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# taz.de -- Noch immer kein Burgfrieden in Sicht
> Aufwertung Über die Zukunft des Kulturstandorts Wiesenburg ist erneut
> Streit entbrannt. Ihre Nutzer fürchten die Verdrängung durch die Degewo.
> Kommunikationspannen des Unternehmens erzeugen weitere Ängste
Bild: Einst Obdachlosenasyl und Filmkulisse, heute Kulturzentrum und grünes Kl…
von Matthias Bolsinger
Rund drei Wochen lang hatte die städtische Wohnungsbaugesellschaft Degewo
den Kulturstandort Wiesenburg wegen vermeintlicher Einsturzgefahr nahezu
vollständig sperren lassen. Jetzt kann zumindest ein Teil der Künstler und
Handwerker wieder zurück in die Ateliers und Werkstätten. Das bestätigte
Degewo-Sprecher Lutz Ackermann der taz. Somit kehrt im Konflikt über die
Zukunft des Kreativstandorts etwas Ruhe ein, doch nur an der Oberfläche.
Denn die vergangenen Wochen haben dem ohnehin schwachen
Vertrauensverhältnis zwischen der Degewo und den Wiesenburgern nachhaltig
geschadet. „Wir wünschen uns von der Degewo eine andere Einstellung uns
gegenüber“, sagt Robert Bittner vom Wiesenburg e. V., der die Interessen
der Nutzer vertritt. „Dass sie mit uns zusammen- und nicht über unseren
Kopf hinweg arbeitet.“
Die Weddinger Wiesenburg steht auf einem etwa 12.000 Quadratmeter großen
Gelände am Ufer der Panke. Erbaut wurde sie im Jahr 1895 vom Berliner
Asylverein, über Jahrzehnte hinweg diente sie als Heimstätte für Obdachlose
und Wanderarbeiter, die dort ein Bett und eine warme Mahlzeit bekamen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg setzte der Verein die Ruine wieder teilweise instand
und öffnete sie für Künstler, Handwerker und Filmemacher. Heute arbeiten
auf der Wiesenburg unter anderen Bildhauer, Maler und Tänzer. Doch nicht
nur künstlerisch, auch sozial strahlt der Ort in den Wedding aus: Kinder
aus ökonomisch benachteiligten Haushalten konnten hier ihre Ferien
verbringen, die Wiesenburg diente umliegenden Schulen als „grünes
Klassenzimmer“.
Doch damit war es im Sommer vorbei. Nachdem dem Asylverein das Gelände nach
jahrzehntelangem Rechtsstreit entzogen worden war, überschrieb es der Senat
der Degewo. Die ließ einen Großteil des denkmalgeschützten Geländes wegen
Einsturzgefahr sperren – seitdem steht das kulturelle Leben auf der
Wiesenburg still. Zwar präsentierte sich die Degewo der Öffentlichkeit als
dialogbereite Retterin der Wiesenburg, doch die Nutzer fürchten seither die
Verdrängung aus ihrer kulturellen Heimat.
Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Konflikt am 26. November. Die
verbliebenen Nutzer mussten ihre Räume verlassen – es bestehe „Gefahr für
Leib und Leben“, heißt es in einem Schreiben der Degewo an die
Wiesenburger. Beim Einsturz von Decken könne es zu einem „Dominoeffekt“
kommen, der auch die bislang gesicherten Bereiche bedrohe. Das belege ein
Gutachten.
Die Wiesenburger reagierten empört. Sie befürchteten, die Degewo wolle das
Gelände leer stehen und verwahrlosen lassen, um später umso radikalere
Sanierungsmaßnahmen durchführen zu können. Die Künstler sorgten sich um
ihre Existenzgrundlage: „Alle diese Menschen haben in den vergangenen
Jahren ihr Geld, Engagement und Zeit in diese Orte investiert, um sich eine
Existenzgrundlage zu schaffen“, so Robert Bittner. „Das Angebot der Degewo
an einige Wiesenburger, einen leeren Raum in einem anderen Stadtbezirk als
Ersatz zu erhalten, war realitätsfern. Es bot nicht allen die Möglichkeit,
ihren Beruf weiter auszuführen.“
In der Zwischenzeit hat die Degewo einen maroden Schornstein teils
abgebaut, lose Ziegelsteine gesichert und Stützen in den Keller gebaut,
sodass fast alle im November ausgezogenen Nutzer Mitte Dezember wieder
zurückkonnten. Doch die Wiesenburger trauen dem Unternehmen nicht mehr.
Zumal es das Gutachten, das die Sperrung Ende November rechtfertigen
sollte, nie gab. Dieses angebliche Gutachten waren lediglich „schriftliche
Stellungnahmen“ eines Statikers, bestätigt Lutz Ackermann. Auch vom
erwähnten „Dominoeffekt“ ist nun keine Rede mehr – eine
Kommunikationspanne. „Das hat natürlich nicht zum gegenseitigen Vertrauen
beigetragen“, räumt der Degewo-Sprecher ein. Allerdings sei eine
langfristige Vollsperrung auch nie geplant gewesen.
Die Degewo arbeitet an einem Planungsverfahren, in dem die Zukunft der
Wiesenburg geklärt werden soll – auch unter Beteiligung ihrer derzeitigen
Nutzer. Doch wie soll ein Dialog stattfinden, wenn die Fronten derart
verhärtet sind? „Die Rahmenbedingungen sind alles andere als einfach“, sagt
Carsten Spallek (CDU), Baustadtrat im Bezirk Mitte, gegenüber der taz. Er
wünscht sich „verbale Abrüstung“ und eine „Versachlichung“ des Prozes…
Beide Seiten müssten aufeinander zugehen.
Die Bezirksverordnetenversammlung bekräftigte indes ihr Interesse an einer
gemischten Nutzung auf dem Gelände der Wiesenburg. Am 17. 12.
verabschiedete das Gremium einen Dringlichkeitsantrag. Dieser fordert neben
dem Neubau von gefördertem Wohnraum auch die größtmögliche Sicherung und
langfristige Mietverträge für die Bestandsnutzer.
28 Dec 2015
## AUTOREN
Matthias Bolsinger
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