# taz.de -- Der Darm und was ihn beeinflusst | |
▶Darm: Etwa acht Meter lang ist der Darm mitsamt seinem Dünndarm. Das Organ | |
soll so groß wie ein Tennisplatz sein, wenn es möglich wäre, die ganzen | |
Zotten und Ausstülpungen auf einer Fläche gerade auszulegen. Im Laufe eines | |
menschlichen Lebens verdaut der lange Muskelschlauch rund 50.000 Liter | |
Flüssigkeit und 30.000 Kilogramm feste Nahrung. | |
▶Enterisches Nervensystem: Es ist die Steuerzentrale im Darm und hat viel | |
zu erledigen. Es nimmt Nährstoffe auf, schüttet Verdauungsenzyme aus und | |
steuert den Blutfluss. Hilfe bekommt es dabei von Hormonen, die auch im | |
Darm produziert werden. Gut, dass der Darm ein eigenes Nervensystem hat. | |
Unser Gehirn wäre mit diesen Aufgaben nämlich überfordert. | |
Legt man ein Stückchen des Darms in eine Nährlösung, arbeitet der Darm | |
einfach weiter. Eine Lunge kann außerhalb des Körpers nicht atmen, eine | |
Leber nicht entgiften. Das Darmstück aber zieht sich auch in einer | |
Petrischale zusammen und erschlafft wieder, als ob es das Essen | |
weiterbefördern wollte. Möglich macht das das enterische Nervensystem. Gut | |
verpackt liegen diese Zellen zwischen den Muskelschichten und in der | |
Schleimhaut des Darms. Etwa 100 Millionen Zellen sind es – das sind mehr | |
als das Rückenmark insgesamt besitzt. | |
▶Ernährung: Es gibt Hinweise, dass das Mikrobiom auf den Verlauf von | |
Krankheiten wirken kann. Wenn man annimmt, dass Gesundheit durch den Darm | |
geht, welchen Einfluss hat unser Essen? Auf ihrem Kongress Ende September | |
2015 präsentierte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie neue | |
Forschungsergebnisse. | |
So hat wahrscheinlich Kochsalz eine entzündungsfördernde Wirkung bei | |
Multipler Sklerose (MS). Und einige Fettsäuren in der Nahrung scheinen den | |
Verlauf bei MS zu beeinflussen. Langkettige Fettsäuren verändern bestimmte | |
Immunzellen. Das hat zur Folge, dass der Entzündungsprozess weiter | |
voranschreitet. | |
Kurzkettige Fettsäuren könnten eine Lösung dagegen sein. Wissenschaftler | |
der Universitätskliniken Bochum und Erlangen arbeiten jetzt bereits an | |
einer Fettsäurediät für MS-Patienten. | |
▶Mikrobiom: Es bezeichnet die Gesamtheit aller mikrobiellen Gene im | |
Organismus. Das Mikrobiom steht momentan im Forschungsfokus, aber wird noch | |
nicht umfassend verstanden. Dank der sogenannten Hochdurchsatzsequenzierung | |
lassen sich die Gene leichter als früher bestimmen. Gibt man „brain gut | |
microbiome“ im Medizinportal pubmed ein, erscheinen 171 Studien. Alle sind | |
in den vergangenen fünf Jahren erschienen. | |
▶Mikrobiota: Die Anzahl aller Mikroorganismen im Darm werden Mikrobiota | |
genannt. Seit einigen Jahren weiß man, dass die Darmbakterien eine wichtige | |
Rolle in der Darm-Hirn-Achse spielen. Billionen von Mikroorganismen | |
bevölkern den Darm, beispielsweise Bakterien, Hefen und Bakteriophagen, | |
also Viren, die fremde Viren angreifen. | |
Ein bis zwei Kilogramm sollen die Darmbewohner auf die Waage bringen. Neben | |
seiner vornehmsten Aufgabe – Nahrung zu verdauen – kann die Darmflora auch | |
Botenstoffe herstellen und ist in ständigem Kontakt mit dem Gehirn. | |
▶Neurochemie: Die oft herangeholte Bezeichnung des Darms als „zweites | |
Gehirn“ ist nicht ganz falsch, auch wenn die Zellen des enterischen Systems | |
natürlich nicht denken können. Trotzdem sind sie den Gehirnzellen | |
neurochemisch sehr ähnlich. Es sind dieselben Zelltypen, Wirkstoffe und | |
Rezeptoren. Und genau wie die Gehirnzellen produzieren sie Botenstoffe, | |
darunter Serotonin und Dopamin. | |
Im Organismus besitzt Serotonin vielfältige Wirkungen. Medikamente mit dem | |
Stoff können nicht nur bei Depressionen helfen, sie kurbeln auch die | |
Darmmotorik an. Bestimmte Antidepressiva tun daher auch Patienten gut, die | |
stark unter Magen- und Darmerkrankungen leiden. | |
▶Probiotika: Die Zubereitung, die lebensfähige Mikroorganismen enthält, | |
kann die Heilung von Krankheiten unterstützen, vermutet der Neurologe | |
Ulrich Dirnagl von der Berliner Charité. Er hatte festgestellt, dass viele | |
Patienten nach einem Schlaganfall zusätzlich noch an einer Lungenentzündung | |
erkrankten. Er fand heraus, dass die Schutzwälle des Darms nach einem | |
Hirninfarkt zusammenbrechen. Zusätzlich stören Antibiotika, die 30 bis 50 | |
Prozent der Schlaganfallpatienten bekommen, die Mikroben im Darm. In | |
Zukunft könnte man den Heilungsprozess mit Probiotika unterstützen. „Die | |
Patienten schlucken dann Bakterienarten, die das Mikrobiom positiv | |
verändern“, hofft der Charité-Professor. | |
▶Vagusnerv: Zwischen Darm und Kopf herrscht reger Verkehr. Zum einen leitet | |
der Vagusnerv Signale weiter. Die sogenannten afferenten Fasern schicken | |
Informationen vom Darm an das Gehirn. Die efferenten Fasern des Vagusnervs | |
senden dagegen Signale vom Gehirn. Der Anteil des Gehirns am Verkehr ist | |
aber vergleichsweise bescheiden. Etwa 90 Prozent der Nachrichten schickt | |
der Darm nach oben. Darüberhinaus sind an den Sendungen noch andere Spieler | |
beteiligt, wie Hormone, Immunmoleküle und Stoffwechselprodukte von | |
Bakterien. ASF | |
23 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Angelika Sylvia Friedl | |
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