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> Viehzucht Biobauer Johannes Schettler aus Bremen erzählt vom Leben auf | |
> dem Hof | |
Bild: Johannes Schettler | |
von Gabriele Goettle | |
Johannes Schettler, Dipl.-Biologe und Biobauer. Aufgewachsen in Münster, | |
nach Abitur Besuch der Hochschule für Nautik in Bremen. 18 Monate Praktikum | |
auf See als Kapitänsanwärter. Wechselte dann aber zur damals berühmten | |
Reform-Uni Bremen, absolvierte ein Biologiestudium und schloss mit Diplom | |
ab. Vier Semester als Hiwi mit Dissertationsperspektive folgten. Davor | |
Teilnahme an Ökoseminaren im Parzival-Hof der „Stiftung Leben & Arbeiten“. | |
1977 Mitbegründer der SV-KOOP und Heirat. Abbruch des | |
Dissertationsvorhabens, stattdessen Aufbau eines landwirtschaftlichen | |
Betriebes. Er war zuvor bereits seit Ende der 70er Jahre in der | |
„Bürgerinitiative Hollerland“ aktiv und half mit, diese alte, einst von den | |
Holländern geschaffene Kulturlandschaft vor der Bebauung mit einer | |
Trabantenstadt zu bewahren. Anfang der 90er Jahre endlich wurden 293 Hektar | |
auf Druck der Aktivisten unter Naturschutz gestellt. Johannes gründete | |
zusammen mit anderen die „Rindergilde“. Seit 1992 betreibt er einen | |
landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb ohne Hof, aber mit 30 | |
Gallowayrindern auf gepachteten Flächen im Naturschutzgebiet. Im Jahr 2000 | |
Umstellung auf Vollerwerbsbetrieb. Er war Mitbegründer der „Freien | |
Kinder-Schule“ Bremen und Mitbegründer der Bremer „Erzeuger- und | |
Verbraucher-Genossenschaft“, die seit 26 Jahren die regionalen Bioprodukte | |
ihrer Produzenten über einen Bauernladen verkauft. 2008 erwarb er seinen | |
Hof in Schwarme. Johannes Schettler beschäftigt sich außerdem mit | |
Philosophie, Politik und Kulturkritik. 1989 lernte er den Kulturkritiker | |
Ivan Illich kennen, der bis zu seinem Tod 2002 an der Uni Bremen | |
außergewöhnliche Vorlesungen hielt. Johannes gehörte bald zum Kreis der | |
Schüler und Freunde, er gründete mit anderen 1990 eine Diskussions- und | |
Lesegruppe, die sich bis 2012 gehalten hat. Johannes wurde 1955 in | |
Lübbecke/Westfalen geboren, der Vater war Orthopädiemechaniker, | |
Prothesenbauer an der Uniklinik Münster, die Mutter arbeitete als | |
technische Zeichnerin. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat aus erster | |
Ehe einen Sohn. | |
Der Hof von Johannes liegt in Niedersachsen, in Schwarme, etwa 30 Kilometer | |
entfernt von Bremen. Das Land ist flach mit schwärzlicher Erde, geprägt | |
durch Felder, Weiden, schüttere Baumbestände und gepflegte | |
Niedersachsenhäuser aus rotem Backstein. Seine Hofstelle ist eher klein, | |
mit großen alten Bäumen bestanden und liegt abseits des Ortes. Da es gerade | |
viel geregnet hat, scheint alles in schwarzem Matsch zu versinken, die | |
Traktoren, die landwirtschaftlichen Geräte, der Pferdetransporter, die | |
Holzschuppen, der bunte Hahn und seine Hennen, die Heuballenstapel und auch | |
die beigefarbenen lockigen Rinder hinter dem Zaun. Nur die weißen Flug- und | |
Warzenenten bewegen sich makellos und beglückt durch Matsch und Pfützen. | |
Sie fauchen leise, nah an meinem Hosenbein. | |
Johannes hat mich in Bremen am Bahnhof abgeholt, zeigt kurz in die Runde | |
und führt mich in sein Haus aus rotem Backstein, in eine wunderbar warme | |
Wohnküche. Seine Frau Susa hat bereits Tee gekocht und einen wunderbar | |
duftenden Apfelkuchen gebacken. Im alten Küchenofen knistern die | |
Holzscheite, die Katzen streichen um unsere Beine und ein kleiner brauner | |
Yorkshireterrier schaut erwartungsfroh zum Tisch herauf. Die Idylle | |
täuscht. Johannes ist einer jener Vertreter der kleinbäuerlichen | |
Landwirtschaft, die dem ungehemmten Verdrängungswettbewerb der großen | |
ausgesetzt sind. Verträge wie TTIP lehnt er rigoros ab. | |
„Also mein Betrieb umfasst zurzeit das Hofgebäude hier, die Stallungen für | |
das Geflügel, die Gehege. Im Naturschutzgebiet Hollerland, in | |
Hagen-Grinden, in Felde und Schwarme habe ich noch 26 Hektar Land, wovon 3 | |
Hektar hier eigenes Land sind. Momentan besitze ich 40 Rinder, Galloways, | |
10 Mutterkühe, der Rest ist Nachwuchs. Die Gallowayrinder sind eine sehr | |
alte Rasse, wurden schon von den Römern erwähnt. Sie stammen ursprünglich | |
aus dem Südwesten von Schottland, sind klein, friedfertig, genügsam. Sie | |
werden nicht hochgezüchtet und leben ganzjährig auf der Weide. Man hat | |
herausgefunden, dass durch ihre Beweidung sich die Artenvielfalt der | |
Pflanzen auf diesen Flächen erhöht. Sie bekommen Heu zugefüttert und im | |
Winter jeden Tag zwei bis drei Schubkarren Kartoffeln, von einem Biobauern | |
aus Sulingen. Das Heu stammt von meinen eigenen Flächen im | |
Naturschutzgebiet Hollerland, da mache ich im Jahr so 200 bis 300 | |
Rundballen. Biobetriebe übrigens dürfen nicht mehr Tiere halten, als sie | |
mit ihren Weide- und Ackerflächen ernähren können. Dann habe ich noch 20 | |
Flugenten und etwa 25 Hühner. Enten und Eier verkaufe ich ab und zu im | |
Bekanntenkreis. Voriges Jahr hatte ich 50 kleine Enten, die Hälfte hat der | |
Fuchs beziehungsweise die Füchsin weggeholt. Vier Junge hatte die Füchsin, | |
ich habe sie in der Dämmerung im Graben hinten gesehen. Na gut, die müssen | |
ja auch mal was fressen. Sie kommt ja zum Glück nicht jedes Jahr. | |
## Einnahmequelle Fleisch | |
Meine Haupteinnahmequelle ist ja das Fleisch. Die gesamte Milch lasse ich | |
den Kälbern. Durch die Lebensweise der Tiere ist das Fleisch sehr gut, auch | |
sehr gesund, es hat einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren. Vor | |
allem die Linolensäure ist ein Schutzfaktor gegen Herz- und | |
Kreislauferkrankungen. Seit Ende der 90er Jahre beliefere ich den | |
Bauernladen und komme zwei- bis dreimal pro Woche nach Bremen. Von | |
September bis Mai wird jeden Monat ein drei Jahre alter Bulle in einer | |
kleinen Schlachterei in Kirchweyhe geschlachtet. Am Wochenende danach | |
machen wir im Körnerwall mit den Innereien ein schönes Schlachtfest, schon | |
seit acht oder zehn Jahren. Bis zu 30 Leute kommen manchmal. Bei mir ist es | |
so, ich verwende alles von meinen Schlachttieren, alles, was nach BSE noch | |
erlaubt ist, also Leber, Nieren, Zunge, Herz, Pansen. Sogar für Labmagen | |
habe ich eine Kundin. Pierre, ein Franzose, hat mal Pansen gemacht. Erst | |
war ich skeptisch, aber nächstes Mal hat es mir schon sehr geschmeckt. | |
Gerichte aus Hoden machen wir auch. Also wir werfen nichts weg. Nur was das | |
Fell betrifft, da hat sich bisher noch kein Abnehmer gefunden. | |
Das Fleisch hängt zehn Tage ab, wird zerlegt und ich bringe es dann zu den | |
Kunden. Es gibt immer viele Bestellungen. Auch für Salami, Schinken und | |
demnächst Bratwurst. Im Moment gibt es keine Probleme. Aber das war nicht | |
immer so. Damals in den 90er Jahren bekam ich so einen Vorgriff auf mein | |
Erbe und habe mir eine kleine Gallowayherde davon gekauft. Ein Kalb davon | |
konnte ich noch zu einem sehr guten Preis verkaufen und danach kam BSE, die | |
Preise sanken in den Keller.“ (BSE, „ bovine spongiforme Enzephalopathie“, | |
Gehirnerkrankung des Rindes, auch „Rinderwannsinn“ genant. Höhepunkt Ende | |
der 90er Jahre. Ganze Rinderherden wurden prophylaktisch getötet, besonders | |
viele in Niedersachsen. Ursache von BSE war Schlamperei bei der | |
Tiermehl-Produktion in England. Die Kadaver von infizierten Tieren wurden | |
bei zu niedrigen Temperaturen zu Tiermehl-Kraftfutter verarbeitet. Im | |
Rahmen der BSE-Krise wurde ein Verbot für die Fütterung von Rindern mit | |
Tiermehl erlassen. Anm. G.G.). „ Der Umgang mit BSE zeigt sehr gut die | |
übliche Vorgehensweise. Kopf in den Sand! In Deutschland wurde BSE ja | |
zunächst überhaupt totgeschwiegen, damit der Rindfleischmarkt nicht | |
zusammenbricht. | |
## Tötung der Exportrinder | |
Verschwiegen wurde, dass in England die Fütterung mit Tiermehl zwar | |
verboten worden war, das Futter selbst aber nicht aus dem Markt | |
herausgenommen, sondern billig verkauft wurde in Westeuropa. Und das hatte | |
Folgen. Irgendwann wollte man alle Exportrinder töten. Ich hatte eine | |
Exportkuh damals von der Rindergilde gekauft. Ich hatte aber eine | |
eidesstattliche Erklärung, dass diese Kuh niemals Kraftfutter bekommen hat. | |
Die Gallowayrinder hatten eben deswegen kein BSE, weil sie nur Gras und Heu | |
fressen, aber niemals Kraftfutter. Trotzdem sollte meine Kuh getötet | |
werden. BSE konnte nur am Gehirn des toten Tieres getestet werden. Kurz | |
bevor sie mit der Spritze kamen, habe ich sie versteckt, was ziemliche | |
Wellen geschlagen hat. Das Fernsehen aus England war da, die Zeit hat | |
berichtet. Letztendlich habe ich mich dann bei Gericht durchgesetzt. Aber | |
es war eine existenzielle Bedrohung. | |
Ich habe eigentlich mein Leben lang immer nur improvisiert, denn das | |
Ökonomische ist oft unberechenbar. Ich lebe eigentlich von der Hand in den | |
Mund. Als Betrieb bist du abhängig von Brüssel. Heute ist es so, du kriegst | |
deine Prämie nur noch für die Hektar. Je mehr Land du hast, umso mehr Geld | |
bekommst du. Inzwischen ist es egal, ob Ackerland oder Grünland, da gibt es | |
heute eine einheitliche Prämie. Die Großen, die kriegen dann aber nicht | |
zehntausend Euro, die kriegen dann mal gleich so einige hunderttausend | |
Euro, und damit kaufen sie noch mehr Land und arbeiten noch rationeller. | |
Und so fördert man, quasi über Prämien, die Durchsetzung der | |
Agrarindustrie. Das ist politisch so gewollt. Man hätte ja längst eine | |
Kappungsgrenze einführen können, soundso viel gibt es, mehr nicht. Oder man | |
hätte die Kleinen fördern können, indem man sagt, die Kleinen kriegen bis | |
20 Hektar die doppelte Prämie. Aber das wurde alles nicht umgesetzt. Die | |
Kleinen kriegen zwar etwas mehr –200 € Grundprämie und dazu50 € –, aber | |
oben wurde eben nicht gekappt. Für Ökolandwirte gibt es noch extra Prämien, | |
z. B. für die Bereitstellung ‚ökologischer Vorrangflächen‘. Bekomme ich | |
auch. Nur dadurch kann ich eigentlich existieren. Kein landwirtschaftlicher | |
Betrieb existiert ohne die Ausgleichszahlungen. Keiner! Aber der normale | |
kleine Landwirt ist dennoch am Untergehen. Durch die Preise, die heute | |
gezahlt werden, müssen viele aufgeben. Bei den konventionellen | |
Familienbetrieben hat sich die Anzahl der Höfe stark reduziert. Vor zehn | |
Jahren gab es noch mehr als eine halbe Million Betriebe, inzwischen sind es | |
nur noch zweihunderttausend. | |
Traditionell haben wir ja im Norddeutschen Milchwirtschaft, das ist hier | |
die Wirtschaft. Und oft auch ohne Ackerflächen und mit eher wenig Grünland. | |
Die füttern zwar auch eigenes Futter, aber natürlich viel Kraftfutter und | |
Futter aus dem Silo, also Mais. In Niedersachsen haben wir mit die größten | |
Maisanbaugebiete Deutschlands. Bei uns kann durch Trockenlegung | |
mittlerweile auch im Moor Mais angebaut werden. Diese schlimme Entwicklung | |
ist bereits vor ein paar Jahrzehnten angelaufen und hat zur Folge, dass die | |
Milch im Grunde genommen aus dem Kraftfutter gemolken wird. Für 24 Cent pro | |
Liter Milch!! Das bei den Biobauern anders. Biomilchbauern verwenden | |
erstens kein Kraftfutter und sie können im Moment recht unbesorgt | |
überleben, weil sie einen guten Preis erzielen. Viele konventionelle | |
Landwirte jedoch haben Probleme und nutzen zusätzliche Einnahmequellen. Bei | |
der Lösung der Probleme in der Landwirtschaft, da fehlt es einfach am | |
politischen Willen, auch bei den Bauernverbänden und bei den Bauern selbst. | |
Ein gutes Beispiel für das Beharren auf einem vollkommen falschen Modell | |
ist die Biogas-Geschichte. Wenn grüne Landwirtschaft zu massenhafter | |
Monokultur führt, zum massenhaften Verbrauch von synthetischem Dünger und | |
wenn das dann auch noch hoch subventioniert wird, dann stimmt was nicht. | |
Künast war als Verbraucherministerin gut bei BSE, aber bei Biogas, da hat | |
sie vollkommen versagt, total danebengelegen. Sie versprach den Bauern, sie | |
würden die Ölscheichs von morgen werden. | |
## Biogas ohne jede Auflage | |
Als das anfing, damals 2002, da habe ich schon gesagt, so geht das nicht! | |
Ich habe Biologie studiert und mein erstes Projekt war: ‚Biologische | |
Aspekte alternativer Technik‘. Vor 40 Jahren haben wir uns schon in einem | |
selbst organisierten Studentenprojekt mit Biogas beschäftigt. Damals war es | |
selbstverständlich, dass man Biogas ausschließlich aus Abfällen herstellt. | |
In Indien hatten sie damals schon zigtausend Kleinanlagen mit Fäkalien | |
laufen, in China haben sie sogar Lokomotiven mit Fäkalien betrieben, und | |
auch hier in Norddeutschland gab es damals schon an die zehn Anlagen. Als | |
Künast das dann später so um 2002 propagierte, und das ohne jede Auflage | |
und Förderung einer konsequenten Abfallverwertung, da war mir sofort klar, | |
das funktioniert nicht. Man kann doch nicht Futter- und Lebensmittel in | |
solche Anlagen reingeben und das dann auch noch subventionieren! Das geht | |
einfach auch vom Moralischen her nicht. | |
Heute hast du an jeder Ecke eine Biogasanlage, nicht nur die kleinen, auch | |
die ganz großen. In ganz Deutschland gibt es inzwischen so um 9.000 | |
Anlagen. Nach Bayern ist Niedersachsen die Nummer zwei. Man sieht fast nur | |
noch Mais. Der ist ein enormer Zehrer, der ganze Humus geht weg. Wir haben | |
hier Richtung B6 eine riesige Anlage, und ich möchte nicht wissen, wie viel | |
hundert Hektar Land der dafür braucht, 800 oder so was. Dazu hat er auch | |
noch Milchwirtschaft. Der hat jetzt gerade das Feld dort drüben mit | |
dazugepachtet. Das ist übrigens auch wieder so ein Aspekt, wo die kleinen | |
Betriebe dann das Nachsehen haben. In den Biogasregionen stiegen die | |
Pachtpreise so sehr, dass die Landwirte sie gar nicht mehr zahlen können. | |
Es gibt immer weniger Land. Ich zahle inzwischen hier eine horrende Pacht | |
von bis zu 350 Euro pro Hektar, für Grünland! Das kann man gar nicht | |
erwirtschaften. Früher habe ich maximal 100 DM gezahlt. Die Großen, so wie | |
er, wenn sie Biogasanlagen haben und Subventionen bekommen, die können das | |
realisieren und immer mehr Land dazupachten. Solche Betriebe wachsen | |
permanent. Während die Kleinen hier massenhaft aufgeben. Das ist ihre | |
einzige Alternative. | |
Immer zur Grünen Woche ist seit 2011 eine große Bauern-Demo, sie trägt den | |
schönen Titel ‚Wir haben es satt‘. Also wir haben die Agrarindustrie satt, | |
die Vergiftung unserer Böden, das Elend in der Massentierhaltung usw. Wir | |
fordern Größenbeschränkungen für Stallungen, eine artgerechte Tierhaltung, | |
regionale Futtermittelerzeugung, Freiheit für Saatgutvielfalt statt | |
Konzern-Einheitssaatgut, und wir fordern das Verbot von Glyphosat und | |
anderen krebserregenden Herbiziden oder Pestiziden. | |
## Recht auf gesundes Essen | |
Alle haben ein Recht auf gesundes und bezahlbares Essen, weltweit! 30.000 | |
bis 40.000 Teilnehmer haben demonstriert für die grundsätzliche Agrarwende. | |
Es gibt ein breites Spektrum, mehr als 40 Organisationen beteiligten sich, | |
zum Beispiel der BUND, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, | |
Demeter, Oxfam, Nabu und natürlich viele kleine Gruppen und Einzelpersonen. | |
Viele Bauern kommen mit ihrem Traktor, und es gibt viele witzige Wagen. | |
Demonstriert wurde auch gegen den Anbau unserer Futtermittel in Afrika und | |
Südamerika, denn dort wird die Umwelt massiv zerstört, damit wir hier | |
unsere Milch und unser Fleisch produzieren und unsere Überschüsse wiederum | |
in arme Länder exportieren können, wo sie die einheimischen Märkte kaputt | |
machen. | |
Unser Deutscher Bauernverband sucht ja immer noch das Heil im Export. Und | |
er ist auch für TTIP. Die kleinen Bauern hingegen – auch die | |
konventionellen – sind mehrheitlich dagegen. Die Demo richtete sich massiv | |
gegen das TTIP-Abkommen. Also, es gibt viele Themen und viele verschiedene | |
Teilnehmer. Und alle sind sich darin einig, dass es so nicht weitergehen | |
kann! | |
Wir möchten keine Agrarindustrie. Dieser Wachstumswahn ist tödlich. Jeder | |
Mensch, der mal nach draußen guckt, kann sehen, der Baum wird nicht höher | |
als so und so hoch. Der wird nicht doppelt so hoch. Mit einer Wirtschaft, | |
die nur funktioniert, wenn sie ununterbrochen wächst, da stimmt was nicht. | |
Man kann das jede Woche lesen, in den einschlägigen Organen, zum Beispiel | |
in Land & Forst, wo den Bauern eingehämmert wird: Wir müssen auf große | |
Ställe setzen, auf Glyphosat, auf Wachstum und auf Export. Das Prinzip des | |
Wachsens und Weichens lässt sich aber nicht endlos weitertreiben. Die | |
Ressourcen sind begrenzt, das weiß jedes Kind. Dennoch setzen alle auf | |
Wachstum, auch die Grünen und selbst die Linke. Aber es kann nicht | |
funktionieren. Man hätte längst eine Arbeitsgruppe einrichten müssen für | |
eine alternative Wirtschaft, damit man in 5 oder 10 Jahren – spätestens | |
dann, wenn hier alles zusammenbricht – eine Alternative hat. | |
Daran muss man jetzt arbeiten, nicht erst dann, wenn es zu spät ist! Was | |
die Landwirtschaft angeht, so müssen die regionalen Versorgungskreisläufe | |
weiter ausgebaut und gestärkt werden. Und natürlich die ökologische | |
Lebensmittelerzeugung. Mir persönlich ging grad in den letzten Tagen so | |
durch den Kopf, dass ich, als sehr kleiner Betrieb, doch tatsächlich so | |
einige Städter in Bremen mit sehr vielem versorge. Auf dem Wagen draußen, | |
das hast du vielleicht gesehen, liegt Holz. Das kriegt mein Kumpel für | |
seinen Lehmofen. Und den Saft bringe ich auch in die Stadt. Ich habe | |
nämlich so eine alte Apfelplantage gepachtet – und letztes Jahr war die | |
Ernte so gut, also ich habe über 2.000 Liter Saft gemacht. Ich tausche auch | |
oder gebe was ab an Freunde, die mir helfen. Also ich liefere Fleisch, | |
Eier, Holz, Saft. Dann habe ich ein paar Leute, die Kaninchen halten, | |
Wachteln oder auch Ziegen, denen liefere ich Heu und Stroh. Das ist zwar | |
alles sehr kleinteilig, wenn man so will, aber es ist ein lebhafter | |
Austausch, auch sozial. Man kennt sich seit Jahrzehnten. So eine regionale | |
Wirtschaft ist etwas sehr Gutes. Mein Nachbar hat seit 30 Jahren einen | |
Biobetrieb und hat – ebenso wie ich – damals vor 26 Jahren diese | |
‚Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft‘ EVG mitgegründet. Zuvor hatten wir | |
die 1977 gegründete Selbstversorgungs-Kooperative. Die EVG ist so eine Art | |
Modell geworden für die Gewährleistung regionaler Versorgung. Das Ganze | |
läuft auf Mitgliedsbasis, damit man verlässlich kalkulieren kann. Also | |
einkaufen können im Bauernladen nur Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag liegt | |
monatlich bei 12 Euro beziehungsweise bei 24 Euro für zwei Personen. Wir | |
sind so etwa 20 Erzeuger, dazu gehören Bauern, Obsterzeuger, Bäcker, | |
Käsereien, Imker, Metzger, Gärtner, eben Betriebe aus Bremen und dem | |
Umland. Die Genossenschaft hat 600 Mitglieder. Ungefähr 160 Haushalte | |
decken ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln, übrigens vorwiegend zum | |
Selbst-kostenpreis, über den Bauernladen. | |
Also der Laden macht keinen Profit als Zwischenhandel, sondern er ist | |
sozusagen ein verlängerter Marktstand, hinter dem zwar jetzt nicht der | |
Bauer selbst steht, aber ein städtisches Mitglied der Genossenschaft. | |
Dadurch können die Preise wesentlich niedriger gehalten werden als im | |
Biosupermarkt. Der Bauernladen verkauft auch einige Dinge, die nicht | |
saisonal oder regional sind, weil wir sagten, Handelsware muss auch sein. | |
Also fair erzeugten Kaffee oder Kosmetik mit einem etwas höheren Aufschlag. | |
Ein großer Teil der Arbeit und Koordination findet ehrenamtlich statt. Was | |
wir auch noch haben, ist eine Gemüsekiste zum Abonnement, das organisiert | |
eine eigene GmbH, unterhalb der EVG, die kaufen direkt bei den Bauern. | |
Solche Genossenschaften gibt es mittlerweile in vielen Städten, in Lübeck | |
zum Beispiel, wo das aber nicht, wie bei uns, so selbst gestrickt ist. Die | |
machen das richtig professionell und haben ein halbes Dutzend eigener | |
Läden. Das ist allerdings nicht das, was wir hier wollten. Raiffeisen – | |
während der 48er Revolution gegründet zur Unterstützung armer Bauern – war | |
auch mal eine Genossenschaft … | |
Also es geht nicht mit Wachstum. Im Gegenteil, die Wirtschaft muss | |
schrumpfen. Wir brauchen den Export landwirtschaftlicher Güter nicht. Wir | |
müssen für die regionalen Märkte saubere und gesunde Lebensmittel | |
produzieren. Was wir dringend brauchen, ist eine Mengenregulierung. Die | |
Milchquote war sicher nicht die Lösung des Problems, aber ihr Wegfall im | |
April 2015 hat die Preise in den Keller fallen lassen, und das führte | |
wiederum zu einer Erhöhung der Produktion. Ein Überangebot ist die Folge. | |
Diese Milch muss ja irgendwo hin, also geht sie in den Export. Das ist | |
alles purer Wahnsinn! Man müsste vielleicht erst mal was einführen, was es | |
früher bei den Rüben gab, A-und B-Kontingente, was drüber lag über der | |
Sollmenge wurde sehr viel niedriger vergütet. Eine andere Möglichkeit ist – | |
was zum Teil auch von den grün regierten Ländern umgesetzt wird – die | |
Bezahlung einer Grünlandprämie für Weidemilch. Das hat zugleich für die | |
Kühe den Vorteil, nicht lebenslänglich einsperrt zu sein. Also wenn du | |
jetzt 50 oder 100 Kühe hast und du hast arrondierte Flächen, das heißt | |
Weideflächen in Hofnähe, dann kannst du die wechselweise auf die Weide | |
lassen. Wenn das aber 200 und mehr sind, dann geht das schon nicht mehr. | |
Und man könnte so die Größe von Ställen entsprechend reduzieren. | |
## Qualzuchten beenden | |
Und man könnte auf diese Weise auch diese Qualzuchten der Turbokühe beenden | |
und zurückkehren zu den früheren Lebensleistungs-Milchkühen, zu | |
Milchleistungen, die ja vollkommen ausreichend sind für die Versorgung. Das | |
gibt es im Biobereich, dass man bestimmte alte Rassen wieder rauszüchtet. | |
Also ich bin ja kein Milchbauer – ich lasse meine Milch ja den Kälbchen –, | |
deshalb bin ich nicht so mit den Details vertraut, aber so viel ist ja | |
allgemein bekannt: Die Hochleistungskühe halten die Strapazen nicht lange | |
aus, nach vier Jahren werden sie geschlachtet.“ (Eine Kuh kann bis zu 25 | |
Jahre alt werden. Die natürliche Milchmenge für ihr Kalb liegt bei circa | |
8–9 Litern am Tag. In den 70er Jahren waren es etwa 11 Liter täglich. Die | |
züchterische Milchleistungssteigerung einer ,,Turbokuh“ liegt heute bei bis | |
zu 40 Liter täglich. Anm. G.G.) | |
„Diese massiven züchterischen Steigerungen von Leistung und | |
Wirtschaftlichkeit sind auch bei den anderen Nutztieren vorgenommen worden, | |
beim Geflügel, bei der Ferkelerzeugung, aber da kenne ich mich auch nicht | |
so aus. Ich weiß nur, dass es im Biogeflügelbereich eine | |
‚Bruder-Hahn-Initiative‘ gibt, den Versuch, eine sogenannte | |
Zweinutzungsrasse zu entwickeln, wo man dann die männlichen Küken nicht | |
mehr tötet, sondern sie als Masthähnchen heranwachsen lässt. Also ich bin | |
ja kein Züchter, ich lasse meine Hühner und Enten einfach so heranwachsen. | |
Ich gehe gern mal auf den Viehmarkt und kaufe dann auch etwa Geflügel. | |
Letztens habe ich Streichelenten gekauft.“ Er lacht verlegen und erklärt: | |
„Ja, die lassen sich streicheln, jedenfalls meistens. Der Erpel allerdings | |
war ein bisschen grantelig, wenn man ihn aber im Nacken streichelte, dann | |
wurde er ganz zahm. Die sind nun leider weggeflogen, die beiden. Aber die | |
kommen zurecht. Da bin ich sicher. | |
Ich glaube, ich habe jetzt so ungefähr geschildert, was alles eine Rolle | |
spielt bei einem kleinen Betrieb wie meinem und was für Gefahren drohen. | |
Bei diesem Stichwort möchte ich zum Schluss noch etwas sagen, was mir sehr | |
am Herzen liegt: Derzeit werden in Deutschland jährlich etwa 6.000 Tonnen | |
glyphosathaltige Mittel verkauft, sie landen auf 30 bis 40 Prozent der | |
Ackerflächen. Anfang März will die Europäische Union darüber entscheiden, | |
ob Glyphosat für mindestens zehn weitere Jahre auf unsere Äcker gespritzt | |
werden darf. Obwohl die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO | |
Glyphosat als ‚wahrscheinlich krebserregend‘ eingestuft hat, wird es wohl | |
zu einer Wiederzulassung kommen, auch weil unser Bundesinstitut für | |
Risikoforschung es als ‚nicht krebserregend‘ bezeichnet. In der | |
Bundesrepublik und auch in der EU gilt aber das Vorsorgeprinzip, und zwar | |
nach dem Prinzip der Beweislastumkehr, das bedeutet, dass behördliche | |
Maßnahmen nicht erst beim Nachweis, sondern bereits bei einer | |
wahrscheinlichen Schädlichkeit eines Stoffes greifen sollen. Wir fordern, | |
dass das Anwendung findet!“ | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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