Introduction
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# taz.de -- Heilen Karim Wasfi – Dirigent und Cellist des Irakischen National…
Bild: Ein Mann, ein Cello und die Hoffnung, dass Musik stärker ist als Krieg. …
Interview Carolin PirichFoto David Oliveira
Alles an Karim Wasfi ist imposant: Kopf, Bart, Bauch, Stimme. Dazu ein
makelloses Englisch. Ein orientalischer Dandy mit Samtjackett und
Seidentuch. Bekannt wurde er, als er sich mit dem Cello an den Ort setzte,
wo in Bagdad gerade eine Autobombe explodiert war – und auf der Asche
spielte. Wasfi wuchtet sich aufs Sofa im Berliner Radialsystem, zieht ein
Polster heran, hievt sein Bein darauf. Man verzeihe bitte diese
Respektlosigkeit, sagt er. Aber seit er bei einem Anschlag zwei Zehen
verlor, schmerzt der Fuß.
taz am wochenende: Herr Wasfi, wo in Bagdad haben Sie zuletzt Cello
gespielt?
Karim Wasfi: Nicht an der Stelle, wo gerade eine Autobombe explodiert ist.
Wir haben eine neue Konzertreihe, in der wir an verschiedenen Orten
improvisieren. Tatsächlich überholen wir gerade mit unseren Konzerten
statistisch die Anzahl von Terroranschlägen in Bagdad.
Sie führen Buch darüber?
Ja. Diese Mordanschläge schüchtern uns ein. Es gibt Tote. Es ist
entsetzlich. Trotzdem: Die Terroristen haben nur einen kurzzeitigen Effekt.
Ich will nicht nur ein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse, zwischen
Schönheit und Brutalität wiederherstellen. Ich will, dass Schönheit
überwiegt.
Musik gegen Anschläge?
Unsere Konzerte sind ein Zeichen für Zivilisation. Kultur wird zum
Lebensstil. Nicht die Terroristen, sondern wir entscheiden, wie wir leben
wollen.
So viel Optimismus, wo es allein von Januar bis März 3000 Anschlagsopfer im
Irak gab.
Wir leben im Krieg. Deshalb will ich, dass jeder einzelne Mensch erfahren
kann, was Schönheit ist. Die Schönheit, die ich meine, steckt in Wissen,
Kunst, Musik, Kreativität.
Fahren Sie deshalb an den Ort, an dem Tote geborgen werden, und machen
Musik?
Ja. Konzertsaal, Opernhaus: Das sind Anschlagsziele, daran bin ich als
Dirigent gewöhnt. Aber an jedem x-beliebigen Ort in der Stadt sind auf
einmal Bomben hochgegangen: In Kinos, beim Teemann, auf dem Campus, dem
Markt. Das ist gegen das Leben an sich gerichtet.
Das klingt, als wollten Sie mit Ihrem Cello den Ort irgendwie reparieren.
Das hier ist kein Experiment. Soll ich Ihnen erzählen, was mir die Menschen
sagen, wenn ich dort hinkomme und spiele?
Ja.
Sie sagen mir, dass sie sich getröstet fühlen. Umarmt. Dass sie so den
Respekt fühlen, der den eben Getöteten entgegengebracht wird. Das hat etwas
Therapeutisches. Klänge, ihre Frequenz und Vibration haben einen starken
und direkten Einfluss auf Physis und Psyche. Klang zu erzeugen ist ein Akt
der Schöpfung. Das gibt Vertrauen zurück.
Haben Sie Angst?
Angst würde ich nicht sagen. Ich bin besorgt, dass es wieder passiert, ja.
Ich sorge mich um mein Leben und das der anderen. Aber ich will nicht
irgendein Dichter sein, der von etwas Schrecklichem hört und dann, fernab
davon in seiner Kammer, ein Gedicht darüber schreibt. Nein! Ich bin genau
dort, wo gerade eben Menschen ihr Leben gelassen haben. Ich will, dass man
sieht: Wir lassen uns nicht einschüchtern.
Nach den Anschlägen in Paris haben sich auch die Menschen gegenseitig darin
ermutigt, ihr Leben wie bisher weiterzuführen. Jetzt erst recht.
Ich will das, was wir machen, nicht als Reaktion auf Terror verstehen. Ich
bleibe nah am Leben dran. Ich halte Normalität aufrecht.
Was spielen Sie in diesen Momenten?
Ich improvisiere. Als Kind habe ich Vögel und Katzen auf dem Cello
nachgeahmt. Oder meine jüngeren Schwestern in den Schlaf gespielt. Oder mit
dem Wind kommuniziert. Später dann habe ich als Dirigent viele, viele Werke
kennengelernt. All das ist in mir. Heute setze ich mich hin und nehme auf,
was um mich herum ist. Ich will direkt und wahrhaftig alles miteinander
verbinden.
Auch an Orten der Brutalität?
Ich sitze dort und nehme Kontakt zu den eben Verstorbenen auf. Für mich
sind ihre Körper nur Hüllen. Ihre Seelen sind noch da.
Sind Sie religiös?
Ich glaube an eine Art Harmonie, die über allem steht und alles
zusammenhält. Ich nenne das Universum. Manche nennen das Gott. Aber das
Universum – oder Gott – braucht mich nicht, um seine Existenz zu beweisen.
Seit 2007 leiten Sie das Iraqi National Symphony Orchestra. In jenem Jahr
nahmen die Terroranschläge in Bagdad wieder stark zu.
Das Jahr war ein trauriger Höhepunkt des Bürgerkriegs, so will ich das
feige Töten mal nennen. Täglich starben 70 oder 80 Iraker, weil sie den
falschen Namen getragen haben.
Eine Musikerin aus Ihrem Orchester erzählte, ein Cello auf dem Rücken wäre
in Bagdad schon auch mal der Grund dafür, dass jemand erschossen wird.
Ja.
2007 haben Sie trotzdem regelmäßig geprobt, obwohl allein der Weg zum
Konzertsaal die Musiker und Musikerinnen das Leben hätte kosten können?
Wir waren nicht voll besetzt, aber ja. Mutig genug sind sie.
Wie gelingt es den Musikern überhaupt, unbeschadet den Weg zur Probe zu
überstehen?
Sie versuchen, ihren Instrumentenkoffer nicht als solchen erkennen zu
lassen auf dem Weg von der Haustür zum Auto. Dann passiert man viele
Checkpoints, echte und falsche. 2007 war es extrem.
Ich habe von einer Probe gehört, als Sie Mozart spielten . . .
In der Nähe des Flusses, in der Nähe der Haifastraße, stand der alte
Konzertsaal, das Verteidigungsministerium und das größte Krankenhaus der
Stadt mit seiner riesigen Leichenhalle. Die war wegen der aktuellen Lage
überfüllt. Seit zwei Tagen schon gab es keinen Strom. Wir wechselten von
Dur zu Moll – in dem Moment hat der Wind den Gestank in den Konzertsaal
hineingetragen. Es war Todesgestank, der uns eingekesselt hat.
Vergewaltigt. Ironischerweise habe ich mich genau in dem Moment dafür
entschieden, in Bagdad zu bleiben.
Sie haben drei Pässe, einen ägyptischen, einen irakischen und einen
amerikanischen. Sie hätten den Irak mit Ihrer Familie also verlassen
können.
Ich wollte mich für das Schöne engagieren. Für Musik, Kreativität, Leben,
Selbstvertrauen. Für saubere Straßen, gute Gerüche.
Was hat Ihre Frau dazu gesagt, als Sie entschieden, in Bagdad zu bleiben?
Sie haben zwei Töchter.
Das war der Anfang vom Ende unserer Ehe.
Ihre Frau und die Kinder leben inzwischen in den USA.
Am Anfang habe ich mich schuldig gefühlt, dass wir nicht alle geblieben
sind. Aber jeder, der die Möglichkeit hat, seine Familie zu retten, tut es.
Mich kostete es meine Ehe. War das falsch? Ich meine ja. Und dann wieder
nein. Was hätten Sie denn gemacht?
Es ist schwer, sich in die Situation wahrhaftig hineinzuversetzen. Bevor
ich Kinder bekommen habe, wäre ich vielleicht auch geblieben.
Vorausgesetzt, ich wäre mutig genug. Aber als Mutter will ich, dass meine
Kinder leben.
So dachte meine Frau auch. Und ich dachte, sie lässt mich hier allein. Ich
kann nicht behaupten, dass ich ein Superheld bin. Aber ich meine,
Menschlichkeit ist es das wert. Was soll ich jetzt auch machen. Ich habe
schon entschieden. Ich kämpfe für Frieden. Für Zivilisation.
Und Ihre Waffe ist die Musik?
Ich schlage Tod mit Schönheit. Ich wollte mich nicht in den Elfenbeinturm
zurückziehen und zuschauen. Nein. Wir wachen jeden Morgen dort auf. Wir
leben mit Hindernissen. Aber Frieden ist stark. Menschen sollten die Wahl
haben, wie sie leben und überleben wollen. Aber damit meine ich nicht, dass
sie nach Europa fliehen dürfen und dann den Menschen dort ihren Lebensstil
aufzwingen sollten. Sie sollten das Recht haben, darüber zu diskutieren.
Aber sie haben nicht das Recht, zu erpressen, Gewalt auszuüben,
einzuschüchtern, zu töten.
Mozart zu spielen war also eine politische Entscheidung.
Nein, es war eine persönliche, die mich mein Privatleben gekostet hat. Die
mir aber auch das Vertrauen vieler Menschen geschenkt hat. Das, was wir
machen, ist kein öffentliches Engagement. Wenn die Regierung Bildung und
Kunst fördern würde als Strategie, den Terror zu besiegen, gäbe es
vielleicht Aussicht auf Erfolg.
2014 nahmen die IS-Terroristen eine irakische Stadt nach der anderen ein.
Sie standen vor Bagdad. Dann befreite die Armee am 31. August die Stadt
Amerli. Sie entschieden, Strawinskys „Feuervogel“ zu spielen. Warum das
Stück?
Die Musik hat etwas Triumphierendes. Außerdem läutete der „Feuervogel“
schon bei seiner Uraufführung 1910 in Paris eine eine neue Welt ein, eine
neue Dimension der Bewegung. Dieses Feuer, diese großen Klänge: Diese Musik
entfacht Hoffnung, Schwieriges überwinden zu können und etwas anderes,
etwas Neues zu verwirklichen. Sie vermittelt ein Gefühl von Freiheit.
Wer kommt zu Ihren Konzerten?
Jeder. Mir wurde oft vorgeworfen, ich würde nur für eine Elite spielen.
Aber dann ist jeder in Bagdad elitär: der Teemann wie das Kind und die Oma.
Von 2007 bis heute hat sich viel getan.
Anfangs gaben Sie abends keine Konzerte. Sie fanden vormittags oder
nachmittags statt an verschiedenen Orten.
Und heute stehen 400 Leute vor dem Konzerthaus, weil es drinnen keinen
Platz mehr gibt.
Wie organisiert man ein Konzert im Krieg?
Früher war es eine Last-Minute-Geschichte, aus Sicherheitsgründen. Damals
habe ich alles gemacht: die Leute angeschrieben, die Armee informiert,
Polizeiberichte gelesen, sichergestellt, dass keine verdächtigen Menschen
kommen, die Listen der angemeldeten Autos überwacht, am Eingang die
Menschen einzeln angeschaut, die gekommen sind. Aber heute können wir die
Konzerte ankündigen.
Und wo geht man hin, wenn mal eine Saite reißt?
Es gibt ein paar Musikgeschäfte in Bagdad und ein paar in Kurdistan. Aber
ich wünschte mir, wir könnten ein paar Geigenbauer nach Deutschland und
Italien schicken, damit sie ein bisschen dazulernen . . .
Viele Musiker haben schon während des Irakkriegs das Land verlassen. Wie
kann da ein Orchester bestehen?
In unserem spielen Studenten und Lehrer zusammen. Eine stete Entwicklung.
Sie haben auch das irakische Jugendorchester gegründet. Araber und Kurden
proben einmal im Jahr in Erbil. Das ist die Idee. Junge Menschen aus
Bagdad, Erbil, Kirkuk und Mossul kommen zusammen. Schon vor ein paar Jahren
war die Fahrt von den Städten nach Erbil selbst für Iraker gefährlich.
Heute ist das Gebiet in Terroristenhand. Was ist aus den jungen Musikern
geworden?
Einige sind emigriert. Drei Musiker sind noch in Mossul, glaube ich. Und
ein Komponist. Aber ich nenne keine Einzelheiten. Ich bin überzeugt, dass
IS-Leute auch Zeitung lesen.
Haben Sie jemals mit Leuten von der IS gesprochen?
Ich habe ihnen einen Wette übermittelt, die ich eingehen will: Wenn sie je
Bach, Brahms oder was auch immer hören, wird sich etwas in ihnen bewegen.
Allerdings würde ich nicht so weit gehen, sie zum Schönen zu zwingen.
2012 haben Sie eine Zwangspause eingelegt. Wurden Sie bedroht?
Ich habe mich auf „Peace through the Arts“ konzentriert und mich in der
Zeit vom Orchester zurückgezogen. Man hat behauptet, ich wäre aus dem Irak
geflohen. Das stimmte aber nicht.
Wer hat das behauptet?
Leute aus meinen eigenen Reihen. Ich wurde denen zu erfolgreich.
Kein Terror, normaler Neid?
Ja.
Sie haben „Peace through the Arts“ angesprochen. Was ist das?
Kein Ort, sondern ein Konzept. Unser Ziel ist Integration, Achtsamkeit,
Selbstvertrauen. Wissen ist Macht, Weisheit ist eine Waffe, Musik und
Wissenschaft helfen, Ängste zu überwinden.
Wie?
Wir bringen verschiedene Menschen und ihre Ideen zusammen. Sie reden,
machen Musik, improvisieren. Man überwindet dadurch nicht nur bloßes
Lampenfieber, sondern bekommt das Gefühl dafür, wie es ist, das eigene
Leben zu gestalten. Anders als in Europa glauben viele Menschen im
Mittleren Osten nämlich, dass Kreativität vom Himmel fällt.
Sie meinen, hier sei das anders? Sie sind für eine Woche in Berlin.
Ich bin verliebt in diese Stadt. Sie ist präzise, kultiviert, freundlich,
positiv, eine gute Mischung aus Kreativität und Disziplin. Man muss hart
dafür arbeiten, kreativ zu sein, das können sie hier.
Beschreiben Sie mir bitte einen normalen Tag in Bagdad. Wie ist die
Atmosphäre?
Wenn man aus dem Haus geht, hofft man, lebend auch wieder zurückzukommen.
Man hofft, dass keine IS-Kämpfer in der Stadt sind. Aber man sollte nicht
nur hoffen, sondern etwas anpacken und andere inspirieren, man sollte
positiv sein. Wenn ich mir die Menschen in Bagdad ansehe: Die Atmosphäre
ist angespannt, aber die Menschen suchen und finden Wege, diese Anspannung
zu überwinden.
Woher nehmen Sie den Antrieb, weiterzumachen?
Vom Universum. Ich bin kein Eskapist. Wenn ich aufwache und noch am Leben
bin, denke ich nicht, dass ich in Bagdad bin, sondern ich sehe die größeren
Zusammenhänge von weiter weg. Stelle mir Bagdad in 500 Jahren vor. Oder wie
es vor 50.000 Jahren war. Ich betrachte Menschen als eine Form von Energie.
So beginne ich meinen Tag.
Carolin Pirich, freie Autorin, reiste 2012 in den Irak und lernte dort
Wasfis Arbeit kennen
2 Apr 2016
## AUTOREN
Carolin Pirich
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