# taz.de -- Angeln in der Stadt: Fischig | |
> Sie kommen mit leichtem Gepäck und werfen ihre Ruten mal hier, mal da | |
> aus. Wer sind die Männer, die nach Feierabend an den Fleeten stehen? | |
Bild: Beliebt: Fischen mitten in der Stadt. | |
HAMBURG taz | Mein erster Elbfisch landete in der Bouillabaisse. Es war | |
eine platte Flunder, ich fing sie mit der Grundangel meines Angelmentors am | |
alten Afrika-Terminal in der Hafencity. Eigentlich waren wir auf einen Aal | |
aus. Wir hatten die Leine nur eingeholt, um zu checken, ob die Tauwürmer | |
noch am Haken hingen – und da war sie auf einmal, fast wie ein ungebetener | |
Überraschungsgast. | |
Angler sieht man in Hamburg überall, wo Wasser ist: unter Brücken, auf | |
Bootsanlegern und Kaimauern, an Fleeten und Kanälen. Oder man trifft sie | |
mit ihren langen Ruten in der U-Bahn auf dem Weg zum nächsten Angel-Spot. | |
Etwa 30.000 Aktive sind es mittlerweile, Tendenz steigend. Es wurden schon | |
Anzugträger in der Mittagspause unter der Lombardsbrücke gesichtet, die | |
Karpfenrute auswerfend. | |
Auch von Hafencity-Hipstern, die sich ihr Zanderfilet vor der Haustür | |
fangen, wird erzählt. Anders als in vielen anderen Städten sind die meisten | |
Gewässer in Hamburg „frei“, also nicht verpachtet, und dürfen beangelt | |
werden. Man braucht keine Extra-Erlaubnis, ein gültiger Fischereischein | |
reicht. | |
## Brassen sind zu schleimig | |
Sechs Fische habe ich in drei Jahren in Hamburg gefangen – eine mickrige | |
Statistik, selbst für einen Gelegenheitsangler. Doch ob ich was fange oder | |
nicht, ist fast egal. Durch das Angeln lernte ich die Stadt viel besser | |
kennen. Oft werfe ich die Angel an einem netten Plätzchen aus, chille, | |
träume, grüble. | |
Manche Fische will ich nicht mehr fangen: Brassen zum Beispiel sind so | |
schleimig wie vergorene Sojabohnen und haben viel zu viele Gräten. Der Aal | |
ist gefährdet, Rotaugen schmecken nur als Frikadelle. Hecht soll deliziös | |
sein, doch der sogenannte Wolf des Wassers hat 700 messerscharfe Zähne und | |
verschlingt kleine Vögel – die Vorstellung so einen Killer zu landen ... | |
Unheimlich! | |
Bleibt der Zander oder „Stachelritter“, Hamburgs Vorzeigefisch, dessen | |
weißes Filet man häufig auf Speisekarten findet. Seitdem Anfang der | |
90er-Jahre das Raubfischangeln durch Gummiköder revolutioniert wurde, | |
werden die als scheu und misstrauisch geltenden Zander sehr viel öfter | |
überlistet. | |
Doch nicht von mir. Die meiste Zeit bin ich ein „Schneider“: So nennt man | |
einen Angler, der ohne Fisch heimkehrt. | |
## Exakt zwei Anglerinnen | |
Gründe dafür gibt es viele: Zum Beispiel kann ich nicht so gut zielen. Wenn | |
ich meine Rute auswerfe, landet der Köder nie dort, wo er hin soll. Bei den | |
Magellan-Terrassen in der Hafencity zum Beispiel gibt es diesen einen | |
Zander-Hotspot genau zwischen zwei kleinen Kähnen. Ich schaffe es einfach | |
nicht, diese verdammte Lücke zu treffen. | |
Den meisten meiner Bekannten, Freunde oder Kollegen ist das Anglermilieu | |
völlig fremd. Viele amüsieren sich allein ob der Tatsache, dass ich es tue, | |
manche schreien, wenn sie in meinem Kühlschrank (gut verpackte) Wurmbündel | |
und Maden entdecken. | |
Andere finden Fische per se eklig, Angeln grausam oder stundenlang am | |
Wasser sitzende Männer total öde. Zum Frauenkennenlernen taugt das Hobby | |
jedenfalls nicht. Ich kenne exakt zwei Anglerinnen in Hamburg. | |
Wenn was beißt, wird es brutal und nicht selten auch blutig. Des Anglers | |
größter Thrill ist der Überlebenskampf des Fisches, der sogenannte Drill, | |
bei dem der Fisch, nachdem er auf den Köder gebissen oder ihn verschluckt | |
hat, mit voller Kraft gegen den Zug der Angelschnur anschwimmt – bis er | |
müde wird und gelandet, getötet und geschlachtet werden kann. | |
## Mitleid mit den Tieren | |
Angeln ist schon fies – manchmal glaube ich, ich bin zu tierlieb dafür. Auf | |
jeden Fall war ich nicht vorbereitet auf die Gnadenlosigkeit am Wasser. Ich | |
lernte bei meiner komplett theoretischen Ausbildung einiges über | |
Rückenflossenstellungen und Rundschuppen, aber nicht, wie man einen | |
zappelnden Fisch von einem Widerhaken im Maul befreit oder ihm einen Hieb | |
mit dem Totschläger verpasst. | |
Klar, ich habe Mitleid mit den Tieren. Ist mir egal, dass sich Forscher | |
(und Angler) immer noch darüber streiten, ob Fische überhaupt Schmerz | |
empfinden können. Stumm sind sie jedenfalls nicht. Einmal hörten meine | |
Angelkameradin und ich einen Stint am Haken laut quieken – sie hat bis | |
heute noch Gewissensbisse. | |
Was mir hilft, ist mich daran zu erinnern, dass die Fänge auf dem Grill, in | |
der Pfanne oder im Backofen landen. Oder eben in der Bouillabaisse. | |
Dieser Text ist zuerst im Hamburg-Magazin „Stadtlich“ erschienen. | |
Den ganzen Schwerpunkt über das „Streetfishing“ lesen Sie in der gedruckten | |
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17 Oct 2015 | |
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## AUTOREN | |
Mike Liem | |
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