# taz.de -- Ganz kurz und knapp | |
> Filmschaffen Die Herausforderung bei einem Kino Kabaret besteht darin, | |
> innerhalb von zwei Tagen einen Kurzfilm zu produzieren. Gerade trifft | |
> sich die internationale Kurzfilmszene dafür in Berlin, im Moviemento sind | |
> die Ergebnisse der Workshops zu sehen | |
Bild: Ganz schnell einen kurzen Film machen: Das ist die Aufgabe beim Kino Kaba… | |
von Christian Schlodder | |
Lassen Sie uns ein kleines Spiel spielen: Denken Sie bitte jetzt an einen | |
Film, den Sie in letzter Zeit gesehen haben, jemanden, der darin | |
mitgespielt hat, im besten Falle noch, wer ihn gedreht hat. Ist Ihnen etwas | |
eingefallen? Natürlich ist Ihnen das. Jetzt denken Sie bitte noch einmal an | |
all das, nur dass es diesmal ein Kurzfilm sein muss. Und? | |
Wahrscheinlich wird es da schon dunkler, vermutlich sogar ganz schwarz. | |
Dabei sehen wir nahezu jeden Tag Kurzfilme in Form von Musikclips, Werbung | |
oder den viralen Filmchen in sozialen Netzen, inklusive den omnipräsenten | |
Katzenvideos. Jeder mit einem Smartphone, der die Videofunktion entdeckt | |
hat, kann ein Kurzfilmer sein – und befindet sich damit in illustrer | |
Gesellschaft. Die ersten Filme der Geschichte waren Kurzfilme und sind | |
damit richtungweisend für die Entwicklung einer ganzen Kunstsparte gewesen. | |
Da die Einstiegsvoraussetzungen relativ gering sind und sich eigene Ideen | |
dank der fortschreitenden Entwicklung der Technik mittlerweile als | |
Low-Budget- oder gar No-Budget-Produktionen verwirklichen lassen, erlebt | |
das Spartengenre fernab vom Massenpublikum beharrlich an Aufwind. | |
Nun ist es vielleicht nicht überraschend, dass gerade Berlin eine Adresse | |
für den nationalen und internationalen Kurzfilm ist, da die Stadt schon | |
immer als Magnet für all jene fungiert hat, denen man das lose Prädikat | |
„Künstler“ anhängen kann. Beeindruckend allerdings ist, wie groß und | |
vielschichtig die Szene ist – ohne dass sie von der breiten Masse | |
wahrgenommen wird. Dabei gibt es etwa 70 Filmfestivals in der Stadt. Fast | |
alle zeigen auch Kurzfilme, einige davon ausschließlich wie das im November | |
stattfindende „Interfilm“, bei dem jedes Jahr 7.000 Beiträge eingereicht | |
werden, von denen es dann 500 zur Aufführung schaffen. | |
Fernab von Hollywood-Blockbustern und Sonntagabend-Fernsehkrimis gibt es | |
also einen Mikrokosmos aus unzähligen Akteuren, die so vielschichtig sind, | |
dass man eigentlich wenig aussagt, wenn man von „der Kurzfilmszene“ | |
spricht. Den meisten gemein ist, dass sie mit ihrer Arbeit eher im | |
Verborgenen wirken, ohne einen richtigen Markt zu haben. | |
## Besondere Herausforderung | |
„Mit der Entwicklung des Films entstand die Filmindustrie, deren Ziel | |
industrielle Produkte sind. Der Großteil der Kurzfilme verfolgt dieses Ziel | |
nicht und kann daher viel freier in seiner Gestaltung sein“, sagt Dave | |
Lojek. Der 39-Jährige ist einer der bekanntesten deutschen Akteure des | |
nicht-kommerziellen Kurzfilms und betont mehr als einmal, dass er der | |
meistgespielte Kurzfilmregisseur der Welt sei. Mehr als 150 Filme hat er | |
schon gemacht. Nebenbei betätigt er sich als Veranstalter des gerade | |
stattfindenden Kino Kabarets „Kino Berlino“. | |
Kino Kabarets sind eine besondere Form aus Workshop, Schaffensprozess und | |
Vorführung. Die besondere Herausforderung dabei ist, innerhalb weniger | |
Tagen ein Drehbuch zu schreiben, den Film aufzunehmen, zu schneiden und zu | |
vertonen, damit er am Ende auf der großen Leinwand gezeigt werden kann. | |
Wie lang ein Kurzfilm dabei sein darf, um überhaupt noch als Kurzfilm | |
durchzugehen, ist Stoff für hitzige Debatten. Allgemeiner Konsens ist, dass | |
er nicht länger als 60 oder sogar 30 Minuten sein sollte. Bei Kino Berlino | |
liegt die Grenze bei zehn Minuten. In zwei Runden versuchen professionelle, | |
halbprofessionelle und Hobbyfilmschaffende aus 20 Nationen innerhalb von | |
lediglich zwei Tagen einen Kurzfilm zu produzieren. Fragt man 20 Teilnehmer | |
nach ihrer Motivation, erhält man 20 verschiedene Antworten. Der blutige | |
Regieanfänger ist genauso dabei wie die „Bergdoktor“-Schauspielerin | |
Kristina Böhm, Tochter von Karlheinz Böhm, der einst den Franz Joseph in | |
„Sissi“ mimte. Die Welt der Kurzfilme ist groß und ihre Akteure sind | |
vielfältig: mal spannend und interessant, mal merkwürdig und skurril. Wie | |
die Art der Kurzfilme, die im Zuge des Kino Berlino entstehen. | |
Science-Fiction ist genauso vertreten wie die klassische romantische | |
Komödie und ein Beitrag, den man nur mit „Zukunfts-Mafia-Märchen mit einer | |
Bienenkönigin“ beschreiben kann. | |
## Traum vom Langfilm | |
Eins haben sie alle gemeinsam: Sie sind ambitioniert und ehrgeizig. „Ich | |
bin ein ambitionierter Motherfucker!“, sagt auch Tsungai Garise und lacht | |
dabei. Der Mittdreißiger kommt aus Simbabwe, lebt seit einer Weile | |
allerdings in Sambia und macht dort Theater. Ein paar seiner Kurzfilme | |
liefen bereits bei diversen afrikanischen TV-Sendern. Seit Juni ist er in | |
Europa, das Kino Berlino ist sein drittes und letztes Kino Kabaret, bevor | |
er wieder zurückfliegt. Sein großes Ziel ist ein 90-Minüter. „Die | |
Filmindustrie wird von Arschlöchern beherrscht“, sagt er. Deshalb dreht er | |
erst mal Kurzfilme. „Das Gute an diesen Filmen ist, dass ich sie mir | |
leisten kann. Außerdem halte ich die Dinge gerne einfach. Der Aufwand der | |
Nachbearbeitung ist überschaubar, und ich habe zu jeder Zeit die volle | |
Kontrolle“, sagt er. | |
Die Idee zu seinem bei Kino Berlino produzierten Kurzfilm „Breathe“ bekam | |
er auf seiner Reise durch Europa. „Die Leute hier ertrinken förmlich im | |
System. Es erdrückt sie, nimmt ihnen die Luft zum Atmen.“ Ohne genau zu | |
definieren, was dieses „System“ schlussendlich sein soll, sei dies keine | |
Gesellschaftskritik, wie er sagt; eher eine Gesellschaftsbeobachtung. | |
„Kritische Filme sind immer Mist, solange sie nicht konstruktiv sind“, fügt | |
er an. Bis zum Jahresende will er in Sambia seinen ersten Spielfilm | |
abgedreht haben und ihn bei der Berlinale einreichen. „Ich bin eben ein | |
ambitionierter Motherfucker“, sagt er erneut leicht lächelnd. | |
Ambition und Spaß an der Sache sind die Haupttreiber für eine Kunstform, | |
bei der am Ende meist nur Erfahrung als Belohnung steht. Dave Lojek hat | |
seine eigene Theorie zur Faszination des Formats: „Wenn man es einmal | |
ausprobiert hat, entdeckt man das unglaubliche Suchtpotenzial. Für mich | |
sind Kurzfilme wie ein endloser Drogentrip.“ | |
1 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Schlodder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |