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# taz.de -- Zum Tod von Cilla Black: Melancholikerin des Brit Girl Pop
> Sie war Popdiseuse der sechziger Jahre und britische TV-Ikone, eine der
> Millionen zusahen. Nun ist Cilla Black im Alter von 72 Jahren gestorben.
Bild: Am Sonntag in ihrem Haus in Spanien gestorben: Cilla Black.
Mit ihrer Familie lebte sie in den Liverpooler Docklands, im berüchtigten
Hafenviertel. Feine Mädchen kamen nicht von dort. Wer von dort in die Welt
wollte, musste schon über ein sehr stabiles Rückgrat und irgendeinem Talent
verfüggen. Priscilla Maria Veronica White brachte beides mit.
Es war die Zeit eines neuen Tonträgermediums, der Schallplatte in Vinyl.
Darauf der Stoff, aus dem Träume gewebt werden. Miss White, angehende
Sekretärin, trieb sich in den coolen Clubs rum, wo Bands sich aufhielten,
die von der Musikindustrie für das Medium Schallplatte nur noch aufgelesen
werden mussten. Coole Jungs für heißen Stoff.
Und ein Teil davon wollte Cilla White auch sein – eine junge Frau in einer
Welt von Männern, für die wiederum Frauen irgendetwas zwischen chicks und
bunnies waren. Cilla Black, wie schließlich ihr Künstlerinnenname lautete,
hatte eine Stimme, die von John Lennon gehört wurde – und auffiel. Eine
eher dunkle, kehlig harte, in den Höhen metallische Vokalkraft, zugleich
weich in den leisen Passagen, ja, melancholisch anmutend: eine Timbre,
grundiert von seltsamer Traurigkeit und zugleich wütender Zuspitzung.
Lennon und Ringo Starr empfahlen sie an Brian Epstein, ihrem eigenen
Manager weiter.
Und der wusste um das Juwel namens Cilla Black der Legende nach auf Anhieb:
Junge, für Teenager und junge Erwachsende singende Frauen wurden als Idole
gebraucht. Ein Ausrufezeichen gegen eine Elternwelt, die ihre Kinder schon
vor der Volljährigkeit in den eigenen Lebensstil zwängen wollte – und
frühvergreisen.
## Keine wie sie
Es gab in den Sechzigern etliche Chanteusen in Großbritannien, die
Karrieren machten, die vor dem Medium der Vinylschallplatte kaum möglich
gewesen wären. Es gab Petula Clark, die erste der großen Popchanteusen des
Nachkriegs, aber sie war für die Teenageraura ein wenig zu alt.
Helen Shapiro, Alma Cogan, Sandie Shaw, Dusty Springfield, Marianne
Faithful und schließlich Lulu waren die Kolleginnen Cilla Black – aber die
größte Karriere hat eben die Frau ohne Mittelschichtsicherheit aus den
Docklands gemacht. Sie war die Lieblingskumpelin der Beatles-Jungs, die
gute Freundin aus den Tagen des eigenen Karriereanfangs.
Ihre, nebenbei: hochklassig produzierten, absichtsvoll an die
Motown-Ästhetik anknüpfenden Hits sind im englischsprachigen Raum Klassiker
geworden, ihre Aura immer soweit von Entrückung entfernt, dass das große
Publikum immer noch zu einer der ihren zählen wollte. [1][“You’re My
World“], [2][“Anyone Who Had A Heart“] oder in einem kanariengelben Kleid,
auf der Höhe ihrer Dramamkunst: [3][“It’s For You“,] [4][“You’ve Los…
Lovin‘ Feeling“] (besser als das Original der Righteous Brothers, weil sie
aus dem traurige Lied eine Tragödie machte) oder [5][“Surround Yourself
With Sorrow”] oder [6][“For No One”] (ein Lennon/Cartney-Titel, ihrer
Freundin zugedacht): Stoffe von Triumphen und Niederlagen.
Der Pophistoriker Nik Cohn schrieb einmal mit Blick auf die Pop-Ära: Frauen
hätten immer nur als merkantilisierbarer Stoff eine Rolle gespielt – wer
nicht mehr Hits lieferte, war aus dem Rennen. Cilla Black aber, so fasste
er deren Karriere zutreffend zusammen, habe es ihnen allen gezeigt: Mit ihr
war immer zu rechnen, sie ging nie zu Boden, auf dass über sie
hinwegtrampeln.
## Höchstdotierte Moderatorin
Schon in den Sechzigern begann ihre TV-Karriere mit der Varietéshow
„Cilla“, die bis zu 22 Millionen Zuschauer*innen fand. Fast dreißig Jahre
lang moderierte sie die Unterhaltungsshows „Surprise Surprise“ und „Blind
Date“ und wurde damit zur höchst dotierten Fernsehentertainerin
Großbritanniens. Ihre Popularität war die einer geliebten Ikone.
Politisch neigte Cilla Black Ende der siebziger Jahre den Konservativen
Margaret Thatchers zu: Nicht, weil sie reaktionäre Werte schätzte, sondern
weil sie, so schrieb sie in ihrer Autobiografie, die Verachtung der
Männerwelt für eine solitäre Politikerinnenperson kaum ertrug, nicht die
Bosheit, mit der man Thatcher nachstellte, weil sie eine Frau war.
Cilla Black, die Kolleg*innen als freundlich, gelegentlich raubeinig, immer
charmant und hochprofessionell schilderten, ist am Sonntag in ihrem
spanischen Ferienhaus in Estepona tot aufgefunden worden.Sie wurde 72 Jahre
alt. Sie war eine Heldin der britischen Sixties, eine Hipsterin ohne
Höhere-Töchter-Bildungsallüren – sie war so cool, dass sie nie behaupten
musste, es auch wirklich zu sein.
3 Aug 2015
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=OBZTNVpe-Mw
[2] https://www.youtube.com/watch?v=ykd7172CUeA
[3] https://www.youtube.com/watch?v=vHhSJRoXNgM
[4] https://www.youtube.com/watch?v=zqwUz4RQETg
[5] https://www.youtube.com/watch?v=_Vo4s_Vp0Ts
[6] https://www.youtube.com/watch?v=lqbLUj78YBE
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Unterhaltungsfernsehen
Schlager
Christopher Clark
Camp
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