# taz.de -- Seid doch nicht so unentspannt | |
> FEMINISMUS Reproduktions-arbeit machen immer noch die Frauen – aber | |
> aufgeklärte Paare erklären das mit unterschiedlichen | |
> „Sauberkeits-standards“ weg. Am Donnerstagabend wurde im vollen SO36 über | |
> den Status quo der feministischen Bewegung diskutiert | |
Bild: Dabei, die Welt zu verändern: agitierende Frauen der zweiten Frauenbeweg… | |
von Laura Aha | |
Dass sich Veranstaltungen mit feministischen Inhalten vor allem einmal im | |
Jahr, nämlich um den Weltfrauentag am 8. März, zu häufen scheinen, sei | |
zunächst als etwas beschämend bemerkt, eröffnet die Sprecherin des | |
Top-B3rlin-Netzwerks am Donnerstagabend die Runde. Immer gebe es Themen, | |
die wichtiger, aktueller, relevanter scheinen als der feministische | |
Diskurs. Das bis zum letzten Bierbankplatz besetzte SO36 spricht aber eine | |
andere Sprache. „Klasse Frau“ ist die Podiumsdiskussion mehrdeutig | |
betitelt. Es geht um den Stand der feministischen Debatte, dem hier bei | |
Wein und Parisienne nachgegangen werden soll. Drin Rauchen darf allerdings | |
nur Referentin Sarah Speck, deren im vergangenen Jahr veröffentlichte | |
Studie „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ milieuspezifische | |
Rollenkonstruktionen in heterosexuellen Partnerschaften untersucht. | |
Anerkennung und Aufteilung von Haus- und Pflegearbeiten, sogenannte | |
reproduktive Tätigkeiten, sind dabei das zentrale Thema. Ironischerweise | |
machte „Madame Krankheit“ auch den OrganisatorInnen kurzfristig einen | |
Strich durch die Rechnung. Die Journalistin Nina Scholz und Soziologin Ilse | |
Lenz fielen aus. Spontaner Ersatz fand sich mit dem*der | |
Politikwissenschaftler*in Detlef Georgio Schulze und einer Vertreterin des | |
Netzwerks Care Revolution, die schlicht als Anja vorgestellt wird. | |
„Wir stehen vierzig Jahre nach der zweiten Frauenbewegung vor einer | |
vollkommen anderen gesellschaftlichen Situation“, leitet Sarah Speck ihre | |
Bestandsaufnahme ein. Die Gleichstellung auf rechtlicher Ebene, Zugang zur | |
Bildung, weniger finanzielle Abhängigkeit und eine gesamtgesellschaftlich | |
Zustimmung zum Thema Gleichberechtigung erwähnt sie als Erfolge. Themen wie | |
der Gender-Pay-Gap, ein männerdominierter Arbeitsmarkt und konservative | |
Tendenzen zur Restaurierung traditioneller Rollenklischees bleiben dagegen | |
laut Speck weiterzuverhandeln. | |
Zudem mangele es an einer adäquaten gesellschaftlichen Wahrnehmung und | |
Selbstreflexion. Außerhalb der „feministischen Blase“, einem Territorium, | |
mit dem Speck, wie sie halb ernst, halb ironisch sagt, nur in | |
Ausnahmefällen kommuniziere, werde das Problem negiert. In vermeintlich | |
aufgeklärten Milieus, besonders in der gebildeten, urbanen Mittelschicht, | |
fühle man sich dagegen gleichberechtigt. Wie aus Specks Studie hervorgeht, | |
herrscht besonders bei Paaren dieser Gruppe weniger tatsächliche | |
Gleichberechtigung im Bezug auf reproduktive Tätigkeiten, als von diesen | |
selbst angenommen wird. | |
Obwohl die Frau hier mehr Lohnarbeit verrichtet, stemmt sie oft zusätzlich | |
„den Löwinnenanteil“ der Hausarbeit. „Das mach ich so nebenbei“, wird … | |
relativiert, „dafür ist er ein toller Gastgeber und kocht“, wird der Mangel | |
an männlicher Reproduktionsarbeit kaschiert. Ein Klassiker, der vom | |
mehrheitlich weiblichen Publikum mit viel Gelächter aufgenommen wird, | |
laute: Es gebe halt unterschiedliche Sauberkeitsstandards, deshalb putze | |
sie mehr als er. Dabei erscheine der männliche Partner oft als der Ruhige, | |
Affektbeherrschte, sie dagegen als „eher so unentspannt“. Zum Ausgleich | |
kann sie ja Yoga machen. Ein Problem sei, dass Frauen an diesen Strukturen | |
aktiv mitwirken, weil sie ihr Selbstbild bestätigt sehen wollten. | |
„Finanzielle Autonomie und berufliche Selbstverwirklichung sind die | |
zentralen Säulen im Glaubensbekenntnis von sich als egalitär verstehenden | |
Partnerschaften“, resümiert Speck. Sorgearbeit, die angeblich 50:50 unter | |
den Partner aufgeteilt ist, wird rausgerechnet aus der partnerschaftlichen | |
wie aus der realen kapitalistischen Ökonomie, wie später Anja erklären | |
wird. Der Überschuss an ungleichgewichtig verteilter Arbeit wird mit | |
persönlichen Neigungen wie „Putzfimmel“ erklärt. Wieder Lachen aus dem | |
Publikum – fühlt sich der eine oder die andere ertappt? | |
Tendenzen, in denen strukturelle Probleme ins Individuelle verlagert | |
werden, sieht Detlef Georgia Schulze auch in der Queerszene. Viele Queers | |
hätten vergessen, dass Geschlechterrollen gesellschaftlich hergestellt | |
werden, und glaubten stattdessen, ihr Geschlecht individuell selbst | |
definieren zu können. „Man kann sich aber nicht selbst aus dem Sumpf | |
gesellschaftlicher Geschlechterkonstitutionen heraus ziehen“, verdeutlicht | |
er*sie. Wenn man statt vom „Patriarchat“ heute von „Sexismus“ spreche, | |
werde eine gesellschaftliche Machtstruktur zum Konflikt individueller | |
Befindlichkeiten abgewertet. Dies stehe einem dekonstruktivistischen | |
Feminismus, der die soziale Konstruiertheit von Geschlecht voraussetzt, | |
entgegen und ließe aus eben diesem Grund auch wenig Spielraum für | |
politischen Kampf. Stattdessen poche die Berliner Queerszene moralisierend | |
darauf, dass die individuelle Geschlechterkonstruktion gesellschaftlich | |
hingenommen werden müsse. | |
Mehr politischen Kampf fordert auch Anja von Care Revolution für die | |
ausgebeuteten migrantischen Frauen ein. Diese fallen in Folge des | |
Outsourcings reproduktiver Tätigkeiten in westlichen Ländern oft der | |
Maschinerie sogenannten Careketten zum Opfer. Polnisches Pflegepersonal | |
betreut deutsche Senioren, ukrainische Frauen betreuen die Kinder der im | |
Ausland arbeitenden Polinnen. Es fehlten Gewerkschaften und die Möglichkeit | |
der Selbstorganisation. Arbeitszeitverkürzung und finanzielle Anerkennung | |
blieben bloße Forderungen. Lösungsansätze könnten dezentral organisierte | |
Communitys sein, in denen sich ein politischer Raum öffnen könne. | |
„Wir wollten die Welt verändern, doch dann haben sie uns die Gleichstellung | |
angeboten“, zitiert Speck die italienische Feministin Luisa Muraro | |
zusammenfassend. | |
Gleichberechtigung statt Revolution scheint das Zwischenergebnis zum Stand | |
der feministischen Bewegung, die Speck mit der marxistisch geprägten | |
Radikalfeministin Silvia Federici für „unvollendet“ erklärt. | |
5 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Laura Aha | |
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