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# taz.de -- Unterwegs Mia Florentine Weiss ist eine aufstrebende Künstlerin, d…
Bild: Mia Florentine Weiss: „Der Pegasus ist für mich das Zeichen für alles…
Gespräch Carolin PirichFoto Bernd Hartung
Ein Atelier in einem alten Speicherhaus im Osten Berlins. Draußen glitzert
die Spree, drinnen ist es kühl und feucht. November.Mia Florentine Weiss
setzt sich, schlägt die Beine übereinander, spricht so schnell, wie sie
sich bewegt: kaskadenartig. Auf ihrem Laptop startet ein Video – 15 Jahre
ihrer Kunst in 15 Minuten. Es ist der Eröffnungsfilm zu ihrer großen
Ausstellung im Senckenberg Museum in Frankfurt. Nach dem Film wartet sie
keine Frage ab. Sie hat eine Botschaft.
Mia Florentine Weiss: Die Nabelschnur ist für mich die Verbindung zur
Muttererde. Wir haben einen Ur-Uterus, das ist die Natur. Aber wie gehen
wir mit ihr um, Stichwort Klimakatastrophen, Erderwärmung? Wenn wir diese
Urverbindung aufgeben, dann verlieren wir uns im digitalen Nirwana. Die
Nabelschnüre des 21. Jahrhunderts sind das Internet, ist die Medizin, sind
Handykabel. Eine Nabelschnur führt auch in meine Ausstellung hinein …
taz.am wochenende: Eine echte Nabelschnur?
Das wäre schön. Aber dann hätte ich entweder sehr viele Kinder gebären oder
sehr viele Menschen danach fragen müssen, mir ihre zu überlassen. Nicht mal
die forensische Abteilung des Naturkundemuseums Frankfurt besitzt so viele
Nabelschnüre. Ich habe die nach der Geburt meines Kindes aufgehoben. Sie
wird in einer Installation zusammen mit der Plazenta ausgestellt. Rein
rechtlich gehört sie meinem Sohn.
Sie gehört dem Baby?
Die Plazenta ist gerecht aufgeteilt. Sie ist in mir entstanden, aber auch
ein Teil von ihm gewesen. Seine Stammzellen sind darin konserviert.
Ihr Sohn ist auch auf dem Foto „Das Muttertier“ zu sehen. Ein starkes Bild:
Sie sitzen nackt in einer alten Apotheke zwischen eingelegten Körperteilen,
an Ihrer einen Brust saugt Ihr Baby, an der anderen die Milchpumpe.
Das „Muttertier“ habe ich aus einem tiefen emanzipatorischen Grundbedürfnis
gemacht. Das bin zwar ich, aber ich bin hier der Prototyp einer Frau, die
es geschafft hat zu gebären, zu überleben und zu arbeiten. Maschine Mensch?
Ich bin weder eine schlechte Mutter, weil ich nicht aufhöre zu arbeiten,
noch bin ich eine schlechte Künstlerin, weil ich ein Kind habe. Ich bin das
lebende Beispiel dafür, dass beides geht.
Klingt wie eine Rechtfertigung.
Als die erste Galerie auf mich zukam, Morgan Contemporary in Berlin, habe
ich aufgehört, mich zu rechtfertigen. Das war vor fünf Jahren. Mittlerweile
kann ich sagen, dass ich von meiner Kunst leben kann. „Das Muttertier“ ist
mittlerweile in einigen internationalen Sammlungen und wurde von
Privatsammlern gekauft.
Muss man sich als Frau heute in der Kunstwelt anders behaupten als ein
Mann?
Ja. In den Top 30 der zeitgenössischen Künstler weltweit gibt es nicht
einmal fünf Frauen. Männer wie Damian Hirst, Jeff Koons, Neo Rauch und
Gerhard Richter verdienen exorbitant mehr und sind medial exponiert.
Der Preis ist nur eine Währung für den Wert von Kunst.Künstlerinnen sind
auch nicht in so vielen Sammlungen vertreten, nicht in so vielen Museen
präsent wie Männer. Männliche Sammler überwiegen, Mäzeninnen unterliegen.
Das liegt zum großen Teil sicher an der Geschichte – selbst wenn eine Frau
gemalt hat, kam das kaum aus dem Wohnzimmer heraus.
Es hat einfach keinen interessiert, Frauen waren die Musen. Es ist noch
nicht so lange her, dass sich die Frau davon emanzipiert hat, nur das
Modell zu sein. Im MOMA in New York sind immer noch weniger als zehn
Prozent aller Werke von Künstlerinnen.
Mia Weiss galoppiert jetzt durch die Kunstgeschichte, betont den
theoretischen Ober- und Unterbau von Kunst, lässt lateinische Begriffe
fallen, sagt: „Das große Latinum war doch für was gut.“ Dabei spricht sie
so schnell, dass einem beim Zuhören die Puste ausgeht. Aber bei alldem
wirkt sie nicht eitel. Im Gegenteil. Es entsteht vielmehr der Eindruck, sie
habe gelernt, ihre Weiblichkeit mit extra viel Wissen zu überspielen. Von
den besten Performances gäbe es heute gar kein Zeugnis, sagt sie
schließlich. Hebt die Hände. Nichts mehr zu machen.
Sie tragen einen Totenkopf als Ring am Finger. Wie manche Rapper. Oder …
…wie eine Pseudo-Fashionista? Nein. Ich habe den auf dem Flohmarkt
gefunden. Und den anderen habe ich selbst gemacht. Einen Totenkopf bei sich
zu tragen ist, als hätte man den Tod bei sich, damit er einen verschont.
Ist das Ihre Angst – zu sterben?Ja. Aber ich glaube, das ist die größte
Angst aller Menschen. Ich bin nur eine, die sie ausspricht.
Warum machen Sie das?Ich wäre als Baby bei der Geburt fast gestorben. Ich
lebe im Bonus, weil ich ohne die Medizintechnik gar nicht hier wäre. Es
eröffnet mir Möglichkeiten, Dinge zu tun, die ich sonst nicht tun würde.
Gleichzeitig bin ich sehr nervös, sehr sensibel, sehr ängstlich. Um dem
etwas entgegenzusetzen, gehe ich in Grenzsituationen voll rein. Das ist
paradox. Aber ich glaube, dass mir dann nichts passieren kann.
Ein Beispiel, bitte.
Wenn ein Kind in einen Brutkasten kommt, schwebt es zwischen Leben und Tod.
Es liegt in Plastik, wird mit Handschuhen angefasst. Wenn es die Technik
nicht gäbe, würde es nicht überleben. Als ich 30 Jahre alt geworden war,
habe ich einen Brutkasten gebaut und bei einer Vernissage eine Performance
in Innsbruck damit gemacht. Ich habe mich in eine große, durchsichtige Box
mit zwei Öffnungen gelegt, in die man hineingreifen konnte.
Was haben Sie empfunden, als Sie da drin lagen?
Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber ich kann mich schlecht daran
erinnern, weil ich wie in Trance war. Später habe ich mir auf den Videos
angeschaut, dass sich die Leute still und würdevoll in einer Schlange
angestellt haben. Als dann der erste reingefasst hat, haben alle
reingefasst. Wenig später gab es Hände von allen Seiten, gleichzeitig. Aber
das Schlüsselbein war wie eine Art Gebot der Unschuld. Mich hat niemand
unterhalb des Schlüsselbeins berührt.Waren Sie nackt?
Ich trug ein altes Nachthemd meiner Großmutter. Es war nicht nötig, nackt
zu sein. Babys im Inkubator sind es auch nicht. Sie tragen eine Windel. Es
wäre aber nicht authentisch, wenn ich eine Windel für Erwachsene tragen
würde, es sei denn, ich wäre inkontinent. Dann schon.
Erinnern Sie sich an eine Begegnung?
Es gab einen Mann, der mir die gesamte Performance hindurch die Füße
massiert hat. Eine Frau erzählte mir von der Inkubatorzeit ihres eigenen
Kindes. Sie sagte, dass sie sich große Sorgen um mich mache, dass sie mir
viel Kraft wünsche. Ich habe ihr meine Hand gegeben, und wir haben beide
angefangen zu weinen. Das ist der Grund, warum ich das alles mache: Eine
Performance ist immer eine Momentaufnahme eines Gefühls. Das ist der
riesige Unterschied zur bildenden und darstellenden Kunst. In der
Performance gibt es Momente, die nicht wiederkommen. Sie sind authentisch.
Im Schauspiel ist Blut Ketchup. In der Politik gibt es Redner, die sagen,
was andere schreiben. Selbst Bücher werden nicht unbedingt authentisch
geschrieben. Aber in der Performance ist alles echt.
Wann haben Sie sich zum ersten Mal „Künstlerin“ genannt?
Da gab es ein bestimmtes Erlebnis. 2006 flog ich über Namibia. Aus dem
Flugzeug sah ich riesige grüne Kreise im backsteinfarbenen Land.
Uterus-Felder, fand ich. In dieser Landschaft habe ich dann ein Dorf
besucht. Die Stammesälteste kam auf mich zu. Sie hatte einen Eimer mit
einem Gemisch aus Blut, Milch und roter Erde in der Hand. Damit hat sie
mich eingerieben. Für ihren Stamm ist das eine Art von Schutz.
Hat sie sich wenigstens vorher vorgestellt?
Nein. Das kam aus heiterem Himmel. Danach habe ich meine Wohnung gegen ein
Atelier getauscht und mich getraut, die Sachen, die ich seit 1999 gemacht
habe, den ersten Leuten zu zeigen.
Wie waren die Reaktionen?
Unterschiedlich. Aber es ging ja darum, die Sachen überhaupt zu zeigen.
Hat es eine Rolle gespielt, dass Sie nie an einer Kunstakademie waren?
Es ist sicherlich leichter, wenn gewisse Kuratoren auf dich aufmerksam
werden, weil du ein ZKM- oder Städelschüler bist. Mein Weg ist definitiv
härter.
Sie haben Modejournalismus studiert. Der Plan B, falls es mit der Kunst
nicht klappt?
Nein. Ich habe einiges studiert, alleine schon um zu eliminieren, womit ich
nicht den Rest meines Lebens verbringen will. Aber es gab keinen Plan B.
Einer Ihrer Nebenjobs war das Modeln. Sie waren die Frau mit weißem Hut,
die sich in paradiesischer Strandkulis se eine Praline ohne Schokolade
in den Mund schiebt. Oder?
Das war während des Studiums und ist über zehn Jahre her. In der Zeit habe
ich gemerkt, wie viel Geld ich mit solchen Jobs verdienen kann. Ganz
allein. Das habe ich in meine Projekte gesteckt, die kosmopolitischer und
vom Equipment her professioneller werden konnten.
Im Vorgespräch zu unserem Treffen hätte Mia Weiss auf die Frage nach ihrem
Modeljob beinahe den Hörer aufgelegt. Aber wie sie da so sitzt, mit ihrer
Elfenbeinhaut, den ebenmäßigen Gesichtszügen, kommt man um das Thema
Schönheit kaum herum.
Ist es in der Kunstwelt ein Vor- oder Nachteil, gut auszusehen?
Es ist wunderbar, als gut aussehend bezeichnet zu werden. So lange es eben
noch geht. Aber ich freue mich auf den Tag, als alte Frau mit Glatze eine
Nacktperformance zu machen.
Ihr aktuelles Projekt ist ein ausgestopfter Schimmel, dem Sie Flügel gebaut
haben.
Meine Installation „Pegasus“, ja, eine Dermoplastik. Aber nicht, weil ich
eine Pferdenärrin wäre.
Worum geht es?
Es gibt ein Gedicht von Schiller, Pegasus am Joche. Ein Pegasus ist weder
Mensch noch Tier, er schwebt dazwischen, er ist ein Hybrid. Er hat Flügel,
aber als er auf die Welt kommt, wollen die Menschen ihm die Flügel
abhacken. Man braucht Ackergäule, keine Flügel. Der Pegasus also ist für
mich das Zeichen für alles, was anders ist. Der Islam in Deutschland.
Schwarze in Schweden. Schwule in Russland. Am Stahlkorsett der Flügel
befinden sich Objekte, die ich überall auf der Welt gesammelt habe und die
mich gefunden haben.
Was sind das für Objekte?
Ein Spiderman aus Indien, Ballettschuhe aus Russland, Ketten aus Afrika,
ein Dolch aus Damaskus. Ich habe gesammelt, getauscht, gefunden, geborgt,
gekauft. Jetzt muss ich ausholen …
Gerne.
Nach dem Abitur habe ich gejobbt, um mit meinem Rucksack losziehen zu
können. 15 Jahre lang bin ich durch alle Kontinente gereist und habe
Menschen nach ihrem jeweiligen Schutzraum befragt. Und immer, wenn ich kein
Geld mehr hatte, musste ich wieder improvisieren. Ich konnte mich nicht
dazu entschließen, Kunst zu machen. Meine Mutter hatte an der
Folkwangschule in Essen Design und Kunst studiert. Und ich wusste von ihr,
dass man von der Kunst nicht gut leben kann.
Ihr Vater war der Ernährer?Nicht alleine. Wir haben lange in Moskau gelebt.
Nicht in einer Expat-Kolonie, wo nur Deutsche leben, sondern mittendrin.
Mein Vater hat meiner Schwester und mir eine U-Bahnkarte in die Hand
gedrückt. „So“, hat er gesagt, „Do swidanja, Russisch ist nicht schwer, …
sehen uns heute Abend, und wenn du nicht mehr weiterkommst, ruf mich an.“
Das hat mich geprägt. Sonst hätte ich vielleicht nicht den Mut gehabt, nach
dem Abi nochmal nach Moskau zu gehen.
Warum brauchte das Mut?
Ich habe bei ProSieben ein Praktikum in der Auslandsredaktion gemacht. Das
war 1999.
Der Tschetschenienkrieg …
Ja, der Beginn davon. Hochhäuser flogen in die Luft. Ich habe körperlose
Köpfe in Helmen gesehen, Menschenteile.
Damals haben Sie angefangen zu sammeln.
Zerbrochene Köpfe von Porzellanpuppen zum Beispiel, die ich versuchte,
wieder zusammenzusetzen. Jetzt habe ich dafür ein Epoxidharz entwickelt,
über die Fundstücke gegossen und zu Flügeln zusammengeschweißt.
Möglicherweise ist der Pegasus die Verarbeitung dessen, dass ich mit 19
Jahren Leichenteile auf der Straße gesehen habe. Aber er war noch nicht
fertig. Es hat noch etwas gefehlt.
Sie sind mit dem ausgestopften Tier auf eine Reise gegangen, die viele
Tausende Flüchtlinge aus Syrien machen.
Ein Flüchtling ist wie der Pegasus ein Grenzgänger, der kein Zuhause hat.
Ich hatte letztes Jahr mit Pro Asyl nach authentischen Flüchtlingsrouten
recherchiert. Ich wollte wissen, welchen Weg jemand nimmt, der aus Damaskus
flieht. Man fährt nach Izmir in der Türkei, weiter nach Didim, dann braucht
man einen Schlepper und ein Boot, fährt über die Ägäis. Pegasus kommt aus
der griechischen Mythologie. Ich habe ihn nach Hause gebracht.
Das war aber noch vor dem großen Flüchtlingsstrom.
Ja, vor mehr als einem halben Jahr. Heute würde ich das nicht mehr machen.
Warum?
Es macht künstlerisch keinen Sinn, auf Flüchtlingsströme aufmerksam zu
machen, wenn das Thema allgegenwärtig ist.
Erzählen Sie, wen Sie bei Ihrer Reise getroffen haben.Am Strand einer
griechischen Insel traf ich Nart, einen syrischen Jungen. Er kam aus einer
Flüchtlingsunterkunft, einem runtergekommenen Hotel, schaute sich Pegasus
an und gab mir spontan drei Dinge, die ich in den Flügel einbauen sollte:
Einen Ring, ein Souvenir und den letzten Geldschein aus Syrien, den er
hatte. Er hat sich in seinen Finger geritzt und mit seinem Blut Love,
Nartdraufgeschrieben. Seine Dinge sollten Deutschland erreichen, auch wenn
er nicht dorthin kommt.
Wie haben Sie reagiert?
Wir haben die griechische Version einer Heißklebepistole besorgt, Nart eine
Räuberleiter gebaut, und er hat seine Objekte an den Flügel geklebt.
Danach ist er einfach in das Hotel zurückgegangen?
Ja. Nach zehn Minuten kamen viele Flüchtlinge aus demselben Hotel, in dem
300 Menschen ohne Strom und ohne Wasser eingepfercht waren, Syrer,
Afghanen, Afrikaner. Sie hatten Dinge dabei, die der Pegasus auch mitnehmen
sollte. Ich war zunächst überfordert. So hatte ich das nicht konzipiert.
Was ist aus Nart und seiner Familie geworden?
Inzwischen haben sie mit unserer Hilfe in Amsterdam politisches Asyl für
fünf Jahre bekommen.
Ihr Sohn ist eineinhalb. Nehmen Sie ihn mit auf Ihre Reisen?
Wenn ich hardcore arbeite, kümmert sich meine Schwester um ihn. Aber er
kommt immer mit, wenn es geht. Tagsüber bin ich fürs Kind da. Nachts
arbeite ich.
Und wann schlafen Sie?
Frei nach Fassbinder: Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.
Carolin Pirichist Kulturreporterin und braucht nach dem Gespräch trotzdem
noch ihren Schlaf
Bernd Hartungist freier Fotograf und hält es lieber mit Erich Kästner: „Wer
schlafen kann, darf glücklich sein”
5 Dec 2015
## AUTOREN
Carolin Pirich
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