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# taz.de -- Farbe Manche Künstlerinnen werden erst im Alter bekannt. Galli ist…
Bild: Ein Leporello in Arbeit. „Zu schön darf es nicht werden“, sagt Galli
Gespräch Waltraud Schwab und Aura CumitaFotos Dagmar Morath
Ein Tischler hat für Galli auf jeder Treppenstufe ins Hochparterre des
Berliner Altbaus eine Zwischenstufe eingebaut, damit es ihr leichter fällt,
hinaufzusteigen. Anstatt den Fuß 18 Zentimeter zu heben, sind es nun nur
noch die Hälfte. „Beuys würde sich die Pratzen nach einer solchen extra
Treppe lecken“, sagt Galli, die mit vollem Namen Anna-Gabriele Müller-Galli
heißt.
taz.am wochenende: Galli, wie kamen Sie zum Namen?
Das ist mein Privatding. Ich spiele aber manchmal damit. Nachtigalli,
Portugalli, Halligalli. – Sagen Sie, Sie sitzen hier auf den Schemeln,
wollen wir nicht lieber rüber ins Atelier. Das sind auch die meisten
Bilder.
Leben die Figuren auf Ihren Bildern eigentlich?
Was heißt leben? Ich weiß nie, wie eine Figur aussieht, wo sie anfängt, wo
sie endet, was man damit macht. Figuren entwickeln sich.
Da auf diesem Bild, da ist eine Hand, nein, zwei, sogar drei Hände – sind
die dann plötzlich da?
Die Figuren sind nicht am Anfang da, die sind vielleicht zum Schluss da
oder wieder weggemalt. Sie entstehen oder Teile von Figuren entstehen.
Sehr oft nur Teile.
Ja, das langt doch. Man muss nicht alles mitteilen. Es reicht, wenn man
Teile, die gerade für die Situation wichtig sind, malt. Ich bin schon öfter
gefragt worden, warum hat die Figur keinen Kopf? Ich frage zurück, ja warum
soll sie einen Kopf haben? Dann würden Sie nicht nachfragen. Also wenn der
Kopf nicht da ist, dann muss man sich Gedanken darüber machen.
Würde ein Bild, auf dem beispielsweise nur ein Tisch drauf ist, ohne
irgendwie gearteten Bezug zum Menschen, auch funktionieren?
Ich hoffe schon. Gucken Sie mal, drehen Sie mal dieses Bild um.
Ist da nur ein Tisch drauf?
Da ist ein Tisch, eine Rostwurst, zwei Kannen, die miteinander in einem
Gespräch sind.
Und darüber steht „Gebärvermögen“ – und Gebärvermögen funktioniert a…
Ersatz für eine Figur, denn Gebären wird mit einer Figur in Verbindung
gebracht.
Das steht genauer: „Die Gabe des Gebärvermögens“. Das hat die Jutta Limba…
in einem Gespräch im Radio gesagt, da habe ich das aufgeschnappt. Sehen
Sie, ich male was hin, eine Kanne zum Beispiel. Dann lasse ich noch ein
wenig Dampf rauskommen, und dann denke ich, ja, wie geht es jetzt weiter.
Was sagt mir denn die Kanne?
Das heißt, Sie kommunizieren doch mit Ihren Bildern.
Selbstverständlich. Bilder sind nicht eindeutig. Der eine sieht eine Kanne,
die Nächste eine Tanzende, jemand Drittes eine Versorgende. Jeder nach
seinen Vorstellungen. So ist Malerei.
Bilder sind also ein Gegenüber?
So ähnlich. Auch für mich sind sie ein Gegenüber. Sie gehören zu mir, oder
ich gehöre zu ihnen. Wir gehören zueinander eine Zeitlang, und dann stelle
ich sie mal wieder weg, sonst kann man es wirklich nicht aushalten.
Zeichnen an sich geht schnell, das Entziffern braucht seine Zeit.
Was heißt schnell?
Ich habe es noch nie gestoppt. Zeichnen geht eben schnell, aber die Zeit,
die ich brauche, um das, was ich angerichtet habe, anzusehen, dauert. Wenn
man vor einem Bild steht, ist man fast blind, man ist viel zu nah dran,
muss wieder zurückgehen und gucken, was hast du da angerichtet. Dann ist es
manchmal sehr spannend, manchmal zum Fortlaufen, und manchmal guckt man
dumm. Und wenn man großes Glück hat, ist das Bild fertig. Man erkennt
allerdings keineswegs sofort, ob ein Bild fertig ist. Man muss da
vorsichtig sein, sonst versaut man sich die Arbeit wieder.
Ein Bild kann also mehrmals fertig sein?
Man selbst verändert sich, dann kann ein Bild manchmal fertig erscheinen,
aber später erscheint es einem unfertig. Am Anfang muss man immer
vorsichtig sein. Wenn man noch unerfahren ist, hängt man vielleicht zu sehr
an seinen Vorbildern, versucht auf Teufel komm raus, so zu sein, wie die.
Aber das stimmt dann nicht.
Wer waren Ihre Vorbilder?
Ach, viele, viele, viele. Wir kommen nicht aus dem luftleeren Raum.
Einen speziellen?
Picasso, das wissen Sie doch. Das pfeifen die Spatzen vom Dach. Klar, Laien
sagen das. Die kennen außer Picasso ja auch nichts. Aber im Ernst: Wir
haben alle Vorbilder. Das ist gut, weil wir aufeinander aufbauen. Egal, was
wir machen. Wir können nicht ohne die anderen leben.
Eingeordnet wurden Sie bei den neuen Wilden.
Ach ja, dieses Eingeordnetwerden, das passiert.
Vielleicht ist es als Kompliment gemeint: Galli, die neue Wilde.
Ich weiß nicht, die neuen Wilden, das war so ein Rückgriff auf die
Expressionisten. Ich habe es zur Kenntnis genommen und gedacht, gut, wenn
die Leute meinen. Ich kam 1969 nach Berlin, und da galt gerade die Schule
der neuen Prächtigkeit – das war der Alltagsgeschmack an der Berliner
Hochschule, das hat mich nicht besonders interessiert. „Geschmack, mein
Täubchen, das ist der Tod der Kunst“, sagt Anouilh. Hier im stillen
Kämmerlein habe ich meine eigenen Sachen gemacht. Dann gab es die
Ausstellung im Haus am Waldsee mit den sogenannten neuen Wilden, das waren
die Leute um Hödicke. Man hat mich zum Umfeld gezählt, deshalb werde ich
offenbar dazugerechnet, obwohl ich mit den Leuten gar nichts zu tun hatte.
Ich weiß es aber nicht mehr genau. Ich habe es einfach zur Kenntnis
genommen.
Die Expressivität, deretwegen man Sie zu den neuen Wilden zählte, die
hatten Sie also von sich aus?
Es entsprach meinem Temperament.
Sie haben sehr große Bilder gemalt, sind selbst aber klein. Wie haben Sie
das gemacht?
Mit Pinsel und Farbe. Natürlich ist es eine Herausforderung, 150 x 180 zu
machen. Eine Zeitlang konnte man mit kleinen Sachen auch nirgends
auftauchen.
Die Fotografin fragt, ob sie ein paar Bilder machen kann zwischendurch. Ja,
sicher. „Mit Krücken?“, fragt Galli. Die Fotografin bräuchte sie nicht,
„aber ich brauche sie. Ich kann mich nach der Spinalkanalstenose nicht so
gut bewegen“, meint Galli. Eine Verengung des Rückenmarks sei das. Viele
Kleinwüchsige leiden darunter. Sie habe es sogar erst verhältnismäßig spät
bekommen, mit 70. Aber jetzt werde es immer schlimmer. „Die Füße sind kalt
geworden, waren nicht mehr durchblutet. Dann musste ich unters Messer.“
Seither versuche sie, langsam wieder auf die Beine zu kommen.
Darf man fragen, wie groß Sie sind?
Ich war mal einen Meter vier. Aber ich glaube, ich bin geschrumpft. Wenn
ich zu den Ärzten gehe und sage, ich schrumpfe, gucken die mich dumm an
und sagen: ich auch, kapieren aber nicht, was es für mich bedeutet. Da
zählt jeder Zentimeter.
Früher konnten Sie ohne Krücken gehen.
Bis vor einem Jahr ging alles. Ich konnte laufen und Treppen steigen,
mühsam zwar. Durch das Rückenmark, das in Mitleidenschaft gezogen wurde,
dauert das jetzt. Ich bin ja heilfroh, dass ich mittlerweile wieder auf
mein Dreirad steigen kann.
Fürchten Sie, dass Ihr Bewegungsradius immer enger wird?
Ja. Ich habe auch mein Auto abgeschafft. Es geht nicht mehr. Zu
anstrengend. Jetzt kann ich nirgends mehr richtig gut hin. So kann ich auch
nur schwer Ausstellungen machen. Das muss immer organisiert werden. Es ist
ein Kampf. Man muss planen, man muss sehen, wie man sein Leben einrichtet.
Ihr Körper zwingt Sie zu Disziplin.
Ja, weiß Gott. Der Führerschein hat auch zur Disziplinierung beigetragen.
Wie?
Na, musste man nüchtern sein. Aber Scherz, der Führerschein hat mir
ermöglicht, nach Florenz zu gehen. Ich hatte ein Stipendium in der Villa
Romana. Und durch meinen Aufenthalt in Florenz bekam ich die Professur in
Münster. In der Zeit bin ich hin und her gependelt zwischen Münster und
Berlin.
Sie sollen eine begnadete Lehrerin gewesen sein. Auch eine strenge. Was
haben Sie von Ihren Studenten verlangt?
Ich habe erwartet, dass sie arbeiten. Ob jemand Talent hat oder nicht, mag
ich nicht beurteilen. Es kann immer an den Lehrern liegen, bei einem Lehrer
versauern Studenten, beim anderen blühen sie auf. Aber wenn ich gemerkt
habe, die arbeiten nicht, dann konnte ich sehr grantig werden. Ich war ja
berufen, Zeichnen und Illustration zu unterrichten. Zeichnen war kein
großes Problem, aber Illustration, da dachte ich, um Gottes Willen. Ich
hatte süßliche Bilderbücher im Kopf. Dann habe ich gesehen, wie toll das
sein kann.
Seit Galli aufgrund der körperlichen Einschränkungen keine großformatigen
Bilder machen kann, stellt sie kleinere Formate nebeneinander, weil ihr
Einzelformate nicht ausreichen. Manchmal arbeitet sie auch in Büchern, weil
da das Hin- und Herblättern leichter ist.
Sind die Bücher, die Sie heute zeichnen, eine Folge Ihrer Arbeit an der
Kunsthochschule?
Nein, ich habe es kommen lassen und einfach gemacht. Aber mich haben immer
literarische Stoffe interessiert, die ins Bild fließen, Dadalyrik,
Balladen, das Alte Testament.
Hier auf dem Tisch, das Leporello, an dem Sie gerade arbeiten, das beginnt
auch mit Text.
„Das Seelchen auf der Heide, hat nicht genug zum Kleide und friert durch
Mark und Bein.“ Das ist der Anfang eines Brentano-Gedichts. Ich liebe
Brentano. Das fiel mir beim Arbeiten ein, und dann habe ich das ins Bild
geschrieben. Aber angefangen habe ich mit dieser Notiz: „Obst kaufen morgen
28. Juni 2008.“ Das war mitten im Buch. Sie sehen, das geht immer ein paar
Seiten voran, dann zurück, dann kommt die andere Seite und hier die Seite
ist noch frei. Es geht mir gut, wenn ich malen kann.
Sie sind 1944 im Saarland geboren – noch im Krieg. Wusste man von Geburt
an, dass Sie kleinwüchsig sein werden?
Nein, seltsamerweise nicht. Meine Mutter war sehr zufrieden, dass sie ein
Kind hat mit 53 Zentimetern. Dass ich kleinwüchsig bin, hat sich erst
später herausgestellt.
Dann hatten Sie Glück, dass man das nicht während der Nazizeit gemerkt hat.
Ja, das hätte Ärger geben können.
Wie waren Ihre Eltern?
Sie waren kunstinteressiert, aufgeschlossen. Ich komme aus einem
bildungsbürgerlichen Haushalt und bin darüber sehr froh. Ich musste nicht
groß darum kämpfen, Malerin zu werden. Ich wurde sehr unterstützt. Das ist
schon ein großes Privileg. Mit 25 bin ich dann nach Berlin gegangen.
Also noch mitgerissen von den 68ern?
Ich bin 1969 nach Berlin, und da war schon die Hölle los. Aber ich wollte
endlich aus dem wohlbehüteten Elternhaus raus, sonst wäre ich versauert.
Meine Eltern wollten natürlich das Beste für mich und wollten nicht, dass
ich unter die Räder komme, und ich bin’s ja auch nicht.
Sie sind sehr präsent, Sie haben eine tiefe Stimme, kraftvoll, fast
maskulin und sehr klar artikuliert.
Man muss dran arbeiten. Wie sie eben sagten: Disziplin. Ich war auch in
meiner Entwicklung klar und diszipliniert. Ich war zuerst in Saarbrücken an
der Werkkunstschule und hab da meine erste Ausbildung gemacht. Oskar
Holweck war dort ein wichtiger Lehrer für mich, weil er auf das Bauhaus
aufgebaut hat. Das war die eine Sache. Und dann kam ich nach Berlin und
habe die andere Sache kennengelernt. Die mit Martin Engelman zu tun hatte
und der Cobra-Bewegung, die das freie Arbeiten favorisierten. Der Engelman,
Niederländer, war einfach freier. Der hatte in Amerika gearbeitet, in
Frankreich an der École de Paris, in Italien – der war weltoffen.
Lag ja in der Luft im Zuge der 68er, die Sprengung der Konventionen, der
Ketten im Kopf.
Die musste ich natürlich auch sprengen. Dafür war Berlin das richtige
Pflaster. Das hätte ich im Saarland nicht machen können.
Wie war das, als Sie nach Berlin kamen, wie haben die Berliner 1969 auf Sie
reagiert?
Rau, aber herzlich.
Wurden manchmal Witze über Sie gemacht?
Ja, und die Pöbeleien von Kindern und dieses Anpflaumen war damals schon
eine harte Sache. Dass man ausgelacht wird oder dass Leute mit dem Finger
auf einen zeigen, das passiert mir heute noch, ist aber Gott sei Dank
weniger.
Sie führen also Ihr Leben lang die Auseinandersetzungen, nicht das
Normalbild zu bedienen. Ist das nicht sehr anstrengend?
Ja, das ist es. Aber was ist normal. Als ich in Italien gelebt habe, in
Florenz, da hatte ich den Eindruck, die Florentiner nehmen mich überhaupt
nicht wahr, die sind abgehoben, und das ist auch so merkwürdig. Wenn ich
auf dem Land war, waren die Leute viel herzlicher, aber die Florentiner
waren distinguiert. In Berlin starrt man mich an, in Florenz habe ich mich
nicht wahrgenommen gefühlt.
Ist Florenz ein Ort Ihrer Sehnsucht?
Ich denk nicht über Sehnsuchtsorte nach. Ich lebe in Berlin-Friedenau: Ich
bin sehr eingeschränkt, aber heilfroh, dass ich jetzt meine Wohnung wieder
verlassen kann.
Die Art, wie desintegrierte Körper in Ihren Bildern vorkommen, spiegelt das
auch die Erfahrungen mit Ihrem eigenen Körper?
Das ist klar, aber zu kurz gegriffen, wenn man das zu sehr auf den
Kleinwuchs bezieht. Der Körper als Schlachtfeld, das trifft jeden.
In Ihren Bildern steckt auch sehr viel Wut. Sind Sie ein zorniger Mensch?
Mitunter. Das kann sein. Ich denke schon.
Sie sagten, Sie müssen erst mal ein Chaos entstehen lassen, dann können Sie
sich um die Ordnung kümmern. Das ist ja wie Nietzsche. Der sagt, es muss
genug Chaos sein, damit ein tanzender Stern geboren wird.
Es ist ganz wichtig, dass man aus dem Chaos schöpft, dass man daraus was
entwickelt. Es geht um Chaos, Sortieren, Chaos, Sortieren. Zu schön darf es
nicht werden. Aber mit Nietzsche habe ich mich wenig beschäftigt.
Zu schön geht nicht?
Nein. Das ist so einschläfernd. Ich habe nichts dagegen, wenn man
einschläft, aber nicht so ganz lang. Hier gucken Sie, dieses Bild, da heißt
es: Es geht, es geht nicht, es geht (eigentlich nicht). Dieses Hin und Her.
Wenn man von der Seite guckt, sieht man, dass ganz schaurige Farben unter
der oberen Schicht waren, es blitzt manchmal noch so auf. Das ist so eine
Art Notwehr, Dinge zu übermalen und immer wieder von vorne anzufangen.
Sie werden jetzt mit über 70 erst bekannter. Wie erklären Sie sich das?
Das ist so seltsam. In der Ausstellung im Haus am Lützowplatz habe ich ein
Bild, das heißt: Für meine Studenten, schöne Grüße von Louise B.
Louise Bourgeois?
Ja, die ich sehr schätze. Sie hat sich nie um die Meinung der anderen
gekümmert. Sie war auch ungefähr 70, als sie bekannt wurde. Sie war
unabhängig von der Meinung der männlichen Großmaler. Das finde ich
notwendig.
Waltraud Schwab ist Redakteurin der taz.am wochenende
Aura Cumita ist freie Journalistin in Berlin
Dagmar Morath ist freie Fotografin in Berlin
29 Aug 2015
## AUTOREN
Waltraud Schwab
Aura Cumita
Dagmar Morath
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