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# taz.de -- „Dann wird es dort ziemlich langweilig“
> Samariterkiez Veränderung gibt es doch überall in der Stadt, sagt Knut
> Beyer. Der MieterInnen-berater hält das Samariterviertel aber für relativ
> stabil – noch
taz: Herr Beyer, Sie sagen, das Samariterviertel liege Ihnen sehr am
Herzen. Nur geschäftlich oder auch privat?
Knut Beyer: Zunächst kam ich mit dem Samariterviertel über die Arbeit in
Kontakt. Die Mieterberatungsgesellschaft ASUM hat die Sanierungsphase des
Kiezes begleitet, vermittelte zwischen Land, Bezirk, Bestandsmietern und
Investoren. Ziel war unter anderem, den Mietern zu ermöglichen, in ihrem
Kiez zu bleiben. Darüber haben sich auch enge private Kontakte ergeben.
Dank dieser Freundschaften bekomme ich immer wieder neue Einblicke in den
Kiez. Einer meiner Freunde etwa wohnt dort schon seit 1997 …
… und hat die Veränderungen im Kiez damit hautnah miterlebt. Wie erlebt er
den Wandel?
Er sagt, sein Kiez sei kleiner geworden. Man konnte früher einfach so die
Höfe betreten, über Grundstücke gehen. Heute geht das nicht mehr. Außerdem
meint er, die Anwohner seien damals „freakiger“ gewesen. Jetzt sei das
Viertel bürgerlicher. Lustigerweise stört ihn das nicht besonders. Er ist
eben auch älter geworden. (lacht)
Sie deuten es an: Die soziale Struktur hat sich gewandelt. Was ist übrig
geblieben von dem bunten Kiez?
Eine gewisse Durchmischung ist immer noch da. Das liegt zum einen daran,
das viele der Häuser, die ehemals zum Umfeld der besetzten Häuser gehörten
– etwa die „Villa Felix“ – es geschafft haben, über die Runden zu komm…
Etwa indem sie Genossenschaften gegründet haben. Zum anderen gibt es
Förderwohnungen mit gedeckelten Mieten, in denen Menschen auch ohne üppiges
Einkommen leben. Aber abgesehen davon nimmt der Mietdruck durch den Zuzug
von Besserverdienenden natürlich zu. Noch ist zwar eine Durchmischung
gegeben, allerdings bei Weitem nicht mehr so wie vor etwa 15 Jahren.
Hat sich dieser Prozess in den letzten Jahren beschleunigt?
Dass Leute wegziehen, ist normal. Veränderung gibt es überall in der Stadt,
also auch im Samariterviertel. Ich halte das Gebiet noch für relativ
stabil. Als es noch ein Sanierungsgebiet war, als die Mietobergrenze
auslief, als die Mieten erstmals stark stiegen – da war das anders. Damals
standen regelmäßig Umzugswagen vor den Türen.
Aber zumindest optisch hat sich doch zuletzt viel verändert. Brachflächen
werden bebaut, historisch wertvolle Bausubstanz wird für Neubauten
abgerissen.
Die Brachen waren wunderbare Treffpunkte für die Anwohner. In diesen
teilweise unregulierten Räumen konnte sich die durch den Sanierungsprozess
durcheinandergewirbelte Nachbarschaft kennenlernen. Heute fehlen diese
Flächen, das stimmt. Aber sowohl bei der Bebauung der Brachen als auch etwa
beim Abriss des Gewerbehofs in der Rigaer Straße versucht der Bezirk,
Strukturen zu retten.
Aber kann die Politik denn wirklich eingreifen? Oder ist der Kiez dem
freien Markt überlassen?
Beim Gewerbehof spielte dem Bezirk in die Hände, dass das Gelände als
Mischgebiet ausgewiesen war. Das stärkte seine Verhandlungsposition
gegenüber dem Investor, der Wohnungen bauen wollte. An anderen Stellen hat
die Politik den Fuß nicht in die Tür bekommen. Es ist eben schwierig,
Interessen durchzusetzen, wenn man keinen Hebel hat. Gehört das Gelände dem
Investor komplett oder ist es planungsrechtlich im Sinne des Investors
ausgewiesen und hält er sich an die Vorgaben, ist nichts zu machen.
Wie bewerten Sie persönlich die Bebauung der Brachen?
Wie gesagt, Brachen können eine Nachbarschaft stabilisieren. In
funktionierenden Nachbarschaften gibt es weniger Vandalismus, weniger
Angsträume, weniger Anonymität. Wenn man die Brachen doch bebaut, sollten
es vor dem Hintergrund der Wohnungsnot auch Wohnungen sein. Allerdings
sollten die auch bezahlbar sein. Das sind sie aber im Samariterviertel
nicht.
Baugruppen sagen: Wir schaffen Wohnraum.
Fragt sich nur: Für wen?
Das fragen sich Kritiker auch im Samariterviertel. Können Sie den Konflikt
und seine Schärfe verstehen?
Die Gewalt, mit der der Konflikt ausgetragen wird, lehne ich ab. Die bringt
nur böses Blut in die Nachbarschaft. Wenn die Gewalt auch noch von Menschen
befürwortet oder sogar ausgeführt wird, die dort gerade einmal ein halbes
Jahr wohnen, weil’s eben schick ist, dann fehlt mir dafür ohnehin jegliches
Verständnis. Vielen, die in der Rigaer Straße wohnen, geht das genauso. Der
Konflikt selbst ist notwendig und richtig. Er muss ausgetragen werden.
Wer ist in diesem Konflikt der, an den man sich wenden müsste?
Die aktuelle Gesetzeslage gibt meiner Meinung nach wenige Anhaltspunkte.
Man kann eigentlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur an das Verständnis von
Investoren und Hauseigentümer appellieren. Die muss man mit ins Boot
nehmen. Darüber hinaus müssen die Bestandsmieter noch viel mehr durch den
Gesetzgeber geschützt werden. Insgesamt werden sich die Spannungen ohne
staatliche Eingriffe wohl verschärfen …
… oder irgendwann wohnen im Samariterviertel nur noch Besserverdienende.
Dann wird es dort ziemlich langweilig, da bin ich mir sicher.
Interview:Matthias Bolsinger
1 Aug 2015
## AUTOREN
Matthias Bolsinger
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