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> HOMO OECONOMICUS Wendy Brown legt eine scharfsinnige Analyse des neuen
> Menschen vor
Für den klassischen Liberalismus war das Bild des Menschen bevölkert von
einem Wesen mit Bedürfnissen, die durch den Tauschhandel befriedigt werden.
Wir kommen alle zum Markt, um anzubieten, was wir haben, seien es Waren
oder Arbeit, im Austausch für das, was wir brauchen.
Im Gegensatz dazu kommt der neoliberale Mensch als Unternehmer seiner
selbst zum Markt, als ein Wesen, das für sich selbst sein eigenes Kapital
ist, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle. Ob er verkauft,
herstellt oder konsumiert, er investiert in sich selbst und produziert
seine eigene Befriedigung.
„Der Wettbewerb, und nicht der Austausch, strukturiert die Beziehung
zwischen Kapitalien, und die Wertsteigerung die Beziehung jeder
Kapitalentität zu sich selbst“, schreibt die Politikwissenschaftlerin Wendy
Brown aus Berkeley in einem der zentralen Sätze ihrer Studie „Die
schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört“.
Es sind also die Vektoren Wettbewerb und Wachstum, die allein das
ökonomische Leben bestimmen. Damit stellt der Neoliberalismus die Ökonomie
in einen krassen Gegensatz zu den Bestimmungen des ökonomischen Lebens, wie
sie der klassische Liberalismus oder auch Karl Marx vornahmen.
War für Adam Smith, den Klassiker des Liberalismus, das ökonomische Leben
grundlegend durch die Arbeitsteilung und den Tauschhandel charakterisiert,
so kennt der Neoliberalismus im Grunde diese Beziehungen nicht mehr.
Der Markt lässt sich für neoliberale Theoretiker am besten definieren,
indem man ihn als eine Veranstaltung großer und kleiner Kapitaleinheiten
versteht. Als einen Schauplatz, auf dem die Subjekte, die Marktteilnehmer,
gezwungen sind, verantwortliche Investoren in sich selbst und Versorger
ihrer selbst zu werden.
Und damit unterscheidet sich der Neoliberalismus extrem vom klassischen
Wirtschaftsliberalismus. Eine „unsichtbare Hand“, die bei Adam Smith ein
gemeinschaftliches Gut aus individuellen, eigennützigen Handlungen formte,
gibt es nicht mehr. Der Neoliberalismus verzichtet auf jede Form der
Naturalisierung.
Sein Homo oeconimicus muss gemacht werden. Er wird nicht geboren und muss
in einem Kontext voller Risiken, Zufälligkeiten und möglicherweise heftigen
Änderungen operieren, von geplatzten Blasen und Kapital- oder
Währungsschmelzen bis zur Auflösung ganzer Industrien.
Kurz gesagt: „Anstatt dass jedes Individuum sein eigenes Interesse verfolgt
und nichtsahnend einen kollektiven Nutzen erzeugt, ist es heute das
Projekt des makroökonomischen Wachstums und der Förderung der
Kreditwürdigkeit, worauf die neoliberalen Individuen eingeschworen werden
und womit ihre Existenz als Humankapital übereinstimmen muss, wenn sie
gedeihen wollen.“
Und es ist einer der bemerkenswertesten Aspekte von Browns Analyse des
Sieges der neoliberalen Menschenproduktion, dass der Begriffs des
Interesses zu einem subversiven Begriff wird. Denn der neoliberale Mensch
soll keine Interessen mehr haben, ebenso wie er keine Ideen mehr haben
soll. Er soll vor allem kreditwürdig und wettbewerbsfähig sein.
Zwei Prozesse, die absolut nichts mit der sogenannten Natur des Menschen zu
tun haben, auf die der alte Liberalismus so viel Wert legte. Der Drang zum
Wettbewerb muss täglich neu induziert werden. Er kann nur von außen kommen,
aus der täglich neuen Konstruktion des neuen Menschen des neuen Marktes.
Cord Riechelmann
13 Oct 2015
## AUTOREN
Cord Riechelmann
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