Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kiez liebt Disco
> Queere Szene Vor zwei Jahren zog das SchwuZ von Kreuzberg nach Neukölln
> in die Rollbergstraße – ins queere Niemandsland. Auch wenn man sich
> inzwischen für ein breiteres Publikum geöffnet hat, will man doch vor
> allem eines bleiben: ein Schutzraum
Bild: Paaarty für einen guten Zweck: Szenen einer Soli-Party für Flüchtlinge…
von Klaas-Wilhelm Brandenburg
Es ist ein grauer Herbstfreitag in Neukölln. Das große metallene Rolltor in
der Rollbergstraße, das später am Abend den Weg ins SchwuZ freigeben wird,
ist noch zu. Reges Treiben herrscht dagegen in der hell erleuchteten
zweiten Etage eines Gewerbehofs im Schillerkiez, in den Büroräumen des
Clubs. Marcel Weber sitzt auf einem ergonomisch geformten Bürostuhl an
seinem Schreibtisch. Er ist seit vier Jahren Geschäftsführer des SchwuZ.
Mit seinem Rauschebart und den langen, zum Dutt gebundenen braunen Haaren
sieht der schlanke 35-Jährige aber eher wie der Gründer eines Start-up aus.
Weber hat den Umzug des SchwuZ von Kreuzberg nach Neukölln, von der
Partymeile am Mehringdamm ins Niemandsland des Rollbergkiezes, vor zwei
Jahren maßgeblich verantwortet. Ist das SchwuZ jetzt ein anderes als
früher? „Auf jeden Fall!“, sagt Weber energisch. „Das ist, glaube ich,
jedem, der schon mal da war, auch aufgefallen.“
## Kein Laufpublikum mehr
Dabei wurde nach dem Umzug eher auf Kontinuität gesetzt: Alle Partyreihen,
die es im alten SchwuZ gab, wurden nach Neukölln mitgenommen. „Es hat sich
aber gezeigt, dass die ein oder andere Veranstaltung am neuen Ort nicht so
gut funktioniert, weil wir jetzt kein Laufpublikum mehr haben“, so Weber.
„Dann muss man sich leider manchmal von geliebten Kindern trennen.“ Von der
sonst eigentlich immer gut frequentierten „Search and Destroy“-Reihe etwa.
Und mittwochs wird seit etwas mehr als einem halben Jahr gar nicht mehr
gefeiert, erzählt Partymacher Weber: zu wenig Publikum.
Nicht nur im Verein, der hinter dem SchwuZ steht, sondern auch beim
Publikum des Clubs gab es vor dem Umzug aber vor allem deshalb heiße
Diskussionen, weil der Rollbergkiez bis heute als besonders
homofreundlicher Bezirk verschrien ist.
Bis heute sei ein Anstieg von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im
Zusammenhang mit dem Umzug des Clubs aber „nicht festzustellen“, erklärt
Stefan Petersen von der Berliner Polizei und ergänzt: „Homophobe Übergriffe
wurden polizeilich ebenfalls nicht bekannt.“ Ob es daran liegt, dass fast
direkt gegenüber vom SchwuZ die Polizeidirektion 5 residiert? Oder daran,
dass generell nur wenige solcher Vorfälle auch bei der Polizei angezeigt
werden?
Wo es noch am ehesten Stresspotenzial gibt, ist beim Krach. Die Taxifahrer,
die die Feierwütigen bis vor den Club kutschierten, verursachten den
größten Lärm, erzählt Sylvia-Fee Wadehn, ehrenamtliche Leiterin eines
Seniorenwohnheims, das sich direkt gegenüber vom SchwuZ befindet. Zwar
haben manche BewohnerInnen auch mit der Lautstärke des Publikums selbst
ihre Probleme. Aber schon als der Club vor zwei Jahren hierherzog, sei die
Haltung vieler SeniorInnen klar gewesen: „Disko nein, Schwule ja!“
„Mir macht dit Spaß, wenn ich frühmorgens ein bisschen Unterhaltung habe“,
meint auch die 72-jährige Liselotte Koslowski, deren Schlafzimmerfenster
zum SchwuZ rausgeht. Wach sei sie sowieso jeden Morgen um fünf – und dann
freue sie sich, von Arm in Arm nach Hause schlendernden Liebespaaren bis zu
großen Eifersuchtsdramen alles sehen zu können. „So wie wir früher, wenn
wir ehrlich sind!“ Gisela Deutschmann, 84 Jahre alt, stört der Lärm
allerdings schon: „Man hat sich damit abgefunden.“ Sie wünscht sich, dass
die Taxifahrer die Türen nicht mehr so schmeißen. „Sonst gibt’s aber keine
Probleme.“
Auch Sylvia-Fee Wadehn will beim Taxi-Problem die Verwaltung in die Pflicht
nehmen: „Eine Sofortmaßnahme wäre ein nächtliches Durchfahrtsverbot für
Taxen“, dafür habe man Ende August sogar schon protestiert – gemeinsam mit
den SchwuZ-Leuten übrigens.
Polizeisprecher Petersen verliert ebenfalls kein schlechtes Wort über den
Tanzschuppen: „Zwischen den Betreibern des Clubs und dem zuständigen
Abschnitt 55 besteht schon von Beginn an eine gute kooperative
Zusammenarbeit.“
## Bob Geldof schaut vorbei
Diese positiven Rückmeldungen hat sich das SchwuZ hart erarbeitet – von
Anfang an setzte man auf guten Kontakt mit der Nachbarschaft. Nicht
zufällig ist das Motto der Party zum zweijährigen Jubiläum „Your Kiezdisko
loves you“. Bleibt die Frage, ob im SchwuZ – bei Eintrittspreisen von bis
zu 10 Euro – tatsächlich das prekär lebende Kiezpublikum zum Tanzen
vorbeischaut oder der Spruch nur Koketterie ist.
Unterdessen hat sich das SchwuZ in Neukölln für immer mehr Menschen zu
einer festen Adresse entwickelt – zum Beispiel für Konzerte. Die
arte-Musikshow „Berlin live“ wird regelmäßig dort aufgezeichnet, bei der
bekannte Stars wie Bob Geldof genauso auftreten wie der eher unbekannte
Singer-Songwriter Jonathan Jeremiah. „Wir haben uns damit für ein nicht
unbedingt homosexuelles Publikum geöffnet“, meint Weber, „was ja zu
begrüßen ist, sofern die Gäste eine gewisse Offenheit mitbringen.“ Trotzdem
sei das SchwuZ noch immer ein Schutzraum für alle, die sich nicht der
heterosexuellen weißen Mehrheit der Gesellschaft zurechnen.
Die Gesellschaft hinterfragen, für Minderheiten eintreten – dieser
politische Anspruch schlägt sich immer wieder im Programm des Clubs nieder.
Ende Oktober gab es zum Beispiel eine Party für Geflüchtete, der komplette
Eintritt ging an drei flüchtlings- und queerpolitisch engagierte
Organisationen. Zwei politische Partyreihen sind fester Programmteil, immer
wieder wird am Einlass für wohltätige Zwecke gesammelt, und regelmäßig
stehen ganze Monate unter einem großen Thema – so ging es schon mal vier
Wochen lang nur um queere Weiblichkeiten.
Auch in der Bezirkspolitik versucht das SchwuZ mitzumischen – wohl wissend,
dass der Club in Neukölln mittlerweile auch ein Arbeitgeber ist. „Wir haben
gerade ziemlich genau 100 Mitarbeiter, Tendenz steigend“, sagt Marcel Weber
nicht ohne Stolz. „Wir wollen für queere Themen sensibilisieren und
Organisationen, die sich in Neukölln ansiedeln wollen, ganz praktische
Hilfestellung dabei geben – damit sie es etwas leichter haben als wir
damals.“
Noch sind in der Nähe des SchwuZ kaum andere Szeneläden zu finden. In
Kreuzberg hatte man das Melitta Sundström im selben Haus und weitere queere
Kneipen in der Nähe. Im Rollbergkiez: nichts. Die nächsten homofreundlichen
Bars sind mindestens zehn Gehminuten entfernt – und waren schon lange vor
der Eröffnung des SchwuZ da. Suzie Fu, eine queer geführte Kneipe in der
Flughafenstraße, die im gleichen Jahr wie das SchwuZ eröffnete, hat schon
wieder dichtgemacht. Trotzdem sagt Marcel Weber: „Ich bin nach wie vor
zuversichtlich.“ Und gerade ist seine Zuversicht noch einmal gewachsen.
Denn Anfang September wurden das Gebäude des SchwuZ und umliegende Bauten
an die Schweizer Stiftung Edith Maryon verkauft – eine Stiftung, die sich
die „Förderung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten“ auf die Fahnen
geschrieben hat. Das Ex-Rotaprint im Wedding gehört ihr schon länger, das
ehemalige Produktionsgelände des Druckmaschinenherstellers Rotaprint, auf
dem seit 2007 Gewerbebetriebe, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen
angesiedelt sind. Dieser Mix ist gewollt und funktioniert, weil alle
verhältnismäßig günstige Mieten zahlen müssen.
## Den Kiez verändern
Jetzt gehört der Stiftung also auch das Gelände am Rollberg. „Damit ist die
Hoffnung für uns noch mal gewachsen, dass sich in den nächsten Jahren auch
in unmittelbarer Nähe des SchwuZ was entwickelt.“ Außerdem will Weber den
Mietvertrag, bisher nur fünf Jahre gültig, auf zehn Jahre verlängern, um
dann bis 2023 in den Räumen in der Rollbergstraße zu bleiben – der nächste
Umzug wird also so schnell nicht passieren.
Stattdessen wird schon fleißig für die Zukunft geplant: Im nächsten Jahr
soll ein „sehr großes Musikfestival“ im SchwuZ stattfinden – welches, ka…
Weber wegen laufender Verhandlungen noch nicht verraten. Außerdem will man
mit dem benachbarten „Vollgutlager“, einer großen Veranstaltungshalle in
der ehemaligen Flaschenabfüllfabrik der Kindl-Brauerei, zusammenarbeiten
und eine Messe ins Haus holen.
Am morgigen Samstag gibt es aber erst mal – wie gewohnt – Party. Denn das
können Weber und seine MitstreiterInnen immer noch am besten: eine große
Party schmeißen. Dass dabei alle mitfeiern dürfen, ob queer oder nicht, ist
eh klar. Und vielleicht schaut ja auch der Kiez vorbei.
20 Nov 2015
## AUTOREN
Klaas-Wilhelm Brandenburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.