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# taz.de -- Kommentar Erschwerung Sterbehilfe: Ein Stück Freiheit
> Eine Willkommenskultur für Abhängigkeit von anderen ließe die Rufe nach
> aktiver Sterbehilfe leiser werden.
Bild: Hamburg 2008: Roger Kusch, ehemaliger Justizsenator und jetzt Sterbehelfe…
Wenn wir schon alle sterben müssen, dann bitte in Würde. So könnte man den
Konsens der Deutschen zum Thema Tod und Sterben zusammenfassen. Was genau
diese Würde sein soll bleibt nebulös.
Manche wollen „nicht an Apparaten hängen“, nicht „vor sich hin vegetiere…
möglicherweise noch „an Schläuchen“. Anderen reicht es auch schon,
„tagtäglich auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein“, damit es für sie
vorbei ist mit dem Leben in Würde. Oder sie finden es würdelos, „nicht mehr
alleine einkaufen gehen zu können“ oder sich gar von anderen Menschen „den
Hintern abwischen zu lassen“. So oder ähnlich liest und hört man es täglich
in den Online-Kommentaren und Talkshows.
Mich lässt diese Vorstellung von Würde immer mit einem Kopfschütteln
zurück. Als Rollstuhlfahrerin bin ich immer wieder auf die Hilfe anderer
angewiesen und fühle mich deshalb alles andere als entwürdigt. Für andere
ein Symbol des Scheiterns, in dem man landen könnte, bedeutet mein
Rollstuhl für mich ein Stück Freiheit. Durch ihn komme ich überall hin –
fast überall, solange es Fahrstühle und Rampen gibt.
Gute FreundInnen von mir mit Behinderung sind tagtäglich auf persönliche
Assistenz angewiesen – andere wischen ihnen den Hintern ab, manche von
ihnen hängen sogar an Schläuchen.
M., ein guter Freund von mir, wird mittlerweile auch tagsüber beatmet. Mit
einem mobilen Gerät, das er an seinen Rollstuhl anschließen kann. Beatmet
zu werden ist eine lästige Notwendigkeit für M., auf die er gerne
verzichten würde – aber von Selbstmord habe ich ihn deshalb noch nie
sprechen hören. Im Gegenteil. Er will leben, gerade auch mit den Schläuchen
und mit der Assistenz und der Pflege, die ihm 24 Stunden am Tag seine
Muskelkraft ersetzen.
Solche Perspektiven sieht und hört man selten in der Debatte über
Sterbehilfe. Stattdessen begleitet sie seit Jahrzehnten ein unhinterfragtes
Ideal von Autonomie und Selbstbestimmung, das die Anforderungen an moderne
StaatsbürgerInnen widerspiegelt. Sie haben aktiv und produktiv zu sein, für
sich selbst zu sorgen und wenn das nicht mehr geht, sollen sie sich völlig
frei für ein kostensparendes Abtreten entscheiden. Ein großer Teil der
Deutschen mit Interesse an Sterbehilfe will nicht zuletzt anderen nicht zur
Last fallen.
Dieses Ideal lässt vergessen, dass Abhängigkeit von anderen, Bedürftigkeit
und Schwäche zum Leben dazugehören – zum Beispiel in der Säuglingsphase,
aber auch in der letzten Phase des Lebens. Eine Willkommenskultur für
Abhängigkeit von anderen und eine neue Lesart von Würde hin zur Akzeptanz
von Hinfälligkeit und einem Leben mit Apparaten ließen die Rufe nach
aktiver Sterbehilfe leiser werden. Dann wird vielleicht auch endlich die
Klage über die berechtigte Angst vor dem Spardiktat der stationären und
fremdbestimmten Pflege im Minutentakt lauter.
19 Nov 2015
## AUTOREN
Rebecca Maskos
## TAGS
Sterbehilfe
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