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# taz.de -- 51. Solothurner Filmtage: Romantisch-elementare alte Hüte
> Die Filmtage erinnerten dieses Jahr unter anderem mit einer Retrospektive
> an das Schaffen des großen Züricher Regisseurs Peter Liechti.
Bild: Abendstimmung in Solothurn
Eines Vormittags steht Reto Andrea Savoldelli auf einer kleinen Bühne im
Uferbau-Kino im schweizerischen Solothurn. Der Tag war mit einem Nebel
hereingebrochen und über dem Fluss Aare, der Vor- und Altstadt voneinander
trennt, liegt jetzt schöner, verwunschener Nebel. Er passt gut zu
Savoldelli und seinem Film „Stella da Falla“ (1971). Auch dieser kommt mit
romantisch-elementarer Naturhaftigkeit daher. Warum das so ist, dafür
findet der erste Satz zur Filmbeschreibung die treffenden, weil absurden
Worte: „Elima wächst im Mittelalter bei seiner Mutter auf.“
Mittelalter meint: irgendwo in einem Wald, wo eine andere Sprache
gesprochen wird und man Hüte mit langen Federn trägt. Doch irgendwann ist
es für Elima aus mit dem Idyll. Der Vater kommt angeritten und fordert den
jungen Mann auf, in die Welt hinauszuziehen. Elima wird aus dem Paradies
gestoßen, um andere, von Menschen geschaffene Paradiese (und Höllen)
kennenzulernen.
Wie das alles ausgeht, verrät Savoldelli kurz vor der Vorführung, während
er auf dieser Uferbau-Bühne steht. Denn schließlich habe man es mit einem
Director’s Cut seines Films zu tun, anders als bei der Version von 1971,
die bei den Solothurner Filmtagen zu sehen war – einige im Publikum werden
sich noch erinnern. Letztere sollen sich nicht wundern. Wesentliches sei
immer noch enthalten.
Märchenhaftes, Spirituelles, möglicherweise Esoterisches, Mutter- und
Vaterenergien. Dann tritt der Regisseur ab, um einer jüngeren Version
seiner selbst Platz zu machen. Savoldelli spielt/ist Elima: Da badet ein
hagerer, androgyner Langhaariger also in Waldbächen, erklimmt Berggipfel
und tut körperliche Arbeit. Bis die Stadt kommt. Und mit ihr die reichen
Damen und belockten Jünglingsköpfe, das süße Leben eben, die Motorräder und
das ganze Arsenal psychedelischer Freimütigkeit.
## Berge im Nebel
„Berg-Experimente“ lautet die Programmschiene während der 51. Filmtage,
ausgetüftelt in Kooperation mit dem Alpinen Museum Bern, die ein geeignetes
Habitat für einen Film wie „Stella da Falla“ bot. Doch nicht nur ihm.
Regisseur Christian Schocher ließ in seinem Alpenwestern „Das Blut an den
Lippen des Liebenden“ (1978) einen stoischen Helden heimkehren. Und den
Filmemacher und Künstler Mattias Caduff sah man in „Gespräch im Gebirg“
(2000) sich abarbeiten, und zwar am gleichnamigen Text Paul Celans.
Gegen Ende des Films ist eine Wohnung mit dessen Worten beschrieben, sind
die Sätze des Lyrikers von Caduff verlesen, ist eine imaginäre Bergkette
überquert. Es sind dann eben doch die Berge, um die es immer wieder geht,
ganz unverhohlen, und auch in Solothurn sind einige von ihnen manchmal zu
sehen, zumindest dann, wenn es nicht gerade nebelt.
In Peter Liechtis „Ausflug ins Gebirg“ (1986) versinken die Gipfel hin und
wieder in Gewittern, dann kracht es ganz plötzlich und Liechti, Regisseur,
Kameramann und Hauptdarsteller seines Films, schreckt vor den deutschen und
österreichischen Touristen zurück. Oder er kämpft mit einem saftigen Stück
Himbeertorte; oder einem Batzen Frühstück, das ihm die kampflustige Wirtin
serviert. Und während der Liechti im Film mit Mahlzeiten und Bergen fertig
werden muss, versammelt sich in der Realität – im Landhaus, wo im
Vorbeigehen die herrliche Kreuzackerbrücke zu streifen ist – die Schweizer
Filmszene, die um Peter Liechti trauert. Dem 2014 Verstorbenen stellen die
Solothurner Filmtage den Rahmen, um seinen unvollendet gebliebenen letzten
Film zu präsentieren.
## Ding der Unmöglichkeit
Ein Ding der Unmöglichkeit, das Werk eines Künstlers nach dessen Tod zu
vollenden. Liechtis Witwe Jolanda Gsponer und zahlreiche Wegbegleiter haben
jenen Versuch nicht erst unternommen, sondern aus 15 Minuten Rohschnitt,
einigen Sequenzen und vielen Seiten verfasster Notizen, die, wie alle Texte
Liechtis, eine ganz eigenständige literarische Qualität besitzen, eine Art
Triptychon erarbeitet.
Es setzt sich aus dem Film „Dedications – die Lesung“ zusammen, in dem
Peter Liechti in seinem Atelier beim Vorlesen seines Spital-Tagebuchs zu
sehen ist; einer Installation und einem Buch. Auf der Landhaus-Bühne kommen
mehr und mehr Projektbeteiligte zusammen. Ein Satz fällt: „So viele braucht
es, um einen einzigen Künstler zu ersetzen.“
3 Feb 2016
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Filmgeschichte
Film
Filmtage
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