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# taz.de -- Miniatur einer Bewegung
> FREIHANDELSABKOMMEN Besuch bei Jürgen Maier vom TTIP-Protestbündnis Forum
> Umwelt & Entwicklung Berlin
Bild: TTIP sei in Wahrheit ein Gesellschaftsvertrag, davon ist Jürgen Maier ü…
vonGabriele Goettle
„Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa
und den Vereinigten Staaten“
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2013
Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung in Berlin.
Experte für Handelspolitik und TTIP. Aufgewachsen in Tübingen. Nach dem
Abitur Studium der Politikwissenschaften und Amerikanistik in Tübingen und
Bonn. 1979, mit 16 Jahren, Mitbegründer der Grünen, später
Bundesvorstandsmitglied der Grünen (1987–1991). Danach freiberuflich tätig,
etwa Mitorganisator des Alternativ-Gipfels zum G-7-Gipfel in München 1992.
1993–1996 Geschäftsführer der Asien-Stiftung in Hessen. Seit 1996
Geschäftsführer beim Forum Umwelt & Entwicklung. Maier wurde 1963 in
Böblingen geboren, sein Vater war Fließbandarbeiter bei Daimler-Benz, die
Mutter Hausfrau. Jürgen Maier ist verheiratet und hat ein Kind.
Das Forum Umwelt & Entwicklung hat seinen Sitz in der Marienstraße in
Berlin Mitte. Im Haus Nr. 19–20 residieren neben Rechtsanwälten auch viele
Alternativprojekte, wie sich auf den polierten Messingtafeln an der weißen
Gründerzeitfassade ablesen lässt. Im Treppenhaus herrscht mit verwaister
Pförtnerloge und altem Aufzug immer noch ein wenig DDR-Atmosphäre.
Jürgen Maier empfängt mich auf seiner Etage, die das Forum mit der
Initiative „Meine Landwirtschaft“ teilt. Er führt mich durch ein Gewirr von
Fluren, vorbei an kleinen Arbeitsräumen und Kämmerchen, zu seinem Büro und
erklärt: „ Wir haben hier das Glück, dass unser Hausbesitzer ein Herz für
solche Projekte hat wie unseres und deshalb ist die Miete erschwinglich.“
Herr Maier schenkt Mineralwasser ein, rückt einen Aktenstapel zur Seite und
beginnt zu erzählen, wie er zum Widerstand gegen TTIP kam:
„Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt
und Entwicklung in Rio de Janeiro gegründet, als Netzwerk von
Umweltverbänden und Entwicklungsorganisationen zur Koordinierung deutscher
NGOs im internationalen politischen Prozess. Es geht um Vernetzung für
gemeinsame Aktionen und um Aufklärung.
## Wir beobachten die Diskussion schon lang
Wir sind seit mehr als 20 Jahren mit Welthandelspolitik beschäftigt, seit
Gründung der Welthandelsorganisation, haben damals eine Arbeitsgruppe
gegründet, die Handelspolitik macht, internationale Handelspolitik.
Insofern beobachten wir diese Diskussion schon sehr lang. Eine Weile war
das Thema nicht mehr so aktuell, aber als Anfang 2013 herauskam, dass die
EU über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA Verhandlungen beginnen
will, haben wir uns dies zum Thema gemacht.
Wir waren quasi das Bündnis, das die Bewegung angeschoben hat. Viele Leute
haben uns abgeraten, haben gesagt, das ist viel zu abstrakt, viel zu
kompliziert, das wird nichts. Dennoch haben wir eingeladen, ausgerechnet
nach Hannover, in Räume der Verdi-Geschäftsstelle. Wir hatten aufgerufen zu
einem ‚handelspolitischen Ratschlag‘ und zu unserer Überraschung kamen eine
Menge Leute aus Gewerkschaften und aus der alternativen Landwirtschaft. Man
wusste damals ja kaum etwas darüber, aber alle hatten intuitiv das Gefühl,
da braut sich was zusammen, Alarmstufe eins! Wir hatten also ins Schwarze
getroffen. Dort haben wir beschlossen, eine Kampagne zu gründen.
Ein paar Monate später – kurz nach dem G-8-Gipfel in Nordirland – kam dann
Obama nach Berlin und wir sagten uns, das ist der ideale Aufhänger für den
Start. Wir machten also eine Aktion vor dem Europäischen Haus, das quasi
Vertretung der EU-Kommission ist und schräg gegenüber der US-Botschaft
liegt, wo Demonstrationsverbot herrscht. Und der Knüller war, wir haben
dort ein trojanisches Pferd aufgefahren aus Holz, vier Meter hoch mit
Rollen – eine Leihgabe vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter –, aus
seinem Bauch kamen dann so ekelhafte Dinge raus wie Chlorhühnchen,
Hormonspritzen, Frackingbohrer und daneben haben wir auch noch ein
politisches Kabarett gemacht.
Am selben Abend waren wir in der ‚Tagesschau‘. Da war uns klar, das Ding
fliegt. Das war im Juni 2013, sozusagen zu Beginn der Verhandlungen.
Seitdem haben sich über 100 Organisationen angeschlossen und machen
politischen Druck.
Inzwischen ist die Bewegung sehr breit gefächert, die Aufgaben haben sich
verteilt. Es gibt zum Beispiel einen Demonstrationsträger, der im Rahmen
der europaweiten Aktionstage die große Demo am 10. Oktober 2015
organisierte, bei der 250.000 Teilnehmer zusammenkamen. Das hat alle unsere
Erwartungen übertroffen, wurde aber von den Medien kaum beachtet. Und
natürlich die große Europäische Bürgerinitiative ‚Stop TTIP‘, die mehr …
drei Millionen Unterschriften in ganz Europa gesammelt hat, was unglaublich
viel ist, aber leider keine bindende Wirkung hat. Oder das Bündnis, das die
Demonstrationen ‚Wir haben es satt‘ organisiert und mehr als 40 Gruppen und
Initiativen vereint. Sie fordern nicht nur die Beendigung von
Massentierhaltung, Preisdumping und Gentechnik in der Landwirtschaft,
sondern beziehen auch Stellung zu TTIP und Ceta. Überall ist es zum Thema
geworden.
Ich habe in den vergangenen zwei Jahren Veranstaltungen quer durch die
Republik gemacht, von Schleswig-Holstein bis zum Bodensee, alle
proppenvoll. Je mehr die Leute über TTIP wissen, umso entschiedener sind
sie dagegen. Am besten besucht war die Veranstaltung in Konstanz, wo alle
500 Sitzplätze besetzt waren. Meist jüngere Leute, aber wenn der DGB
einlädt, dann kommen auch viele Ältere. Das ist für viele Leute der
ultimative Anschlag des Neoliberalismus auf das europäische
Gesellschaftsverhältnis. Es kommen im Grunde vier Sachen zusammen, die alle
für uns arbeiten: 1. Die Heilsversprechen der Globalisierung, an die kein
Bürger mehr glaubt. 2. Die vergebliche Beschwörung der transatlantischen
Wertegemeinschaft. 3. Die Machenschaften in den Hinterzimmern in Brüssel,
denen niemand traut. 4. Die strikte Geheimhaltung. Es ist Tatsache, dass
niemand die Dokumente zu sehen kriegt.
## Das Ding ist doch von Beginn an verkorkst
Gegen diese vier Dinge zusammen kommt kein Propagandist der Kommission oder
der CDU mehr an. Das Ding ist verkorkst. Von Beginn an. Eines der
Hauptargumente der Befürworter ist: Wir müssen gemeinsam mit den USA
Standards setzen, sonst machen das die Chinesen. Aber mal abgesehen davon,
ob das so stimmt, die Standards der USA sind ja in vielen Fällen keineswegs
die besten. Nur ein kleines Beispiel: In Europa sind rund 1.300 Chemikalien
als Kosmetikzusätze verboten – und zwar, weil wir sie für gefährlich
halten. In den USA sind es genau 11. Der Rest ist zugelassen. Jetzt
harmonisieren wir das mal, sozusagen nach der Vorgabe regulatorischer
Harmonisierung. Was heißt das dann? Lassen wir 650 Chemikalien zu, die wir
für gefährlich halten, damit wir uns in der Mitte treffen, erkennen wir die
Standards gegenseitig an oder was machen wir? Sich da zu einigen würde
bedeuten, dass wir unsere berühmte Vorreiterrolle verlieren, auch in
Bereichen wie kulturelle Vielfalt, Bildung, Gesundheit, Soziales,
Sicherheit, Datenschutz, und bald gar keine Standards mehr durchsetzen
können, auch keine Verbesserungen mehr.
## Diese Fiktion ist eine absolute Sauerei
Natürlich gibt es ein paar Bereiche, wo die Amerikaner höhere Standards
haben als wir, etwa bei der Finanzmarktregulierung, das ist klar, aber
damit kommen sie dann dort unter Druck, falls es nicht ausgeklammert wird.
Es wird jedenfalls nicht auf höchstem Niveau harmonisiert werden, das
glaubt doch kein Mensch! Und es gibt ja nach 20 Jahren Nafta, also dem
Nordamerikanischem Freihandelsabkommen, ganz konkrete Erfahrungen mit
Arbeitsplatzvernichtung und dem Sinken von Reallöhnen.
Auch heute wird wieder die Anhebung von Wohlstand und die Schaffung neuer
Arbeitsplätze hervorgehoben und was sonst noch alles versprochen wird. Aber
das ist Fiktion. Man hat diese Fiktion auf den Cent genau ausgerechnet,
eine absolute Sauerei. Es geht auch nicht um den Handel, denn wenn man hier
durch Berlin läuft, überall amerikanische Produkte und Konzerne, so weit
das Auge reicht. Wenn man in New York durch die Straßen läuft, überall
europäische Konzerne, Autos, Waren. Der Handel läuft doch bereits wie
geschmiert. Es gab und gibt natürlich Probleme, etwa mit der Gentechnik.
Wir wollen die halt einfach nicht! Es geht in der Hauptsache um Regulierung
insgesamt, besonders in Bezug auf die Landwirtschaft. Um die Öffnung der
Märkte für eine gigantische agrartechnische Produktion, mit allem, was dazu
gehört an Chemie und Technik.
Ich sage mir, es gibt gute Gründe für einen Weltmarkt für Computer,
meinetwegen, ist nachvollziehbar. Aber einen Weltmarkt für Milch? Wollen
wir jetzt Milch über den Atlantik schippern? Das ist doch Quatsch! Genau
das aber will der Bauernverband, um seine Überschüsse loszuwerden. Aber wir
müssen nicht Milch und Fleisch über den Atlantik hin- und herfahren, wir
müssen das tun, was wir schon seit Ewigkeiten sagen: Wir müssen die
Landwirtschaft regionalisieren. Das ist der einzig vernünftige Weg.
Aber es geht auch in anderen Bereichen zur Sache, beispielsweise in der
Kultur. Kultur ist ja etwas, das im europäischen Gesellschaftsmodell einen
vollkommen anderen Stellenwert hat. In den USA ist das alles viel
kommerzieller. Da gibt es nicht, wie bei uns, das Urheberrecht, sondern
lediglich ein Copyright-System, das heißt, nicht der Urheber ist der
Eigentümer, sondern derjenige, der das Copyright besitzt. Generell haben
wir in Europa ein anderes Modell. Wir betrachten Kultur als öffentliches
Gut, dementsprechend wird auch viel subventioniert. Wenn man nun Kultur
ausschließlich als Markt definiert, den man ‚öffnen‘ muss, wie das so sch…
heißt, wo man dann gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellen muss, dann
bekommen wir ein Problem. Unsere Buchpreisbindung, beispielsweise, ist für
die USA ein sogenanntes ‚Handelshemmnis‘.
## Oder die anderen schaffen ihre Subventionen ab
Wenn aber die Buchpreisbindung fällt, können wir unsere Buchhändler
vergessen, und auch Autoren und Verlage sind geliefert. Ebenso in der
Bildung. Eine amerikanische Universität verlangt Studiengebühren von
umgerechnet 9.000 Euro aufwärts. Wenn Europa also seine Universitäten
subventioniert – auch einen hohen Anteil von Studierenden, können die
ausländischen Anbieter dann sagen, sie werden unfair behandelt, entweder
sie kriegen auch Subventionen oder die anderen schaffen ihre Subventionen
ab. Gesetzt den Fall, können wir unsere Vorstellungen von Bildungspolitik
vollkommen vergessen.
Markt bedeutet dann auch, dass alle ‚Marktteilnehmer‘ sind und dass der
Staat alle gleich behandeln muss. Und da bekommen wir Bürger mit TTIP
keinen ‚positiven Wettbewerb‘, wie behauptet, sondern genau das Gegenteil:
die Herrschaft von wenigen Monopolen, die den Markt bestimmen. Auch der
Kulturbereich ist durch TTIP stark gefährdet, die Medien, und deshalb sind
der Deutsche Kulturrat und viele Gruppen und Organisationen da sehr
engagiert.
Ausgenommen von den Verhandlungen sind lediglich hoheitliche Aufgaben wie
Justiz, Polizei und andere. Nicht aber das Gesundheitswesen. Auch da sind
die Probleme vorgezeichnet. Wenn wir TTIP haben, wo ja auch der
Gesundheitssektor als ein Markt definiert wird, auch als ein Markt, wo alle
Teilnehmer vom Staat gleich zu behandeln sind, dann geschieht das, was wir
bei den Universitäten schon sagten. Noch ist es bei uns so, dass wir das
Gesundheitswesen als Teil öffentlicher Dienstleistungen ansehen, auch wenn
es schon eine Tendenz gibt, dass man Krankenhäuser als Wirtschaftsfaktoren
betrachtet, die Profit machen sollen. Aber Krankenhäuser sind immer noch
vorwiegend in öffentlicher Hand. Wenn wir aber TTIP haben, wo eben alle
Anbieter vom Staat gleich zu behandeln sind, dann kann der Privatanbieter
ebenso auf Subventionen bestehen wie der öffentliche Anbieter.“
Herr Maier reagiert nun unwirsch: „Allein schon das Wort. Ein Krankenhaus
ist doch kein ‚Anbieter‘! Jetzt fange ich auch schon an … Jedenfalls hat
man die Wahl, entweder gibt man dem Privaten auch die Subventionen, oder
man streicht dem kleinen Kreiskrankenhaus die Subventionen. In beiden
Fällen zahlt der Steuerzahler kräftig drauf. Und das ist eben das, was wir
Kritiker und Gegner sagen: TTIP zu realisieren bedeutet das Ende des
europäischen Gesellschaftsmodells. Vor allem, es liegt zwar auch ohne TTIP
bei uns einiges im Argen, was zum Beispiel die Aufgaben der öffentlichen
Hand betrifft, aber das können wir im Prinzip jederzeit ändern. Unter den
Bedingungen von TTIP jedoch – und das ist ein sehr wichtiger Punkt – ist
das nicht mehr möglich. Einmal beschlossene Liberalisierungen und
Deregulierungen sind nicht mehr korrigierbar. Es wird zwar immer gesagt, es
sei nur ein Handelsvertrag, es ist aber in Wahrheit ein
Gesellschaftsvertrag und wir haben eine bleibende völkerrechtliche
Verpflichtung, die Bedingungen einzuhalten. Es läuft darauf hinaus, dass
hier eine umfangreiche neoliberale Deregulierungsagenda durchgesetzt werden
soll.
## Die WTO ist paralysiert, da tut sich nichts
Wir haben uns ausführlich mit all dem beschäftigt. Was dem Forum für Umwelt
& Entwicklung dabei sehr zugutekommt, ist, dass wir uns seit 20 Jahren mit
Handelspolitik befassen – nicht erst seit zwei Jahren. Das heißt, wir
kennen die Zusammenhänge, in denen in Europa Handelspolitik betrieben wird
und welche Kräfte da am Werk sind. 1999, als die WTO ihre
Welthandelskonferenz in Seattle abhielt, inmitten von Massenprotesten und
Straßenschlachten, haben wir eine Welthandels-Kampagne gestartet. Das lief
dann drei Jahre gut, aber dann hatte sich das erledigt, weil die WTO
paralysiert ist, da tut sich ja nichts. Nicht die WTO ist das Problem, sie
ist nur das Forum einer Handelspolitik mit globaler Reichweite, die ist das
Problem. Und damit haben wir uns dann eben lange und ausführlich
beschäftigt. So hatten wir einen guten Ausgangspunkt, als 2013 die
TTIP-Verhandlungen unter vollkommen intransparenten Bedingungen begannen.
Bis heute sind sie zwar geheim, aber inzwischen ist der Apparat von Brüssel
bis Berlin so löchrig wie ein Sieb. Es gibt viele Leute, die vergessen gern
mal was im Zug oder in der Straßenbahn.
Aber das betrifft natürlich nicht die wirklich wichtigen Papiere. Die
bekommen nicht mal die Abgeordneten. Vor allem bekommen sie nicht ein
einziges Dokument der USA zu sehen. Nicht eines! Und selbst die
Bundesregierung kriegt die nicht. Alle müssen sich im Grunde auf die Story
verlassen, die die Kommission ihnen erzählt.
Man muss sich das mal vorstellen, es geht beim Freihandelsabkommen TTIP um
ein schwerwiegendes Vertragswerk, um das Abkommen für eine
‚transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft‘ zwischen der
Europäischen Union und den USA. Um die Schaffung der größten
Freihandelszone der Welt, mit mehr als 800 Millionen Einwohnern. Um
weitreichende politische, ökonomische, ökologische, kurz, um soziale
Konsequenzen. Und die Verhandlungen darüber sind geheim! Das ist doch
unglaublich. Sie finden hinter verschlossenen Türen statt, geführt
lediglich von EU-Kommission und dem US-Handelsministerium. Weder
Mitgliedsstaaten noch andere Mitglieder der EU-Kommission noch gar die
Abgeordneten des Europaparlaments und nationaler Parlamente bekommen
Einblick in die Verhandlungsdokumente. Hingegen haben sehr wohl ein paar
Hundert Lobbyisten der Industrie Zugang zu den Verhandlungen und können
ihre Interessen direkt in den Vertrag einbringen.
## Das widerspricht allen Regeln der Demokratie
Es gab circa 600 geheime Gespräche mit Lobbyisten aus Konzernen und
Verbänden. So wie es aussieht, sollen die Verhandlungen geheim
abgeschlossen werden und den Parlamenten bleibt dann nur noch die Wahl
zwischen Zustimmung und Ablehnung. Das widerspricht allen Regeln der
Demokratie. Also ich glaube, wenn das Projekt nicht sowieso vor die Wand
fährt – vorher –, dann wird sich das hinziehen. Es sollte ja ursprünglich
bereits 2014 abgeschlossen werden, nun soll es dieses Jahr so weit sein.
Aber momentan scheint, unabhängig von den massiven öffentlichen Protesten,
nichts voranzukommen. In der nächsten Verhandlungsrunde im Februar soll es
um Handelsregeln im Agrarsektor gehen und um das Thema Investorenschutz.
Vielleicht wird es am Ende ein Abkommen geben, das alle kontroversen Punkte
ausklammert? Aber das ist ja nicht die Intention. Eine ganze Menge steht
auf dem Spiel. So geht es etwa um Vorteile, die man sich ausgerechnet hat.
Die USA, die den weltweit größten Exportüberschuss erzielen, wollen Zugang
zu den europäischen Agrarmärkten, das ist eins ihrer wichtigsten Ziele. Das
Hauptinteresse der Europäer wiederum ist es, Zugang zu den ‚öffentlichen
Beschaffungen‘ in den USA zu bekommen, also zur Vergabe öffentlicher
Aufträge im Versorgungsbereich. Die EU will die US-Bundesstaaten dazu
zwingen, ihre gesamte ‚öffentliche Beschaffung‘ für europäische Firmen zu
öffnen, weil europäische Konzerne von diesem Markt ausgeschlossen sind. Der
ist bisher einheimischen Firmen vorbehalten. In Deutschland konnte die
Wasserversorgung von Berlin ja zum Beispiel von Veolia übernommen werden,
bis zur Reprivatisierung 2013 durch ein Volksbegehren. Das wäre in den USA
bisher nicht möglich gewesen. In einer ‚TTIP-Zukunft‘ jedoch könnte Veolia
die Wasserversorgung von Colorado übernehmen. Die USA müssten dafür aber
ihre Gesetze ändern, besonders den ‚Buy American Act‘.“ (Erlassen von
Präsident Roosevelt 1933 im Rahmen des New Deal. Anm. G.G.) „ Er besagt,
dass nur amerikanische Firmen für die ‚öffentlichen Beschaffungen‘
berücksichtigt werden, dass Steuergeld nur für sie ausgegeben werden darf.
Insofern haben in den USA die europäischen Interessen an der ‚öffentlichen
Beschaffung‘eine hohe Brisanz. Da geht’s ans Eingemachte.
## Auseinandersetzungen sind eine Selbstemanzipation
Das Gute an den Auseinandersetzungen mit TTIP ist, dass sie für die
deutsche Zivilgesellschaft eine Art Selbstemanzipation sind. Auch wird
allmählich der ökonomische Analphabetismus überwunden. Die Bewegung ist
zwar moralisch gut aufgestellt, aber wir haben immer noch zu wenig Leute,
die ökonomische Zusammenhänge verstehen und bewerten können. Deshalb ist
TTIP eine gute Gelegenheit, Menschen dazu zu bringen, sich auch mit so
einem trockenen Thema wie Handelspolitik zu beschäftigen und zu sagen, so,
jetzt reicht es mit dieser neoliberalen Gegenrevolution! Enorm, wie viel
die Bewegung sich an Wissen erarbeitet hat. Man muss das hervorheben, es
ist die Zivilgesellschaft, die das alles angeschoben hat, nicht die
Oppositionsparteien. Auf die können wir uns ja nicht verlassen.
Beim jüngsten SPD-Parteitag ist der Beschluss zu TTIP und Ceta hinter den
Erwartungen zurückgeblieben. Die Linken, gut, sie bemühen sich, können es
aber nicht. Die Grünen hingegen, die es könnten, wollen nicht. Auf die
Grünen, von denen ich nicht mehr viel halte, weil sie die neoliberale
Politik massiv mit beschleunigt haben, ist keinerlei Verlass. Im Bundesrat
sind sie eine Kraft, auf die es ankommt, weil sie auch blockieren können.
2016 liegt Ceta, das Kanada-Abkommen, im Bundestag zur Ratifizierung. Nicht
ein einziger grüner Landesminister hat bisher klar gesagt, dass er es
blockieren wird. Und das ist kein gutes Zeichen. In zehn Bundesländern
regieren Grüne und Linke mit und könnten dementsprechend eine Zustimmung
ihres Landes blockieren. Benötigt wird nämlich die absolute Mehrheit im
Bundesrat, damit die Zustimmung als ‚erteilt‘ gilt. Und die wäre eben nur
gegeben, wenn die Grünen ihr Händchen mit heben. Da wollen wir jetzt mal
eine klare Aussage! Wenn die Grünen nicht aufpassen, kann ihnen das ganz
gewaltig ihren Wahlkampf verhageln.
Bei TTIP müssen 29 europäische Länder zustimmen. Wenn eines davon Nein
sagt, ist das Ding erst mal gestoppt und man muss neu diskutieren. Über den
Bereich der Paralleljustiz haben wir noch gar nicht gesprochen: Die
Investitionsschutz-Schiedsgerichte sind besonders problematisch. Diese
bisher geplante Einrichtung erlaubt Konzernen, vor einem ‚Schiedsgericht‘zu
klagen, wenn sie ihre Gewinnerwartung durch politische Entscheidungen eines
Staates verletzt sehen. Solche Gerichtsverhandlungen sind nicht öffentlich
und es gibt keine Berufungsmöglichkeiten. Ein Unding! Österreich hat einen
Parlamentsbeschluss, wenn diese ‚Sondergerichte‘ drin sind, dann machen sie
nicht mit.
Ein gutes Beispiel wäre zu nennen: Der staatliche schwedische Stromkonzern
Vattenfall – der übrigens einer rot-grünen Regierung gehört – verklagt
derzeit Deutschland vor einem nicht öffentlichen internationalen
Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington auf
Schadenersatz wegen des Atomausstiegs. Durch die Stilllegung der
Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel seien Vermögenswerte vernichtet
worden. Sie berufen sich auf Investitionsschutzregeln des internationalen
Energiecharta-Vertrags (ECT). Da wollen sie dann gleich 4,7 Milliarden Euro
Schadenersatz. Selbst diese Summe wäre eigentlich geheim, nur Sigmar
Gabriel hat sich damals im Bundestag verplappert, deswegen wissen wir, dass
es 4,7 Milliarden Euro sind, die sie wollen. Für die der Steuerzahler
aufkommen muss. Bis wann das Verfahren abgeschlossen sein wird, ist unklar.
Bei den TTIP-Verhandlungen jedenfalls sieht es momentan so aus, als seien
die privaten Schiedsgerichte halbwegs vom Tisch. Handelskommissarin Cecilia
Malmström schlug vor, diese durch ein neues, modernisiertes ‚System von
Investitionsgerichten‘ zu ersetzen. Aber das ist nur Kosmetik, dadurch
hätten ausländische Konzerne weiterhin Sonderklagerechte. Deshalb fordern
alle Kritiker weiterhin, komplett auf privilegierte Klagerechte außerhalb
regulärer Gerichte zu verzichten.
## Es ist ihnen nicht gelungen, uns zu spalten
Schön, dass es nicht gelungen ist, die Bewegung zu spalten. Alle halten
zusammen! Spannend ist, dass eben nicht nur die ‚üblichen Verdächtigen‘
Aktionen machen und auf die Straße gehen. Der Protest geht von
Umweltverbänden und der Agraropposition aus, von der es heißt, die meckern
ja immer nur. Aber auch vom Deutschen Kulturrat, der IG Metall und anderen
Gewerkschaften. Die politische Klasse ist überrascht, wie breit die Front
von Gegnern ist.
Die TTIP-Opposition ist in West- und Südeuropa sicher stärker als in Nord-
oder in Osteuropa, aber sie wächst. In Polen beispielsweise gab es
mittlerweile größere Veranstaltungen, wo auch Gewerkschaften aktiv waren,
Einiges tut sich auch in Tschechien, Slowenien und Kroatien. Ungarn und
Bulgarien allerdings sind sehr schwach. In Rumänien tut sich einiges, auch
weil das ein Land ist, das mit Investor-Staatsklage-Verfahren schon
bereits einige negative Erfahrungen gemacht hat.
Schwer enttäuscht bin ich aber von Schweden, Heimatland von Frau Malmström,
und von Dänemark, weil dort selbst die Gewerkschaften so sehr den
neoliberalen Kurs fahren, dass sie pro TTIP sind. Aber insgesamt ist der
Widerstand eine absolute Erfolgsgeschichte. Nie hätte ich gedacht, dass
diese Bewegung so viel Dynamik bekommen würde. Ich glaube, wir werden
gemeinsam das Abkommen stoppen. Das Acta-Abkommen haben sie 2012 ja auch an
die Wand gefahren. Also ich bleibe optimistisch.“
Am 26. und 27. Februar veranstaltet Attac eine
TTIP-Strategie-und-Aktionskonferenz in Kassel für alle Aktiven aus dem
deutschsprachigen Raum
25 Jan 2016
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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