# taz.de -- DIE PROFI-HELFERIN Diana Henniges ist das Gesicht der vielen Freiwi… | |
Bild: „Ich wohne in einer Straße mit zwei Flüchtlingsheimen. Also habe ich … | |
Interview Susanne MemarniaFotos Christian Mang | |
taz: Frau Henniges, Tausende Menschen in Deutschland helfen ehrenamtlich | |
Flüchtlingen. Erleben wir gerade den Spätsommer der freiwilligen Helden? | |
Diana Henniges: Als Helden würde ich uns nicht bezeichnen, das sind für | |
mich die Flüchtlinge, die so eine Flucht überleben. Ich glaube auch, dass | |
es keines Heldenmuts bedarf, um ein bisschen empathiefähig zu sein. Das | |
fehlt uns häufig in der Gesellschaft. Jetzt hat nicht nur die | |
Flüchtlingswelle, sondern auch der Wunsch nach Zusammenhalt dazu geführt, | |
dass Leute gemeinsam Dinge geschafft haben, zu denen der Behördenapparat | |
nicht in der Lage war. | |
Mit Ihrem Verein „Moabit hilft“ sind Sie seit Wochen aktiv vor der | |
Erstanlaufstelle für Asylbewerber, dem Landesamt für Gesundheit und | |
Soziales (Lageso) in Moabit. Sie verteilen Essen und Sachspenden, betreuen | |
Kinder, organisieren Übernachtungsplätze. Was war für Sie der Auslöser zu | |
sagen, hier muss etwas getan werden? | |
Ich kam an einem Tag Ende Juli hierher, und was ich vorgefunden habe, waren | |
Hunderte, wenn nicht gar Tausende Menschen auf dem Gelände, die sich an | |
einem Wasserhahn nur notdürftig waschen konnten. Es gab nichts zu trinken, | |
kein Essen, keine medizinische Versorgung. Die Leute saßen und lagen auf | |
dem blanken Boden, auf Pappen. In einem der reichsten Länder der Erde war | |
komplett die Versorgung ausgefallen. Oder vielmehr, sie wurde verweigert. | |
Das war der auslösende Punkt für mich. Es ist auch Wut auf ein System, das | |
nicht funktioniert – was aber von den Politikern einfach ignoriert wird. | |
Was, glauben Sie, sind die Motive bei Ihren Mitstreitern, den vielen | |
Helfern? | |
Viele fühlen sich, so merkwürdig das klingt, mitschuldig für diese Misere. | |
Sie können nicht zugucken und wollen mit ihrer Hilfe dieses Schuldgefühl | |
bekämpfen, auch wenn sie natürlich keine Schuld haben. Viele sehen es auch | |
als gesellschaftliche Verpflichtung, aktiv zu helfen oder Sachspenden zu | |
geben. Und das ist auch bitter nötig, das ist ja wirklich eine | |
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. | |
Täuscht der Eindruck, dass hier im Lageso besonders viele Menschen helfen, | |
die selber Flüchtlinge sind? | |
Nein, der Eindruck täuscht nicht. Das liegt auch daran, dass sowohl „Moabit | |
hilft“ als auch andere Organisationen, die hier sind, vorher auch schon mit | |
Flüchtlingen zusammengearbeitet haben. Wir machen keinen Unterschied, ob | |
jemand aus Moabit ist oder erst vor einem Monat aus Syrien kam. Und viele | |
Geflüchtete wollen helfen: weil sie selbst wissen, was Flucht bedeutet, | |
aber auch, weil sie sich unnütz vorkommen. Das ist ja eine | |
Aufbewahrungspolitik, die gerade stattfindet. Auch wenn die Menschen | |
endlich eine Unterkunft haben, starren sie die ganze Zeit die Wand an – es | |
dauert viel zu lange, bis es einen Aufenthaltstitel gibt oder einen Zugang | |
zum Arbeitsmarkt. Die Menschen möchten unserer Gesellschaft etwas | |
zurückgeben, die Leute haben Potenzial, den Willen und die Leidenschaft. | |
Sie lieben Deutschland! – so verrückt das klingt. Ich habe immer wieder | |
Gespräche mit jungen Männern, die sagen: Diana, ohne euch Freiwillige würde | |
das genauso gut funktionieren. Sie wollen nicht verstehen, dass diese | |
Hilfsstrukturen gar nicht existieren in der deutschen Verwaltung. Wir | |
müssen die Flüchtlinge erst aufklären, dass diese Willkommenskultur durch | |
die Gesellschaft geschaffen wurde – nicht durch die Politik. Vielen ist das | |
jetzt aber bewusst geworden durch die Grenzschließung. Das hat große | |
Emotionen bei vielen ausgelöst. | |
Reden Sie unter den Helfern über solche Dinge? | |
Ja, wir reden darüber – und viele Geflüchtete haben uns am Montag gefragt: | |
Warum hat Deutschland das getan? Will uns Frau Merkel nicht mehr haben? | |
Was sind das noch für Menschen, die hier helfen? Manche haben ja ihren | |
ganzen Sommerurlaub am Lageso „geopfert“. | |
Wir haben hier alles querbeet. Zum Beispiel kommt regelmäßig eine Familie | |
aus Serbien mit ihrem 9-jährigen Sohn. Sie langweilen sich im | |
Flüchtlingsheim und teilen dann hier Bananen aus oder übersetzen für uns. | |
Wir haben aber auch den in Frührente gegangenen Regisseur, wir haben | |
Schauspieler, darunter viele Stars, die nur mit Sonnenbrille und Käppi | |
arbeiten, weil sie nicht erkannt werden wollen. Gerade am Anfang war das | |
verrückt für uns, weil wir seit Jahren darum betteln, mehr Aufmerksamkeit | |
und Helfer zu bekommen. Dann plötzlich war die Aufmerksamkeit so groß, dass | |
wir es als etwas unangenehm empfunden haben. | |
Warum? | |
Nicht wegen der Hilfe. Aber wir haben etwas Angst, weil das Helfen gerade | |
so ein Hype ist. Und dass wir vielleicht im Oktober, wenn die | |
Witterungsbedingungen anders werden und die negative Flüchtlingspropaganda, | |
die viele Medien betreiben, Früchte trägt, dann wieder ohne Helfer | |
dastehen. | |
Es gibt ja schon die Kritik, dass Helfen eine Mode geworden ist und sich | |
mancher auf Facebook damit brüstet. | |
Ja, das ist teilweise wirklich geschmacklos. Ich muss meine | |
Hilfsbereitschaft nicht zur Schau stellen. Die aktivsten Helfer, die sich | |
den Hintern aufreißen und mit 40 Grad Fieber hierherschleppen, um etwas zu | |
tun, reden nicht darüber. Und gerade wenn Prominente sich nun öffentlich | |
für Flüchtlinge positionieren, hat das immer ein bisschen Geschmäckle. | |
„Moabit hilft“ arbeitet ja viel über Facebook. Vermutlich erreichen Sie | |
damit ganz andere Leute als die klassischen Ehrenamtlichen? | |
Ja, dadurch gibt es auch große Verständnisprobleme. Viele wollen etwa nicht | |
begreifen, dass Hilfe reglementiert und koordiniert sein muss. Wir haben | |
nach wie vor viele Probleme mit Leuten, die Kleiderspenden hierherbringen | |
und einfach auf die Wiese schmeißen. Wir müssen uns dann bei den Behörden | |
dafür rechtfertigen – obwohl wir immer darauf hinweisen, dass wir keine | |
Kleiderspenden annehmen. Wir erreichen über Facebook auch viele Leute, die | |
gar kein Verständnis für Flüchtlinge aufbringen. Sie verstehen es einfach | |
nicht, dass ein Flüchtling kein total verwaschenes und abgetragenes T-Shirt | |
tragen will. Das ist und bleibt ein Mensch! Und vorgestern hatte er | |
vielleicht sogar noch ein Haus mit Pool im Garten. Egal wie arm er jetzt | |
ist, er hat immer noch Würde, und die sollte in Deutschland unantastbar | |
bleiben. | |
Kommen wir zu Ihnen. Sie haben „Moabit hilft“ ja schon im September 2013 | |
gegründet. Wie kam das? | |
Ich wohne in einer Straße, in der damals gleich zwei Flüchtlingsheime | |
eröffnet wurden vom Arbeiter-Samariter-Bund. Ich habe relativ schnell für | |
mich gewusst, dass ich helfen muss. | |
Warum? | |
Ich bin Historikerin von Beruf und glaube, Flucht und Vertreibung sind | |
Themen, die tief in mir verwurzelt sind. Mein Vater ist jüdischer | |
Abstammung. Er hat im Nationalsozialismus als kleines Kind während seiner | |
Flucht drei Monate in einem Weinfass gelebt. Empathiefähigkeit war ein so | |
wichtiger Wert bei uns, dass es für mich emotional sehr schwierig ist, mich | |
von individuellen Geschichten abzukoppeln. Ich habe daher schnell gemerkt, | |
dass die Individualität in der Flüchtlingsarbeit fehlt. Deshalb haben wir | |
bei „Moabit hilft“ auch gleich mit Patenschaften für Flüchtlinge | |
angefangen, um individuell helfen zu können. | |
Spielte eine Rolle, dass Ihre Eltern aus Ungarn stammen – Sie also selbst | |
einen Migrationshintergrund haben? | |
Vielleicht sogar das. Meine Mama hat mir gesagt, sie habe jahrelang das | |
Gefühl gehabt, hier nicht richtig anzukommen, die Sprache nie richtig zu | |
lernen. Sie hat viel geweint, kam auf dem Arbeitsmarkt nicht an, fühlte | |
sich nicht akzeptiert. Und noch immer ist es so, dass meine Mutter solche | |
Sachen wie Verwaltungsangelegenheiten am Telefon nicht gerne selber macht, | |
das mache ich. Sie wird einfach nicht halb so ernst genommen wie jemand, | |
der fließend Deutsch spricht. Dabei hat sie nur einen leichten Dialekt und | |
ein Der-die-das-Problem, aber welche Zugewanderte hat das nicht? Ich finde, | |
das ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit. | |
Wie bekommen Sie Ihr Engagement mit der Familie überein? Sie haben ja einen | |
Mann und ein kleines Kind. | |
Man sagt ja immer, hinter jedem starken Mann steckt eine starke Frau – bei | |
uns ist es umgekehrt. Natürlich leidet mein kleiner Sohn unter der | |
Situation, die letzten Wochen waren schon schwierig für ihn. Aber ich | |
hoffe, dass er in vier, fünf Jahren zu schätzen weiß, was ich getan habe. | |
Davon zehre ich jetzt. | |
Nun ist Helfen ja kein Beruf. Was haben Sie gelernt? | |
Ich bin Historikerin und habe am Zentrum für Antisemitismusforschung an der | |
TU studiert. Dann habe ich einen zweiten Studiengang absolviert, Museologie | |
an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Davor habe ich eine | |
Ausbildung gemacht. Ich habe also verschiedene Wege beschritten, bevor ich | |
wusste, wo ich hinwollte. | |
Und jetzt wissen Sie es? | |
Eigentlich wollte ich immer schon in den sozialen Bereich. Aber ich hatte | |
auch schon immer große Probleme mit Verwaltung und deren verkrusteten | |
Strukturen. Und da ich jetzt einen ganz anderen Weg genommen habe und damit | |
mehr Möglichkeiten, an Verwaltung heranzutreten, habe ich mich jetzt | |
tatsächlich für diesen Bereich entschieden. So bin ich vor Kurzem von der | |
Caritas angestellt worden, um die Ehrenamtskoordination zu machen. Ich habe | |
die Bedingung gestellt, dass ich weiter die Arbeit bei „Moabit hilft“ | |
machen kann, und das haben sie mir zugesagt. | |
Nun vergeht kaum ein Tag ohne Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Macht | |
Ihnen das Angst? | |
Ja, das macht mir Angst. Auch weil sich die Politik jetzt noch weiter in | |
diese Richtung bewegt – sowohl verbal wie auch mit den Maßnahmen, die jetzt | |
ergriffen werden. Den Rechten wird doch Vorschub geleistet, wenn jetzt der | |
Schengen-Raum faktisch abgeschafft wird und es wieder Grenzkontrollen gibt. | |
Auch die Drittstaatsregelung, nach der Flüchtlinge in dem ersten EU-Land | |
bleiben müssen, das sie betreten, finde ich dermaßen widerlich. All diese | |
Instrumente führen natürlich zu einem gewissen Konsens in der | |
rechtsnationalen Szene, wenn nicht sogar in der konservativen. Dabei haben | |
wir eine Aufgabe, wir sind eines der reichsten EU-Länder! Da können wir | |
unsere Verantwortung nicht immer auf die europäische Ebene abschieben! | |
Organisationen wie Amnesty oder der Flüchtlingsrat weisen seit Jahren | |
darauf hin, dass die Lage für Flüchtlinge in diesen Ländern, in denen jetzt | |
die Unterbringung geleistet werden soll, desolat ist. | |
Sie meinen Ungarn? | |
Ja, oder auch Serbien, Polen. In Ungarn gibt es Einrichtungen, wo | |
Schlafmittel vom Aufsichtspersonal verabreicht wurden, damit die Menschen | |
ruhiger sind. Es gibt von Amnesty und anderen Organisationen | |
Dokumentationen über die „Aufbewahrungsstruktur“ in diesen Einrichtungen. | |
Das ist eine Katastrophe: Frauen werden vergewaltigt, eingesperrt, sogar | |
Käfighaltung standardisiert sich in diesen Ländern. Und das ist alles | |
Futter für die Massen, für die vielen Leute, die wenig bis nichts darüber | |
wissen, was Flucht bedeutet – dass es eben nicht so ist, dass sie hier | |
jedes Butterbrot geschmiert kriegen, dass es Jahre dauern kann, bis sie | |
einen Arbeitsvertrag in der Hand halten, und Monate, bis sie Geldleistungen | |
bekommen, die sie autark leben lassen und ihnen ein bisschen Würde geben. | |
Wir haben schon ein krankes Asylsystem, das darf nicht noch kränker werden, | |
nur um bei den nächsten Bundestagswahlen Stimmen von rechts zu bekommen. Es | |
hat seinen Grund, warum es monatelang gedauert hat, bis sich die | |
Bundeskanzlerin zu dem Thema geäußert hat. Mit Willkommenskultur hat das | |
nicht viel zu tun. | |
Genau darüber wird jetzt viel geredet, die PolitikerInnen überschlagen sich | |
mit Danksagungen an die Freiwilligen. | |
Also hier in Berlin hat das gedauert. Wir haben am Lageso schon drei Wochen | |
die humanitäre und medizinische Versorgung sichergestellt, bis überhaupt | |
der erste Politiker mit uns geredet hat. Da erwarte ich von den Kommunen | |
und auch den landesweiten Koordinierungsstäben, die jetzt überall aus dem | |
Boden schießen, viel schnellere Arbeit. Es darf doch nicht sein, dass das | |
Erste, was wir vom Lageso gehört haben, eine Kritik an unserer | |
Informationspolitik war – weil wir Zettel an Bäumen aufgehängt haben! | |
Aber irgendwann hat die Verwaltung kapiert, welche Arbeit Sie leisten, und | |
ist auf den Dankeszug aufgesprungen? | |
Ich glaube, nur weil die Caritas uns zur Seite gesprungen ist. Die Caritas | |
hat gesagt, wir wollen das Gleiche wie „Moabit hilft“ – und wenn ihr vom | |
Lageso uns hier als Platzmanager haben wollt, dann müsst ihr die | |
Anforderungen von „Moabit hilft“ erfüllen. Das kann doch nicht sein, dass | |
erst eine offizielle Organisation wie Caritas kommen muss, damit die | |
gesellschaftliche Forderung nach humanitärer Hilfe erfüllt wird. München | |
ist das beste Beispiel. | |
Inwiefern? | |
Es gibt dort gerade mal sechs hauptamtliche Mitarbeiter für das ganze | |
Messegelände, wo jetzt Tausende Flüchtlinge untergebracht sind. Der ganze | |
Empfang, die Essensversorgung, Getränkeversorgung, Bettenversorgung: Das | |
machen alles Ehrenamtliche! Das sind Hunderte Menschen. Da kann man als | |
Verwaltung nicht sagen, das ist ja ganz nett, aber dies und das stört uns | |
daran. | |
Wenn sich nun Politiker hinstellen und die „Willkommenskultur“ loben … | |
…dann muss man die auch leben. Man redet von Integrationspolitik und dass | |
sie die Sprache lernen können müssen und Arbeit bekommen – dann macht es | |
doch, verdammt! Wenn ihr nicht wollt, dass wir in 15 Jahren wieder ein | |
Problem vor der Tür haben, dann lasst sie arbeiten, Deutschkurse machen, | |
lasst sie doch leben. Und bewahrt sie nicht in Massenunterkünften auf, wo | |
sie mittlerweile auf Fluren schlafen. Ein Beispiel: Es gibt in Berlin zig | |
Ferienwohnungen, die jetzt im Herbst und Winter großenteils leer stehen | |
werden. Das Lageso lehnt solche Angebote ab, weil sie nicht „angemeldet“ | |
sind – und steckt die Leute lieber in überfüllte Heime. Wir haben | |
obdachlose Kinder, aber wenn wir sagen, hey, wir haben hier eine | |
ausgebildete Sozialarbeiterin mit Führungszeugnis, die könnte ein Kind | |
mitnehmen in ihre Einrichtung und dort unterbringen und verpflegen – nein, | |
das ist nicht angemeldet. Das sind so verhärtete Sachen: Politik verhindert | |
Willkommenskultur! Die Gesellschaft macht die Willkommenskultur. Die | |
Politik verhindert sie. Dabei könnte Willkommenskultur vieles einfacher | |
machen: So könnten die Menschen zum Beispiel ganz einfach Deutsch lernen, | |
wenn sie mit Deutschen zusammen sind. Wenn wir diese Potenziale haben, | |
warum nutzen wir sie nicht? | |
Fühlen Sie sich ausgenutzt von der Politik? | |
Ja, und auf den Arm genommen. Und unterfinanziert. Und oft auch belächelt. | |
Und häufig sogar wie ein lästiges Insekt, das einfach weggewedelt wird. | |
19 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Christian Mang | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |