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# taz.de -- Sing mit!
> Westdrall Lockeres, gemeinsames Musizieren in der Art der US-Folksänger:
> Das sogenannte Hootenanny löste in der DDR der Sechziger einen Boom aus.
> Das Festival Musik und Politik feiert nun Amerika im Osten
Bild: Locker wie Pete Seeger und Woody Guthrie: Probe des Max-Reimann-Ensembles…
von Robert Mießner
Am 25. Februar 1967 erschien in der jungen Welt, damals Tageszeitung der
DDR-Jugendorganisation FDJ, ein Leserbrief: „Ich frage mich, wer und was
manche dazu zwingt, Maschen mitzumachen, die in einer Welt gestrickt sind,
die nicht die unsrige ist.“ Von welcher Masche war die Rede, was war
geschehen?
Ein Jahr zuvor, am 15. Februar 1966, war im Gebäude des Ostberliner Kinos
International der Hootenanny-Klub Berlin gegründet worden. Hootenanny? Der
Leserbriefschreiber: „Das unverständliche Wort kommt aus dem
Amerikanischen.“ Es kommt aus dem Schottischen, doch bezeichnet es in der
Folktradition der nordamerikanischen Linken tatsächlich ein entspanntes,
künstlerisch-kulinarisches Beisammensein. Die Almanac Singers, Pete Seegers
und Woody Guthries Folkgruppe, nannten so seit Anfang der 40er Jahre ihre
wöchentlichen Partys zur Finanzierung der Miete.
## Progressiver Charakter
Nach Ostberlin gelangte das unverständliche Wort durch den kanadischen
Folksänger Perry Friedman. Er war, nach dreijähriger Wanderarbeit durch
Nordamerika, 1959 in die DDR gegangen, sodass dort die ersten Hootenanys
bereits 1960 stattfinden konnten. Immerhin! Das lockere gemeinsame
Musizieren, Joan Baez sollte Hootenanny im Folk die Rolle der Jamsession
im Jazz zusprechen, löste in der DDR durchaus einen Boom aus. Es entstanden
Rundfunk-, Fernseh- und Plattenproduktionen. Und beinahe hätte Hootenanny
sogar eine eigene Zeitschrift bekommen.
Beinahe, denn der Leserbriefschreiber fragt weiter, warum man den fremden
Terminus „der viel einfacheren Bezeichnung Sing-mit-Klub (als Beispiel)
vorzieht. Das gemeinsame Singen ist doch nicht etwa in Amerika erfunden
worden? Auch ist der progressive Charakter dieser Bezeichnung keineswegs
eindeutig.“
Am Tag, da dies gedruckt wurde, hatten sich die Ostberliner Hootenannys
bereits umbenannt und firmierten fortan als Oktoberklub. Wie die DDR
bestand die doch deutlich offiziöse politische Liedgruppe bis 1990. Ihr
ungeordneter Vorgänger wurde gerade mal ein Jahr alt. Der Hootenanny-Klub
Berlin war am 15. Februar 1966 im Gebäude des Ostberliner Kinos
International gegründet worden.
Die Nachfeier seines fünfzigsten Geburtstags findet dieses Wochenende mit
der Ausstellung „Hootenanny ’66“ statt – sie eröffnet das diesjährige
„Festival Musik und Politik“, das wiederum Nachfolger des vom Oktoberklub
gegründeten und von der FDJ von 1970 bis 1990 ausgerichteten „Festivals des
politischen Liedes“ in Ostberlin ist. Der Autor und „Musik und
Politik“-Organisator Lutz Kirchenwitz, damals selbst aktiv, spricht von
Hootenanny als einem Beispiel „für eine sehr demokratische, improvisierte
und engagierte Kunstform“.
Man könnte es sich einfach machen und an dieser Stelle meinen: zu
demokratisch, zu improvisiert und zu engagiert für die DDR. Man sollte sich
das Naheliegende verkneifen. Gesichert ist: Die Umbenennung des Berliner
Hootenanny-Klubs folgte auf eine Kampagne gegen den „Westdrall in einigen
Kulturinstitutionen“. Wie spontan der Verfasser des obigen Leserbriefes
handelte, möchte man ihn gern fragen. Dem gegenüber steht, dass die
Gründung des Klubs, unter Beteiligung der FDJ-Bezirksleitung und des
Jugendradios DT 64, nach dem 11. Plenum des ZK der SED erfolgte – es ist
als kulturpolitischer „Kahlschlag“ in die Geschichte eingegangen.
## Sag mir, wo du stehst
Die berechtigte naheliegende Frage, wie sich das denn anhörte, beantwortet
eine parallel zur Ausstellung erschienene CD auf Bear Family Records.
„Hootenanny in Ostberlin“ gibt eine Ahnung davon, was da zusammengeführt
wurde: Standards wie „Careless Love“, von Perry Friedman zum Banjo
gesungen, gleich darauf ein Volkslied aus dem Hessischen. Nicht etwa
irgendeins, sondern „Zwischen Berg und tiefem Tal“. Sehr packend ist Lin
Jaldatis Version des jiddischen „As Der Rebbe Weijnt“. Manfred Krug ist
dabei. Und ein späterer DDR-Klassiker: Hartmut Königs „Sag mir, wo du
stehst“.
Der Song übrigens wurde in den späten Achtzigern von der Erfurter Punkband
Naiv gecovert, als sich die Jugend längst vom Staat verabschiedet hatte. Es
lag, um mit Bob Marley zu schließen, nicht an ihr.
Das Festival beginnt am Freitag mit Konzerten in der Waabe und im Bi Nuu.
Programm:
www.musikundpolitik.de/festivalinformationen/festival-musik-und-politik-201
6/
26 Feb 2016
## AUTOREN
Robert Mießner
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