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# taz.de -- Blick auf den eigenen Blick
> Performance Das Wiener Kollektiv God’s Entertainment fordert: „Deutsche,
> integriert euch!“ Eine Woche lang kann man die eigene
> Integrationsfähigkeit testen lassen
Bild: Vorurteile verunsichern: Integrationswilliger im „Integrationslager“ …
von Robert Matthies
Integrationskurse mit Zertifikat, Sprachprüfungen, Leitkultur. Wenn von
Integration die Rede ist, dann ist das fast immer nur als Forderung an
diejenigen formuliert, die neu hinzukommen. „Aber Integration ist keine
Einbahnstraße“, sagt Boris Ceko vom experimentellen Wiener
Performance-Kollektiv God’s Entertainment. Eigentlich sei der ganze Begriff
irreführend: Warum sollten sich nur die Minderheiten an die Mehrheit
anpassen und nicht umgekehrt?
Auf den Kopf stellen und in die Öffentlichkeit bringen möchten die
österreichischen Künstler deshalb nun die ganze Debatte. „Deutsche,
integriert euch!“, fordern sie und bieten mitten auf der Großen Bergstraße
in Altona mit einem „Integrationslager“ ganz praktisch Hilfestellung:
Freiwillige PassantInnen können dort von Montag bis Samstag jeden
Nachmittag mit einem „Fremdscanner“ die eigene Integrationsfähigkeit und
-willigkeit testen lassen. Und bekommen anschließend ein individuell
zugeschnittenes Integrationspaket verpasst: ein kleines für
Fortgeschrittene, ein mittleres für Anfänger mit Vorerfahrungen und ein
großes Paket für all jene, für die Integration noch etwas ganz Fremdes ist.
Neu ist die Idee ist nicht. 2012 haben die Performancekünstler im Rahmen
der Wiener Festwochen mit einem ähnlichen Lager für „waschechte“ Wiener f…
Furore gesorgt. Unter anderem ein Jörg-Haider-Casting, Kopftuchtraining und
Zwangsverheiratung boten sie dort an. Eine „Ungeheuerlichkeit der
Sonderklasse“ sei die Aktion, echauffierte sich nicht nur die
kulturpolitische Sprecherin der FPÖ. Auch die Passanten wurden mitunter
handgreiflich, erzählt Ceko. „Wir hatten mehr Probleme, die Leute zu
beruhigen, als sie hereinzukriegen.“
Angelegt war das Ganze als offene Versuchsanordnung: Wie kann der
individuelle Integrationsbedarf überhaupt ermittelt werden? Und wie lange
muss man im „Integrationslager“ bleiben, um einen „integrierten“ Türken
oder Schwarzen nicht mehr als solchen wahrzunehmen? Im Vorfeld hatten die
Performer an Informationsständen in allen Wiener Bezirken ermittelt, welche
Minderheiten als besonders problematisch empfunden werden.
## „Zigeuner“ oder Heidi Klum
Anschließend entwickelten sie Geräte, mit denen sich „Vorurteilsschleifen“
überprüfen lassen. Wohin etwa fällt der Blick als Erstes, wenn man eine
Zeitungsseite ansieht? Sieht man erst den Bericht über „Zigeuner“ oder das
Foto von Heidi Klum darunter? Als „Integrationshelfer“ haben die Performer
Vertreter der als problematisch empfundenen Minderheiten eingeladen, unter
anderem Serben, Kroaten und Bosnier, Türken und deutsche Studierende.
In Hamburg wird das Experiment um neue Fragen erweitert. Auch wenn das
Prozedere im Grunde das Gleiche sei, habe sich das Projekt durch die
Diskussion um die Flüchtlingsbewegungen des vergangenen Jahres inhaltlich
verschoben, sagt Cekos Mitstreiter Simon Steinhauser. „Die Idee ist, diese
Aktion vor dem neuen Hintergrund, mit den Flüchtlingen und dem erstarkenden
Rechtsradikalismus, neu zu produzieren“, ergänzt Kampnagel-Intendantin
Deuflhard, die die Wiener Künstler eingeladen hat.
„Es tun sich neue Fronten auf“, sagt Steinhauser. Und meint auch die zweite
und dritte Generation längst „integrierter“ MigrantInnen, von denen die
einen nun neu ankommenden Geflüchteten helfen, während die anderen sagten:
Nein, wir haben jetzt genug, es reicht wirklich. „Wir machen jetzt aber
nicht plötzlich ein Flüchtlingsintegrationsprojekt“, betont Steinhauser.
„Es geht immer noch darum: Wie läuft Integration prinzipiell?“
Sie seien „keine Therapeuten oder Psychologen“, sagt Ceko. Es gehe nicht
darum, „Minderheitenphobien“ tatsächlich zu heilen, sondern erst mal zu
verunsichern. „Wir versuchen, jeden Einzelnen dazu zu bringen, selbst zu
denken, die eigenen Augen aufzumachen“, sagt Ceko. Ein kritischer Blick auf
den eigenen Blick, mehr nicht. Statt sich auf vermeintlich bekannte
Begriffe zu beziehen, müssten sie als Frage formuliert werden: Was bedeutet
Integration heute überhaupt, was Demokratie?
Darauf ist die Antwort der Wiener dann übrigens doch ganz klar: Integrieren
müssen sich alle Angehörigen eines heterogenen Gemeinwesens – mit- und
ineinander.
Mo, 15.2. bis Sa, 20.2., jeweils 14 bis 20 Uhr, Große Bergstraße, Altona
13 Feb 2016
## AUTOREN
Robert Matthies
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