# taz.de -- BTNG aka George Boateng über das Leben: „Ich bin nonstop on fire… | |
> „Gewachsen auf Beton“ ist das Debütalbum des Berliner Rappers BTNG alias | |
> George Boateng. Seine jüngeren Geschwister sind erfolgreiche Fußballer. | |
Bild: Gemalt: Jerome (l.) und Kevin-Prince Boateng (r.). Real: Georg. | |
taz: BTNG, warum machen Sie eigentlich Musik? Finanziell haben Sie durch | |
Ihre beiden kleinen Brüder doch ausgesorgt. | |
BTNG: Wenn du so denkst, dann bist du der Charaktertyp, der sich von seinen | |
kleinen Brüdern aushalten lassen würde. Bei mir ist das auf jeden Fall | |
nicht so. Ich lasse mich von niemandem aushalten und erst recht nicht von | |
meinen kleinen Brüdern. Musik machen ist mein Hobby. Natürlich ist es eine | |
super Sache, wenn man dafür einen so guten Support hat wie ich. Die Leute | |
haben aber zum Glück schnell verstanden, was ich verkörpere und dass ich | |
wirklich was zu sagen habe und nicht nur der Bruder von irgendwem bin, | |
sondern jemand, der halt bekannte Brüder hat. Das zeigen auch die | |
Kommentare unter meinen Videos. Darauf bin ich auch sehr stolz. Das ist | |
echt ein Segen, weil ich mich jetzt ganz auf die Musik konzentrieren kann. | |
Wie hoch war Ihr Einfluss auf die beiden? Sie sind ja der Älteste. | |
Ich denke, schon sehr hoch. Mit Kevin bin ich zusammen in einem kleinen | |
Zimmer aufgewachsen, mit noch zwei Schwestern in einer kleinen Wohnung im | |
Wedding, später dann mit drei Schwestern. Und Jérôme hat mit seiner Mutter | |
in Wilmersdorf gelebt. Er ist ja eher der ruhigere Typ. Bei ihm und mir | |
gibt es ganz andere Parallelen als bei mir und Kevin. Geprägt habe ich aber | |
beide – sportlich wie auch menschlich. | |
Fußball gespielt haben Sie anfangs alle drei. Ihre Brüder sind dann nach | |
und nach aufgestiegen. Bei Ihnen war das nicht der Fall. In Ihrem | |
Lebenslauf finden sich stattdessen acht Monate Knast wegen | |
Körperverletzung. | |
Ja, das stimmt, aber das war nicht der Grund, warum ich aufgehört habe | |
Fußball zu spielen. Ich weiß genau, was ich kann und was nicht, und eine | |
Fußballkarriere war nichts für mich. Ich habe es damals einfach nicht | |
geschafft, meine Aggressionen und Emotionen unter Kontrolle zu halten, was | |
für einen disziplinierten Sportler natürlich sehr wichtig ist. Für Kevin | |
und Jérôme war das dann ein super Beispiel, um zu prüfen, was sie wollen | |
und was nicht. Und zum Glück ist Kevin, der immer so etwas wie der | |
Vorreiter von Jérôme war, fokussiert geblieben. Man muss ihm echt ein Lob | |
aussprechen, dass er trotz der etwas kriminellen Laufbahn seines großen | |
Bruders einen so starken Charakter bewiesen hat und am Ball geblieben ist. | |
Das weiß in der Öffentlichkeit fast keiner. Wäre Kevin damals eher in meine | |
Richtung gegangen, wären die beiden heute mit Sicherheit keine | |
Fußballprofis und Jérôme auch kein Weltmeister und zigmal deutscher Meister | |
geworden. Die Phase, die den Ausschlag für deren Erfolg gegeben hat, war | |
schon viel früher. Den Kampf dafür haben wir schon Jahre vorher gekämpft. | |
Jérô me hat vor Kurzem einen Vermarktungsdeal mit dem US-Rapper Jay-Z | |
abgeschlossen. Was halten Sie davon? | |
Das ist eine geile Sache. Es ist ein Sportvermarktungsvertrag, so wie es in | |
den USA viele Basketballspieler oder Baseballspieler auch haben. Jérôme ist | |
weltweit der erste Fußballer, der das überhaupt angeboten bekommen hat. Das | |
ist natürlich alle Ehren wert. | |
Wird es jetzt einen Song mit Ihnen und Jay-Z geben? | |
Bestimmt nicht. Wer so denkt, ist doch total verrückt. Da muss man mal ein | |
bisschen cool bleiben. Natürlich schlage ich gedanklich auch gerne mal über | |
die Stränge, aber dass ich bald ein Feature mit Jay-Z haben könnte, weil | |
mein Bruder bei ihm unterschrieben hat, kam mir echt noch nicht in den | |
Sinn. Wie gesagt: Wir sind froh, dass wir es aus Wedding und Wilmersdorf | |
so weit geschafft haben. Dass Jérôme mit Jay-Z in seinem Haus chillt und | |
ihm die Hand schüttelt, reicht völlig aus. | |
Ein Song auf Ihrem Debütalbum „Gewachsen auf Beton“ heißt „V12“. Geme… | |
ist ein Zwölfzylindermotor für Autos. Es geht also um schnelle Autos? | |
Es geht auch darum, dass ich selbst der V12 bin, weil ich nonstop on fire | |
bin. Es gibt sozusagen keine Sekunde, in der ich nicht abrufbereit bin. | |
Dadurch kam mir die Idee für den Track. | |
Würden Sie auch ein umweltfreundlicheres Elektroauto fahren? | |
Wenn mir irgendein krasser Autohersteller ein schönes Elektroauto zur | |
Verfügung stellt, würde ich das natürlich fahren. Aber kaufen werde ich mir | |
das bestimmt nicht. Ich will schon ein bisschen Sound und Power haben – ist | |
doch klar. | |
Für die Umwelt interessieren Sie sich nicht so, oder? | |
Das dauert, glaube ich, noch ein bisschen. So weit bin ich oder sind wir | |
noch nicht. Ich bin niemand, der die Welt retten will. Ich bin einfach ein | |
ganz normaler freiberuflicher Musiker. Ich schmeiße im fahrenden Auto | |
keinen Müll aus dem Fenster – das geht ja nicht, klar –, aber alles andere | |
wäre dann auch schon zu viel verlangt. | |
Geraten Sie auch manchmal mit Managern oder Sponsoren in Konflikt, so wie | |
Kevin-Prince? | |
Man eckt schon manchmal an. Ich bin auf jeden Fall kein einfacher Typ. Das | |
ist aber auch gut so, weil es das Geschäft belebt. Es trainiert ja immer | |
beide Seiten. Jeder weiß dann, dass er noch an etwas arbeiten muss. Das ist | |
doch sehr schön. Man muss immer in Bewegung bleiben. Es ist nicht so, dass | |
sich einer ausruhen könnte. | |
In dem Song „Zu viel erlebt“ geht es auch darum, dass Ihnen die innere Ruhe | |
fehlt. Haben Sie zu viele schlimme Dinge erlebt, die Ihnen nicht mehr aus | |
dem Kopf gehen? | |
Ich habe schon vieles gehabt und konnte es entweder aus eigenem Verschulden | |
oder wegen irgendeinem System nicht behalten. Deswegen habe ich Angst, dass | |
ich etwas verlieren könnte, und nie das Gefühl, dass etwas so bleiben kann, | |
wie es gerade ist. Das ist zwar auch gut, weil ich dadurch einen ewigen | |
Antrieb habe. Aber manche Momente, in denen es mir eigentlich sehr gut | |
geht, kann ich dadurch nicht so richtig genießen. Irgendwie habe ich immer | |
das Gefühl, dass es schnell wieder vorbei sein kann. Irgendwas geht mir | |
immer durch den Kopf – V12 eben. | |
Wann können Sie abschalten? | |
Am ehesten noch mit meiner Familie. Wenn ich mit den Kids bin, bin ich im | |
Family-Modus. Mein Handy ist dann auf Flugmodus – niemand kann mich dann | |
erreichen. | |
In einem Ihrer Songs erzählen Sie von Ihrem Sohn, der Trisomie 21 hat. | |
Warum haben Sie den Song „Normal“ genannt? | |
Es geht darum, das Wort „normal“ in Frage zu stellen, weil wir nicht denken | |
sollten, dass wir mit all unseren Zwängen die Normalen sind und alles | |
wissen. Ein Trisomie-Kind ist frei von jeglichen Zwängen wie zum Beispiel, | |
dass man Geld verdienen, einen krassen Wagen fahren und eine Villa haben | |
muss. Wenn ihm deine Mimik gefällt, dann wird er dich das nächste Mal | |
wieder mögen – so einfach. Er mag dich einfach, weil du du bist, und nicht, | |
weil du mit einem dicken Auto ankommst, eine große Familie oder viel Geld | |
hast. Ich fand es ganz wichtig, den Text aus der Sicht des Jungen zu | |
schreiben. | |
Er sagt darin zu Ihnen: Du traust dich alles, außer schwach zu sein. Warum | |
trauen Sie sich nicht? | |
Er sagt das ja nicht nur zu mir, sondern in die breite Masse. Ich wollte | |
den Text so mehrdeutig wie möglich halten. | |
Ich habe mich auch angesprochen gefühlt. | |
Genau. Jeder ist auch mal schwach und natürlich auch ich. Aber es gibt eine | |
Zeit, um schwach zu sein. Und die ist bestimmt nicht, wenn ich hier sitze | |
und ein Interview gebe. Es geht einfach darum, deutlich zu machen, dass | |
jeder ständig eine Fassade aufbaut, um sich nicht angreifbar zu machen oder | |
sich emotional zu zeigen. Zu viele Menschen leben nur für die Gesellschaft | |
und nicht für sich selbst. | |
10 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Johannes Pitsch | |
## TAGS | |
Kevin-Prince Boateng | |
Jerome Boateng | |
Down-Syndrom | |
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