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# taz.de -- Wenn alle mit anpacken
> Renovierung Bevor das Poly-Haus in der Oldenburger Innenstadt zu einem
> alternativen Kulturzentrum werden kann, muss die Genossenschaft Polygenos
> es gründlich sanieren. Dafür wählt sie eine ungewöhnliche Lösung. Ein
> Besuch auf der Baustelle
Bild: Will noch die Wasserzuleitung vom Keller in das neue WC des Oldenburger P…
von Manuela Sies
Noch sieht das Oldenburger Poly-Haus wie ein Würfel aus verwittertem
Backstein und Putz aus. Fast geduckt steht es neben Hotel- und Bürogebäuden
zwischen Pferdemarkt und Lappan. Verglichen mit seinen neugebauten Nachbarn
aus Stahl und Glas fällt der 60er-Jahre-Bau regelrecht aus der Reihe. Das
liegt auch daran, dass lange nichts an ihm gemacht wurde –bis die
Genossenschaft Polygenos kam und es rettete, um es als alternatives
Kulturzentrum zu erhalten.
Gut zwei Jahre ist das her. Seitdem saniert sie das Gebäude nach und nach.
Nun beginnt auch das äußerliche Makeover: Ein Baugerüst legt sich wie ein
Korsett um die Mauern. Blaue Netze verhängen den Blick auf die Fassade. Es
ist alles vorbereitet für die Außensanierung und Wärmedämmung. Der alte
Backstein soll vergoldeten Aluschindeln weichen.
„Die Handwerker fangen jetzt mit den Arbeiten an“, sagt Katharina Dutz.
Eigentlich ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität
Oldenburg. Bei Polygenos gehört sie zum Vorstand und begleitet die
Sanierung. Sie will sich noch umschauen, bevor es mit der Familie ins
Museum geht. Es ist Sonntagmittag, die Außenarbeiten ruhen. Aber es ist
„Anpacker-Tag“ bei Polygenos. So heißt die Truppe aus Freiwilligen, die
parallel den Innenumbau stemmt. Dutz passiert die Schleuse in den
Bauzäunen, die das Grundstück gerade einfassen, und betritt das
Treppenhaus. Die Anpacker sind hier schon längst gewesen, genauso wie im
ersten Stock, der an eine Filmagentur vermietet ist. Das zeigen die
renovierten Wände und Böden. Aber in den Etagen darüber rumpelt, scharrt
und wuselt es. Katharina Dutz macht sich auf den Weg in den dritten Stock
und geht an die Spitze des Baugerüsts. Sie lugt in die Räume, grüßt die
Anderen. Hier kennt man sich.
„Jedes Mal wenn ich hier bin, ist es anders“, sagt sie. Aber jetzt will sie
zeigen, bis wohin das Schindelkleid einmal reichen wird. Oben angekommen,
zeigt sie auf die künftige Dachterrasse. Auch die soll noch Gestalt
annehmen, derzeit hat sie weder Bodenbelag noch Geländer. „Statt eines
Geländers fassen wir die Terrasse mit einer Mauer ein“, sagt Dutz. Dadurch
verlängere sich die Fassade. Angefangen ab einer Höhe von drei Metern
reichen die Schindeln später also bis hier hoch und laufen seitlich bis zum
Dach. Dahinter kommt die Wärmedämmung. Von der Terrasse aus wird man die
oberen Schindeln berühren können. „Das wird wie das Schuppenkleid von einem
Fabeltier.“
Diese Verkleidung ist der Genossenschaft viel Geld wert. Die Variante
kostet zunächst 50.000 Euro mehr als ein konventionelles Dämmsystem. Das
ist ein großer Posten bei einem Budget von 180.000 Euro für die gesamte
Sanierung. Hinzu kommt, dass die Genossenschaft möglichst mit eigener Kraft
und ohne Kredite hinkommen will. Die Idee dazu entstand im Sanierungsrat
der Genossenschaft, dem auch Dutz angehört. Ein Jahr lang suchte man nach
der passenden Lösung. Sie sollte für alle Polygenos-Mitglieder annehmbar
und nachhaltig sein. All das vereinen die Schindeln, findet Dutz. „Zum
Beispiel brauchen sie die nächsten 50 bis 100 Jahre keine Sanierung und es
setzt sich auch kein Moos oder ähnliches ab.“
Die hohen Anfangskosten soll eine Aktion abfangen: Wer will, kann für 30
Euro eine Schindel kaufen und stiften. Dafür muss man weder Mitglied bei
Polygenos sein noch in Oldenburg wohnen. Katharina Dutz setzt dabei auf die
rund 860 Genossen und Genossinnen. „Wenn jeder nur eine Schindel kauft,
haben wir schon 50 Prozent finanziert“, sagt sie. Sie hofft auch auf die
Unterstützung von außen.
Aber passt das luxuriöses Gold überhaupt zu einer Genossenschaft, die ein
altes Haus retten und zum alternativen Kulturzentrum machen will? „Wir
wollen einen Kontrapunkt setzen“, erklärt Dutz. Dabei schaut sie hinaus auf
das größere Hotel, an das sich das Poly-Haus lehnt. Es ist aus grauem
Stahl. „Es hätte auch Dunkelgrau werden können, aber das wäre ja die
Fortsetzung zu den Nachbarhäusern gewesen.“
Gold habe auch etwas Ausstrahlendes, Reflektierendes, findet sie: „Und wir
möchten reflektieren und etwas in die Stadt ausstrahlen.“ Kahtarina Dutz
blickt jetzt wieder über die Dachterrasse auf Oldenburg. Sie meint damit
auch die Philosophie, nach der die Genossenschaft das Haus mit Leben füllt
und gestaltet. Das Poly-Haus soll zu einem Raum für alternative Stadtkultur
werden, in dem sich Menschen austauschen, Ausstellungen, Diskussionen und
kreative Projekte stattfinden können.
„Es geht darum, jenseits von ökonomischem Kosten-Nutzen-Kalkül das Haus
gemeinsam zu beleben und die Stadt kulturell zu bereichern“, sagt Dutz.
Etwas, das der zweite Teil der Verkaufsaktion aufnimmt. Wer eine Schindel
schenkt, kann sie auf der Polygenos-Website mit einem virtuellen Wunsch für
Oldenburg, Polygenos oder das Haus versehen. Erste Schindeln sind schon
verkauft und Wünsche geäußert. Im Netz lassen sie sich ansehen.
Bis Herbst sollen alle Wünsche gesammelt werden. Geplant ist, sie der Stadt
zu übergeben. Bisher kam die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum auf, eine
verträgliche Verkehrsplanung und Gemeinschaftsgärten. Aber auch der Wunsch
nach noch mehr Poly-Häusern und kluger Stadtentwicklung mit Raum für
kreative Kulturräume und Projekte.
Im Poly-Haus bieten diesen Raum später die „Kultur- und
Kommunikationsräume“. Sie liegen ein Stockwerk unter der Dachterrasse.
Polygenos will sie flexibel und zu fairen Preisen vermieten. Heute regieren
hier aber noch die Anpacker, koordiniert von Künstler Michael Olsen. Er
kniet auf dem Boden, den Kopf dicht unter einem Fensterbrett. „Was ist das
denn?“ Er kriecht noch etwas näher. Das Ventil eines Heizkörpers tropft und
hat eine Pfütze hinterlassen. Mit einer Zange dreht er das Ventil zu.
„Kaputte Dichtung, das passiert“, sagt Olsen und bevor er überhaupt
ausgesprochen hat, ist er schon wieder auf den Füßen, und in Gedanken bei
der nächsten Aufgabe. Die Heizungsventile sind heute nur ein Punkt auf
einer längeren Liste des Teams. Am anderen Ende des Raumes bearbeiten zwei
Helfer Türen mit Schleifpapier, nebenan im Flur lässt ein weiterer die
Farbrolle über die Wand schmatzen. Hier passiert das meiste in
Eigenleistung, das meiste läuft ehrenamtlich. Nur Spezialaufträge wie die
Elektrik oder die Fassadensanierung gingen an Fachfirmen.
Michael Olsen will noch die Wasserzuleitung vom Keller in das neue WC
legen. Er geht den Flur hinunter in das Badezimmer, wo die alten rosa
Fliesen schon entfernt sind. Auch Badewanne, Waschbecken und Toilette sind
gewichen. „Nur die Wand muss noch aufgestemmt werden.“ Die Atemschutzmaske
gegen den Staub baumelt schon um seinen Hals, aber das kommt später. Es
muss noch Werkzeug her.
„Uns fehlen Quirl, Meißel und Hammer“, sagt er und überlegt, was sonst no…
gebraucht wird. Für die Arbeiten stellt er das Werkzeug aus seiner
Künstlerwerkstatt zur Verfügung. Gleich will er noch mit dem Rad losfahren,
um zu besorgen, was noch so fehlt. Er ist einer, der alles sieht, der Tempo
vorlegt. Weil er hinter dem Projekt steht. „Das hier ist ein Vorbild, wie
man mit einem Haus umgehen kann, statt es abzureißen und neu zu bauen“,
sagt er. So ein Gebäude sei eben nicht nur Nutzobjekt, sondern auch
Material, Treffpunkt, Kulturraum. Olsen hat schon das fertige Poly-Haus im
Kopf. „Ich sehe es Scheibe für Scheibe wie eine MRT-Aufnahme vor mir.“
Deshalb hängt er sich rein, weil er mitgestalten will. „Ich will Dinge
hinterlassen, die ich anfassen kann.“
Das Besondere daran ist, das etwas nachwirkt. Diesen Antrieb teilen
Katharina Dutz und Michael Olsen. Sie und ihre Mitstreiter wollen ein Haus
mit Charakter schaffen, von innen wie von außen. Damit es weiter Gestalt
annimmt, hoffen sie auf den Erfolg ihrer Aktion. Olsen hat bisher zwei
Schindeln gekauft. „Ich wünsche mir, dass die Radwegebenutzungspflicht im
ganzen Stadtgebiet aufgehoben wird und dass Oldenburg bald wieder den
Menschen gehört, um darin zu leben, und nicht den Fahrzeugen, um darin zu
fahren“, sagt er.
Auch Katharina Dutz hat eine Schindel erstanden und eine weitere
verschenkt. Nur einen Wunsch hat sie noch nicht geäußert: „Da war ich etwas
unkreativ, aber ich hole das noch nach.“
Vielleicht wird es ein Wunsch für Polygenos, denn Dutz erhofft sich durch
die Aktion noch mehr Unterstützer für die Genossenschaft und das Poly-Haus.
„Im besten Fall haben wir am Schluss so viele Mitglieder wie Schindeln.“
Vielleicht steht dieser Satz bald auf einer ihrer Schindeln.
12 Mar 2016
## AUTOREN
Manuela Sies
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