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# taz.de -- Lehre, Kibbeh oder Big Mac
> ARBEITSMARKT Viele Flüchtlinge machen bereits eine Lehre. Ein paar
> scheuen die langjährige Ausbildung. Einfache Hilfsjobs sind wegen des
> schnellen Gelds gefragt
Bild: Integration an der Werkbank: ein Flüchtling beim Möbelbau in Berlin
von Barbara Dribbusch
Aus den bisherigen Erfahrungen mit Migrationen lässt sich einiges
vorhersagen zum Thema Flüchtlinge und Arbeitsmarkt: Erstens brauchen die
Zuwanderer längere Bildungsphasen, bis sie hier eine qualifizierte Arbeit
aufnehmen können. Zweitens könnte sich hier auch eine neue Parallelökonomie
entwickeln mit Dienstleistungsjobs ohne formale Ausbildung. Und drittens
wird die Zahl der Arbeitslosen und Sozialleistungsbezieher unter den
Flüchtlingen höher bleiben als unter der deutschen Bevölkerung.
Rund zwei Drittel der Flüchtlinge haben keine abgeschlossene
Berufsausbildung, so Zahlen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB). Die allermeisten Flüchtlinge können kein oder kaum
Deutsch. Die Hoffnungen ruhen daher vor allem auf der Bildung und
Ausbildung jüngerer Flüchtlinge. Denn 60 Prozent der AsylbewerberInnen sind
jünger als 25 Jahre.
Bayern hat schon mehrjährige Erfahrungen mit jungen unbegleiteten
Flüchtlingen, die dort zwei Jahre lang an Berufsschulen in
Vorbereitungsklassen Deutsch lernen und praktische berufliche Kenntnisse
erwerben. Nach Abschluss der Vorbereitungsklassen können sie eine
dreijährige Ausbildung anschließen.
Nach den ersten zwei Jahren in den speziellen Berufsschulklassen schaffen
die meisten der Flüchtlinge den Hauptschulabschluss, sagt Werner Nagler,
Lehrer am Berufsschulzentrum im bayerischen Schwandorf. Nur 30 bis 50
Prozent fangen danach tatsächlich eine betriebliche Ausbildung an. Ein
Viertel der AbsolventInnen der Vorbereitungsklassen geht anschließend auf
Berufsfach- oder andere weiterführende Schulen. Der Rest „arbeitet bei
McDonalds oder in anderen Hilfstätigkeiten für 8,50 Euro die Stunde, um
Geld zu verdienen“, so Nagler.
Eine dreijährige Lehre zu beginnen und durchzuhalten, ist gar nicht so
einfach: Die Fachsprache, die in einer Berufsausbildung verlangt wird,
stellt noch mal höhere Anforderungen an die Deutschkenntnisse. Manchen
schreckt auch das niedrige Ausbildungsentgelt für Lehrlinge ab. Mit
Vorbereitungsklasse und dreijähriger Lehre vergehen dann insgesamt fünf
Jahre, in denen ein junger Flüchtling nicht nennenswert entlohnt wird.
Daher bleibt auch kaum Geld, das er nach Hause schicken könnte. Auch
Schulden bei einem Schleuser lassen sich damit nicht bezahlen.
Nach den Zahlen des IAB haben 13 Prozent der Flüchtlinge ein
Hochschuldiplom aus der Heimat. Bei den Syrern liegt dieser Anteil noch
höher. Doch ein hoher Abschluss aus der Heimat, etwa in einem geistes- oder
sozialwissenschaftlichen Fach, hilft hier wenig, zumal gerade in
akademischen Berufen perfekte Sprachkenntnisse in Sprache und Schrift
erforderlich sind. Viele Flüchtlinge mit hohem Bildungsabschluss arbeiten
daher am Ende doch in niedriger qualifizierten Tätigkeiten in Deutschland.
Der Bezug von Sozialleistungen ist verbreiteter als in der deutschen
Bevölkerung. Laut einer IAB-Befragung von Zuwanderern, die in den letzten
20 Jahren als AsylbewerberInnen nach Deutschland kamen, sind 55 Prozent
hier erwerbstätig, bei den Deutschen sind es drei Viertel. Die Asylbewerber
werden sich erst „mittel- und langfristig“ in den Arbeitsmarkt integrieren,
sagt IAB-Migrationsexperte Herbert Brücker.
Die ersten Bilanzen sind daher mager: Am Modellprojekt „Early Intervention“
der Bundesagentur für Arbeit etwa nahmen seit Jahresbeginn 2014 rund 800
AsylbewerberInnen teil, davon wurden 46 Leute in einen Job vermittelt, 13
begannen eine Ausbildung. Die TeilnehmerInnen dieses Projekts „brauchen
aufgrund ihrer persönlichen Situation einfach mehr Zeit, zum Beispiel weil
sie traumatisiert sind oder die deutsche Sprache von Grund auf erlernen
müssen“, sagt Susanne Eikemeier, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit.
Gefragt sind Jobs, für die keine hervorragenden Deutschkenntnisse und keine
formale Ausbildung erforderlich sind, also Hilfstätigkeiten in der
Landwirtschaft, auf dem Bau, in Versandlagern, in der Gastronomie, der
Pflege und im Bewachungsgewerbe. In den vergangenen vier Jahren wurden in
Deutschland rund eine Millionen neuer Beschäftigungsverhältnisse für
Ausländer geschaffen, die keine formale Ausbildung voraussetzen, so die
IAB-Zahlen.
Die Migrantenmilieus in den Metropolen schaffen sich diese Jobs auch
selbst, durch einen neuen Bedarf an Übersetzern, Kleinhandwerkern,
Lebensmittelhändlern für Spezialitäten. Möglicherweise sprießen demnächst
syrische Imbisse mit Kibbeh-Hackfleischbällchen, Minzjoghurt und Anistee
aus dem Boden. Die neuen ethnischen Milieus werden auch Deutschland
verändern.
15 Sep 2015
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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