# taz.de -- Drama in Funktionskleidung | |
> Lidokino 2 Der Isländer Baltasar Kormákur will mit seinem Film „Everest“ | |
> zu viel auf einmal: das kommerzialisierte Bergsteigen kritisieren und das | |
> Abenteuer auskosten | |
Bild: Jake Gyllenhaal landet wegen des Wettbewerbsbeitrags „Everest“ zu den… | |
von Cristina Nord | |
Während feuchte Hitze allen Mostra-Besuchern den Schweiß über Stirn und | |
Wangen rinnen lässt, bleibt es auf der Leinwand kalt. Denn der | |
Eröffnungsfilm, „Everest“ von dem isländischen Regisseur Baltasar Kormák… | |
folgt Bergsteigern auf den höchsten Gipfel der Welt. An Gletschereis, | |
frostigem Wind, Schneegestöber und Wechten herrscht deshalb kein Mangel. | |
Der Film beruht auf wahren Begebenheiten; im Mai 1996 versuchten zwei Teams | |
gemeinsam, den Gipfel des Mount Everest über die Südroute zu besteigen, | |
wurden aber von einer Kaltwetterfront mit Sturm und Gewitter überrascht, | |
sodass mehrere Männer und die einzige Frau den Abstieg nicht schafften. | |
Der Journalist Jon Krakauer war unter den Überlebenden, er schrieb über die | |
Expedition das Buch „Into Thin Air“ („In eisige Höhen“, 1997). Um die … | |
Hochgebirge eigenen visuellen Effekte zu verstärken, benutzt Kormákur 3-D. | |
Das entfaltet eine gewisse Wirkung, etwa wenn man von unten, aus einer | |
Gletscherspalte heraus, auf eine Leiter blickt, die wackelt und in die | |
Tiefe zu stürzen droht, während einer der Bergsteiger unglücklich daran | |
hängt; aus eigener Kraft, so viel ahnt man, kommt der Mann nicht auf die | |
Beine und auf festen Grund. | |
Hübsche Effekte ergeben sich auch, wenn ein Eispickel im Bildvordergrund in | |
den Schnee schlägt, während der dazugehörige Mann in den Hintergrund | |
verbannt wird, oder wenn halb erfrorene Hände in den Kinoraum ragen. Doch | |
sosehr solche Einstellungen die Dramatik des Geschehens unterstreichen, so | |
wenig täuschen sie darüber hinweg, dass Kormákur für ein grundlegendes | |
Problem keine Lösung findet. Die Flugaufnahmen vom Gipfel oder von | |
besonders markanten Passagen sowie die Kamerafahrten über vergletscherte | |
Flächen, an spektakulärem Eisbruch oder dunklem Fels vorbei, stehen eher | |
unverbunden neben dem eigentlichen Geschehen. | |
Kaum nähert sich die Kamera den Bergsteigern, sieht man nicht viel mehr als | |
Wesen, die bis zur Nasenspitze in Funktionskleidung eingewickelt sind. Man | |
kann sie nicht gut auseinanderhalten, woran auch der Versuch eines | |
Farbleitsystems – Rob Hall, der Expeditionsleiter (Jason Clarke) trägt eine | |
rote Daunenjacke, Yasuko Namba (Naoko Mori), die Frau im Team, eine | |
hellblaue – nichts ändert, und das macht die Orientierung in der | |
Ansammlung von Haupt- und Nebenfiguren bisweilen schwer. Das würde nicht | |
weiter stören, ließe „Everest“ das flache, sichere Terrain des Erzählkin… | |
hinter sich. Das tut der Film aber in keinem Augenblick. | |
Und er will zu viel auf einmal: Kritik am kommerzialisierten Bergsteigen | |
üben, das Abenteuer und das Heldentum auskosten und es zugleich | |
unterspülen, außerdem möglichst akkurat und detailreich das Scheitern der | |
Expedition nachzeichnen. Dabei verliert „Everest“ eine eigene Position aus | |
dem Blick. So stehen dann klischeehafte Szenen, in denen Halls schwangere | |
Ehefrau Jan (Keira Knightley) zu Hause vor Sorge schier umkommt, neben | |
überraschend nonchalanten Bildern. Der Tod der Bergsteiger etwa ereignet | |
sich eher beiläufig. Als einer an der Felskante Hillary Step den Verstand | |
verliert, hakt er sich aus dem Seil aus und rutscht nach unten aus dem | |
Bild. Schade nur, dass es mit der Nonchalance vorbei ist, wenn man danach | |
die leeren Karabiner im Bildvordergrund baumeln sieht. | |
3 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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