# taz.de -- Schaurige Labyrinthe | |
> Lidokino 3 Der Wettbewerbsbeitrag „Beasts of No Nation“ verrät mehr über | |
> seinen Regisseur Cary Joji Fukunaga als über Afrika | |
Bild: Charismatisch: Idris Elba | |
Kaum ein oder zwei Zugstunden von Venedig entfernt, auf den Bahnhöfen | |
norditalienischer Mittelstädte wie Verona oder Trento, versammeln sich seit | |
Wochen Gruppen junger Männer, die meisten von ihnen aus Afrika, wenige | |
Frauen sind auch unter ihnen. Sie stehen an den Bahnsteigen, sitzen im | |
Schatten, harren vor den Bahnhofsgebäuden aus und warten auf eine | |
Gelegenheit, nach Norden weiterzureisen. Besteigen sie den Eurocity nach | |
München, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass deutsche Polizisten sie in | |
Rosenheim aus dem Zug holen. | |
Die Erlebnisse dieser Männer und Frauen böten Stoff für viele Filme, und | |
manch einer, dem die Flucht durch die Sahara und über das Mittelmeer | |
gelingt, hat auch die entsprechende Berufserfahrung wie der Regisseur | |
Richard Djimeli aus Kamerun, der sich, ähnlich wie sein Kollege Jean-Pierre | |
Bekolo, kritisch mit der seit 1982 währenden Herrschaft des Präsidenten | |
Paul Biya befasst hat. Im März 2013 wurde Djimeli verschleppt und | |
misshandelt. Sein Antrag auf Asyl wurde in Deutschland abgelehnt. | |
Ließe man sich auf die Geschichten, die jemand wie Djimeli erzählt, ein, | |
könnte dies ein sorgsam gepflegtes, eindimensionales Afrika-Bild gefährden: | |
das des locus terribilis der westlichen Imagination. Aber das Privileg, | |
Geschichten zu erzählen und damit wahrgenommen zu werden, ist so ungleich | |
verteilt wie das Privileg, in ein Flugzeug oder einen Zug zu steigen. | |
Cary Joji Fukunaga, ein Regisseur aus den USA, der für Netflix die erste | |
Staffel von „True Detective“ gedreht hat, besitzt es. In seinem Beitrag zum | |
Wettbewerb, dem ebenfalls von Netflix produzierten Spielfilm „Beasts of No | |
Nation“, entscheidet er sich dafür, die Vorstellung von Afrika als | |
Schreckensort voll auszureizen. | |
Ein Land, das keinen Namen hat, zerfällt im Chaos, ein Junge namens Agu | |
(Abraham Atta), der anfangs noch wohlbehalten in einer Pufferzone lebt, | |
verliert seine Familie und gerät bald danach in die Fänge von Rebellen. | |
Deren Anführer ist ein charismatischer Kommandant (Idris Elba), der aus Agu | |
einen Soldaten macht. | |
Davon erzählt der Film in so drastischen wie erwartbaren Bildern. Es gibt | |
Rauschzustände, blutige Initiationsriten, sexuellen Missbrauch, | |
einpeitschende Ansprachen und Einschwörungen, ein bisschen schwarze Magie, | |
viel Gesang und Tanz und noch mehr Blut, eine Mischung, die Fukunaga mit | |
einer Prise Terrence Malick und einer Spur „Apocalypse Now“ anreichert. | |
Wenn die Kinder Drogen nehmen, färben sich die Sträucher und Bäume rot, und | |
bevor Agu gefangen genommen wird, gibt es eine längere Szene, in der er | |
durch hohes Gras hastet; eine diffus hörbare, aber unsichtbare Bedrohung | |
umgibt ihn wie die Soldaten in Malicks „The Thin Red Line“ (1998). Das | |
Setdesign erinnert bisweilen an die schaurigen Labyrinthe aus „True | |
Detective“, etwa wenn Tier- und Menschenschädel an einem aus dornigen Ästen | |
gewundenen Tor hängen. | |
Auf eine Situierung verzichtet Fukunaga; er hält Abstand zu konkreten | |
Bürgerkriegen, in die Kindersoldaten hineingezogen wurden, etwa zu Uganda | |
oder Sierra Leone, und dieser Abstand macht es leicht, faul zu bleiben. Man | |
muss sich nicht informieren – was man hier und dort aufgeschnappt hat, | |
reicht. Mit gegenwärtigen Problemlagen hat „Beasts of No Nation“ ohnehin | |
nichts zu tun; über Boko Haram im Norden Nigerias, den Islamischen Staat in | |
Mali oder die Al-Shabaab-Milizen am Horn von Afrika erfährt man aus dem | |
Film nichts. Gut, es handelt sich ja nur um Fiktion. Allerdings ist eine | |
Fiktion, die mehr über ihre Erfinder verrät als über irgendetwas anderes. | |
Eine Fiktion, die von dem Bedürfnis, Grausamkeit und Wahnsinn abzuspalten | |
und auf ein Außen zu projizieren, durchdrungen ist. In „True Detective“ war | |
dieses Außen die degenerierte, inzestuöse, frankophone Oberschicht | |
Louisianas, in „Beasts of No Nation“ ist es Afrika. Cristina Nord | |
4 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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