# taz.de -- Grauer Wall noch größer | |
> GESCHÄFTDie Deponie „Grauer Wall“ in Bremerhaven wird weiter umfangreich | |
> ausgebaut. Während der Gewinn weitgehend privatisiert ist, müssen die | |
> Anwohner leiden | |
Bild: Der Graue Wall in Bremerhaven, idyllisch umrahmt vom Spreckenbütteler Pa… | |
von Henning Bleyl | |
Der Müllberg in Bremerhaven soll bis zu einer Höhe von 52 Metern aufgetürmt | |
werden. Das sagt der Senat in seiner jüngsten Stellungnahme zur im | |
Stadtteil Speckenbüttel gelegenen Deponie „Grauer Wall“, auf der zahlreiche | |
Giftstoffe lagern. Der Müllberg würde demnach die Höhe des nahe gelegenen | |
Hansa-Hochhauses übersteigen. | |
AnwohnerInnen und Umweltverbände halten den Ausbau von 2,9 Millionen auf | |
insgesamt 5,1 Millionen Kubikmeter Müll für völlig verantwortungslos. Aber | |
wäre es wirklich so schlimm, wenn die Bremerhavener Topographie um einen | |
Rodelberg bereichert würde? Sabine Hanisch von der Bürgerinitiative „Keine | |
Erweiterung Grauer Wall“ (BIKEG) verweist auf andere Deponien, deren | |
geplante Begrünung scheiterte. In der Tat musste beispielsweise | |
Frankfurt/M. einen Abenteuerspielplatz auf seinem „Monte Scherbelino“ | |
wieder abreißen, weil dort giftige Sickerwässer austraten. Während es sich | |
in Frankfurt aber „nur“ um eine wilde Bauschutthalde aus der Nachkriegszeit | |
handelte, ist der Graue Wall eine ausgewiesene Giftdeponie. | |
Über 100 Abfallarten lagern hier bereits, darunter Asbest und die | |
hochgiftigen „Filterkuchen“ aus der Rauchgasreinigung der Bremerhavener | |
Müllverbrennungsanlage. Selbst der Senat kann nicht sagen, was hier | |
womöglich außerdem noch alles abgeladen wurde: In den ersten Jahrzehnte | |
seit der Inbetriebnahme 1958 wurde das keineswegs lückenlos dokumentiert. | |
Fraglich ist in jedem Fall die Aussage des Senats, 95 Prozent der | |
deponierten Abfälle kämen aus Bremerhaven. Sie suggeriert, dass der Ausbau | |
des Grauen Walls schlicht dem Verursacherprinzip geschuldet ist: Wer Müll | |
produziert, muss eben auch die Entsorgung auf sich nehmen. In der Tat | |
stammt der Großteil der am Grauen Wall gelagerten Schlacken und | |
Filterkuchen – 10.000 Tonnen jährlich – aus der Bremerhavenener | |
Müllverbrennungsanlage. Doch der Müll, der dort verbrannt wird, kommt aus | |
ganz Europa, unter anderem aus Neapel. Hintergrund ist das internationale | |
Müllgeschäft der Firma Remondis. | |
Remondis gehören drei Viertel der Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft | |
(BEG) samt Müllverbrennungsanlage. Die Kommune Bremerhaven ist nur mit | |
einem Viertel der Gesellschafter-Anteile am Gewinn beteiligt. Bremerhaven | |
trägt auch nur ein Sechstel oder Siebtel zu den 300.000 Tonnen Müll bei, | |
die jährlich in der Anlage verbrannt werden. Die hochgiftigen | |
Verbrennungsrückstände werden dennoch als heimisch deklariert. | |
Mit Blick auf die Deponie-Erweiterung gesteht der Senat ein, dass der Graue | |
Wall für das überörtliche Müllgeschäft ausgebaut werden soll: Er verweist | |
in seiner Ausbau-Begründung explizit auf die Schließung diverser | |
niedersächsischer Entsorgungsstandorte. | |
Aus Sicht der Bürgerinitiative, die ohne Erfolg eine Klage vor dem Bremer | |
Oberverwaltungsgericht unterstützte, ist es skandalös, dass die | |
Bremerhavener Bevölkerung die Folgen einer Müllwirtschaft ertragen muss, | |
die zwar Gewerbesteuereinnahmen abwirft, deren Gewinne jedoch größtenteils | |
privat abgeschöpft werden. „Die Deponie“, sagt Hanisch, „ist eine | |
Zeitbombe.“ | |
Von fünf Standorten in der Umgebung der Deponie ließ die Bürgerinitiative | |
Staubproben von Hausdächern und Fensterscheiben untersuchen, bei denen | |
deutlich erhöhte Bleiwerte festgestellt wurden. Eine konkrete Belastung | |
sind auch die vielen Deponiebrände: In den vergangen drei Jahren gab es am | |
Grauen Wall, der unmittelbar an den „Gesundheitspark Speckenbüttel“ samt | |
Yin-Yang-Platz und Barfußpfad grenzt, acht Feuerwehreinsätze, zwei davon | |
bei Großbränden. Die Anwohner wurden davor gewarnt, Türen oder Fenster zu | |
öffnen. | |
Bereits 1972 hatte der Magistrat den Anwohnern versprochen, die Deponie in | |
absehbarer Zeit zu schließen – stattdessen kam der Ausbau-Beschluss, der | |
gerichtlich nun nicht mehr anfechtbar ist. „Wir müssen uns darauf | |
beschränken“, sagt Hanisch, „auf die Einhaltung der bestehenden Gesetze | |
etwa in Sachen Grundwasserschutz zu beharren.“ Bislang würde ein | |
entsprechendes Belastungs-Gutachten jedoch ebenso unter den Tisch gekehrt | |
wie die Brandproblematik. | |
Erst Ende März dieses Jahres wurde die Zuständigkeit für die Deponie durch | |
die Gewerbeaufsicht von Bremerhaven nach Bremen verlegt. Hanisch | |
befürchtet: „In Zukunft wird noch weniger kontrolliert werden.“ Der Senat | |
hingegen betont, dass die Bevölkerung weder durch eine Belastung der Luft | |
noch des Wassers gefährdet sei. Auch an der „Optimierung des Brandschutzes“ | |
werde gearbeitet. | |
21 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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