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# taz.de -- Die Freiheitskämpfer
> Internet Aktivist Crille organisiert Crypto-Partys in Bars, Büros und
> Universitäten. Konstantin von Notz ist einer der prominentesten NSA-Jäger
> des Bundestages. Und Stephanie Hankey macht mit ihrer Firma Aktivisten
> und Journalisten für den technologischen Wandel fit. Die drei gehören zu
> den Privacy-Aktivisten in Berlin. Sie setzen sich für die Freiheit und
> Privatsphäre im Netz ein, wollen Überwachung sichtbar machen – und den
> Menschen die Augen öffnen
Von Christoph ZeiherIllustrationen Philippa Ruda
Heute Abend, das weiß Crille, gibt es viel zu tun. Etwa 50 Leute sind
gekommen, Männer und Frauen, jung und alt. Mehrmals pro Monat finden in
ganz Berlin Crypto-Partys statt, mal in Bars, mal in Büros oder an
Universitäten. Organisiert werden sie von freiwilligen Helfern wie Crille.
„Seit knapp zwei Jahren bin ich jetzt bei den Crypto-Partys dabei. Kurz
nach den Snowden-Leaks habe ich darüber gelesen und dachte mir: Gute
Sache!“
Crypto bedeutet so viel wie Verschlüsselung, die Abkürzung für
Cryptography. Party heißt das Ganze, damit es nicht so sehr nach Arbeit
klingt. Und tatsächlich erinnert die Stimmung eher an eine WG-Party als an
einen Abendkurs in der Volkshochschule. Jeder bringt seinen Laptop oder
sein Smartphone mit und dazu ganz viele Fragen. Nach ein bis zwei Stunden
weiß man dann, wie man seine E-Mails verschlüsselt, sicher chattet oder
anonym durchs Netz surft.
## Geheimdienstskandal zog Gegenbewegung nach sich
Vor etwas mehr als zwei Jahren hat Edward Snowden geheime Dokumente an
Journalisten weitergegeben und damit den größten Geheimdienstskandal der
Geschichte ausgelöst. Und er hat eine Gegenbewegung losgetreten. Immer mehr
Leute kommen seitdem zu den Crypto-Partys in Berlin.
Im Bundestag ist Hochbetrieb, die Büros rotieren, ein Termin jagt den
nächsten. Der 44-jährige Konstantin von Notz wirkt müde, abgekämpft. Seine
Haare, sonst akkurat nach hinten gestriegelt, wollen an diesem Morgen nicht
so, wie er will. Eine Kanne grüner Tee soll die Müdigkeit vertreiben.
Neben Hans-Christian Ströbele ist er einer der prominentesten NSA-Jäger des
Bundestages. Im Untersuchungsausschuss will er die Geheimdienstaffäre
aufklären, das heißt: die Zusammenarbeit des BND mit der NSA, der National
Security Agency (deutsch: Nationale Sicherheitsbehörde) untersuchen und
dabei der Regierung auf den Zahn fühlen.
Immer wieder versichern zwar Regierungsvertreter mit diakonischem Lächeln,
man habe den amerikanischen Freunden ins Gewissen geredet. Bis heute aber
bleiben die Bemühungen, den Skandal aufzudecken, bloße Scharade. Im
politischen Berlin ist beim Thema Geheimdienste die Lüge zur Grammatik
geworden. Konstantin von Notz ist trotzdem optimistisch. Was bleibt ihm
auch anderes übrig. „Im Grunde ist es heute wie beim Kampf gegen die
Atomkraft“, sagt er. „Ich komme aus einer Partei, die ‚Atomkraft, nein
danke!’ gesagt hat. Damals war eine Fahne mit einer Sonne drauf, die
Energie machen sollte, vollkommen utopisch.“
## „Im Grunde ist es wie beim Klimawandel“
Der Vergleich zeigt, warum dieses Thema so verdammt schwierig ist.
Überwachung ist etwas Leises. Niemand sieht sie, niemand hört sie, niemand
fühlt sie. Atomkraftwerke brauchen keine Allegorie, Panzer und Zäune auch
nicht. Sie sind einfach da. Diese Vergleiche sind notwendig, damit alle es
sehen. Genau dafür kämpfen die Privacy-Aktivisten in Berlin. Sie setzen
sich für die Freiheit und Privatsphäre im Netz ein, wollen Überwachung
sichtbar machen und den Menschen die Augen öffnen.
Auch Stephanie Hankey von Tactical Tech weiß um die Wichtigkeit dieser
Vergleiche: „Im Grunde ist es wie beim Klimawandel“, meint sie. „Wir warn…
die Menschen vor zukünftigen möglichen Katastrophen, die man nicht sieht.“
Gemeinsam mit einem Kollegen hat die Britin vor 13 Jahren Tactical Tech
gegründet. Ihr Ziel: Aktivisten und Journalisten dabei helfen, Technologie
effizienter zu nutzen.
„Ein Aktivist oder eine Aktivistin zu sein, ist heute nicht mehr dasselbe
wie früher. Allein schon aufgrund des technologischen Wandels“, sagt sie.
Ganz deutlich habe sich das im Arabischen Frühling gezeigt. Aber auch wenn
es um Frauenrechte im Nahen Osten oder Homosexuellen-Aktivisten in Russland
geht, könne Verschlüsselung heute schon viel Schutz bieten.
Hankeys blaue Augen wirken wach, mit einem Lächeln streicht sie sich die
Haare hinters Ohr. So wie sie da sitzt, könnte sie tatsächlich einem
Berliner Design-Büro entsprungen sein. Sie scheint perfekt in diese Stadt
zu passen. Nach Berlin aber ist sie aus einem ganz bestimmten Grund
gezogen. „Es gibt andere Orte, wo wir hätten hingehen können“, sagt sie.
„Aber da passiert nichts. Die meisten internationalen Leute aus der Szene
sind in den letzten zwei Jahren nach Berlin gezogen. Wir hatten Glück, dass
wir den richtigen Ort ausgesucht haben.“
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht jemand aus der Szene verkündet, er
sei endlich nach Berlin gezogen, und dafür Anerkennung und Freude erntet.
Berlin ist zum Anziehungspunkt für Privacy-Aktivisten geworden, vielleicht
auch weil sich diese Stadt noch nicht von ihrer Vergangenheit erholt hat.
Überall sind noch die Narben zu spüren.
Nur wenige Blocks von Hankeys Büro entfernt hat die Stasi im Jahr 1963
einen geheimen Fluchttunnel entdeckt und verschlossen. Menschen, die in
dieser Stadt für ihre Freiheit kämpften, wanderten damals ins Gefängnis.
Heute arbeiten Menschen wie Stephanie Hankey daran, Aktivisten überall auf
der Welt zu helfen, die genau dieses Schicksal teilen.
„Es ist ein Klischee, dass Deutsche sich mehr sorgen als andere“, sagt
Hankey. „Aber es gibt hier eine Generation, die viel schneller die
zentralen Fragen dieses Problems versteht. Ich kann hier mit einer
65-jährigen Frau reden, die in Ostdeutschland gelebt hat. Sie wird sich
viel mehr für gewisse Dinge interessieren als beispielsweise die gleiche
Person in Großbritannien.“
## In Berlin finden immer mehr Crypto-Partys statt
Auch auf den Crypto-Partys spürt man das wachsende Interesse der Menschen.
„Ganz am Anfang, kurz nach Snowden waren 80–100 Leute bei den
Crypto-Partys“, sagt Crille. „Aber da gab es auch nur eine in zwei Monaten,
mittlerweile sind es sechs pro Monat und es werden mehr.“
Nach einer kurzen Einführung geht es endlich los. An jedem Tisch warten
„Angels“, so heißen die Lehrer auf Crypto-Partys. Jeder von ihnen hat ein
bestimmtes Thema, zum Beispiel E-Mail-Verschlüsselung oder sicheres
Browsen. Crille erklärt heute, wie man sein Smartphone sicherer macht.
„Ist es schlimm, wenn ich ein iPhone benutze?“, fragt eine Teilnehmerin.
Schlimm sei hier gar nichts, beruhigt sie Crille. Erst recht nicht das
eigene Verhalten. Das Motto lautet: Es gibt keine dummen Fragen. An der Bar
abseits der Tische wird geraucht. Manche gönnen sich eine erste Pause. Die
meisten aber bleiben dabei, stellen Fragen und installieren neue Programme.
Wenn es um die Gefährdung der Privatssphäre geht, sind der deutsche
Geheimdienst und seine ausländischen Partner aber nur ein Teil des
Problems. Im Grunde sind es zwei Phänomene, gegen die Privacy-Aktivisten zu
Felde ziehen: die staatliche Überwachung und die Datensammelwut privater
Konzerne wie Facebook oder Google.
„Die Menschen denken immer noch, Google sei eine Suchmaschine“, sagt
Stephanie Hankey. „Aber wenn man sich das genauer anguckt, ist es ein
Unternehmen, das das komplette Leben seiner Nutzer vereinnahmen will.
Früher hätten uns solche Aussagen paranoid wirken lassen.“
Sie lacht. Eine kurze Pause, durchatmen, schnell wieder weg von den wilden
Theorien. Hankey merkt sofort, wenn ihr Gegenüber misstrauisch wird. „Aber
Google gibt das mittlerweile ja selbst zu“, beschwichtigt sie. „Es gibt
schon heute Armbänder, die alle Daten direkt an meine Versicherung
weiterleiten. Dafür kriege ich dann 50 Euro Rabatt pro Jahr. Ist unsere
Freiheit wirklich so wenig wert?“
## Der User mag es schön bequem und kostenfrei
Moderne Überwachungspraktiken basieren nicht mehr auf Druck. Alles ist
bequem und kostenfrei, nur seine persönlichen Daten muss man preisgegeben.
Auch Konstantin von Notz sieht diese Gefahr: „Spätestens wenn die Leute
feststellen, dass sie einen Studienplatz oder einen Kredit nicht bekommen
oder ihre Krankenversicherung teurer wird, weil sie bei Facebook mit den
falschen Leuten befreundet sind, haben wir eine interessante Diskussion.“
Tatsächlich erleben wir gerade eine Phase, in der sich die
Machtverhältnisse gravierend verschieben. Wer verstehen will, wie wertvoll
Daten sind, muss nur dem Geld folgen. Der Kapitalismus sucht sich seine
Zentren verlässlich dort, wo am meisten Gewinne warten. Immer öfter strömen
Jura- und Wirtschaftsabsolventen aus Harvard und Stanford ins Silicon
Valley statt an die Wall Street.
Die Privacy-Bewegung ist größer geworden, vor allem in Berlin. Aber bewegt
hat sich noch nicht viel. Es brodelt zwar an allen Ecken und Enden in
dieser Stadt, der Druck aber reicht noch nicht aus. „Erst wenn Tausende
Menschen aufhören, etwas zu benutzen, wird sich etwas verändern. So
funktioniert das nun mal“, sagt Hankey. Aber womit denn aufhören?
„Ich habe meinen E-Mail-Anbieter geändert. Zu einem, dem ich ein bisschen
Geld bezahlen muss. Aber der dafür nicht mit meinen Daten handelt. Das ist
ein gutes Geschäft. Auch für meine Privatsphäre“, sagt Konstantin von Notz.
So groß war das Vertrauen in die Politik dann wohl doch nicht, um auf eine
Besserung zu warten.
Um Mitternacht diskutieren einige Teilnehmer der Crypto-Party immer noch
miteinander. Crille hat Feierabend, seine Zigarette hat er sich verdient.
„Heute war eine gute Crypto-Party. Ich geh mit mehr Energie raus als ich
vorher hatte“, sagt er. „Unser Ziel ist ja, dass es Crypto-Partys
irgendwann nicht mehr braucht. Aber bis dahin machen wir weiter.“
Und was den Geheimdienstskandal angeht, stehen wir noch ganz am Anfang.
Schätzungsweise ein Prozent der Snowden-Dokumente wurde bis heute
veröffentlicht. Die Aktivisten haben also noch einen langen Weg vor sich.
## Raumstation direkt unterm Alexanderplatz
Dass sie bei all dem ihren Humor aber nicht verlieren, beweist der
offizielle Gründungsmythos der c-base: Der Legende zufolge ist der
Hackerspace Teil einer 4,5 Milliarden Jahre alten Raumstation, die auf die
Erde gestürzt ist und erst 1995 wiederentdeckt wurde. Der Mittelpunkt der
Raumstation liegt in Mitte – direkt unterhalb des Alexanderplatzes.
Und jetzt raten Sie mal, wie die Antenne dieses interstellaren Wracks
aussieht. Ganz genau, oder dachten Sie wirklich, das sei nur ein
Fernsehturm?
Christoph Zeiher, 26, ist freier Journalist in Berlin. Für das Magazin Das
Netz schreibt er über Netzpolitik und digitale Bürgerrechte.
Philippa Ruda, 27, ist Grafikerin aus Freiburg. Sie hat an der hKDM in
Freiburg studiert und arbeitet als Künstlerin und Illustratorin.
19 Dec 2015
## AUTOREN
Christoph Zeiher
Philippa Ruda
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