette wäscht. Doch an diesem | |
Freitagmittag halten sich wenige Studierende im zweiten Stock des | |
Hauptgebäudes der Technischen Universität Berlin auf. Das neue Semester hat | |
noch nicht begonnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der muslimische Student | |
jemanden durch sein Gebet stören könnte, scheint gering. Vorerst. | |
Sami Atris krempelt die Ärmel seines grauen Pullis hoch, zieht die Socken | |
aus und legt sie auf die kalten Fliesen. Dann reinigt der 27-Jährige Füße, | |
Hände, Gesicht und Kopf und schlüpft zurück in Socken und Schuhe. Er ist | |
bereit für das Mittagsgebet. | |
Es ist die erste Woche, in der Atris und andere muslimische Studierende | |
nicht mehr an ihrem angestammten Ort beten können. Die beiden Räume, die | |
die TU Muslimen seit 1964 dafür zur Verfügung stellte, blieben erstmals | |
verschlossen. Was die TU damals dazu veranlasste, Muslimen einen Gebetsraum | |
und eine Turnhalle für das Freitagsgebet zu überlassen, kann sie heute | |
nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht war es eine Geste gegenüber Türken, | |
denen der Arbeitskräftemangel in Deutschland zu einem Ingenieurstudium an | |
der TU verhalf. Heute gibt es fünf verschiedene muslimische | |
Hochschulgruppen an der TU, auch eine syrische und eine jemenitische. Viele | |
der eingeschriebenen Muslime sind aber Deutsche. Dass die Hochschule ihnen | |
ohne Vorankündigung den Gebetsraum weggenommen hat, ist für sie ein Schock. | |
Gerade in Zeiten von AfD und brennenden Asylbewerberheimen. „Wir fühlen uns | |
nicht mehr willkommen“, sagt Sami Atris, Sohn einer Deutschen und eines | |
Libanesen und gebürtiger Berliner. | |
Die dreisprachige Notiz des Präsidenten hängt noch an der verschlossenen | |
Tür, als Atris vor dem Gebetsraum seine Jacke auslegt und mit dem Gebet | |
beginnt. Hinter der Tür gäbe es Gebetsteppiche, einen separaten Waschraum. | |
Warum sich Atris draußen behelfen soll, macht der Aushang nicht klar. Nur, | |
dass der Raum ab dem 14. März verschlossen bleibt. Seit Februar hängt die | |
Notiz. Den Grund für die Schließung erfahren die Studierenden erst gut zwei | |
Wochen später, als sich die Nachfragen bei der Hochschulleitung häuften. | |
Religion sei Privatsache, erklärt sie dann. Die Informationspolitik der TU, | |
sie ist ein Grund, warum sich die Wiese hinter dem TU-Hauptgebäude an | |
diesem nasskalten Freitag im März noch in eine Freiluftmoschee verwandeln | |
wird. | |
Die Schließung der Gebetsräume an der TU betrifft jedoch nicht nur Muslime. | |
Sie wirft die grundsätzliche Frage auf, wie Hochschulen mit | |
MitarbeiterInnen und Studierenden umgehen, die ihren Glauben auch auf dem | |
Campus leben wollen. Wo darf und wo sollte eine Hochschule religiöse Praxis | |
fördern, wo unterbinden? Muss sie gar die Möglichkeit dazu schaffen, um | |
niemanden aufgrund seines Glaubens zu benachteiligen? | |
Laut Grundgesetz gilt die Religionsfreiheit: Niemand darf an der Ausübung | |
gehindert werden – sofern er andere damit nicht stört. Der Staat wiederum | |
fördert anerkannte Religionsgemeinschaften, indem er etwa ihre Sozialarbeit | |
mitfinanziert oder dafür sorgt, dass an Hochschulen Theologen und | |
neuerdings wie in Münster oder Tübingen auch Imame ausgebildet werden. Doch | |
muss eine staatliche Hochschule auch Gebetsräume zur Verfügung stellen? | |
Zumindest für gläubige Muslime, die fünfmal am Tag beten und sich – im | |
Vergleich zu Christen oder Juden – für das Gebet mehrmals auf dem Boden | |
beugen müssen? Darüber gehen die Meinungen auseinander. | |
## Zur Neutralität verpflichtet | |
Die TU verneint. Als öffentlich finanzierte staatliche Einrichtung ist sie, | |
informiert sie auf der Hochschulwebsite, in Glaubens- und Religionsfragen | |
zur Neutralität verpflichtet. Und zur klaren Trennung von Staat und | |
Religion. Aus diesem Grund werde man künftig keine Räumlichkeiten mehr für | |
die aktive Religionsausübung zur Verfügung stellen. Warum die Hochschule | |
plötzlich – nach Jahrzehnten der religiösen Praxis auf dem Campus – diese | |
laizistische Haltung vertritt, hängt mit Präsident Christian Thomsen | |
zusammen. Schon 2014 hätte er gerne den Gebetsraum geschlossen. Doch dann | |
kam Pegida. Ein falsches Signal. Die TU nahm Abstand von dem Vorhaben. | |
Die TU ist auch die einzige der drei großen Berliner Universitäten, die | |
kein theologisches oder religionswissenschaftliches Studium anbietet. | |
Spielt das möglicherweise eine Rolle? | |
Wer mit Theologieprofessoren der Freien Universität (FU) und der | |
Humboldt-Universität (HU) spricht, hört Ähnliches wie vom TU-Präsidenten: | |
Die Unis wollen in Bezug auf Konfession, Religion und Glaubensrichtung | |
neutral sein. Deshalb stellen sie keine Gebetsräume zur Verfügung, auch | |
nicht für Theologiestudenten. Das ist die offizielle Version. Bei genauerem | |
Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Hochschulen die unterschiedlichen | |
Religionen nicht unbedingt gleich behandeln. | |
Eine Tatsache, die Heike Steller-Gül von der Evangelischen | |
Studierendengemeinde (ESG) entgegenkommt. Die Pfarrerin berät einmal die | |
Woche Studierende der HU. Auf ausdrücklichen Wunsch der Theologischen | |
Fakultät, wie sie sagt. Als Büro darf sie einen Raum der | |
Studienfachberatung nutzen. Und das, wundert sich die Pfarrerin, obwohl die | |
ESG keine Hochschulgruppe der HU ist. „Bei anderen Universitäten sind wir | |
schon mal vom Campus geflogen, weil wir Werbung im Namen der Kirche gemacht | |
haben.“ Bei der HU seien sie jedoch immer willkommen: während der | |
Orientierungswoche für Erstsemester im Herbst oder beim feierlichen | |
Semesterauftakt der Fakultät. Einmal im Semester darf ein Pfarrer der ESG | |
auch den „Universitätsgottesdienst“ halten, der monatlich in der | |
Sophienkirche in Berlin-Mitte stattfindet. | |
## Uniprediger an der HU | |
Die Universitätsgottesdienste leitet ein Theologe der Humboldt-Universität. | |
Das Amt des „Universitätspredigers“, das er innehat, existiert auf Wunsch | |
der Evangelischen Landeskirche. So steht es in dem Staatskirchenvertrag, | |
den sie 2006 mit dem Berliner Senat geschlossen hat (siehe Kasten). Die | |
Hochschule sieht in den Gottesdiensten keinen Widerspruch zu ihrer | |
weltanschaulichen Neutralität. Der Gottesdienst finde schließlich nicht in | |
Räumen der Universität statt, argumentiert Pressesprecher Hans-Christoph | |
Keller. Unterstützen tut die Uni die christlichen Messen dennoch: | |
Vergangenes Jahr stiftete die HU 5.000 Euro, weil in der neuen Gemeinde die | |
Organistin fehlte. | |
Die Widersprüchlichkeit, mit der die HU das Thema Religion behandelt, | |
sticht ins Auge, wenn man das Foyer der Theologischen Fakultät betritt. Am | |
Schwarzen Brett hängt ein blaues Plakat. Darauf leuchtet eine als Sonne | |
stilisierte Bibel. „StuRa-Andacht jeden Mittwoch, Raum 108“, steht auf dem | |
Plakat. Die Andacht des Studierendenrates der Fakultät ist nicht das | |
einzige religiöse Angebot im Gebäude, bestätigt Jule. Die 24-Jährige macht | |
an der Theologischen Fakultät ihren Master. Am Schwarzen Brett hingen | |
regelmäßig Einladungen zu Andachten. Ein Angebot der Dozenten an die | |
Studierenden. Christoph Markschies, Professor für Kirchengeschichte, | |
erklärt das Angebot mit der Ausbildung an der Fakultät. Am Lehrstuhl für | |
Praktische Theologie würden auch Prediger ausgebildet. Sie müssen also auch | |
lernen, eine Andacht zu halten. Markschies selbst hat erst an Ostern im | |
Berliner Dom eine Messe gehalten. Er ist wie viele Dozenten an seiner | |
Fakultät auch ordinierter Kirchenvertreter. | |
Auch hier sieht die HU die Neutralität nicht verletzt: Es gehöre zur | |
persönlichen Freiheit von Studierenden, sich zu gemeinsamen Andachten zu | |
treffen. Die Universität stelle dafür jedoch keine gesonderten Räume zur | |
Verfügung. | |
Religionsstudentin Jule fände es besser, wenn es einen neutralen Ort der | |
Stille gäbe, „wo sich Atheisten und Gläubige gleichermaßen zurückziehen | |
können“. So einen Raum gibt es weder an HU noch FU, noch TU. Wer auf dem | |
Campus beten will, muss sich arrangieren. Für Yunus Güllu ist das Routine. | |
Der 19-Jährige studiert an der FU Politikwissenschaft und Publizistik. Zum | |
Beten zieht er sich in das Untergeschoss der Osteuropabibliothek zurück. | |
„Hier ist fast nie jemand“, sagt Güllü, ein kleiner, zarter Mann, und bie… | |
in die hinterste Reihe der Bibliothek ein. Zwischen einem Regal voller | |
ethnologischer Bücher und einem grauen Aktenschrank breitet der Muslim | |
seinen Gebetsteppich aus, eine blaue dünne Decke von Turkish Airlines. | |
„Mein Vater arbeitet da“, sagt Güllü entschuldigend. | |
Bevor Güllü die oft menschenleere Osteuropabibliothek entdeckte, ging er zu | |
einem der „inoffiziellen“ Gebetsräume, wie Güllü sie nennt. Jeder Muslim… | |
der FU kennt sie, behauptet er. Die älteren teilen den jüngeren die besten | |
Plätze mit. Einer von ihnen liegt mitten im FU-Hauptgebäude in Dahlem. Wer | |
hier das Treppenhaus ins Untergeschoss hinabsteigt, stößt auf eine Nische | |
mit kahlen Wänden. Auf dem Boden sind rote Farbkleckse. „Hier benötigt man | |
definitiv einen Gebetsteppich“, sagt Güllü. Zwei Personen haben unter der | |
Treppe Platz, geschützt vor irritierten Blicken der KommilitonInnen. In der | |
Vorlesungszeit stehen Muslime hier schon mal Schlange. | |
Auch die FU beteuert, keine Religion zu bevorteilen – auch nicht die | |
Christen, die am Seminar für Katholische Theologie studieren. Ein | |
Professor, der dort lehrt, sagt: „Weder gibt es bei uns einen Gebetsraum, | |
noch bieten wir Andachten an.“ Tatsächlich finden sich an der FU keine | |
Hinweise, dass es anders wäre. Vielleicht weil dort keine Theologen | |
ausgebildet werden. Während an der HU viele Prediger lehren, sind es an der | |
FU Religionswissenschaftler. | |
Was allen Hochschulen gemein ist: Sie verbieten das Beten auf dem Campus | |
nicht. Genauso wenig, wie sie Musliminnen das Tragen des Kopftuches | |
verbieten. Publizistikstudent Güllü ist dafür dankbar. Zweimal, sagt er, | |
habe ihn schon ein Hausmeister oder eine Bibliothekarin beim Gebet | |
überrascht. Ohne Folgen. Einen muslimischen Gebetsraum wünscht er sich | |
trotzdem nicht. „Dann bräuchten die anderen Religionen auch einen. Einen | |
gemeinsamen Begegnungsort fände ich besser.“ | |
An der TU hingegen wollen die Muslime und Musliminnen nur ihren Raum | |
zurück. Der Protest gegen die Schließung der Gebetsräume formiert sich auf | |
dem Rasen hinter dem TU-Hauptgebäude. Rund 60 junge Männer haben sich | |
eingefunden, um das erste Freitagsgebet nach der Schließung der Turnhalle | |
abzuhalten, im Freien. Auch Sami Atris ist gekommen. | |
## Gründe des TU-Präsidenten | |
Die Proteste organisiert hat Dawud Ansari, ein elegant gekleideter Mann mit | |
Siegelring und grünen Augen. Ansari ist der Sprecher der fünf muslimischen | |
Hochschulgruppen und Student am Institut für Energietechnik. Die Muslime | |
fühlten sich nicht ernst genommen, sagt Ansari. Über die Medien hätten sie | |
von den wahren Gründen der Schließung erfahren müssen. Tatsächlich sagte | |
TU-Präsident Thomsen in der Zeit, es habe Bedenken „hinsichtlich | |
Versammlungsrecht und Brandschutz“ gegeben. Gegenüber seinen Studierenden | |
betonte er die Neutralitätsverpflichtung und empfahl, von den Angeboten der | |
umliegenden Moscheen Gebrauch zu machen. Die nächstgelegene am Spandauer | |
Damm ist drei Kilometer entfernt. Wer zum Beten dorthin fährt, verpasst | |
eine Vorlesung. Für gläubige Studierende ein Dilemma, sagt Ansari: „Wir | |
müssen uns zwischen Religion und Studium entscheiden“. | |
Mit dieser Befürchtung ist Ansari nicht allein. 575 muslimische Studierende | |
unterzeichneten binnen einer Woche den Protestbrief an den Präsidenten. Die | |
Schließung der Gebetsräume verhindere, schreiben sie, dass sie ihren | |
studentischen Pflichten nachkommen können. „Wenn sich geschätzt 2.000 | |
Muslime mehrmals am Tag auf Campustoiletten waschen und auf den Gängen | |
beten“, sagt Ansari, „behindert das nicht nur den Studienbetrieb, sondern | |
schürt auch Konflikte mit anderen Studierenden.“ | |
Ein Konfliktpotenzial, das die TU offenbar nicht sieht. In dem Antwortbrief | |
an die Muslime verspricht TU-Präsident Thomsen: „Die Studierenden, die | |
ihrer Religion folgen wollen, können dies individuell tun.“ Die Orte, an | |
denen sie dabei sicher niemand stören, müssen sich die Studierenden jetzt | |
suchen. | |
2 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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