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# taz.de -- Rumoren Viele Befunde über den Darm stammen aus Tiertests. Sie sin…
Bild: Gefärbte Röntgenaufnahme des Superorgans
Interview Angelika Sylvia Friedl
taz.am wochenende: Herr Enck, im Darm leben Billionen Bakterien. Ihr Erbgut
bildet zusammen das Mikrobiom. Seit einiger Zeit weiß man, dass es auch auf
das Gehirn wirkt. Wie kam es zu der Entdeckung?
Paul Enck: Das haben wir den neuen Techniken der Molekularbiologie zu
verdanken. So konnte man viele neue Darmbakterien entdecken und deren Gene
untersuchen. Außerdem sind nach Entschlüsselung des menschlichen Genoms
viele Wissenschaftler arbeitslos geworden. Die haben sich dann auf das
Mikrobiom gestürzt. Die Gesellschaft hat hier viel Geld investiert. Man
muss sich das mal vorstellen – bis vor 10, 15 Jahren waren die meisten
Darmbakterien gar nicht bekannt.
Wie funktioniert denn die Verbindung zwischen der Darmflora und dem Gehirn?
Das wissen wir leider nicht so ganz genau. Vermutlich durch unmittelbare
Interaktion mit dem enterischen Nervensystem des Darms oder über das
Immunsystem des Darms, das die aufgenommene Nahrung sondiert und in „gut“
und „böse“ unterteilt. Sicherlich auch über Stoffwechselprodukte, die von
den Bakterien produziert werden, wenn sie sich über das hermachen, was
unsere Verdauung übrig lässt. Die stellen sie dann dem Körper und damit
auch dem Gehirn zur Verfügung. Wahrscheinlich ist, dass sie alle diese Wege
nutzen.
Es gibt Spekulationen, wonach die Darmflora Krankheiten verursachen könnte
wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Autismus oder Diabetes. Was ist dran an
diesen Berichten?
Wir haben bislang keinen Nachweis, wonach die Darm-Mikrobiota auf die
Entstehung dieser Krankheiten beim Menschen Einfluss nimmt. Aber es gibt
Hinweise, dass sie auf den Verlauf von Krankheiten wirken kann. Jedenfalls
unterscheidet sich die Darmbesiedelung bei Menschen, die an Alzheimer oder
Autismus erkrankt sind, von der gesunder Menschen. Bei Parkinson könnte der
Darm das Einfallstor für das Lewy-Körperchen sein, weil man es im
Nervengeflecht des Darms nachgewiesen hat. Das Protein ist typisch für die
Krankheit.
Gibt es denn für Autismus oder Schizophrenie eindeutige Nachweise?
Eindeutige Antwort, nein. Belege für die Verursachung einer Krankheit gibt
es in keinem Fall. Die Tatsache, dass in einigen Studien Veränderungen der
Mikrobiota gefunden wurden, lässt nicht den Schluss zu, dass es eine
Ursache-Wirkungs-Beziehung in einer Richtung gibt. Außerdem wird in den
meisten Studien die Mikrobiota überhaupt nicht untersucht. Das hat auch
damit zu tun, dass die komplette Analyse einer einzelnen Stuhlprobe immer
noch etwa 800 Euro kostet.
Kann eine veränderte Darmflora auch Stimmungen des Menschen beeinflussen?
Die meisten Befunde über Verhaltens- und Stimmungsänderungen stammen aus
Tierversuchen. Man hat zum Beispiel ängstlichen Mäusen die Darmflora von
mutigen Tieren eingepflanzt. Die waren dann tatsächlich mutiger. So ein
Experiment ist aber nur schwer auf Menschen übertragbar.
Warum ist das so?
Weil es Mäuse mit einem keimfreien Darm waren.
Ein anderes kontroverses Thema sind probiotische Lebensmittel, die ja bei
Darmerkrankungen helfen sollen. Und angeblich verbessern Probiotika jetzt
sogar die Stimmung.
Es gibt eine Studie von Emeran Mayer aus Los Angeles mit gesunden
Teilnehmern, doppelblind placebokontrolliert (Patienten und Mediziner
wissen nicht, wer welche Substanz erhält, Anm. d. Red.). Er hat untersucht,
ob ein Probiotikum die Stimmung bei gesunden Probanden verändert hat. Die
Probanden mussten im Hirnscanner Gesichtern, die Trauer, Angst oder Wut
zeigten, so schnell wie möglich Emotionen zuordnen. Tatsächlich konnten die
Leute in der Joghurt-Gruppe besser Emotionen erkennen.
Das klingt ganz ermutigend.
Aber das Ergebnis ist bislang nicht reproduziert worden. Wahrheit entsteht
nicht dadurch, dass jemand etwas zeigt, sondern dadurch, dass es wiederholt
werden kann. Was ich vermute: Es gab Dutzende von Versuchen, die nicht
funktioniert haben. An diesem Thema sitzen viele Leute dran, ich selbst
mache gerade zwei Studien.
Aber ein bisschen wirkt Joghurt dann doch?
Na ja, aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Zum Beispiel wurde auf
einem Gastroenterologen-Kongress in Barcelona im Oktober eine derzeit noch
unveröffentlichte Studie kurz vorgestellt. Es ging um Patienten mit
Reizdarmsyndrom. Interessant ist die Studie deshalb, weil das Probiotikum
überhaupt keine Wirkung auf die Darmfunktionen hatte. Aber es hat die
Stimmung der Patienten verbessert, jedenfalls im Vergleich zu einem
Placebo. Das deckt sich mit unseren Befunden. Nicht alle Probiotika sind
generell potent zur Verbesserung der Darmfunktionen. Vor Kurzem haben wir
eine Analyse veröffentlicht über 56 solcher Studien. Alle, die es zum
Reizdarmsyndrom bislang gibt und die placebokontrolliert waren. Die eine
Hälfte der Studien sagt, es hilft, und die andere Hälfte, es hilft nicht.
Ich habe hier eine Studie spanischer Wissenschaftler. Sie behaupten, dass
Fastfood das Risiko erhöht, an einer Depression zu erkranken. Ist das
nachvollziehbar?
Die Untersuchung zeigt nur, dass Menschen, die Depressionen hatten,
häufiger Fastfood aßen. Das Risiko wird um den Faktor 1,4 vergrößert, kein
besonders großer Faktor. Es gibt also einen Zusammenhang, aber der kann
auch umgekehrt sein: Kranke Menschen ernähren sich anders, machen wenig
Sport. Dass Fastfood ungesund ist, haben wir vorher gewusst.
Offenbar sind sich aber alle einig, dass eine intakte Darmflora vor
Erkrankungen schützen kann. Was ist denn eigentlich eine intakte Darmflora?
Das weiß niemand so genau. Wie auch, bei weit über 1.000 verschiedenen
Bakterienstämmen und ihren Unterstämmen. Dann gibt es noch die Gene, die
diese Bakterien steuern. Auf der ganzen Welt untersuchen Wissenschaftler
daher Populationen von gesunden Menschen, um die Normalität besser
bestimmen zu können.
Stimmt es, dass gutes Essen dem Darm hilft?
Ja, sicher. Wer viel Fertigprodukte isst, hat eine geringere
Bakterienvielfalt als jemand, der sich abwechslungsreich ernährt. Das
trainiert auch das Immunsystem. Ein Lebewesen, das sich zum Beispiel in der
Kindheit nicht aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzen kann, wird später
anfälliger für Erreger. Es ist ja schon lange bekannt, dass Kinder, die mit
Tieren oder auf dem Bauernhof aufwachsen, deutlich weniger an Allergien
oder Autoimmunerkrankungen leiden. Nun können wir natürlich keine
Bauernhöfe in der Stadt aufbauen. Die Idee der Mikrobiologen ist jetzt,
diesen Prozess der Anpassung mit Probiotika zu stimulieren. Ich denke, da
sind wir auf einem guten Weg.
23 Jan 2016
## AUTOREN
Angelika Sylvia Friedl
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