Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wir müssen mal miteinander reden
> Alternativen Was wollen Patienten wirklich? Wenn Ärzte das wüssten, wäre
> der Heilungserfolg möglicherweise deutlich größer. Nicht nur, weil viele
> Pillen gar nicht geschluckt werden
Von Angelika Sylvia Friedl
Alle reden vom kompetenten Patienten. Im hektischen Medizinbetrieb ist sein
Wissen aber meistens nicht gefragt. Vor allem chronisch kranke Menschen
erhalten stattdessen Verordnungspakete und werden von Arzt zu Arzt
überwiesen. Nicht verwunderlich, dass viele Homöopathie, chinesische
Medizin oder andere alternative Behandlungsmethoden bevorzugen.
Mittlerweile existieren eine ganze Reihe von Umfragen und Studien, die
zeigen, was sich Menschen wünschen: eine ganzheitliche, auf sie gerichtete
Behandlung und Antworten auf existenzielle Fragen. Was bedeutet meine
Krankheit oder was kann ich selbst tun, um eine Heilung zu beeinflussen?
Die Beliebtheit der Komplementärmedizin lässt sich leicht erklären.
Betroffene Patienten wählen sie oft gerade deswegen, weil sie angehört und
einbezogen werden wollen. Auch die anthroposophische Medizin ist darauf
ausgerichtet, dass Patienten ihre eigenen Ressourcen entdecken. Auf der
anderen Seite bezieht sie konventionelle Methoden ausdrücklich ein.
Eigentlich eine ideale Position, um zwischen den beiden Lagern Schul- und
Komplementärmedizin zu vermitteln. „Wir brauchen aber sicherlich ein
pragmatischeres Verhältnis, um die ideologisch geprägten Vorurteile auf
allen Seiten zu beenden“, meint Stefan Schmidt-Troschke, Vorstandsmitglied
des Dachverbandes Anthroposophische Medizin in Deutschland. Denn Ärzte und
Therapeuten seien schließlich nicht einer Ideologie, sondern ihren
Patienten verpflichtet. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die
Chancen alternativer und traditioneller Behandlungen erkannt. Unter dem
Titel „WHO Traditional Medicine Strategy 2014–2023“ will sie erreichen,
dass traditionelle Methoden in Zukunft viel stärker genutzt werden.
Nationale Gesundheitssysteme sollen sie, wo immer möglich und
wissenschaftlich vertretbar, in ihre Versorgungssysteme einbauen. Die
integrative Medizin, wie der neue Ansatz seit einigen Jahren genannt wird,
stützt sich aber nicht nur auf ein anderes, ein gleichberechtigtes
Arzt-Patienten-Verhältnis. Alle therapeutischen Ansätze sollen zudem
evidenzbasiert sein. Meinungen und subjektive Erfahrungen zählen nicht,
sondern nur wissenschaftlich nachprüfbare Belege. Hier besteht für viele
alternative Angebote ein großer Nachholbedarf, weil sie nicht evaluiert
oder getestet sind.
Was Patienten wirklich wollen, weiß man natürlich nur, wenn sie auch gehört
werden. Sei es im Gespräch mit dem Arzt, sei es in präferenzbasierten
Studiendesigns. Eine gute Gesprächskultur wäre also die erste
Voraussetzung, um die Arzt-Patienten-Beziehung wieder ins Lot zu bringen.
Es geht jedoch um mehr als nur um Gespräche auf Augenhöhe. Vor allem geht
es um Wohlbefinden und Lebensqualität von Kranken, die viel stärker
beachtet werden müsste, als das bisher der Fall ist. „Was bringt es zum
Beispiel dem Tumorkranken, wenn er in den letzten Monaten seines Lebens
noch Chemotherapie erhält, um noch einige Tage länger zu leben, obwohl er
erkennbar unter der Behandlung leidet“, fragt Stefan Schmidt-Troschke. Aber
ein System, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt, eröffnet noch
radikalere Aspekte. „Wir müssen erreichen, dass der subjektive Blick des
Patienten genauso beachtet wird wie der objektive Blick des Arztes“,
fordert der Kinderarzt Stefan Schmidt-Troschke. Konsequenterweise würde
Patientenpräferenz dann auch heißen, kranke Menschen stärker am
Medizinsystem zu beteiligen. Zu prüfen wäre zum Beispiel, wie ein
Krankenhaus ausgestattet sein sollte, um den Kranken besser zu dienen.
Gehören nicht auch Patientenbeiräte in die Verwaltung eines Krankenhauses
und nicht nur Patientenfürsprecher, die in einigen Kliniken schon
vorgesehen sind? Sie bräuchten aber eine starke Position, um aktiv
mitzubestimmen, um nicht auf die Rolle von Beschwerdestellen reduziert zu
werden. Schmidt-Troschke wünscht sich solche Beiräte auch zum Beispiel für
kassenärztliche Vereinigungen. Vorstellbar sind für ihn sogar
Qualitätszirkel in Arztpraxen, in denen Patienten ebenfalls mitvertreten
sind.
Zwar sind viele Patienten gut informiert und treten gegenüber Ärzten
selbstbewusst auf. Auf der anderen Seite gibt es noch Menschen, die sich
lieber leiten lassen. Hier muss ein Arzt klug und sensibel fragen und
handeln, um den Willen seines Patienten zu erforschen, erklärt
Schmidt-Troschke. „Die Fähigkeit zur Empathie ist hier der Schlüssel zum
Erfolg. Leider verlieren viele Ärzte diese Fähigkeit im Laufe der Zeit.
Auch Medizinstudenten an den Universitäten stumpfen offenbar während des
Studiums immer stärker ab.“ Auf die Medizinzunft ist also kein Verlass.
Letzten Endes müssen Patienten mit entscheiden, wie eine kooperative und
integrative Medizin in der Zukunft aussehen soll.
19 Sep 2015
## AUTOREN
Angelika Sylvia Friedl
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.