# taz.de -- Alles andere als artig | |
> THEATER Das 7. No Limits Festival zeigt internationale Inszenierungen mit | |
> behinderten und nichtbehinderten Schauspielern | |
Die spektakuläre Technik ist der Clou dieses Abends. Die Zuschauer sitzen | |
mit 3-D-Brillen auf den Nasen in „Der Visionär“. Die Inszenierung beim | |
Auftakt des Internationalen Theaterfestivals „No Limits“ liefert perfekte | |
visuelle Spezialeffekte: Schleierwolken ziehen magisch übers schneebedeckte | |
Bergmassiv, Flughunde gleiten aus der dritten Dimension durch den Raum. Von | |
einem Hubschrauberflug über Wüstensiedlungen im Nahen Osten geht es nahtlos | |
zum rauschenden Gebirgsfluss – fesselnde Bilder in 3-D, die man so | |
integriert noch nicht im Theater gesehen hat. | |
Inmitten dieser 3-D-Bühnenkulisse ringt der Bauer Jeppe mit seiner | |
Existenz. Kriegserlebnisse und Alkohol haben ihn zerrüttet, man erfährt es | |
in groben Schnipseln. Schauspiel und 3-D-Filmsequenzen verbinden sich, | |
führen aus Ideallandschaften bis in den Morast. Zwar ist der Abend | |
überfrachtet, behandelt norwegischen Nationalismus und nationale | |
Identitätskrisen genauso wie Flüchtlings- oder Beziehungsfragen. Aber wie | |
sich mithilfe des 3-D-Bühnenbilds geistige Höhen und menschliche Abgründe | |
verbinden, ragt heraus. | |
## Inklusion und Experiment | |
Die Frau in „Der Visionär“, die ihren Mann zur Vernunft bringen will, wird | |
von Rebekka Joki gespielt, einer norwegische Schauspielerin mit | |
Down-Syndrom. So richtig repräsentativ ist der Abend dennoch nicht für das | |
Programm der siebenten Ausgabe von „No Limits“. Noch bis zum Wochenende | |
zeigt das Festival internationale Inszenierungen, in denen Behinderte und | |
Nichtbehinderte auf der Bühne spielen. Und diesmal als Neuerung teils auch | |
behinderte Regisseure inszenieren.Die Inklusionstheaterszene ist | |
aufgemischt, seit der Choreograf Jérome Bel 2012 in „Disabled Theatre“ die | |
geistig Behinderten Schauspieler des Schweizer Theaters Hora für Tanzsoli | |
auf die Bühne holte oder das Performance-Kollektiv Monster Truck mit drei | |
Schauspielern mit Down-Syndrom in „Dschingis Khan“ eine Völkerschau | |
ironisch nachstellte. Werden sie vorgezeigt mit ihren Handicaps, und wie | |
selbstbestimmt ist man eigentlich auf der Bühne? Das sind Fragen, die viele | |
der eingeladenen Arbeiten bei „No Limits“ ausloten wollen. Dem Theater Hora | |
ist ein kleines Festival-im-Festival gewidmet, das auch Arbeiten zeigt, in | |
denen die behinderten Schauspieler selbst Regie führen – experimentelle | |
Kurzformate. | |
Groß ausholendes Literaturtheater ist dagegen die jüngste Arbeit der | |
alteingesessenen Berliner Gruppe RambaZamba. Mit Victor Hugos „Die Elenden“ | |
widmet man sich einem Romanstoff, vor dem auch reguläre Stadttheater | |
Respekt haben. Im Mittelpunkt steht der zum ewigen Verbrecher | |
stigmatisierte Jean Valjean, der für Mundraub ungerechte 19 Jahre in Haft | |
saß. Auf Verantwortung für Verbrechen angesichts von Hunger und Armut, | |
Schuld und Güte konzentriert sich die ambitionierte Spielvorlage, die Kay | |
Langstengel und Enya Hutter erarbeitet haben. Schlicht ist das | |
Bühnenbildgestänge, das an ein Gefängnis erinnert. Textlastig ist die | |
Inszenierung, die denn auch die Grenzen der 17 Schauspieler aufzeigt. Zum | |
Leben wird der Text nicht erweckt. An schönen Einzelszenen und -ideen kann | |
man sich erfreuen. Aber insgesamt verhebt sich die Inszenierung am | |
komplexen Stoff. | |
Unter dem Dach des Festivals ist die Arbeit dennoch gut aufgehoben, denn | |
sie zeigt einen Pol dessen, was im Inklusionstheater möglich ist. Den | |
Gegenpol repräsentiert das Performance-Kollektiv Monster Truck. In „Regie | |
2“ arbeiten sie wieder mit Downies, die selbst die Regie in die Hand | |
nehmen. Wer auf der Bühne eigentlich die Macht hat, war bereits in dem | |
persiflierenden Vorgängerstück das Thema. Über „Regie 2“ sickerte bisher | |
noch nichts durch – das bestgehütete Geheimnis des Festivals vor der | |
Premiere am Donnerstag. Aber man kann sich sicher sein, dass das | |
Machtverhältnis zwischen Schauspielern und Regie alles andere als artig | |
durchgearbeitet wird. Simone Kaempf | |
Bis 15. 11., www.no-limits-festival.de | |
Drei Arbeiten vom Theater Hora heute um 21, 22 und23 Uhr im Ballhaus Ost, | |
Pappelallee 15 | |
Premiere „Regie 2“ am12. 11., wieder v. 13. bis 15. 11., Sophiensæle, | |
Sophienstr. 18 | |
11 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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