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# taz.de -- Der Zupacker An einem Herbstnachmittag steht Moritz Dietzel auf ein…
Bild: 5.000 bis 6.000 Umzüge hat Moritz Dietzel bereits absolviert und trotzde…
Interview Antje Lang-LendorffFotos Piero Chiussi
taz: Herr Dietzel, sind Sie heute schon umgezogen?
Moritz Dietzel: Klar. War aber nur ein ganz kleines Ding.
Ein Privatumzug?
Eine Auslagerung. Ein Mann hat seine Wohnung an der Stralauer Allee
renoviert und seine Sachen eingelagert. Wir haben sie aus unserem Lager
wieder zu ihm gebracht. 40 Kisten, kaum Möbel, ein Viertel Lastwagen. Wir
waren zu zweit und nach zwei Stunden fertig. Das ist nicht das, was ich
sonst immer mache.
Was machen Sie denn sonst?
Sonst habe ich immer die großen Umzüge mit zwei bis drei Lkws. Oder die
Extravariante, wenn Leute komplizierte Sachen haben. Schickimicki-Möbel,
auf die man besonders achten soll. Ich habe auch schon einige Umzüge der
oberen Zehntausend gemacht.
Was sieht man da so?
Möbel, die mehr kosten als ein Normalsterblicher hat. Ein Kleiderschrank
für 20.000 Euro ist schon was anderes als ein normaler Kleiderschrank.
Ihnen wird vorher gesagt, dass ein Möbelstück so wertvoll ist?
Die Kunden, die ein bisschen was haben, die geben auch meistens ein
bisschen an. Die sagen: Vorsicht: Der Schrank kostet soundso viel. Bei
Prominenten gibt es solche und solche. Günther Jauch hab ich zweimal
umgezogen. Ein ganz feiner Kerl ist das.
Wie hat er sich verhalten?
Als ob er zu uns gehört. Er hat mitgeschleppt, er hat mit uns rumgeflachst,
er hat uns verköstigt, alles vom Feinsten. Die Leute treten unterschiedlich
auf. Jauch hat Geld, aber er hebt nicht ab. Du bist für den ein normaler
Mensch, der seine Arbeit macht. So etwas vergisst man nicht. Der Chef von
Cola-Cola war auch so, hat ganz normal mit uns gequatscht.
Und, wie wohnt Günther Jauch so?
Vernünftig. War schön gewesen da. Mehr erzähle ich nicht. Das geht
niemanden was an.
Geben die Reichen auch mehr Trinkgeld?
Das Trinkgeld ist insgesamt mächtig zurückgegangen. Ich hatte in der
vorherigen Woche fünf Umzüge und hab überhaupt nichts gekriegt.
Ich dachte, es sei üblich, am Ende was oben draufzulegen.
Mal gibt es einen Fünfer oder einen Zehner pro Kopf. Die, die wenig Geld
haben, geben noch was. Die, die viel haben, geben oft nichts. Nee, das mit
dem Trinkgeld ist vorbei. Daran merkt man, dass alles teurer geworden ist.
Früher war Umziehen eine Art Volkssport in Berlin. Inzwischen sind die
Umzüge innerhalb der Stadt deutlich zurückgegangen, von 370.000 im Jahr
2005 auf 294.000 im Jahr 2013. Es ist so schwierig geworden, eine billige
Wohnung zu finden, dass die Leute lieber bleiben, wo sie sind. Bekommen Sie
das zu spüren?
Also wir haben hier durchweg gut zu tun, ich kann mich nicht beklagen, Aber
es gibt eben weniger Trinkgeld. Jetzt sparen sie alle, halten ihr Geld
zusammen. Früher haben die Leute auch viele Sachen weggeschmissen. Wenn ein
Jungscher von uns eine Couch brauchte und der Kunde eine wegschmeißen
wollte und die war noch in Ordnung, musste er sich keine kaufen. Heute
stellen sich die Leute damit lieber selbst auf den Trödelmarkt.
Viele Wohnungen sind heute auch deutlich schicker als noch vor zehn Jahren,
oder?
Klar. Einmal komme ich wo rein, da denke ich: Oha, die Wohnung kenne ich
doch. Genau die hatte ich ein halbes Jahr vorher leer gemacht. Die haben
die richtig schön hergerichtet. Es gibt sanierte Altbauwohnungen in Pankow
und Prenzlberg, da fällt man vom Glauben ab. Die waren früher völlig
runtergeranzt, heute ist alles schick gemacht. Das sind dann aber
Mietpreise ... In Kreuzberg kriegt man auch keine Wohnung mehr. Ich hab da
schon Wohnungen gesehen, mein lieber Mann. Dachgeschosswohnungen, die noch
über Eck gehen, mit Riesenterrassen. Die sind dann richtig teuer. Also wenn
jemand eine schöne, bezahlbare Wohnung hat, würde ich da auch nicht mehr
weggehen.
Wie wohnen Sie denn?
Ich wohne in Schöneweide. In einer Zweiraumwohnung, nichts Großes mehr.
Früher haben wir in Karlshorst gewohnt, schöne Gegend. Aber seit vier
Jahren bin ich allein, meine Frau ist gestorben. An einem Herzinfarkt auf
dem Weg von der Arbeit. Am Ostkreuz ist das passiert. Sie lag auf dem
Bahnsteig. Da halten Züge im Minutentakt, Leute steigen aus. Alle sind
vorbeigerannt.
Keiner hat geholfen?
Keiner. Der Notarzt hat sie nach 20 Minuten wiederbelebt, aber da war kein
Gehirn mehr da. Hätte gleich einer was gemacht, hätte jemand gepumpt, dann
hätte sie überlebt.
Das ist ja schrecklich.
Danach war ich ein halbes Jahr weg vom Fenster, hab auch nicht gearbeitet.
Meine Kinder sind zurückgezogen zu mir, damit ich über den Berg komme. Der
Große ist irgendwann wieder weg, danach habe ich eine Weile eine WG gehabt
mit dem Kleinen, das war schön. Der hat die Wohnung inzwischen übernommen,
und ich bin nach Schöneweide. Inzwischen geht’s mir wieder gut. Einer
meiner Jungs arbeitet übrigens auch bei Zapf, hinten im Lager.
Wenn man den ganzen Tag Möbel in eine Dachgeschosswohnung mit riesigen
Terrassen gebracht hat und dann nach Hause kommt in eine kleine
Zweiraumwohnung, ist das komisch?
Ach was. Jeder soll so leben, wie er will. Wenn jemand meint, er braucht so
eine Wohnung, soll er sie haben. Soll er glücklich werden damit. Ich
brauche es nicht. Ich habe mein Hobby und damit ist gut.
Was ist Ihr Hobby?
Motorradfahren. Ich hab mir eine schöne Harley geholt. Das war ein Traum,
den ich mir erfüllt habe. Ich brauche keine 300 Quadratmeter, ich bin nicht
neidisch. Ich wohne nur wenige Kilometer von der Arbeit entfernt, da ist
auch meine Motorradcrew. Das ist für mich ideal.
Fahren Sie schon lange?
Die Harley hab ich mir gekauft, nachdem meine Frau gestorben ist. Ich war
damals wirklich in einem tiefen Loch gewesen. Die Motorradcrew, die kenne
ich seit über 30 Jahren. Die kamen dann bei mir zu Hause vorbei, haben mir
einen Tritt in den Arsch gegeben und gesagt: Komm mal raus hier. Ich hab
hier bei Zapf sogar einen eigenen Parkplatz.
Das „Moritz“-Schild gegenüber vom Eingang hängt für Sie da?
Für mein Moped.
Sie genießen hier offenbar ein gewisses Ansehen. Wie lange sind Sie denn
schon Umzugshelfer?
Seit 28 Jahren. Wobei ich zwei Jahre gebraucht hab, um auf die Möbel zu
kommen. Zu Ostzeiten hab ich Isolierer gelernt. Wärme, Kälte, Schallschutz.
Dann war ich erst auf dem Bau. Ich wollte zu Autotrans, der DDR-Spedition
in Ost-Berlin, weil man da fast das Dreifache verdient hat. Die Arbeit war
natürlich sehr begehrt. Da brauchteste jemanden, der dich reinholt. Nach
zwei Jahren hat es geklappt. Da hab ich gut verdient. Aber ich hab auch
zwei oder drei Umzüge am Tag gemacht.
Das ging?
Zu Ostzeiten hatten wir keinen Service. Die Möbel waren auseinandergebaut.
Die hat man genommen, aufgeladen, weg, ausgeladen. Heute packen wir,
montieren die Möbel, wie die Leute das wollen. Nach der Wende bin ich dann
zu Zapf.
Der Unternehmensgründer Klaus Zapf ist Legende, er verkehrte früher in der
linken Szene, war mit Rudi Dutschke befreundet. Kannten Sie ihn?
Natürlich. Das war ein guter, netter Mensch. Aber mit Politik hab ich gar
nichts zu tun.
Vor einem Jahr ist Klaus Zapf plötzlich verstorben. Hat das die Stimmung im
Betrieb verändert?
Sicher, wir kannten ihn ja schon lange. Ich arbeite hier jetzt das 22.
Jahr. Zapf hat sich aber früher schon rausgezogen aus dem Betrieb, meine
Arbeit hat sich durch seinen Tod nicht verändert.
Wie viele Umzüge haben Sie schon gemacht in Ihrem Leben?
In der Regel waren es fünf Umzüge pro Woche. Früher, als ich jung war, hab
ich auch die Sonnabende mitgenommen. Da kommt man in 28 Jahren auf
insgesamt ... Muss ich das jetzt ausrechnen?
Das müssten zwischen 5.000 und 6.000 Umzüge gewesen sein. Da haben Sie
sicherlich schon die unterschiedlichsten Wohnungen zu Gesicht bekommen.
Ich hab alles schon gesehen. Aufgeräumte Wohnungen. Häuser mit Pool.
Unfertige Häuser. Ich hab auch mal ein Haus gehabt, der Besitzer hatte noch
keine Wände stehen. Der hat nur einen Strich gemalt und gesagt: Hier muss
der Schlafzimmerschrank aufgebaut werden, dahinter kommt dann die Wand. Der
lag mit offenem Dach da, unter dem Sternenhimmel, nur mit einer Folie über
sich. So was haben wir gehabt. Oder eine Einraumwohnung, wo wir 400 Kisten
rausgeholt haben.
War das ein Messi?
Ja, um es klar zu sagen: Das war ein Messi. Den schlimmsten Umzug, den ich
je hatte, war aber noch zu Ostzeiten, eine Frau mit 20 Katzen. Die Wohnung
war klein, die Frau hat mit ihren Katzen im Flur geschlafen. Bevor man da
reinging, musste man tief Luft holen.
Wie schafft man es körperlich, 28 Jahre lang Kisten zu schleppen?
Das lass ich inzwischen die Jungschen machen. Früher war ich immer auf der
Treppe gewesen. Aber seit vier oder fünf Jahren packe ich den Lkw. Ich bin
über 50 Jahre alt, ich kann jetzt ein bisschen ruhiger treten. Ich trage
auch noch mal mit, wenn es komplizierte Sachen sind. Aber vor allem pass
ich auf, dass nichts passiert. Ich fahre den Lkw, verstaue die Möbel und
Kisten darin und mach auch die Papiere, also die Abrechnung am Schluss.
Dann haben Sie auch über 20 Jahre lang geschleppt. Irgendwann geht das doch
auf den Rücken, oder?
Ich hab nichts.
Gar nichts?
Ich hatte vielleicht mal einen Nerv eingedreht oder mich verrenkt. Aber
bleibende Schäden? Nee. Bandscheiben, Kniescheiben, funktioniert alles.
Warum tragen Sie dann nicht mehr?
Ich trage ja auch noch. Aber ich renne nicht mehr die Treppen hoch und
runter. Wegen der Luft. Ich komme außer Atem.
Hassen Sie Waschmaschinen?
Nee. Warum sollte ich?
Weil die so schwer sind.
Die einzige schwere Waschmaschine ist die von Miele. Früher haben wir die
alleine genommen. Aber heute dürfen die nur noch zu zweit im Gurt getragen
werden. Da gibt es jetzt Vorschriften. Nee, Waschmaschinen sind nicht
schlimm. Lieber habe ich zehn große Stücke als hundert Kisten. Dann ist der
Umzug nach zehnmal Tragen vorbei. Manche Leute haben einen Sack-Umzug,
diese ganzen blauen Tüten. Weil sie Kisten sparen wollen. Das geht mir auf
den Keks, da muss man ständig hoch und runter.
Das Gerenne ist nerviger als das Gewicht?
Genau. Es gibt eigentlich nichts Schweres. Das ist alles eine Frage der
Technik. Der Normalmensch trägt Kisten ja meistens vor dem Bauch. Wir
Umzugshelfer heben sie immer auf die Schulter, damit der Rücken gerade
bleibt. Oder wir schnüren mehrere Kisten zusammen und tragen die oberste
mit dem Kopf. Man sollte besser nicht so groß sein für die Arbeit. Da stößt
man sonst mit Möbeln an die Decke. Die Kleinen und Dünnen tragen auch
schwere Sachen.
Wirklich schwere Sachen können Sie ja auch zusammen nehmen.
Die großen Sachen, von denen man denkt, sie passen nicht durch das
Treppenhaus, die lassen sich allein viel besser tragen als zu zweit. Es
gibt ja diese Esstische von 2,50 Meter Länge. Die trage ich alleine auf
dem Kopf runter. Weil ich genau einschätzen kann, wenn man mit dem
Hinterteil am Geländer bleibt und sich dann eindreht, stößt man nirgendwo
an. Genauso ist es mit den 2,20 Meter hohen Schränken. Die nehme ich auf
den Rücken, gehe rückwärts die Treppe runter und drehe mich mit der Treppe
mit. Ich hab immer schon alleine getragen. Mit zwei Mann war mir zu blöd.
Zapf hatte früher das Motto „Mens agitat molem“ auf den Lastwagen stehen �…
„Der Geist bewegt die Masse“. Ist Möbel schleppen auch eine
Einstellungssache?
Klar. Ich hab die Arbeit immer sehr gerne gemacht. Ich wollte gar nicht
woandershin. Zapf hat damals viele Arbeiter von Autotrans übernommen, weil
sie wussten, wir konnten das. Von den Möbelträgern meiner Generation sind
heute aber nicht mehr viele übrig. Mir hat das früher keiner beigebracht,
ich musste mir das abgucken. Heutzutage bekommen sie eine Ausbildung,
trotzdem haben manche eine Einstellung ... Da muss man noch ganz schön
Arbeit reinstecken. Aber es gibt auch viele bei den Jungschen, da sieht
man: Die wollen und die passen auch auf.
Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Ich hoffe, noch eine Weile. Am Anfang dachte ich, fünf Jahre machste das
mal. Jetzt sind es 28 Jahre. Ich hab Spaß daran. Immer noch.
14 Nov 2015
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
Piero Chiussi
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