# taz.de -- Hausbesuch Eva Quistorp feiert ihren 70. Geburtstag im Gemeindehaus… | |
Bild: Frieden als Bekenntnis und Accessoire | |
Text Waltraud SchwabFoto Miguel Lopes | |
Zu Besuch auf Eva Quistorps Feier zu ihrem 70. Geburtstag in Berlin Ende | |
August. | |
Draußen: Der Saal der evangelischen Sankt-Annen-Gemeinde. Ein kühl | |
gehaltener Backsteinbau, in dem die Mitglieder der Bekennenden Kirche sich | |
während der Nazizeit trafen. Gegenüber die 700 Jahre alte | |
Sankt-Annen-Kirche mit Friedhof. Christen, die sich den Nazis widersetzten, | |
liegen da. Bischof Scharf und Frau, Gertrud Steaven, die jüdischen Leuten | |
half, die Gollwitzers. Als Eva Quistorp 1965 nach Berlin zum | |
Theologiestudium kam, wohnte sie bei ihnen. „Ich wusste vorher nicht viel | |
von Golli. Er war Bayer, groß, belesen, laut. Seine Frau Halbjüdin.“ Auch | |
Rudi Dutschke ist auf dem Sankt-Annen-Friedhof begraben. „Der war ein | |
Gollwitzer Schützling wie ich“, sagt sie. | |
Drin: Ein hoher, heller Saal, Vierecktische, um jeden acht Stühle. Vor der | |
Bühne steht ein Flügel. Flügel – Engel – die Musik muss die christliche | |
Symbolik ersetzen. In ihr privates Zuhause lässt Eva Ouistorp niemanden. | |
„Das hier ist meine Wohnung“, sagt sie und dreht sich einmal im Kreis, | |
zeigt auf die Menschen, ihre Gäste, ihre Geschwister, ihre Weggefährten und | |
-gefährtinnen. Hundert Leute bestimmt. | |
Eva Quistorp: Groß, schlank, rothaarig – sie ist eine Erscheinung, Spross | |
eines Theologengeschlechts. Die Quistorps, wenngleich in Cleve, nicht in | |
Berlin wohnend, gehörten während der Nazizeit zur Bekennenden Kirche. | |
Gläubig, auf der richtigen Seite stehend, und dennoch ein Patriarch war der | |
Vater. „Wenn er da war, durften wir nicht laut sein“, sagt Quistorps | |
Bruder, Gesangslehrer ist er. Auf die Feier stimmt er mit Liedern ein. „We | |
shall overcome“. Das laute, helle Lachen seiner Schwester erfüllt den Saal. | |
Die Familie: Es soll schwierig gewesen sein, gegen den Vater zu | |
rebellieren, sagt der Bruder. Aber Eva habe es getan. Er habe es getan. | |
Mehr noch als Eva habe er rebelliert. Blitzt da Geschwisterrivalität auf? | |
Die wird man nicht los. Gegen die quirlige, laute Schwester ist schwer | |
anzukommen. Sie ist der Star. 1965 ging sie nach Berlin, studiert | |
Theologie, Germanistik, Politik. „Ich bin nicht einbeinig“, sagt sie. | |
Lebenspläne: Ursprünglich wollte sie Pianistin und Ärztin werden und macht | |
einen Rückzieher, als sie merkt, auf was für ein konkurrenzbehaftetes | |
Tableau sie sich begibt. „Ich kannte Zivilcourage, Einsamkeit und | |
Diskriminierung wegen der roten Haare. Was ich nicht kannte, war Neid und | |
Konkurrenz.“ Es kam dann aber alles anders. Denn nicht lange und sie ist | |
mittendrin in der Rebellion, den 68ern. Was die machten? Sie setzen auf | |
Katharsis durch Verneinung, rebellierten gegen die Elterngeneration, so wie | |
die wollte man nicht sein. „Ich kam aber aus einer Anti-Nazi-Familie. Mein | |
Antrieb war: Nie wieder.“ | |
Nie wieder: Viele soziale Bewegungen haben sich im Anschluss an die 68er | |
entwickelt. Die Antiatombewegung, die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, | |
die Gründung der Grünen. „Ich bin eine der Gründerinnen.“ Sie ist stolz | |
darauf, wenngleich sie später von der Partei nicht gut behandelt wurde. | |
Petra Kelly war die Charismatikerin bei den Grünen – und starb früh. Eva | |
Quistorp war die Frontfrau. Sie war immer eine derjenigen, die ganz vorne | |
mitdemonstrierten, mitkämpften – für ein gutes Leben, für | |
Internationalität, für Integration, gegen unbeherrschbare Technologie, | |
gegen Kriegstreiberei, gegen humanitäre Katastrophen. An den Tischen auf | |
ihrer Feier sitzen die Leute, die sie in der Vergangenheit begleiteten. Die | |
Feministinnen an einem, die 68er, die Friedensaktivistinnen. Die Grünen, | |
bis auf ein, zwei, haben sich entschuldigt. Der Archivar der grünen | |
Böll-Stiftung ist aber da. Er hat eine Dia-Show zusammengestellt. Quistorp | |
mit Mandela, Obama, dem Dalai Lama, Vandana Shiva und vielen anderen. | |
Frontfrau sein: Sie widerspricht. „Ich war Basisfrau. Später Netzwerkerin.“ | |
Sie setzt auf Frauensolidarität, stärkt die Frauen in den | |
Bürgerinitiativen. „Ich war die einzige Feministin im | |
Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung und deren Geschäftsführerin. | |
Da musste ich gegen die SPD, die DKP, die Kirchenspitze stehen, um die | |
neuen sozialen Bewegungen zu repräsentieren.“ Sechs Jahre macht sie das, | |
ehrenamtlich, lebt von Arbeitslosenhilfe. In der Zeit lernt die eigentlich | |
scheue, leise Eva Quistorp laut zu sein, eine öffentliche Person zu sein. | |
So fotogen wie sie ist, nehmen die Medien sie gerne ins Bild. | |
Neues aufbauen: „Ich war mehr auf Handeln aus als auf große Diskurse.“ Erst | |
schrieb sie eine Doktorarbeit zur Rolle der christlichen Frauen in | |
Bürgerinitiativen und der Friedensbewegung. Dann schloss sie sie nicht ab, | |
sondern organisierte die Netzwerke zwischen ihnen. Deswegen kennen sie bis | |
heute so viele und wissen doch nicht, dass sie nicht nur Aktivistin, | |
sondern auch Denkerin ist. „Weltethik und Weltinnenpolitik, die wird doch | |
nicht von Akademikern hergestellt.“ | |
Das Dilemma: Von 1989 bis 1994 war sie Abgeordnete im Europaparlament. Eine | |
Zeit der Erschütterungen war das: Mauerfall, deutsche Einheit, Zerfall der | |
Sowjetunion und Jugoslawiens, der Golfkrieg. „Wie kann man auf solche | |
Geschehnisse antworten?“ Die entschiedene Pazifistin fordert als eine der | |
Ersten nicht nur, dass Vergewaltigung im Krieg als Kriegsverbrechen | |
anerkannt wird, sondern im August 1992 auch, dass die UNO militärisch in | |
Bosnien eingreift, um die Lager und Sarajevo zu befreien. Das nehmen ihr | |
viele übel. Es beendet ihre Karriere bei den Grünen. | |
Eine Festrednerin: Karin Juncker, Sozialdemokratin, war mit Quistorp im | |
Europaparlament. Sie hält eine Rede. Wie man sich näher kam. Wie man | |
kämpfte. Wofür man kämpfte. Dass es schön ist, mit jemanden einig zu sein | |
im Kampf. Aber dann wird sie ernst. Sie fürchtet, dass vieles, wofür sie | |
gemeinsam kämpften – Integration, Gleichheit, Emanzipation – kaputtgehen | |
wird, wenn es nicht gelingt, dass alle verstehen: Islam und Demokratie sind | |
nur in einem säkularen Staat vereinbar. | |
Das Herz: Auf so einen Fest, sind da auch die Lieben, die besten | |
Freundinnen? Quistorp, deren Herz mittlerweile anfällig ist, sagt, dass | |
viele ihrer besten Freundinnen tot seien. Petra Kelly, die Journalistin | |
Sophie von Behr, die Ökonomin Christel Neusüß fallen ihr sofort ein. Später | |
nennt sie mehr Namen. Und ein Liebhaber, der Protestliedersänger Walter | |
Mossmann, starb im Mai dieses Jahres. Die Trennung von ihm sei damals nicht | |
leicht gewesen. „Herzstiche sind hängen geblieben.“ | |
Jeanne d’Arc: „Wo ist die Wärme, die entsteht, wenn man so viele Menschen | |
bewegt hat? Wo die Hinterlassenschaft, die einen trägt?“, fragt die | |
Friedensaktivistin Ulrike von Wiesenau im Flur vor dem Festsaal. Jeanne | |
d’Arc sei auch alleine gewesen. Drinnen im Saal aber wird endlich getanzt. | |
Quistorp holt alle aufs Parkett, dreht sich mit ihnen, ihre Haare drehen | |
sich mit. | |
Sie wollen auch besucht werden?Schicken Sie eine Mail an: [email protected] | |
12 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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