# taz.de -- Zukunft Sie sind gut für die Umwelt, drängeln nicht und sind nie … | |
von Svenja Bergt | |
Ein selbstfahrendes Auto kann man sich wie einen etwas verwöhnten Touristen | |
vorstellen. Am liebsten mag es Sonnenschein, einen leicht bewölkten Himmel, | |
aber bloß kein grelles Gegenlicht oder Chaos um sich herum. Dann geht es | |
ihm gut: Es fährt, wenn es fahren, und es hält, wenn es halten soll. Um | |
Hindernisse kurvt es herum. Aber wehe, es liegt Schnee oder die Straßen | |
sind vereist. Oder die Sonne blendet. Dann kann es auf dem Testparcours | |
auch mal in die Gegenspur oder in den Bordstein steuern, ein Hindernis | |
nicht erkennen oder eines sehen, wo keins ist. Krach. So war das eigentlich | |
nicht gedacht. | |
Sie sind anspruchsvoll, diese selbstfahrenden Autos. Kein Wunder, dass | |
Testfahrten bevorzugt in Kalifornien stattfinden und nicht in Sibirien. Und | |
das, obwohl die Verkehrssicherheit von den Herstellern immer als großes | |
Argument für die autonomen Autos angeführt wird. | |
Alle 13 Sekunden gibt es auf deutschen Straßen einen Unfall. 3.368 Menschen | |
sind im vergangenen Jahr dabei umgekommen. Weil jemand auf sein Handy | |
geschaut hat oder das Stoppschild übersehen oder letzte Nacht schlichtweg | |
nicht genug geschlafen hatte. All das sind Fälle, die sich vermeiden | |
ließen, wenn das Auto mit dem Stoppschild sowie dem Auto davor | |
kommunizieren und über Sensoren wahrnehmen würde, dass da ein Hindernis auf | |
der Straße ist. Ein Fußgänger zum Beispiel oder ein Ball, der auf die | |
Straße rollt. | |
Um das Jahr 2020, da sind sich Experten weitgehend einig, werden die | |
selbstfahrenden Pkws ganz regulär auf Straßen unterwegs sein. Auf | |
Autobahnen, eventuell auch auf Landstraßen. In Städten eher etwas später, | |
die Komplexität des Stadtverkehrs ist die größere Herausforderung. Wer | |
möchte nicht die Zahl der Verkehrstoten reduzieren, vielleicht sogar auf | |
null senken? | |
Denn anders als ihre Fahrer lassen sich Autos ziemlich einfach erziehen. | |
Bei ihnen heißt es dann programmieren. Google zum Beispiel programmiert | |
seine selbstfahrenden Autos zum defensiven Fahren. Schaltet eine Ampel auf | |
Grün, fahren sie nicht sofort mit Vollgas los, sondern warten einen | |
Augenblick, für den Fall, dass doch noch ein Fußgänger auf die Straße | |
gesprungen ist. Erst dann geben sie Gas. In der Praxis hat das nur einen | |
Nachteil: Die ungeduldig Wartenden, die sofort beim Signalwechsel aufs | |
Gaspedal steigen, fahren dem defensiv wartenden Google-Auto schon mal | |
hintendrauf – der Konzern verzeichnete mehrere Unfälle dieser Art. Das mit | |
der Koexistenz klappt also noch nicht so gut. | |
„Selbstfahrende Autos sind auch von der Umweltbilanz her besser“, sagt Gerd | |
Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologisch orientierten | |
Verkehrsclubs Deutschland. Zu schnell fahren, spät schalten, abrupt bremsen | |
– all das verursacht Emissionen. Menschen machen das. An Maschinen kann man | |
es einfach abstellen. | |
Eine Straßenkreuzung in Shenyang, einer Stadt im Nordosten Chinas. Zwei | |
Magistralen, die sich kreuzen, wie viele Fahrspuren, ist nicht wirklich | |
auszumachen. Denn jeder, der irgendwo eine Lücke sieht, nutzt sie. Und so | |
stehen Busse, Vans, Pkws und ein Lastwagen mitten auf der Kreuzung, | |
ineinander verkeilt, es geht nicht vor und zurück schon gar nicht. Mit | |
selbstfahrenden Autos wäre das nicht passiert. | |
Das Problem ist: Menschen sind nicht nur schwer zu erziehen, sondern auch | |
dumm. Wenn sie sich in einer Verkehrssituation befinden, denken sie nur an | |
das eigene Vorankommen und haben das große Ganze nicht im Blick. Deshalb | |
sind überall auf der Welt Kreuzungen verstopft, obwohl es schneller ginge, | |
würden sich alle an die Verkehrsregeln halten. Verkehrschaos ist nicht gut, | |
vor allem für die Autoindustrie. Jeder Stau bedeutet, dass Fahrer genervt | |
sind vom Autofahren, dass Unfälle passieren und dass die Leute das nächste | |
Mal womöglich den Bus nehmen oder das Fahrrad. | |
## Menschen sind egoistisch, Maschinen nicht | |
Um die negativen Folgen des dichten Verkehrs in den Griff zu bekommen, | |
setzt man in China bereits auf eine Beschränkung der Zulassungen: Städte | |
verlosen oder versteigern die Lizenz, die damit teurer werden kann als die | |
Anschaffung des Fahrzeugs selbst. Auch das ist gar nicht im Sinne der | |
Industrie. | |
Zwar steigen die Absatzzahlen in Ländern wie China und Indien noch. Doch in | |
Europa ist der Trend schon rückläufig, in den USA liegt die Zahl der | |
Neuzulassungen deutlich unter dem Niveau vor der Wirtschaftskrise. Die | |
Zeiten, in denen zur Volljährigkeit Führerschein und Auto gehörten, sind | |
vorbei. Elektrofahrzeuge sind ein Ausweg für die Industrie – die Antwort | |
auf die ökologischen Probleme. Selbstfahrende Autos sind der zweite Weg. | |
Die Antwort auf die Identitätskrise. | |
„Das Auto hat für Großstadtbewohner wesentlich an Emotion verloren“, sagte | |
Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Center Automotive Research an der | |
Universität Duisburg-Essen, bei der Vorstellung der diesjährigen Zahlen zum | |
Alter der Neuwagenkäufer. Durchschnittlich 53 Jahre alt ist heute, wer ein | |
Autohaus betritt, sich zwischen den glänzenden Wagen umsieht und | |
schließlich das Portemonnaie zückt. Ein neuer Altersrekord. Und noch ein | |
Hinweis darauf: Das Auto ist nicht mehr das, was es mal war. Das | |
Statussymbol, dessen Besitz allen zeigt, wo man in der Gesellschaft steht. | |
Dafür gibt es andere Statussymbole. Smartphones zum Beispiel, kleiner und | |
auch ökologischer als ein ganzer Pkw. Für die Autoindustrie ist das kein | |
Trost. Um sich von den kleinen Elektronikgeräten nicht den Markt abgraben | |
zu lassen, versucht sie alles, um ihre Fahrzeuge zu großen | |
Elektronikgeräten zu machen. Wer in einen Pkw der aktuellen Generation | |
einsteigt, kann nicht einfach nur den Zündschlüssel umdrehen. Das Fahrzeug | |
muss hochgefahren werden, wie ein Computer. | |
Dass die Technik künftig in der Lage ist, mit der aus dem Nachbarauto zu | |
kommunizieren, und anstelle des Fahrers Algorithmen entscheiden, wann | |
gebremst wird, ist nur der nächste logische Schritt. Und gleichzeitig | |
einer, der den Passagieren ermöglicht, noch mehr Zeit mit ihrem neuen | |
Statussymbol zu verbringen. Dazu passt, dass das selbstfahrende Auto gar | |
nicht mehr aussehen soll wie ein Auto. Wozu braucht man eine Heckscheibe, | |
wenn niemand mehr nach hinten schauen muss? Warum die Sitze hintereinander | |
anordnen, wenn man doch auch im Kreis sitzen kann oder quer zur | |
Fahrtrichtung wie in einer Limousine? Oder – auf langen Strecken – liegen? | |
„Die Industrie will diese Autos“, sagt Lottsiepen vom Verkehrsclub | |
Deutschland, „aber ob der Kunde sie will, ist völlig unklar.“ Schließlich | |
mache die Faszination des Autofahrens das Gefühl aus, Herr über Zeit und | |
Raum zu sein. Das selbstfahrende Auto sei dagegen nicht mehr weit vom | |
fremdgesteuerten Zug oder Bus entfernt. Und zudem deutlich teurer. | |
Doch selbst wenn die Industrie die Autos nicht wollte: Sie hat keine Wahl. | |
Neue Player wie Google und – immer noch gerüchteweise – Apple wollen auf | |
den Markt. Wenn die Kunden eines Tages ihre Autos bei ihnen kaufen, haben | |
Volkswagen und Co. ein Problem. Die Autoindustrie muss also dranbleiben, | |
auch wenn sich das eines Tages für sie als Nachteil erweisen könnte. Aber | |
dazu später. | |
## Auch Strafverfolger hätten Interesse an den Daten | |
Dass auch Konzerne wie Google dabei sein wollen, ist kein Wunder. Nicht | |
nur, weil der Taxi-Konkurrent Uber eine glänzende Zukunft vor sich hätte, | |
ohne den Streit um Ortskenntnisprüfungen und Personenbeförderungsscheine. | |
Google ist vor allem an den Daten der Autos und ihrer Fahrer interessiert. | |
Schon die aktuelle Fahrzeuggeneration weiß viel über ihre Fahrer. Zum | |
Beispiel über Beschleunigungs-, Kurven- und Bremsverhalten, über Lenkwinkel | |
und Radgeschwindigkeit, Radar- und Kamerawerte. Wann war der | |
Scheibenwischer an? Wann das Fernlicht? Und wann nicht? Und die | |
Nebelschlussleuchte? Versicherungen, die einen defensiven Fahrstil | |
belohnen, gibt es bereits. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle, die | |
sich nicht in die Fahrdaten schauen lassen wollen, mehr zahlen müssen. Auch | |
Strafverfolger hätten ein Interesse an den Daten. Und dann kann es nicht | |
mehr lange dauern, bis Gewerkschaft der Polizei und Unionspolitiker eine | |
Vorratsdatenspeicherung für zurückgelegte Strecken fordern. | |
„Mit fortschreitender Entwicklung wird die Verarbeitung der Daten zunehmend | |
zentraler“, sagt Daniel Göhring, Leiter des Projekts selbstfahrende Autos | |
an der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig öffnen Software und | |
Datenversand ein Fahrzeug auch für Viren, Trojaner und Hacker. Vor wenigen | |
Wochen präsentierten zwei Forscher ihren Hack eines Jeep, dem sie | |
ferngesteuert unter anderem den Motor abstellten. Warum sollte sich ein | |
selbstfahrendes Auto nicht auch bei voller Fahrt hacken lassen? Und auf der | |
Autobahn auf einmal beschleunigen – oder bremsen? „Je mehr wir die | |
Fahrzeuge vernetzen, desto mehr Angriffsmöglichkeiten gibt es“, warnt | |
Tobias Eggendorfer, Professor für IT-Sicherheit an der Hochschule | |
Weingarten. | |
Doch auch wenn alle Zukunftsvisionen erfüllt werden und die selbstfahrenden | |
Autos sich als ökologischer entpuppen, als vorteilhaft für die | |
Verkehrssicherheit und sicher im Datenschutz – steigende Absatzzahlen für | |
die Industrie sind nicht garantiert. Denn wenn das Auto, nachdem es die | |
Kinder in die Schule und die Eltern zur Arbeit gebracht hat, auch noch die | |
Tante zum Arzt fährt, brauchen viele Menschen überhaupt keinen eigenen Pkw | |
mehr. Ein Carsharing ohne Fahrer würde entstehen. Um zwei Drittel ließe | |
sich der Fahrzeugbestand in Städten senken, schätzt Forscher Göhring. Mit | |
allen Folgen, die sich daraus ergeben: sinkende Emissionen, weniger | |
Verkehr, Straßen und Parkplätze, die zu Parks und Wohnungen umgebaut werden | |
können. | |
Es könnte sein, dass die selbstfahrenden Autos für die Industrie nicht das | |
erhoffte nächste iPhone werden, das steigende Umsätze garantiert. Und dass | |
die Erfindung die Welt letztlich mehr verändert, als es zunächst den | |
Anschein macht. | |
Mitarbeit: Richard Rother | |
19 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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