# taz.de -- Frühzeit des Knipsens: Hamburg schönfotografiert | |
> Das Museum für Hamburgische Geschichte widmet sich dem Wandel der Stadt | |
> im Auge ihrer Fotografen. Und in den Wünschen ihrer Auftraggeber. | |
Bild: Menschen würden nur stören: Mühren- und Steckelhörnfleth wie Koppmann… | |
Am Anfang steht ein Fotoschatz: Der Schatz des Fotografen Georg Koppmann, | |
der seit Mitte der 1870er-Jahre die baulichen Veränderungen der Stadt | |
Hamburg dokumentierte – im Auftrag der Baudeputation der Stadt. Koppmann, | |
symbolträchtig im Jahr des großen Hamburger Brandes von 1842 geboren, als | |
mehr als ein Viertel des Hamburger Stadtkerns zerstört wurde und neu | |
aufgebaut werden musste, wurde zunächst Schlachter, war doch auch sein | |
Vater Schlachter gewesen. | |
Doch diese Tätigkeit wollte ihn offenbar nicht ausfüllen, und er eröffnete | |
1865 ein Fotoatelier: am Neuen Wall in der Hamburger Innenstadt gelegen. | |
Das war schon damals eine solide repräsentative Adresse. Acht Jahre später | |
wurde er für seine Architekturfotos auf der Wiener Weltausstellung | |
ausgezeichnet und die Architekturfotografie wurde von nun an sein | |
Haupttätigkeitsfeld. | |
Er konzentrierte sich seinem Auftraggeber gemäß nicht nur auf das alte | |
Hamburg und pflegte nicht den melancholischen Blick zurück. Er war | |
stattdessen zur Stelle, wenn Altes weichen sollte und er war wieder vor | |
Ort, wenn etwas Neues entstand. Er dokumentierte das damals bereits | |
aufgegebene Gängeviertel – und die Hamburger Innenstadt, wo sich in sehr | |
eleganter Kühle die ersten, überaus gradlinigen Geschäftshäuser erhoben. | |
Brücken bogen sich über Kanäle, aus blanken Stahlgerüsten entwickelten sich | |
weitgespannte Dachkonstruktionen für Fabrikhallen und Bahnhöfe; | |
Schornsteine ragten ungestüm in die Höhe – zuweilen garniert mit hinzu | |
retuschiertem Qualm. So wie für den Kaiser, als der die Stadt anlässlich | |
der Eröffnung des Zollhafens 1888 besuchte, auf der Binnenalster eine Insel | |
errichtet wurde: für einen kaiserlichen Blick auf die Innenstadt. | |
Koppmann hat nicht nur im Interesse der Stadt gearbeitet und abgebildet. Er | |
fotografierte auch im Auftrag von Hamburger Kaufmannsfamilien, die es trotz | |
verordneter hanseatischer Bescheidenheit doch dann und wann dazu drängte, | |
ihren Reichtum abbilden zu lassen. | |
Da passt es, das auf seinen fortschrittsoptimistischen Abbildungen Menschen | |
rar gesät sind. Nie rücken sie unmittelbar in den Mittelpunkt, nie füllen | |
sie ein Bild aus. Wenn sie zu sehen sind, dann sie sind als Statisten | |
unterwegs, um die Übermacht und die Bedeutung der Gebäude und Straßenzüge, | |
der Fabrikhallen und der Bahnhöfe durch ihre Anwesenheit zu verstärken: | |
Einsam schlendert etwa eine Dame in Schwarz durch die neue Speicherstadt, | |
in der zuvor Tausende Hafenarbeiter eng gedrängt mit ihren Familien | |
wohnten. Artig und dabei recht verloren stehen die Arbeiter neben dem | |
150-Tonnenkran im Segelschiffhafen, an dessen Haken eine Lok hängt: Ihre | |
reine Muskelkraft ist nur noch begrenzt gefragt. Und an der Spitze des | |
Krans hängt sie und flattert im Wind: Hamburgs Flagge. | |
Über viele Jahrzehnte lag Koppmanns Fotobestand weitgehend unbearbeitet im | |
Archiv des Museum für Hamburgische Geschichte, bis er im vergangenen Jahr | |
systematisch gehoben wurde. Dass dies erst jetzt erfolgte und es ein | |
studentisches Team geleistet hat, verrät ganz nebenbei wie desolat die | |
Personalsituation im Museum sein muss, das doch die Aufgabe hat, die | |
Geschichte einer Stadt fortlaufend zu dokumentieren und diese | |
Dokumentationsarbeiten ihren Bürgern zur Verfügung zu stellen; eine Stadt, | |
die – ganz nebenbei – eine Olympiade ausrichten will. | |
Koppmanns Schau wird anregend ergänzt und zugleich kontrastiert durch den | |
Blick in den Bestand eines weiteren Hamburg-Fotografen: Wilhelm Weimar, | |
Jahrgang 1857 und damit aus der nachfolgenden Generation Koppmanns. Und | |
auch ein anderer Lebenslauf und damit ein anderer Zugang zur Stadt und | |
ihrer fotografischen Dokumentation ist zu benennen: Weimar begann als | |
zeichnerische Hilfskraft am Museum für Kunst und Gewerbe zu arbeiten, stieg | |
unter dessen Direktor Justus Brinckmann auf, der ihm schließlich den Aufbau | |
eines Denkmal-Bildarchivs übertrug. | |
Es war nicht seine Aufgabe, den weiterhin stattfindenden Wandel | |
abzulichten, sondern im Moment der Expansion war er bereits unterwegs, um | |
festzuhalten, was verschwinden wird, damit es wenigstens erinnert werden | |
kann. Es zog ihn in die Abbruchgebiete der heutigen Innenstadt; vor allem | |
immer wieder weg vom Zentrum an die Ränder der Stadt: nach Ochsenwerder und | |
Curslak, nach Altengamme und Neuengamme, in die dortigen Landhäuser und | |
Landkirchen, zum Teil aus dem 16. Jahrhundert stammend, denen die schon | |
damals wachsende Stadt nach und nach zu Leibe rückte – so wie auch die | |
bäuerliche Alltagskultur ihre Selbstverständlichkeit verlor. | |
Am Ende findet die Ausstellung dazu passend auch noch einen Zugang zur | |
unmittelbaren Gegenwart – mit einem Zeitsprung von 100 Jahren. Denn im | |
vergangenen Herbst wurden die Fotografen Michal Luczak und Rafal Milach vom | |
polnischen Künstlerkollektiv Sputnik Photos, beauftragt, sich den aktuellen | |
Wandlungserscheinungen Hamburgs zu widmen. Luczak ist dafür in gewissem | |
Sinne Weimar gefolgt und hat sich gleichfalls an den Rändern der Stadt | |
umgeschaut: im ehemaligen Dorf Hamburg-Altenwerder, das der Erweiterung des | |
Hafens weichen musste; und nebenan in Hamburg-Neuenfelde, das dank der | |
Erweiterung des Flughafenkonzerns Airbus bald ganz aufgegeben werden wird. | |
Luczak blickt in zugewucherte Ecken, wo Sträucher und Gebüsch ihren Platz | |
zu behaupten versuchen und in aufgegebene Häuser, wo heruntergerissene | |
Tapetenbahnen davon berichten, dass hier nicht allein ein Stadtteil vom | |
Stadtplan verschwand, sondern Menschen hier einst ganz alltäglich wohnten | |
und es nun eben nicht mehr tun. | |
Milach ging noch mal einen anderen Weg: Er schaute, Koppmanns | |
Fortschrittsbebilderung vorsichtig aufgreifend, denen nach, die in die | |
Zukunft schauen wollen – die dafür im sonst unauffälligen Hamburger | |
Stadtteil Schenefeld die Darstellungsmöglichkeiten von Atomen und ihren | |
Bestandteilen erkunden wollen und die dafür ganz eigene, unterirdische | |
Anlagen der Hochtechnologie errichten; nach den Kirchen und dann den | |
Bahnhöfen, nun die neuen Kathedralen des aufstrebenden Bürgertums, auch | |
wenn es nicht mehr so genannt werden mag. | |
9 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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