# taz.de -- Flüchtiges Internet | |
> KOMMUNIKATION Wird die Ausstattung von Flüchtlingsunterkünften | |
> thematisiert, geht es selten um Zugang zum Internet. In Hellersdorf | |
> beweist das Refugee Emancipation Project, wie wichtig ein Internetcafé | |
> für Flüchtlinge sein kann | |
Bild: Ein Ort der Selbstbestimmung für Flüchtlinge: das Internetcafé des Ref… | |
von Christian Schlodder | |
Das Internet ist zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, dass | |
sich viele von uns gar nicht mehr bewusst sind, was ihnen fehlen würde, | |
wenn sie vom digitalen Leben abgeschnitten wären. Die aktuelle Nachrichten | |
einholen, sich über die nächsten Zugverbindungen informieren, soziale | |
Kontakte pflegen – all dies wäre ohne weltweites Netz ungleich schwerer. | |
Und Flüchtlinge sind ganz besonderes auf einen digitalen Draht zur Welt | |
angewiesen: Oftmals können sie nur so den Kontakt zu Heimat und Familie | |
halten. Auch das Zurechtfinden in Berlin ist ungleich leichter, wenn man | |
sich im Netz informieren kann. | |
Doch eine einheitliche Internetregelung für Flüchtlingswohnheime gibt es | |
nicht: Manche Heime bieten Computerplätze – andere nicht. Ein Dschungel aus | |
unklaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten lässt die | |
Internetversorgung für Flüchtlinge zum Flickenteppich werden. Vieles, wenn | |
nicht fast alles, läuft nur über den Einsatz von Freiwilligeninitiativen. | |
Der 47-jährige Chu Eben kennt das Problem nur zu gut. Seit mittlerweile 17 | |
Jahren lebt der Kameruner in Deutschland. Aber er erinnert sich noch gut an | |
seine Jahre im Asylverfahren und die Zeit der zwangsverordneten | |
Untätigkeit, in der er nicht arbeiten durfte und viel Zeit mit Warten | |
verbringen musste. Als ihm ein paar Studenten den Umgang mit Computern und | |
dem Internet näherbrachten, erkannte er, dass das Internet auch Leute im | |
nichtdigitalen Raum verbinden kann. Vor 14 Jahren gründete er das Refugee | |
Emancipation Project, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Internetcafés für | |
Flüchtlinge einzurichten. | |
## Elf Rechner plus zwei für Kinder | |
Dank des Vereins gibt es in Berlin und Brandenburg inzwischen sechs | |
Internetcafés für Flüchtlinge. Auf eines, das in Hellersdorf, ist Chu Eben | |
besonders stolz: Es ist das erste außerhalb eines Flüchtlingsheims. Elf | |
Rechnerplätze mit Internetzugang gibt es, dazu zwei Rechner extra für | |
Kinder, auf denen ein paar Spiele installiert sind. In einer Ecke steht ein | |
Kicker neben einem braunen Ledersofa. Die Raummitte dominiert ein großer | |
Tisch, an dem das Wichtigste besprochen wird. | |
Chu Eben streicht sich das dunkle Sakko zurecht, bevor er stolz durch den | |
Raum führt. An zwei Plätzen skypen zwei junge Männer mit zu Hause: ein | |
lautes Sprachendurcheinander, das erahnen lässt, was hier los ist, wenn | |
alle Plätze besetzt sind. „Das ist nicht nur ein Internetcafé, das ist ein | |
sozialer Raum. Ein Raum der unterschiedlichsten Kulturen und Religionen. | |
Und das Wichtigste: Es ist ein selbst organisierter Raum. Ein Raum der | |
Selbstbestimmung“, sagt Eben nicht ohne Stolz. Das Wort „Selbstbestimmung“ | |
fällt auffällig oft in seiner Erzählung – wie zum Beweis, wie wichtig | |
selbige für Flüchtlinge ist und dass sie ihnen vielerorts offenkundig | |
fehlt. | |
Seit Jahren versucht Eben, die Leiter von Flüchtlingsheimen von dem Konzept | |
der Internetcafés zu überzeugen. Oft genug scheitere es aber an der Angst | |
vor rechtlichen Grauzonen; das Wort „Störerhaftung“ höre er oft, erzählt | |
er. Dabei musste in den 14 Jahren, in den es das Refugee Emancipation | |
Project nun schon gebe, noch nie eine Unterlassungserklärung unterschrieben | |
oder eine Strafzahlung wegen illegaler Downloads beglichen werden. | |
## Es geht um Vertrauen | |
Ohnehin hätten die Betreiber mit solchem Ärger selbst gar nichts zu tun, | |
betont Eben: Die Verträge mit den Telefonanbietern schließe sowieso der | |
Verein ab, der sich im Falle eines Falles mit diesen Problemen | |
auseinandersetzten müsse. Nichtsdestotrotz verlangten aber viele | |
Heimbetreiber, sofern sie überhaupt einen Gemeinschaftsraum zur Verfügung | |
stellen, die volle Kontrolle über das, was in diesem Internetcafé | |
geschieht. Das aber kann Eben nicht hinnehmen: „Das würde aber nicht | |
funktionieren. Bei diesem Projekt geht es eben auch um Vertrauen – und | |
viele Flüchtlinge vertrauen der Heimleitung nicht. Es ist wichtig, dass wir | |
den Schlüssel haben und für all das selbst verantwortlich sind“, sagt er. | |
Denn das selbst verwaltete Internetcafé soll auch als Beweis dafür dienen, | |
dass sich Flüchtlinge sehr wohl ohne Bevormundung selbst organisieren | |
können. In Hellersdorf kümmern sich die beiden Pakistaner Sajid Khan und | |
Ali Shabaz darum, schließen morgens um zehn Uhr auf und abends um zehn | |
wieder zu, sorgen für Ordnung und die technische Administration. | |
Der 31-jährige Shabaz betätigt sich schon seit anderthalb Jahren in dem | |
Projekt. Manchmal zehn Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Er kümmert | |
sich ums Technische, achtet darauf, dass alles in Schuss gehalten wird, | |
plant Veranstaltungen mit. Gerade denke er auch über ein Sportangebot für | |
Flüchtlinge nach, erzählt er. Dieser Ort sei „enorm wichtig“ für die 500 | |
Heimbewohner in unmittelbarer Nähe, findet Shabaz – und teilweise auch für | |
Menschen außerhalb des direkten Einzugsgebiets. | |
So wie für Mohammed Ibrahim. Der 30-Jährige floh vor zwei Monaten aus | |
Ägypten nach Berlin, nachdem er nach einer politischen Demonstration | |
verhaftet worden war. Drei Monate habe man ihn ohne Anklage in eine Zelle | |
gesteckt, erzählt er. Fünf Zähne schlug man ihm aus. „Das war der Moment, | |
in dem ich erkennen musste, dass Ägypten nicht mehr mein Land ist“, sagt | |
Ibrahim. | |
Seitdem sitzt er in der Notunterkunft in der Bitterfelder Straße in Marzahn | |
und wartet auf seine Registrierung. Es sei eine Art Dahinvegetieren, sagt | |
er. Die Tagesabläufe seien immer gleich. Früh aufstehen, Frühstück, am | |
Lageso anstellen – in der Hoffnung, diesmal aufgerufen zu werden –, | |
Abendessen, schlafen. | |
Inzwischen kommt Ibrahim regelmäßig ins Internetcafé, hält über Facebook | |
Kontakt zu Freunden und Familie, schaut sich auf YouTube Deutschlernvideos | |
an und versucht, durch intensives Surfen, aber auch in Gesprächen zu | |
ergründen, wie das Zusammenleben in Deutschland funktioniert. „Hier im Café | |
gibt es eine lockere Atmosphäre der Hilfsbereitschaft. Man lernt Leute | |
kennen. Alles ist sinnstiftend und friedlich. Ganz anders als in der | |
Notunterkunft“, sagt er. | |
Zwölf Jahre hat Ibrahim im Tourismus gearbeitet und träumt nun von einem | |
Job in Deutschland. „Hier bekomme ich mehr Eindrücke und Informationen als | |
in meinem Heim, in dem ich nur dahinvegetiere“, sagt er. „Dieses Projekt | |
soll auch eine Brücke zwischen den Einheimischen und den Flüchtlingen | |
herstellen. Es soll Verständnis füreinander schaffen“, ergänzt Eben. | |
## Schon mehrfach gab es Angriffe | |
Das ist auch bitter nötig. Seitdem das Projekt besteht, gab es zahlreiche | |
Angriffe darauf. Mehrfach wurde einzubrechen versucht. Erst im Juli standen | |
vor dem Fenster fünf fein säuberlich aufgereihte scharfe Patronen. Dies war | |
der absolute Tiefpunkt einer – vorsichtig ausgedrückt – schwierigen | |
Nachbarschaftsbeziehung. | |
Als die teils aggressiven Proteste rund um die Flüchtlingsunterkunft | |
tobten, hätte sich von den Heimbewohnern niemand auf die Straße getraut, | |
sagt Eben. Das Internetcafé blieb oft leer. Leute seien auf der Straße | |
manchmal übel beschimpft worden. Es herrschte eine Atmosphäre der | |
Angst.Dass es trotzdem Raum für gegenseitiges Verständnis gibt, bewiesen | |
die letzten Monate. Immer mehr Anwohner engagieren sich für die Anliegen | |
der Flüchtlinge. Viele Sachspenden sind eingegangen. Die Initiative | |
„Hellersdorf hilft“ unterstützt mit kostenlosen Beratungen und | |
Deutschkursen. Manchmal müsse man aber auch diejenigen bremsen, die es | |
eigentlich gut meinen, erklärt Eben: „Ich rechne es allen hoch an, die hier | |
mithelfen, doch manchmal ähnelt diese Hilfe auch einer Art Bevormundung.“ | |
## Anfragen von überall | |
Für Eben ist das Refugee Emancipation Project ein politischer Auftrag. „Das | |
hier ist auch eine Plattform, um unsere Sicht der Dinge zum Ausdruck zu | |
bringen.Über kurz oder lang soll dieses Projekt die Lebensbedingungen der | |
Flüchtlinge verbessern und den politischen Diskurs befeuern. Es soll | |
zeigen, dass Flüchtlinge eine Stimme haben und diese Stimme auch haben | |
dürfen. Dieser Raum steht exemplarisch dafür, dass wir etwas bewegen | |
können“, gibt er sich kämpferisch. Auch darum sollen bald weitere Cafés | |
entstehen. Anfragen gibt es bereits aus dem ganzen Bundesgebiet. | |
5 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Schlodder | |
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