| # taz.de -- „Überall in der Stadt haben wir Bohrhaken gesetzt“ | |
| > taz-Serie Trendsportarten (Teil 11 und Schluss) Es gab Zeiten, da war | |
| > Klettern „absolut outlawmäßig“: Thomas Meier über Risiken und den Reiz | |
| > des Verbotenen | |
| Bild: „Eine Auseinandersetzung mit dem Ich“: Kletterer Thomas Meier | |
| Interview Moritz Förster | |
| taz: Herr Meier, Sie haben im Alter von elf Jahren mit der Kletterei | |
| begonnen. Wie sah die Kletterszene damals, Ende der Siebziger, aus? | |
| Thomas Meier: Die einzige Trainingsmöglichkeit war eine künstliche | |
| Kletteranlage für Bergsteiger im Grunewald. Am Kletterturm gab es neben mir | |
| noch drei bis vier weitere Freikletter-Pioniere. | |
| Was heißt freiklettern? | |
| Wir verzichten auf Helm und schwere Bergschuhe sowie technische | |
| Hilfsmittel, sind aber durch Seil und Hüftgurt gesichert. Und wir verwenden | |
| Magnesium, damit die Hände trocken bleiben und nicht abrutschen. Damals, in | |
| den Siebzigern, wurde das freie Klettern noch komplett abgelehnt. | |
| Das hat sich geändert. | |
| Ja, der Sport begann etwa ab 1981 zu boomen. Der Kletterturm im Grunewald | |
| reichte bald nicht mehr aus. Einer sagte dann: „Ich habe da eine neue | |
| Brücke mit gemauertem Natursandstein entdeckt‘“ – und dann sind wir am | |
| Wochenende mit unseren Rädern losgezogen. Überall in der Stadt haben wir | |
| unsere Bohrhaken gesetzt. | |
| Was nicht erlaubt war … | |
| Urban klettern war immer illegal. Einmal sind wir am Kammergericht | |
| geklettert. Da war innerhalb von fünf Minuten die Polizei da. Die hat | |
| häufig die typischen Sprüche gebracht wie: „Was wird denn das, wenn’s | |
| fertig ist?“ Wir erhielten eine Anzeige wegen „groben Unfugs und | |
| Hausfriedensbruchs“ – das Verfahren wurde aber eingestellt. Manchmal | |
| konnten wir auch türmen, etwa wenn wir an Spalten am Landwehrkanal | |
| geklettert sind. Bis die Wasserschutzpolizei eine Anlegestelle gefunden | |
| hatte, waren wir schon auf unseren Rädern abgehauen. | |
| Welche Orte in Berlin haben Sie in besonderer Erinnerung? | |
| Zu Westberliner Zeiten waren U-Bahnhofs-Eingänge oder auch ein alter | |
| Brückensockel im Todesstreifen bei Rudow spannend. Eine der | |
| interessantesten urbanen Kletteranlagen Deutschlands überhaupt ist heute | |
| der Bunker im Humboldthain. Anfang der Achtziger war Klettern dort noch | |
| verboten. Erst durch die dauerhafte illegale Belagerung wurde es dann Ende | |
| der Achtziger legalisiert. Im Jahr 1998 sind wir zudem im Dunkeln auf die | |
| Molecule-Man-Skulptur in der Spree nahe dem Treptower Park geklettert. | |
| Das ging einfach so? | |
| Die war gerade erst aufgebaut worden und hatte noch keine Bodenbeleuchtung. | |
| Mit einem Schlauchboot sind wir an die Rückseite herangefahren. Wir hatten | |
| allerdings nicht bedacht, wie schwierig es beim Abseilen wird, wieder ins | |
| Boot zu gelangen, und sind dabei fast im Wasser gelandet. | |
| Sie selbst sind beim Klettern meist durch ein Seil gesichert. Es gibt auch | |
| Kletterer, die seilfrei unterwegs sind. Sind die verrückt? | |
| Ganz im Gegenteil, die meisten sind sehr verantwortungsbewusst. Beim | |
| seilfreien Klettern geht es nicht um eine Mutprobe oder Draufgängertum, | |
| sondern Verantwortung für sich und für andere, die einen unterstützen. Ein | |
| Kletterer, der seilfrei Häuserwände hochklettern kann, den beneide ich. Du | |
| bist dabei völlig auf dich fokussiert. Diese Leute überlassen nichts dem | |
| Zufall, sondern checken die Häuser vorher genau ab. | |
| Wie fühlt man sich beim seilfreien Klettern? | |
| In fünf Meter Höhe sind wir auch ungesichert geklettert. Es ist immer etwas | |
| Angst dabei, aber die hält einen davon ab, Quatsch zu machen. Auch die | |
| Leute, die heutzutage über Häuserkluften springen, riskieren nicht, | |
| irgendwo runterzuspringen. Sie trainieren sich schrittweise heran. Das ist | |
| nicht so was wie S-Bahn-Surfen. | |
| Was reizt Sie am Klettern besonders? | |
| Beim Klettern etwas erreicht zu haben ist ein euphorisierendes Gefühl. | |
| Zwischen dem Ein- und Ausstieg am Hang oder an der Wand findet in deinem | |
| Kopf eine Auseinandersetzung mit dem Ich statt – dem eigenen | |
| Risikobewusstsein und dem eigenen Können. Die Herausforderung des | |
| Erstbegehens – des noch nie vorher Dagewesenen – hat natürlich einen | |
| besonderen Reiz: etwas zu schaffen, was vorher noch keiner geschafft hat. | |
| 14 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Moritz Förster | |
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