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# taz.de -- Beunruhigendes Date mit der Zukunft
> THEATER Interaktiv In „Blind Date: Mensch 2.0“ fragt der Oldenburger
> Regisseur Winfried Wrede nach den Grenzen technischer Evolution und wirft
> den Zuschauer, zwischen virtueller und physischer Realität tanzend, in
> einen Strudel der Möglichkeiten
Bild: Wechselnde Rollen: „Blind Date: Mensch 2.0“ 
Von Manuela Sies
Hinsetzen, Zurücklehnen und Aufsaugen ist an diesem Abend nicht drin. Das
wird den Besuchern im Oldenburger Theater Wrede schon vor der Vorstellung
im Foyer klar. Ja, Besucher. Nicht Zuschauer. Weil die Bezeichnung hier
nicht passt: In Gruppen eingeteilt warten sie vor der Tür zur Theaterhalle
auf Einlass und werden über die Verhaltensregeln informiert. Und darüber,
dass sie gleich einen „Jahrmarkt der Möglichkeiten“ erkunden dürfen. Das
hat etwas von einem Gruppenausflug ins Unbekannte.
Theatergründer und Regisseur Winfried Wrede wählt diesen Zugang ganz
bewusst, um die Frage nach der Zukunft zu stellen. „Blind Date: Mensch 2.0“
thematisiert die schöne neue Technikwelt, die sich um den Menschen herum
aufbaut. Es geht um Maschinen und darum, wie sie unseren Alltag erobern.
Denn da sind ja nicht nur sprechende Smartphones. Da sind auch Roboter, die
uns schon heute in Industrie, Hotellerie und Medizin zur Hand gehen.
Maschinen, die dem Menschen äußerlich immer ähnlicher werden und mit ihm
interagieren.
Sie stehen für die Zukunftsvision vom Cyborg, der Verschmelzung zwischen
Technik und Mensch. Welche Auswirkungen hat das auf den Menschen? Wer
beherrscht hier eigentlich wen? Beziehungsweise: Was macht den Menschen so
einzigartig? Und ist er der Entwicklung wirklich blind und machtlos
ausgesetzt?
Wrede konfrontiert sein Publikum sehr direkt mit diesen Fragen, statt sie
nur auf einer Bühne zu präsentieren. Er schubst die Besucher förmlich in
die Auseinandersetzung hinein, lässt sie von Alias in die Halle führen –
einem Serviceroboter, der an eine riesige Spielfigur erinnert.
In der Halle dann verschmelzen Zuschauerraum und Bühne. Die Sitzreihen sind
einem Jahrmarkt gewichen – traditionell auch ein Ort, an dem neue
Technologien zur Schau gestellt wurden. Popcorn, Lichter und Musik locken
hinein in eine bunt-heitere Technikwelt. Eine, die bevölkert ist von
Menschen aus Fleisch und Blut, aber auch von echten wie gespielten Robotern
und Cyborgs. Eine Welt, die zum Spielen und Entdecken einlädt.
Danach spaziert man in die Zukunftsstadt, die da anstelle der Bühne steht.
Hier muss der Besucher zwischen Rollen und Realitäten hin- und hertanzen.
Gerade noch im Videowalk als Medizin-Roboter unterwegs, der seinen
Patienten von sich überzeugen muss, wird er bald in einem 3-D-Video zum
Patienten, dem man einen Übersetzungschip in die Zunge implantiert.
Jede dieser Stationen, jede dieser Erfahrungen wirft mehr Fragen auf: Will
ich das alles? Wissen die, was sie da tun? Ist ein Roboter auch ein
Lebewesen?
Was zunächst als leichtes, zuweilen humorvolles Spiel der Möglichkeiten
getarnt ist, entblößt immer stärker seinen skurrilen, existenziellen
Charakter. Zweifel rühren sich – und Ängste. Die werden noch befördert
durch die von Wrede eingebauten Performances. Darin preist die Vorhut des
Fortschritts, die so genannte „vorletzte Instanz“, ihre Entwicklungen an.
In einem dieser Segmente taucht etwa Roboter Nao auf. Gerade mal kniehoch
ist er und präsentiert sich mit leicht gebeugten Beinen, jede Bewegung von
Surren wie bei einem Spielzeugauto begleitet.
Was Nao tut, lässt die Besucher schmunzeln. Für die Dinge, die er sagt,
erntet er Lacher. Süß finden sie ihn. Niedlich. Nao bedient einen Ur-Trieb
zwischen Kindchenschema und Spielzeugliebe. Das geht solange gut, bis er
fragt: „Und wenn ich mal so groß bin wie ihr? Habt ihr dann Angst vor mir?“
Für Sekunden hängt ein stummes „Stimmt“ über den Köpfen. Bis die „vor…
Instanz“ seine Frage scheinbar stellvertretend für alle verneint.
Am Ende gibt’s dann theatrale Workshops zu den unterwegs aufgeworfenen
Fragen. Diskutiert wird – je nach Gruppenkonstellation – aus Sicht der
biologischen Menschen, Roboter oder Cyborgs. Austausch ist gefordert, immer
wieder unterbrochen von neuen Performances. Allerdings, der Ton wird
schärfer, der Austausch zur Debatte; es endet mit einem handfesten
Machtkampf der Lebensformen.
Das ist ein gelungenes experimentelles, Rollen und Darstellungsformen hin-
und herschiebendes Forschungstheater. Das Fehlen von Sitzreihen und Bühne
ist Programm, das Publikum wird Teil des Stücks. Video- und 3-D-Technik
lassen Fiktion und Realität verschwimmen. Diese Inszenierung ist – wie
schon „Catkiller“ 2015 – kein Stück mehr, sondern viel mehr, weil es den
Theaterraum zu einem überdimensionalen Versuchsfeld macht; Regisseur Wrede
bleibt sich treu.
Manchmal droht das zu überfordern: Ständig gerät der Besucher ins
Straucheln zwischen all den Zweifel und Fragen. Aber das ist gewollt,
spiegelt es doch unser ganz reales Taumeln angesichts der rasanten
technischen Evolution. In Wredes Inszenierung rettet da ein kurzes
Durchatmen im Ruhebereich, einem Lagerfeuer in der Natur, aus der
Eindrucksflut. Im realen Leben manchmal auch.
„Blind Date: Mensch 2.0“ spiegelt, aufwendig recherchiert, die Diskussion
um den technischen Fortschritt. Zum Schluss fühlt man sich energiegeladen
vom Miterleben und Ausprobieren. Aber auch irritiert und unsicher: Hat man
wirklich alle Facetten des Stücks, des Themas erfasst? Ein gelungenes
Experiment, das Ganze. Und eine Gratwanderung.
Nächste Vorstellungen: 4. + 5. 3., Theater Wrede, Oldenburg
2 Mar 2016
## AUTOREN
Manuela Sies
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