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# taz.de -- Essay über Lachen: Das Narrenschiff geht niemals unter
> Warum lachen die anderen? Und wir? Erwägungen anlässlich einiger recht
> bekannter Präzedenzfälle. Eine Vorbereitung auf die Karnevalssaison.
Bild: Voll lustig
In einer frühen Radio- und Filmszene, „Die Büttenrede“, lässt Gerhard Po…
einen von ihm selbst gespielten Faschingsprinzen Erwin Wurster auftreten,
der im häuslichen Schlafzimmer und im Schlafanzug für die „lieben Närrinnen
und Narren“ des nächsten, des morgigen Auftritts Witze, Pointen und Reime
ausprobiert. Erwin, vom schon fortgeschrittenen Fasching und seinen eigenen
Prinzeneinsätzen und Alkoholschäden offenbar vollkommen geschlaucht,
memoriert dabei lauter schon extrem törichte und dabei wie tödlich ermüdete
Zwei- und Vierzeiler:
„Wir lassen‘s heut besonders krachen,
Wir bringen heute was zum Lachen,
Für alle, die da unten hocken,
Wenn‘s kracht, dann bleibt kein Auge trocken.“
Erwin, immer verzweifelter, auch wohl noch schwer verkatert, gibt
gleichwohl nicht auf, memoriert tapfer weitere Verse wie:
„Alaaf, hellau, alaaf, hellau,
Der Schnaps schmeckt uns auch ohne Frau“
– allerdings dann auch:
„Der Schnaps schmeckt jetzt auch meiner Frau“
– denn siehe:
„Und is‘ die Alte endlich voll,
Dann wird der Abend doch noch toll.“
Denn schließlich und immer trostloser:
„Das Narrenschiff geht niemals unter,
Wir bleiben heiter, froh und munter.“
Erwin übt nicht nur und testet dirigierend neue Überraschungsvarianten samt
Tusch und „Dadaa-dadaa“-Nachhall – er weiß auch schon den erwünschten
Effekt: „Da wieherns’ dann, die Leute“, und, nach dem nächsten besonders
erbärmlichen Witz: „Tusch – und da lachens‘ dann wieder.“
Erwin Wurster hat völlig recht, und aus Erfahrung praktisch schon alles
fertig programmiert. Der Film und die keineswegs eingespielten Lacher bei
Polts Bühnenvorführungen beweisen es: Das Publikum lacht wie ein
Lachautomat. Nur: ist trotzdem nie so ganz klar, wieso, warum sie lachen.
Trotz der nicht mehr überbietbaren dummen Verse – oder gerade ihretwegen?
Wegen der durchaus virtuosen Torheit inklusive Polts unnachahmlich
clownesker, nahezu tragischtrauriger Vortragsweise und Miene? Die den
Menschen im Publikum Erinnerungen an ähnliche wirkliche Faschingstrübsale
weckt? Man möchte das zweite annehmen, aber sicher kann man da nie sein.
Sie lachen, offenhörbar auch bei Polt, jenseits jeden Niveaus, jeden Sinns.
Sie? Zumindest viele.
Noch unklarer ist die analoge Sache bei dem sehr poltverwandten
Jahrhundertkomiker Heino Jaeger. Bei einem speziell bunten Rezitationsabend
in Saarbrücken ca. 1970 bringt Jaeger in der noch heute als CD erhaltenen
Fünf-Minuten-Nummer „Der Conferencier“nicht nur circa alle
branchentypischen Blödigkeiten auf den ihrerseits wunderbar komischen
Punkt; sondern auch den ab ovo schön konstruierten, aber halt leider
steinalten Witz: „Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer!“
Wie von Jaeger auch ganz bestimmt erwartet, kräht das große Publikum auf,
und als der Conferencier sich für den einfältigen Beifall bedankt, auch
dafür, er habe den Witz hier ja eigentlich schon mal vor zehn Jahren
gemacht, dankt ihm nochmals entschlossenes Lachen.
## Virtuose Frechheit
Ähnlich wie bei Polt ist schlechterdings ununterscheidbar, über was sie
lachen: über den altbackenen Witz? Oder über die virtuose Frechheit, ihn
hier – parodierend – nochmals zu präsentieren? Oder gar über die
Metapointe, dass sie sich da sauber haben hereinlegen lassen? In dubio pro
reo? Nein. Nein, hier herrschte wohl überwiegend größtmögliche
Geistesabsenz im Verein mit der im Lachfach üblichen ohnehinnigen Kopf- und
Gemütsträgheit.
Und über die dürfen wir Wachen nun unsererseits wiederum lachen? Lachen,
man weiß es aus zehntausend wissenschaftlichen oder mehr intuitiven
Beobachtungen, hat außer der spirituellen auch eine stark
physisch-mechanische Valenz: Der Mensch will einfach lachen. Will einfach,
vom Überdruck, von den Kalamitäten des bösen Lebens weg einmal lachen.
Einmal? Manchmal? Wie ein Lachsack praktisch immerzu? Wachheit beim Lachen
ist offenbar nur das – spätere? – Gegen- und Komplementärprinzip.
Die Lachautomatik ist nicht unbedingt etwas Dummes und gar Böses. Sondern
entspricht unserer genuinen, unserer primären physischen Natur; im Sinne
eines archaischen, eines noch heute wirksamen Atavismus. So wie (da sind
sich die Human-Archäologen wohl einig) das lachende Zähnezeigen
ursprünglich etwas wie Aggression, symbolischen Kampf signalisierte – so
zeigt sich das Polt-Jaeger‘sche Gelächter als hemmungsbefreiendes Vorrecht,
Recht auf ein Gehenlassen inmitten aller Lebenszwänge.
Das Lachen, so Robert Gernhardt in mehreren Studien und
Selbstbeobachtungen, kenne im Grunde kein ästhetisches Gesetz, finde statt
jenseits von „Niveau“. Das Niveau ist quasi erst später als Sonderfall,
durch die Deutung des Witzes, hinzugekommen.
Sofern man Komik und ihre Qualität dabei nicht nach älteren
Professorenbüchern und jüngeren Literaturpreisen, sondern nach
Mehrheitsentscheidungen bemisst, dann sind Lautstärke und
Erwartet/Unerwartetheit des pluralen Gelächters die zuständigen
Beweisstücke. Und praktisch nur in Liveaufnahmen wie bei Polt und Jaeger
sind die Befunde nachzuprüfen. Als Autor, als Rezitator eigener und häufig
komisch angelegter Texte, macht man immerhin seine eigenen Erfahrungen.
Manchmal wird überraschend gelacht, manchmal ziemlich unverständlicherweise
nicht.
## Rätselhafte Publikumslachgeräusche
Rätsel auferlegten mir von Beginn an die vernehmlichen oder ausbleibenden
Publikumslachgeräusche bei Lesungen des Beginns meiner Erzählung „Franz
Kafka verfilmt seinen ‚Landarzt‘“. Kaum hörbare Reaktionen hat es bei der
Passage vom werbenden Gewäsch der filmenden Lehrer, Kafka möge, dürfe, ja
solle auch „noch ein wenig am Drehbuch mit herumfeilen“: Diese, den
betrüblichen Zeitgeist der Branche wie der 70er Jahre auf den ordinären
Punkt bringenden Dummreden evozieren offenbar ebenso wenig Lachen wie der
Lehrer sinnlos-impertinentes Gequalle, die „Landarzt“-Erzählung „dränge…
schreie geradezu nach Verfilmung“ – eine ihrerseits schreiende und wohl
heute noch kurrente Feuilletonphrase.
Allerdings müsse dann, so das Lehrer-Filmer-Trio, in Süditalien „die
Schneesymbolik“ des Textes logisch „adäquat durch unheimlich Hitze, also
praktisch Tropen“ ersetzt werden, und außerdem könne man dabei auch
„erstklassig Urlaub machen“: Hier, inmitten eines Schwalls auch
anderweitiger Anachronismen, schwant ca. 33 Prozent der Zuhörerschaft,
kenntlich durch Kichergeräusche, etwas von der sogar leicht deprimierenden
Komik zeitgenössischen Vulgärdenkens und -benehmens.
Auch dass die Lehrer, weit jenseits von Kafka, besonders hastig und doppelt
unglaubwürdig von Orson Welles und Louis Malle „die neue Sinnlichkeit“ für
ihr Machwerk adaptieren möchten. Diese schon übermäßig inadäquate blöde
Rederei wird ihrerseits von meinem Auditorium lachend akzeptiert; auch,
dass Kafka „à la Hitchcock eine kleine Rolle übernehmen“ solle, erfährt
immer als Quittung hörbares Gelächter.
In der Summe: dürfte sich das, was den Hörern/Lesern an lauter oder leiser
Lachhaftigkeit einleuchtet und was nicht, ziemlich genau auf 50:50
hinbewegen. Und einigermaßen unbegreiflich bleiben.
Und wiederum ratlos machen.
## Anarchistische Tabubrüche
Lachen gründet in mehr oder weniger anarchistischen Tabubrüchen und
ähnlichen Regelverstößen, Verstößen gegen soziales wie ästhetisches
Benehmen. Zu dem Befund kommen auch andere Theoretiker – Robert Gernhardt
hat sich darüber hinaus immer wieder auch brütende Gedanken gemacht über
die Konsequenz dessen – etwa im Sinne eines „wertvollen Lachens“ oder ein…
minderen; das „wertvolle“ vor allem in Gestalt eines „im Halse stecken
bleibenden“; das wir hiermit, auch wenn es nichts nützt, schnellstens
vergessen wollen, es war wohl nie mehr als eine beharrliche Chimäre und
Edeldenkerphrase.
Bei Gernhardts Gedichtrezitationen sind bzw. waren selten sichere Lacher zu
prognostizieren, Lachkontinuitäten zu registrieren; am sichersten noch beim
bekannten Zweizeiler „Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher
selber welche“; der aber recht eigentlich gar nicht von ihm ist, sondern,
im Teamwork entstanden, von seinem früheren Partner-Alterego F. W.
Bernstein; und der vielleicht in der Erstversion doch noch genauer und
lachhafter ist:
„Die schärfsten Kritiker der Elche /Werden später selber welche.“
Beide Varianten erfreuen gut hörbar durch den Erkenntniswert von
Wiedererkennung eigener Erfahrungen und durch die schlagende Ironie, durch
eine Art Schock. Verblüffender, eigentlich unverhofft, das fast immer
unisono funktionierende Gelächter bei Loriots seinerseits verblüffendem
Statement, ein Leben ohne Mops sei „möglich, aber sinnlos“ – denn
eigentlich denken weder Hundefeinde ja so philosophisch; noch Mopsfreunde
in aller Regel so theologisch delikat.
Publikumslacher in der Oper sind selten, in der sogenannten komischen Oper
sogar am seltensten. Eine gar nicht so wichtige Stelle aber, ausgerechnet
inmitten aller Wagner‘schen Musikdramen-Gewichtigkeit, bei der Kraft einer
kleinen Pause der Text auch sehr deutlich hervortritt, hat dann doch
Erfolg: Wenn im 1. Akt der „Meistersinger von Nürnberg“ seitwärts des
Merkers Beckmesser der Ritter Walter von Stolzing sich zu einer Art Probe-
und Vorentscheidungssingen recht unwillig und nur der angezielten Braut
zuliebe sich im „Singestuhl“ niederlässt und kurz vor seinem
Auftakt-Ausbruch „Fanget an!“ vom Tabulaturchef Kothner darin bestätigt
wird: „Der Sänger sitzt!“ – dann ist von der Bayreuther Festspielbühne …
die Nürnberger Staatsoper bis in die New York Met und vermutbar sogar bis
in die russische Provinzbühne allzeit und unverbrüchlich das nämlich
dankbar-verständige und mittellaute Lachen aus dem Parkett zu vernehmen,
will quasi sagen: Wenn wir schon von Wagners Musikdramen-Ästhetik, von
seinem motivverzweigten Notengespinsten nichts Genaues verstehen – dass der
aufgewühlte und etwas konsternierte Tenor jetzt zum Sitzen kommt, das
überzeugt auch uns, beruhigt uns nicht minder als die zulauschenden
Nürnberger Singschul-Meister.
Weniger einheitlich, sondern nur von Kennern mit manchmal zart hörbarem
Kleingegacker quittiert wird die Szene im 2. „Siegfried“-Akt des gleichen
Komponisten: Des im nächtlichen Wald lagernden und den Nibelungenhort
hütenden Lindwurm Fanfers brummiges „Ich lieg‘ und besitz: lasst mich
schlafen!“ Der tiefe Brummbass wird zudem untermalt von allerlei noch
brummigeren Orchesterfarben und finster verschlafenen Harmonien –
vielleicht kommt aber ja die Komik dieser halb-tierischen Rede zu
feingesponnen daher, eigentlich das ganze riesige 14-Stunden-Werk erklärend
und zusammenraffend, als dass man bei einem überwiegend doch wenig kundigen
1.000- oder 2.000-Personen-Publikum sinnige, erkenntnissignalisierende
Reaktion, also eiliges Begreifen erwarten dürfte. Insgesamt hat es im „Ring
des Nibelungen“ der oftmals gewaltige Wortkomiker Wagner ja bis zum
heutigen Tag schwerer als der Kompositeur, der Welterlöser durch Musik, der
Töne-Magier.
Mehr unfreiwillige, von Wagner kaum gewollte Komik entfacht im 3. Aufzug
von „Tristan und Isolde“ der traurige König Marke mit seiner albern,
trübseligen, zudem mehrfach variierten Bilanz „Tot denn alles! Alles tot?“
Aber – über was dürfte ein waches Publikum da eigentlich auflachen? Über
Markes, über Wagners schwindende Kräfte? Und wann genau sollte es da das
Lachen sich trauen?
## Wiedererkennungsticket
Wer es als Wortkünstler, als Komiker zu einer Art Wiedererkennungsticket
gebracht hat, der tut sich mit dem zuverlässigen Lachen überhaupt leichter
als in aller Regel der subtile Bastler und Stricker und Filigranist. Ein
abermals nürnbergaffiner Mann, der Humorist Herbert Hiesel, hatte in seiner
Glanzzeit, den Fünfziger-/ Sechziger Jahren, den alle Zeit sicheren Trumpf
in der Tasche und im schwerst fränkelnden Mund mit einem die jeweiligen
Sketche eröffnenden oder intermezzohaft dazwischen gepferchten „Jou
werkli!“ – meint: Ja wirklich, es ist so, wie ich es sage. Damit waren die
Herzen und die zum Lachen sich aufreißenden Mäuler seiner oft riesigen,
5.000 oder 10.000 zählenden Zuhörer und kreischenden -innen auch schon
gewonnen. Manche Nummern, man kann das auf alten Platten nachprüfen,
bestanden beinahe ausschließlich aus diesem „Jou werkli“-Ticket.
Wiedererkennendes Lachen als kollektives Heimatgefühl, als Schutz- und
Trutzbündnis: Noch einen winzigen Schritt weiter ging kurz nach Kriegsende
hierin die bayerische Volkshumoristin und als solche durchaus könnerische
Vulgärkrachnudel Kathi Prechtl, wenn sie jeden Bühnen- oder Funkauftritt
mit den scharf herausgekrähten und schon gelachten Worten „ja varreck!“
begann – ja verrecke, gemeint war ein im Grunde ins Edeldeutsche
Unübertragbares, am ehesten entsprechend dem „Goddam“ oder auch „Fuck“.
„Ja varreck!“ – mit diesem Start hatte das etwas undefinierbare Lebewesen
Kathi ihr aufs Stichwort lauerndes Publikum bereits restlos vereinnahmt, in
den Himmel eines paradiesischen Niedrigkeitselysiums spediert – im Rahmen
eines Monologs, den der Verlag heute noch als „Kostbarkeit“ verscherbelt;
in Wahrheit handelt es sich um eine Epiphanie an Lärm und „Quatsch: „Ja
varreck!“
Eine Epiphanie, ein Aphrodisiakum für ein Publikum, das, ärger noch als
Kathi, nur noch hingegossen, ja wie besessen lachen, krähen wollte.
Vielleicht ein durchaus plausibler Regress zum Beginn der Menschheit, zu
den frühestens Initaialzündungen des Lachens, des Humoristischen; als es
galt, die leidergottes erfolgte Austreibung aus dem Paradies durch ein
Äquivalent an Lust und insofern wieder Gottnähe zu kompensieren.
Abermals: Humor als Heimat.
Und: ein sehr frühes Bekenntnis zum „Stahlbad fun“ (Horkheimer/Adorno,
Kulturindustrie, bereits 1944!), die etwas geistesverlassene Gemütslava
ohne jegliche Selbstzensur; im theoretischen Verbund mit der alten Sigmund
Freudschen Spekulation, Lachen bedeute „Ersparung des Hemmungs- und
Unterdrückungsaufwands“; die vor einem runden Jahrhundert
niedergeschriebene „Lust“ gegen den „Triebverzicht“ durch „unsere
sogenannte Kultur“.
In mehreren der Theorien hat das Lachen ja fast immer mit Überdruck, mit
Eruption und Explosion unter jenem, zu tun. Bei neueren Exemplaren fällt es
zuweilen schwer, an dieses landläufige Metaphernschema zu glauben.
Gelächter erfolgt da wohl oft, einzeln und in der Masse, aus schierer
zerebraler Abwesenheit, ausgelöst durch irgendein Stichwort meist sexueller
oder fäkalischer Herkunft; manchmal durch die sich selbst erfüllende Lach-
und Ablachhoffnung voller Unverstand. Wobei das lachende Publikum etwa
Polts naturgemäß ein etwas anderes und informierteres sein sollte als das
von Kathi Prechtl – oder auch nicht.
Bei Heino Jaegers wohl sehr gemischtem Publikum schien vorm und beim
Lachen, wie bei vielen seiner Figuren und speziell den Radioreportern, eine
Art Somnabulismus zu obwalten, ein vitales Dauerdösen, eine alles
überlagernde Schläfrigkeit. Die aber ihrerseits doch den pünktlichen
Lacheinsatz garantiert. Mitzuhören ist quasi eine, wenn man so will,
universelle Freundlichkeit durch dick und dünn. Als Ausdruck wiederum von
durchaus anarchischer Gesinnungs- und Gefühlsautonomie.
Humor, man weiß es von Bierbaum, ist ja, wenn man trotzdem lacht.
Aber, um der Gerechtigkeit willen: Es gibt auch Jaeger-Nummern mit
Publikumsecho, bei denen das Gelächter erstaunlich präzis, pünktlich,
gerecht, sogar dynamisch adäquat auftritt. Werweiß gibt es ja auch
zweierlei Publikum; eins aus Connaisseuren und Fans – und eins aus bloß
menschenähnlichen Lachmaschinen.
Alle habhaften Theorien ein bisschen schnöd zusammengerafft, bleibt wohl
nicht viel mehr, als dass Komik und in der Folge Lachen freudvolle Wirkung
hat, eine wenn auch schwer, ja kaum definierbare „Lust“ zeitigt. Ist Lachen
am Ende so etwas wie ein bedingter Pawlowscher Reflex wie der bei den
hungrigen Hunden beobachtete? Wobei allerdings nur der „Reflex“ klar wäre,
das Lachen – nicht aber die „Bedingtheit“. Die Qualität des Witzes ist es
offenbar nicht, eher schon das vorbildhafte Lachen des Sitznachbarn.
## Zerebrale Abwesenheit
Aber nochmals: Warum lache die Leute, auch und vor allem dann, wenn
inmitten eines meist geplärrten Wortinfernos bei TV-Comedians die Witze zum
Weinen sind? Man darf da, an dieser Schnittstelle des Weltensinns, wohl
Immanuel Kants sehr alte „Anthropologie“ zur Deutung heranziehen: „Beide,
das Lachen und das Weinen, heitern auf.“ Ja dann.
Und heitern wird wohl auch der Lärm an sich. Bei Gerhard Polt, in einer
schon bejahrteren Soloszene, wäre zumindest ein Spezialfall zu bedenken.
Ein halb sympathischer, halb etwas depperter Raisonneur eventuell in
Lederhosen, ein südbayerischer und ein bisschen wohl auch poltähnlicher
Landsmann, steht auf einer entsprechenden Wiese, inmitten einer gebirglich
romantisch-idyllischen Landschaft und plappert scheint‘s harmvoll-harmlos
und Einverständnis erheischend vor sich hin; ehe es plötzlich, fast
blitzschlagartig zur Quintessenz und Pointe kommt dergestalt: In so einer
speziell bayerischen Traumlandschaft habe doch, seien wir mal ehrlich, „ein
Neger“ nichts zu suchen, „passe einfach nicht rein“.
Das Publikumslachen kommt wohl immer auch blitzartig, eruptiv, ungehemmt.
Und das zu Recht. Denn natürlich hat das Gerede ebensowenig mit Rassismus
zu tun wie mit rechtspopulistischer Akklamationsanbiederung. Was durch die
Vernunft und Zivilitätskultur eigentlich zurückgewiesen und beweint werden
müsste, darf einmal, hier und jetzt (und dann vielleicht nie mehr), sich
Raum und Hall verschaffen. Die altgewohnten Grenzen der politischen
Korrektheit erbarmungslos überspringen. Auch und gerade dann, wenn
nachweislich keiner im Publikum was gegen „Neger“ hat. Wäre es anders, und
hockten im Publikum erahnbar lauter Nazis und Volldeppen, dann sähe es auch
für Polt wieder etwas anders aus.
Oftmals, ja fast immer, dankt sich Komik, schuldet sich kollektives Lachen
der möglichst plötzlichen Fallhöhe. In abermals Gerhard Polts vom ersten
bis zum letzten Satz inspirierten Zehn-Minuten-Monologszene „Der Weber Max“
berichtet gegen Ende ein stark südbayerischer Gemeinderat und
Webermax-Kollege von einem „Symposion“ dieser recht seltsamen und übermä�…
durstigen Parlamentarier bei der Regierung von Oberbayern, wo es im Zuge
von „Gesprächen auf höchstem Niveau“ hinsichtlich des einladenden und
vielleicht allzu fürsorglichen Regierungspräsidenten auch bald zur
gemeinderätlichen Anerkennung kommt: „Ein gebildeter Mann – leck mich am
Arsch!“
Besser kann man es wirklich nicht sagen, und wiederum zurecht erfolgt hier
immer massives Gelächter. Abermals aus einem ebenso willkommenen wie
produktiven Tabubruch heraus. Spitzenpolitik, zumal bayerische, auch wenn
sie sich „auf höchstem Niveau“ bewegt, wird immer auch etwas von der
Assoziation einer irgendwie Rundlichen, Gemüthaften, Harmonischen, ja
Arschigen, beleckt. Die Frage bleibt freilich im Raum stehen, warum man das
gleiche nicht auch zum Beispiel beim Ableben des Bundespräsidenten, ja
eines Marktler Papstes sagen darf. In dieser ja nun sogar stark
anerkennenden, fast ehrfürchtigen Formulierung nicht einmal der Gerhard
Polt.
Noch weitere und stark bohrende Fragen? Ja, eine. Die, warum sie eigentlich
zum Lachen den Auflauf, den Aufwand des Auflaufs, nötig haben. Abermals aus
Gewohnheit, Gedankenlosigkeit, ja atavistischem Aberglauben? Haben sie denn
jenseits der Veranstaltungen mit Hiesel oder Hildebrandt oder sei‘s mit
Polt sonst gar nichts zu lachen? Zu Hause oder auf der Kreissparkasse?
Lachen sie sonst nie? Nicht einmal auf – ihrer Beerdigung?
18 Jan 2016
## AUTOREN
Eckhard Henscheid
## TAGS
Karneval
Komik
Comedy
Ausstellung
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Erinnerung an ein merkwürdiges Genie: Dr. Jaeger lässt bitten
Eine kleine Ausstellung mit einem, der nie ganz groß rausgekommen ist: In
Hamburg ist Heino Jaeger mit seiner vielleicht produktivsten Phase zu
sehen.
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