# taz.de -- Das mit Wodka geröntgte Quadrat | |
> Jubiläum Gemessen am kulturellen Wert verlaufen die 100-Jahr-Feiern zum | |
> Gemälde "Das Schwarze Quadrat" kurios. Wie viel hat der Künstler, den man | |
> jetzt zelebriert, mit Kasimir Malewitsch zu tun? | |
Was verbirgt sich eigentlich hinter dem „Schwarzen Quadrat“? Als Kasimir | |
Malewitsch im Dezember 1915 sein berühmtes Bild „auf weißem Grund“ zum | |
ersten Mal in der Ausstellung „0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung | |
der Malerei“ in der Galerie Dobytschina in Petrograd ausstellte, stellte | |
sich diese Frage niemand. | |
Zu sehr schockierte nicht nur die Kunstwelt, dass eine „nackte Ikone“ | |
(Malewitsch) das traditionelle Heiligenbild im Herrgottswinkel der | |
russischen guten Stube ersetzen sollte. Und natürlich erschütterte sie | |
Malewitschs Schlachtruf von dem „Nullpunkt der Malerei“ so, dass sie nicht | |
auf die Idee kam, zu erforschen, was unter dem schlecht angerührten | |
schwarzen Malgrund liegen könnte. | |
Gemessen an der epochalen Ansage des Russen verlaufen die 100-Jahr-Feiern | |
dieser Inkunabel einigermaßen erstaunlich, um nicht zu sagen: kurios. | |
Landauf, landab wird dieser Tage ein Künstler zelebriert, der diesen Typus | |
für ein „Vorurteil der Vergangenheit“ hielt und der sich strikt gegen | |
Lenins Einbalsamierung und Zurschaustellung auf dem Roten Platz gewandt | |
hatte. Und zwar von einem Publikum, das bei der nächsten Art Week gern auch | |
wieder „Painting forever“ ruft. | |
Fast wird auch mehr Zeit auf die Erörterung der Röntgenaufnahmen von | |
Malewitschs Jahrhundertwerk verwandt, als auf die Frage, ob sein Bild oder | |
seine Ideen noch irgendwie zeitgemäß sein könnten. Natürlich ist seinen | |
nachgeborenen KollegInnen heute die Emphase fremd, mit der der große Russe | |
vor hundert Jahren rief: „Fliegerkameraden, folgt mir, fliegt! Vor uns | |
erstreckt sich die Unendlichkeit.“ Die Abstraktion ist schließlich | |
durchgesetzt. | |
Aber erschließen sich seine Intentionen besser, wenn man weiß, dass unter | |
dem „Schwarzen Quadrat“ eine „protosuprematistische Komposition“ | |
schlummert? Oder ist Malewitschs Slogan von der „Suprematie der reinen | |
Empfindung“ plötzlich weniger wert, weil sich herausgestellt hat, dass er | |
ihrem berühmtesten Sinnbild einen rassistischen Witz unterlegte? Mitunter | |
beschleicht einen der Verdacht, dass die Akribie, mit der Forscher und | |
Sammler solchen Spuren nachgehen, auch dazu dient, die geistige | |
Herausforderung Malewitsch zu umgehen. | |
Der Künstler Mikael Mikael offerierte am vergangenen Wochenende bei einer | |
wodkagestützten Feierstunde in der Berlinischen Galerie eine Zeichnung, die | |
in den Konturen der Risse, die inzwischen Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ | |
durchziehen, eine „Landkarte nach Utopia“ erkennen will. Geschenkt. Noch | |
das in die Jahre gekommen Bild selbst offeriert eine viel aufregendere | |
Erfahrung: durch das „befreite, schweigende Nichts“ eine Ahnung vom „Keim | |
sämtlicher Möglichkeiten“ aufdämmern zu lassen. Ingo Arend | |
21 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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