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# taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Für Kira
> Umgang finden, statt Heilung: über eine verunglückte Stabhochspringerin,
> über Problemsportarten und Genbefehle.
Bild: Da sprang sie noch: Kira Grünberg.
Zwei Jahre, sagt man. Zwei Jahre braucht man, um sich einzurichten in der
Schmerzabwehr und Schmerzdauerbekämpfung. Zwei Jahre, um ein gutes Ärzte-
und Physioteam zusammenzustellen, den richtigen Sport zu finden, die
richtigen Entspannungstechniken (wie geht Sauna?), die richtigen
Medikamente, den richtigen Ausgleich zusammenzuhaben. Zwei Jahre. Wie viel
hat die jetzt querschnittsgelähmte Stabhochspringerin Kira Grünberg vor
sich, wenn es heißt, es wird ein langer Weg sein? Wird sie jemals wieder
laufen können?
„Es gebe wenig Spielraum für einen positiven Verlauf“, hieß es in den
Meldungen über die verunglückte Österreicherin, die [1][in ihrem
Wikipedia-Eintrag] bereits als „ehemalige“ Leichtathletin bezeichnet wird.
Wie lange wird Monika Lierhaus brauchen, um auf mehr zu sein als auf 80
Prozent? Zwei Jahre, bis man den richtigen Umgang damit findet. Also nicht:
zwei Jahre, um wieder heil zu sein. Das werden diese Fälle, Stand der
Medizin heute, wohl nie wieder.
Die Konstruktion ist genial, aber das Material ist scheiße, hat mal wer
Schlaues über den menschlichen Körper gesagt. Es gibt, habe ich einmal
gelesen, einen Genbefehl, der den Verfall ab 25 einleitet, vielleicht
sollte man in dieser Richtung weiterforschen. Ich bin absolut für
Gentechnik. Es geht hier schließlich um Leben oder Tod. Den Genbefehl
ausschalten, den Genbefehl rückgängig machen, den entgegengesetzten
Genbefehl auslösen. Aber ach, die Menschheit ist noch lange nicht so weit.
Die hat außerdem noch andere Probleme zu lösen.
Der Trainingsunfall der Grünberg im heimischen Innsbruck hat unterdessen
für ganz andere Diskussionen gesorgt. Sport ist Mord, sagte der Volksmund,
als er noch nicht zum neoliberalen vollen Körpereinsatz getrieben wurde;
Sport und Körperkult, wir hatten das Thema ja schon, wiesen auch immer eine
gewisse Nähe zum Faschismus auf, die den Sport an sich stets unsympathisch
machte – abgesehen vom Fußball, der sich aus sozialen wie ästhetischen
Gründen schon immer prima konsumieren ließ. Der Stabhochsprung, eine recht
komplizierte Teildisziplin der Leichtathletik, gilt nicht erst seit Kira
Grünberg als Problemsport. Problem, weil hochgefährlich. Und gefährliche
Sportarten, so wurden vereinzelt Stimmen laut, sollten auf den Index.
Kampfsport, Motorsport, alles mit Waffen: klar, Problemsportarten, weg
damit. Andererseits kann man sich schon beim, sagen wir, Tennis so
abnutzen, dass man selbst als Multimillionär in den Vierzigern durch London
humpelt, weil die neue Hüfte und das verkommene Sprunggelenk so toll eben
doch nicht funktionieren. Außerdem muss man konstatieren: SportlerInnen
sind speziell. Sie lieben die Gefahr. Sie setzen sich auch deshalb in
rasende Kisten, weil sie die Todesnähe oder wenigstens die Aussicht auf
Daueraufenthalt in Reha-Kliniken, auf Krücken, Rollstühle und
Schmerzmittelabhängigkeiten so geil finden. Da kann man nichts machen.
(Außerdem lässt sich damit Geld verdienen.)
Auch Kira Grünberg, 21 Jahre jung, habe „tapfer“ auf die Hiobsbotschaft
ihrer Ärzte reagiert. Ihr Leben wird fortan ein komplett anderes sein.
10 Aug 2015
## LINKS
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kira_Gr%C3%BCnberg
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Boris Becker
Unter Schmerzen
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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