# taz.de -- Miniatur einer Bewegung | |
> FREIHANDELSABKOMMEN Besuch bei Jürgen Maier vom TTIP-Protestbündnis Forum | |
> Umwelt & Entwicklung Berlin | |
Bild: TTIP sei in Wahrheit ein Gesellschaftsvertrag, davon ist Jürgen Maier ü… | |
vonGabriele Goettle | |
„Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa | |
und den Vereinigten Staaten“ | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2013 | |
Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung in Berlin. | |
Experte für Handelspolitik und TTIP. Aufgewachsen in Tübingen. Nach dem | |
Abitur Studium der Politikwissenschaften und Amerikanistik in Tübingen und | |
Bonn. 1979, mit 16 Jahren, Mitbegründer der Grünen, später | |
Bundesvorstandsmitglied der Grünen (1987–1991). Danach freiberuflich tätig, | |
etwa Mitorganisator des Alternativ-Gipfels zum G-7-Gipfel in München 1992. | |
1993–1996 Geschäftsführer der Asien-Stiftung in Hessen. Seit 1996 | |
Geschäftsführer beim Forum Umwelt & Entwicklung. Maier wurde 1963 in | |
Böblingen geboren, sein Vater war Fließbandarbeiter bei Daimler-Benz, die | |
Mutter Hausfrau. Jürgen Maier ist verheiratet und hat ein Kind. | |
Das Forum Umwelt & Entwicklung hat seinen Sitz in der Marienstraße in | |
Berlin Mitte. Im Haus Nr. 19–20 residieren neben Rechtsanwälten auch viele | |
Alternativprojekte, wie sich auf den polierten Messingtafeln an der weißen | |
Gründerzeitfassade ablesen lässt. Im Treppenhaus herrscht mit verwaister | |
Pförtnerloge und altem Aufzug immer noch ein wenig DDR-Atmosphäre. | |
Jürgen Maier empfängt mich auf seiner Etage, die das Forum mit der | |
Initiative „Meine Landwirtschaft“ teilt. Er führt mich durch ein Gewirr von | |
Fluren, vorbei an kleinen Arbeitsräumen und Kämmerchen, zu seinem Büro und | |
erklärt: „ Wir haben hier das Glück, dass unser Hausbesitzer ein Herz für | |
solche Projekte hat wie unseres und deshalb ist die Miete erschwinglich.“ | |
Herr Maier schenkt Mineralwasser ein, rückt einen Aktenstapel zur Seite und | |
beginnt zu erzählen, wie er zum Widerstand gegen TTIP kam: | |
„Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt | |
und Entwicklung in Rio de Janeiro gegründet, als Netzwerk von | |
Umweltverbänden und Entwicklungsorganisationen zur Koordinierung deutscher | |
NGOs im internationalen politischen Prozess. Es geht um Vernetzung für | |
gemeinsame Aktionen und um Aufklärung. | |
## Wir beobachten die Diskussion schon lang | |
Wir sind seit mehr als 20 Jahren mit Welthandelspolitik beschäftigt, seit | |
Gründung der Welthandelsorganisation, haben damals eine Arbeitsgruppe | |
gegründet, die Handelspolitik macht, internationale Handelspolitik. | |
Insofern beobachten wir diese Diskussion schon sehr lang. Eine Weile war | |
das Thema nicht mehr so aktuell, aber als Anfang 2013 herauskam, dass die | |
EU über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA Verhandlungen beginnen | |
will, haben wir uns dies zum Thema gemacht. | |
Wir waren quasi das Bündnis, das die Bewegung angeschoben hat. Viele Leute | |
haben uns abgeraten, haben gesagt, das ist viel zu abstrakt, viel zu | |
kompliziert, das wird nichts. Dennoch haben wir eingeladen, ausgerechnet | |
nach Hannover, in Räume der Verdi-Geschäftsstelle. Wir hatten aufgerufen zu | |
einem ‚handelspolitischen Ratschlag‘ und zu unserer Überraschung kamen eine | |
Menge Leute aus Gewerkschaften und aus der alternativen Landwirtschaft. Man | |
wusste damals ja kaum etwas darüber, aber alle hatten intuitiv das Gefühl, | |
da braut sich was zusammen, Alarmstufe eins! Wir hatten also ins Schwarze | |
getroffen. Dort haben wir beschlossen, eine Kampagne zu gründen. | |
Ein paar Monate später – kurz nach dem G-8-Gipfel in Nordirland – kam dann | |
Obama nach Berlin und wir sagten uns, das ist der ideale Aufhänger für den | |
Start. Wir machten also eine Aktion vor dem Europäischen Haus, das quasi | |
Vertretung der EU-Kommission ist und schräg gegenüber der US-Botschaft | |
liegt, wo Demonstrationsverbot herrscht. Und der Knüller war, wir haben | |
dort ein trojanisches Pferd aufgefahren aus Holz, vier Meter hoch mit | |
Rollen – eine Leihgabe vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter –, aus | |
seinem Bauch kamen dann so ekelhafte Dinge raus wie Chlorhühnchen, | |
Hormonspritzen, Frackingbohrer und daneben haben wir auch noch ein | |
politisches Kabarett gemacht. | |
Am selben Abend waren wir in der ‚Tagesschau‘. Da war uns klar, das Ding | |
fliegt. Das war im Juni 2013, sozusagen zu Beginn der Verhandlungen. | |
Seitdem haben sich über 100 Organisationen angeschlossen und machen | |
politischen Druck. | |
Inzwischen ist die Bewegung sehr breit gefächert, die Aufgaben haben sich | |
verteilt. Es gibt zum Beispiel einen Demonstrationsträger, der im Rahmen | |
der europaweiten Aktionstage die große Demo am 10. Oktober 2015 | |
organisierte, bei der 250.000 Teilnehmer zusammenkamen. Das hat alle unsere | |
Erwartungen übertroffen, wurde aber von den Medien kaum beachtet. Und | |
natürlich die große Europäische Bürgerinitiative ‚Stop TTIP‘, die mehr … | |
drei Millionen Unterschriften in ganz Europa gesammelt hat, was unglaublich | |
viel ist, aber leider keine bindende Wirkung hat. Oder das Bündnis, das die | |
Demonstrationen ‚Wir haben es satt‘ organisiert und mehr als 40 Gruppen und | |
Initiativen vereint. Sie fordern nicht nur die Beendigung von | |
Massentierhaltung, Preisdumping und Gentechnik in der Landwirtschaft, | |
sondern beziehen auch Stellung zu TTIP und Ceta. Überall ist es zum Thema | |
geworden. | |
Ich habe in den vergangenen zwei Jahren Veranstaltungen quer durch die | |
Republik gemacht, von Schleswig-Holstein bis zum Bodensee, alle | |
proppenvoll. Je mehr die Leute über TTIP wissen, umso entschiedener sind | |
sie dagegen. Am besten besucht war die Veranstaltung in Konstanz, wo alle | |
500 Sitzplätze besetzt waren. Meist jüngere Leute, aber wenn der DGB | |
einlädt, dann kommen auch viele Ältere. Das ist für viele Leute der | |
ultimative Anschlag des Neoliberalismus auf das europäische | |
Gesellschaftsverhältnis. Es kommen im Grunde vier Sachen zusammen, die alle | |
für uns arbeiten: 1. Die Heilsversprechen der Globalisierung, an die kein | |
Bürger mehr glaubt. 2. Die vergebliche Beschwörung der transatlantischen | |
Wertegemeinschaft. 3. Die Machenschaften in den Hinterzimmern in Brüssel, | |
denen niemand traut. 4. Die strikte Geheimhaltung. Es ist Tatsache, dass | |
niemand die Dokumente zu sehen kriegt. | |
## Das Ding ist doch von Beginn an verkorkst | |
Gegen diese vier Dinge zusammen kommt kein Propagandist der Kommission oder | |
der CDU mehr an. Das Ding ist verkorkst. Von Beginn an. Eines der | |
Hauptargumente der Befürworter ist: Wir müssen gemeinsam mit den USA | |
Standards setzen, sonst machen das die Chinesen. Aber mal abgesehen davon, | |
ob das so stimmt, die Standards der USA sind ja in vielen Fällen keineswegs | |
die besten. Nur ein kleines Beispiel: In Europa sind rund 1.300 Chemikalien | |
als Kosmetikzusätze verboten – und zwar, weil wir sie für gefährlich | |
halten. In den USA sind es genau 11. Der Rest ist zugelassen. Jetzt | |
harmonisieren wir das mal, sozusagen nach der Vorgabe regulatorischer | |
Harmonisierung. Was heißt das dann? Lassen wir 650 Chemikalien zu, die wir | |
für gefährlich halten, damit wir uns in der Mitte treffen, erkennen wir die | |
Standards gegenseitig an oder was machen wir? Sich da zu einigen würde | |
bedeuten, dass wir unsere berühmte Vorreiterrolle verlieren, auch in | |
Bereichen wie kulturelle Vielfalt, Bildung, Gesundheit, Soziales, | |
Sicherheit, Datenschutz, und bald gar keine Standards mehr durchsetzen | |
können, auch keine Verbesserungen mehr. | |
## Diese Fiktion ist eine absolute Sauerei | |
Natürlich gibt es ein paar Bereiche, wo die Amerikaner höhere Standards | |
haben als wir, etwa bei der Finanzmarktregulierung, das ist klar, aber | |
damit kommen sie dann dort unter Druck, falls es nicht ausgeklammert wird. | |
Es wird jedenfalls nicht auf höchstem Niveau harmonisiert werden, das | |
glaubt doch kein Mensch! Und es gibt ja nach 20 Jahren Nafta, also dem | |
Nordamerikanischem Freihandelsabkommen, ganz konkrete Erfahrungen mit | |
Arbeitsplatzvernichtung und dem Sinken von Reallöhnen. | |
Auch heute wird wieder die Anhebung von Wohlstand und die Schaffung neuer | |
Arbeitsplätze hervorgehoben und was sonst noch alles versprochen wird. Aber | |
das ist Fiktion. Man hat diese Fiktion auf den Cent genau ausgerechnet, | |
eine absolute Sauerei. Es geht auch nicht um den Handel, denn wenn man hier | |
durch Berlin läuft, überall amerikanische Produkte und Konzerne, so weit | |
das Auge reicht. Wenn man in New York durch die Straßen läuft, überall | |
europäische Konzerne, Autos, Waren. Der Handel läuft doch bereits wie | |
geschmiert. Es gab und gibt natürlich Probleme, etwa mit der Gentechnik. | |
Wir wollen die halt einfach nicht! Es geht in der Hauptsache um Regulierung | |
insgesamt, besonders in Bezug auf die Landwirtschaft. Um die Öffnung der | |
Märkte für eine gigantische agrartechnische Produktion, mit allem, was dazu | |
gehört an Chemie und Technik. | |
Ich sage mir, es gibt gute Gründe für einen Weltmarkt für Computer, | |
meinetwegen, ist nachvollziehbar. Aber einen Weltmarkt für Milch? Wollen | |
wir jetzt Milch über den Atlantik schippern? Das ist doch Quatsch! Genau | |
das aber will der Bauernverband, um seine Überschüsse loszuwerden. Aber wir | |
müssen nicht Milch und Fleisch über den Atlantik hin- und herfahren, wir | |
müssen das tun, was wir schon seit Ewigkeiten sagen: Wir müssen die | |
Landwirtschaft regionalisieren. Das ist der einzig vernünftige Weg. | |
Aber es geht auch in anderen Bereichen zur Sache, beispielsweise in der | |
Kultur. Kultur ist ja etwas, das im europäischen Gesellschaftsmodell einen | |
vollkommen anderen Stellenwert hat. In den USA ist das alles viel | |
kommerzieller. Da gibt es nicht, wie bei uns, das Urheberrecht, sondern | |
lediglich ein Copyright-System, das heißt, nicht der Urheber ist der | |
Eigentümer, sondern derjenige, der das Copyright besitzt. Generell haben | |
wir in Europa ein anderes Modell. Wir betrachten Kultur als öffentliches | |
Gut, dementsprechend wird auch viel subventioniert. Wenn man nun Kultur | |
ausschließlich als Markt definiert, den man ‚öffnen‘ muss, wie das so sch… | |
heißt, wo man dann gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellen muss, dann | |
bekommen wir ein Problem. Unsere Buchpreisbindung, beispielsweise, ist für | |
die USA ein sogenanntes ‚Handelshemmnis‘. | |
## Oder die anderen schaffen ihre Subventionen ab | |
Wenn aber die Buchpreisbindung fällt, können wir unsere Buchhändler | |
vergessen, und auch Autoren und Verlage sind geliefert. Ebenso in der | |
Bildung. Eine amerikanische Universität verlangt Studiengebühren von | |
umgerechnet 9.000 Euro aufwärts. Wenn Europa also seine Universitäten | |
subventioniert – auch einen hohen Anteil von Studierenden, können die | |
ausländischen Anbieter dann sagen, sie werden unfair behandelt, entweder | |
sie kriegen auch Subventionen oder die anderen schaffen ihre Subventionen | |
ab. Gesetzt den Fall, können wir unsere Vorstellungen von Bildungspolitik | |
vollkommen vergessen. | |
Markt bedeutet dann auch, dass alle ‚Marktteilnehmer‘ sind und dass der | |
Staat alle gleich behandeln muss. Und da bekommen wir Bürger mit TTIP | |
keinen ‚positiven Wettbewerb‘, wie behauptet, sondern genau das Gegenteil: | |
die Herrschaft von wenigen Monopolen, die den Markt bestimmen. Auch der | |
Kulturbereich ist durch TTIP stark gefährdet, die Medien, und deshalb sind | |
der Deutsche Kulturrat und viele Gruppen und Organisationen da sehr | |
engagiert. | |
Ausgenommen von den Verhandlungen sind lediglich hoheitliche Aufgaben wie | |
Justiz, Polizei und andere. Nicht aber das Gesundheitswesen. Auch da sind | |
die Probleme vorgezeichnet. Wenn wir TTIP haben, wo ja auch der | |
Gesundheitssektor als ein Markt definiert wird, auch als ein Markt, wo alle | |
Teilnehmer vom Staat gleich zu behandeln sind, dann geschieht das, was wir | |
bei den Universitäten schon sagten. Noch ist es bei uns so, dass wir das | |
Gesundheitswesen als Teil öffentlicher Dienstleistungen ansehen, auch wenn | |
es schon eine Tendenz gibt, dass man Krankenhäuser als Wirtschaftsfaktoren | |
betrachtet, die Profit machen sollen. Aber Krankenhäuser sind immer noch | |
vorwiegend in öffentlicher Hand. Wenn wir aber TTIP haben, wo eben alle | |
Anbieter vom Staat gleich zu behandeln sind, dann kann der Privatanbieter | |
ebenso auf Subventionen bestehen wie der öffentliche Anbieter.“ | |
Herr Maier reagiert nun unwirsch: „Allein schon das Wort. Ein Krankenhaus | |
ist doch kein ‚Anbieter‘! Jetzt fange ich auch schon an … Jedenfalls hat | |
man die Wahl, entweder gibt man dem Privaten auch die Subventionen, oder | |
man streicht dem kleinen Kreiskrankenhaus die Subventionen. In beiden | |
Fällen zahlt der Steuerzahler kräftig drauf. Und das ist eben das, was wir | |
Kritiker und Gegner sagen: TTIP zu realisieren bedeutet das Ende des | |
europäischen Gesellschaftsmodells. Vor allem, es liegt zwar auch ohne TTIP | |
bei uns einiges im Argen, was zum Beispiel die Aufgaben der öffentlichen | |
Hand betrifft, aber das können wir im Prinzip jederzeit ändern. Unter den | |
Bedingungen von TTIP jedoch – und das ist ein sehr wichtiger Punkt – ist | |
das nicht mehr möglich. Einmal beschlossene Liberalisierungen und | |
Deregulierungen sind nicht mehr korrigierbar. Es wird zwar immer gesagt, es | |
sei nur ein Handelsvertrag, es ist aber in Wahrheit ein | |
Gesellschaftsvertrag und wir haben eine bleibende völkerrechtliche | |
Verpflichtung, die Bedingungen einzuhalten. Es läuft darauf hinaus, dass | |
hier eine umfangreiche neoliberale Deregulierungsagenda durchgesetzt werden | |
soll. | |
## Die WTO ist paralysiert, da tut sich nichts | |
Wir haben uns ausführlich mit all dem beschäftigt. Was dem Forum für Umwelt | |
& Entwicklung dabei sehr zugutekommt, ist, dass wir uns seit 20 Jahren mit | |
Handelspolitik befassen – nicht erst seit zwei Jahren. Das heißt, wir | |
kennen die Zusammenhänge, in denen in Europa Handelspolitik betrieben wird | |
und welche Kräfte da am Werk sind. 1999, als die WTO ihre | |
Welthandelskonferenz in Seattle abhielt, inmitten von Massenprotesten und | |
Straßenschlachten, haben wir eine Welthandels-Kampagne gestartet. Das lief | |
dann drei Jahre gut, aber dann hatte sich das erledigt, weil die WTO | |
paralysiert ist, da tut sich ja nichts. Nicht die WTO ist das Problem, sie | |
ist nur das Forum einer Handelspolitik mit globaler Reichweite, die ist das | |
Problem. Und damit haben wir uns dann eben lange und ausführlich | |
beschäftigt. So hatten wir einen guten Ausgangspunkt, als 2013 die | |
TTIP-Verhandlungen unter vollkommen intransparenten Bedingungen begannen. | |
Bis heute sind sie zwar geheim, aber inzwischen ist der Apparat von Brüssel | |
bis Berlin so löchrig wie ein Sieb. Es gibt viele Leute, die vergessen gern | |
mal was im Zug oder in der Straßenbahn. | |
Aber das betrifft natürlich nicht die wirklich wichtigen Papiere. Die | |
bekommen nicht mal die Abgeordneten. Vor allem bekommen sie nicht ein | |
einziges Dokument der USA zu sehen. Nicht eines! Und selbst die | |
Bundesregierung kriegt die nicht. Alle müssen sich im Grunde auf die Story | |
verlassen, die die Kommission ihnen erzählt. | |
Man muss sich das mal vorstellen, es geht beim Freihandelsabkommen TTIP um | |
ein schwerwiegendes Vertragswerk, um das Abkommen für eine | |
‚transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft‘ zwischen der | |
Europäischen Union und den USA. Um die Schaffung der größten | |
Freihandelszone der Welt, mit mehr als 800 Millionen Einwohnern. Um | |
weitreichende politische, ökonomische, ökologische, kurz, um soziale | |
Konsequenzen. Und die Verhandlungen darüber sind geheim! Das ist doch | |
unglaublich. Sie finden hinter verschlossenen Türen statt, geführt | |
lediglich von EU-Kommission und dem US-Handelsministerium. Weder | |
Mitgliedsstaaten noch andere Mitglieder der EU-Kommission noch gar die | |
Abgeordneten des Europaparlaments und nationaler Parlamente bekommen | |
Einblick in die Verhandlungsdokumente. Hingegen haben sehr wohl ein paar | |
Hundert Lobbyisten der Industrie Zugang zu den Verhandlungen und können | |
ihre Interessen direkt in den Vertrag einbringen. | |
## Das widerspricht allen Regeln der Demokratie | |
Es gab circa 600 geheime Gespräche mit Lobbyisten aus Konzernen und | |
Verbänden. So wie es aussieht, sollen die Verhandlungen geheim | |
abgeschlossen werden und den Parlamenten bleibt dann nur noch die Wahl | |
zwischen Zustimmung und Ablehnung. Das widerspricht allen Regeln der | |
Demokratie. Also ich glaube, wenn das Projekt nicht sowieso vor die Wand | |
fährt – vorher –, dann wird sich das hinziehen. Es sollte ja ursprünglich | |
bereits 2014 abgeschlossen werden, nun soll es dieses Jahr so weit sein. | |
Aber momentan scheint, unabhängig von den massiven öffentlichen Protesten, | |
nichts voranzukommen. In der nächsten Verhandlungsrunde im Februar soll es | |
um Handelsregeln im Agrarsektor gehen und um das Thema Investorenschutz. | |
Vielleicht wird es am Ende ein Abkommen geben, das alle kontroversen Punkte | |
ausklammert? Aber das ist ja nicht die Intention. Eine ganze Menge steht | |
auf dem Spiel. So geht es etwa um Vorteile, die man sich ausgerechnet hat. | |
Die USA, die den weltweit größten Exportüberschuss erzielen, wollen Zugang | |
zu den europäischen Agrarmärkten, das ist eins ihrer wichtigsten Ziele. Das | |
Hauptinteresse der Europäer wiederum ist es, Zugang zu den ‚öffentlichen | |
Beschaffungen‘ in den USA zu bekommen, also zur Vergabe öffentlicher | |
Aufträge im Versorgungsbereich. Die EU will die US-Bundesstaaten dazu | |
zwingen, ihre gesamte ‚öffentliche Beschaffung‘ für europäische Firmen zu | |
öffnen, weil europäische Konzerne von diesem Markt ausgeschlossen sind. Der | |
ist bisher einheimischen Firmen vorbehalten. In Deutschland konnte die | |
Wasserversorgung von Berlin ja zum Beispiel von Veolia übernommen werden, | |
bis zur Reprivatisierung 2013 durch ein Volksbegehren. Das wäre in den USA | |
bisher nicht möglich gewesen. In einer ‚TTIP-Zukunft‘ jedoch könnte Veolia | |
die Wasserversorgung von Colorado übernehmen. Die USA müssten dafür aber | |
ihre Gesetze ändern, besonders den ‚Buy American Act‘.“ (Erlassen von | |
Präsident Roosevelt 1933 im Rahmen des New Deal. Anm. G.G.) „ Er besagt, | |
dass nur amerikanische Firmen für die ‚öffentlichen Beschaffungen‘ | |
berücksichtigt werden, dass Steuergeld nur für sie ausgegeben werden darf. | |
Insofern haben in den USA die europäischen Interessen an der ‚öffentlichen | |
Beschaffung‘eine hohe Brisanz. Da geht’s ans Eingemachte. | |
## Auseinandersetzungen sind eine Selbstemanzipation | |
Das Gute an den Auseinandersetzungen mit TTIP ist, dass sie für die | |
deutsche Zivilgesellschaft eine Art Selbstemanzipation sind. Auch wird | |
allmählich der ökonomische Analphabetismus überwunden. Die Bewegung ist | |
zwar moralisch gut aufgestellt, aber wir haben immer noch zu wenig Leute, | |
die ökonomische Zusammenhänge verstehen und bewerten können. Deshalb ist | |
TTIP eine gute Gelegenheit, Menschen dazu zu bringen, sich auch mit so | |
einem trockenen Thema wie Handelspolitik zu beschäftigen und zu sagen, so, | |
jetzt reicht es mit dieser neoliberalen Gegenrevolution! Enorm, wie viel | |
die Bewegung sich an Wissen erarbeitet hat. Man muss das hervorheben, es | |
ist die Zivilgesellschaft, die das alles angeschoben hat, nicht die | |
Oppositionsparteien. Auf die können wir uns ja nicht verlassen. | |
Beim jüngsten SPD-Parteitag ist der Beschluss zu TTIP und Ceta hinter den | |
Erwartungen zurückgeblieben. Die Linken, gut, sie bemühen sich, können es | |
aber nicht. Die Grünen hingegen, die es könnten, wollen nicht. Auf die | |
Grünen, von denen ich nicht mehr viel halte, weil sie die neoliberale | |
Politik massiv mit beschleunigt haben, ist keinerlei Verlass. Im Bundesrat | |
sind sie eine Kraft, auf die es ankommt, weil sie auch blockieren können. | |
2016 liegt Ceta, das Kanada-Abkommen, im Bundestag zur Ratifizierung. Nicht | |
ein einziger grüner Landesminister hat bisher klar gesagt, dass er es | |
blockieren wird. Und das ist kein gutes Zeichen. In zehn Bundesländern | |
regieren Grüne und Linke mit und könnten dementsprechend eine Zustimmung | |
ihres Landes blockieren. Benötigt wird nämlich die absolute Mehrheit im | |
Bundesrat, damit die Zustimmung als ‚erteilt‘ gilt. Und die wäre eben nur | |
gegeben, wenn die Grünen ihr Händchen mit heben. Da wollen wir jetzt mal | |
eine klare Aussage! Wenn die Grünen nicht aufpassen, kann ihnen das ganz | |
gewaltig ihren Wahlkampf verhageln. | |
Bei TTIP müssen 29 europäische Länder zustimmen. Wenn eines davon Nein | |
sagt, ist das Ding erst mal gestoppt und man muss neu diskutieren. Über den | |
Bereich der Paralleljustiz haben wir noch gar nicht gesprochen: Die | |
Investitionsschutz-Schiedsgerichte sind besonders problematisch. Diese | |
bisher geplante Einrichtung erlaubt Konzernen, vor einem ‚Schiedsgericht‘zu | |
klagen, wenn sie ihre Gewinnerwartung durch politische Entscheidungen eines | |
Staates verletzt sehen. Solche Gerichtsverhandlungen sind nicht öffentlich | |
und es gibt keine Berufungsmöglichkeiten. Ein Unding! Österreich hat einen | |
Parlamentsbeschluss, wenn diese ‚Sondergerichte‘ drin sind, dann machen sie | |
nicht mit. | |
Ein gutes Beispiel wäre zu nennen: Der staatliche schwedische Stromkonzern | |
Vattenfall – der übrigens einer rot-grünen Regierung gehört – verklagt | |
derzeit Deutschland vor einem nicht öffentlichen internationalen | |
Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington auf | |
Schadenersatz wegen des Atomausstiegs. Durch die Stilllegung der | |
Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel seien Vermögenswerte vernichtet | |
worden. Sie berufen sich auf Investitionsschutzregeln des internationalen | |
Energiecharta-Vertrags (ECT). Da wollen sie dann gleich 4,7 Milliarden Euro | |
Schadenersatz. Selbst diese Summe wäre eigentlich geheim, nur Sigmar | |
Gabriel hat sich damals im Bundestag verplappert, deswegen wissen wir, dass | |
es 4,7 Milliarden Euro sind, die sie wollen. Für die der Steuerzahler | |
aufkommen muss. Bis wann das Verfahren abgeschlossen sein wird, ist unklar. | |
Bei den TTIP-Verhandlungen jedenfalls sieht es momentan so aus, als seien | |
die privaten Schiedsgerichte halbwegs vom Tisch. Handelskommissarin Cecilia | |
Malmström schlug vor, diese durch ein neues, modernisiertes ‚System von | |
Investitionsgerichten‘ zu ersetzen. Aber das ist nur Kosmetik, dadurch | |
hätten ausländische Konzerne weiterhin Sonderklagerechte. Deshalb fordern | |
alle Kritiker weiterhin, komplett auf privilegierte Klagerechte außerhalb | |
regulärer Gerichte zu verzichten. | |
## Es ist ihnen nicht gelungen, uns zu spalten | |
Schön, dass es nicht gelungen ist, die Bewegung zu spalten. Alle halten | |
zusammen! Spannend ist, dass eben nicht nur die ‚üblichen Verdächtigen‘ | |
Aktionen machen und auf die Straße gehen. Der Protest geht von | |
Umweltverbänden und der Agraropposition aus, von der es heißt, die meckern | |
ja immer nur. Aber auch vom Deutschen Kulturrat, der IG Metall und anderen | |
Gewerkschaften. Die politische Klasse ist überrascht, wie breit die Front | |
von Gegnern ist. | |
Die TTIP-Opposition ist in West- und Südeuropa sicher stärker als in Nord- | |
oder in Osteuropa, aber sie wächst. In Polen beispielsweise gab es | |
mittlerweile größere Veranstaltungen, wo auch Gewerkschaften aktiv waren, | |
Einiges tut sich auch in Tschechien, Slowenien und Kroatien. Ungarn und | |
Bulgarien allerdings sind sehr schwach. In Rumänien tut sich einiges, auch | |
weil das ein Land ist, das mit Investor-Staatsklage-Verfahren schon | |
bereits einige negative Erfahrungen gemacht hat. | |
Schwer enttäuscht bin ich aber von Schweden, Heimatland von Frau Malmström, | |
und von Dänemark, weil dort selbst die Gewerkschaften so sehr den | |
neoliberalen Kurs fahren, dass sie pro TTIP sind. Aber insgesamt ist der | |
Widerstand eine absolute Erfolgsgeschichte. Nie hätte ich gedacht, dass | |
diese Bewegung so viel Dynamik bekommen würde. Ich glaube, wir werden | |
gemeinsam das Abkommen stoppen. Das Acta-Abkommen haben sie 2012 ja auch an | |
die Wand gefahren. Also ich bleibe optimistisch.“ | |
Am 26. und 27. Februar veranstaltet Attac eine | |
TTIP-Strategie-und-Aktionskonferenz in Kassel für alle Aktiven aus dem | |
deutschsprachigen Raum | |
25 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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