# taz.de -- „Wir dachten, die zeigen uns den Vogel“ | |
> Gentrifizierung Kapital prallt auf Subkultur – einer verliert. So läuft | |
> das meist. Danach sah es auch in der Rigaer Straße im Samariterkiez aus. | |
> Doch jetzt reden die Akteure miteinander – wie hier Aktivist Hajo Toppius | |
> und Investor Christoph Gröner | |
Bild: Stein des Anstoßes: Das ehemalige Fabrikgelände in der Rigaer Straße 7… | |
Interview Matthias Bolsinger | |
taz: Herr Toppius, seit 2005 sind Sie auf dem ehemaligen Fabrikgelände in | |
der Rigaer Straße 71–73 kulturschaffend. 2012 kaufte es der | |
Immobilienentwickler CG-Gruppe. Wie war das erste Aufeinandertreffen mit | |
dem Investor? | |
Hajo Toppius: Absolut klischeehaft. Auf der einen Seite wir Künstler, auf | |
der anderen Seite die Herren in Limousinen und Anzügen. Wir waren sehr | |
skeptisch. Da kam schließlich ein großes Immobilienunternehmen, das | |
Millionenprojekte stemmt. Wollen wir in diesen langwierigen Prozess | |
einsteigen? Wollen wir an einer Aufwertung beteiligt sein, die wir intern | |
nicht ungeteilt unterstützen können? Wir haben uns entschieden, Vorschläge | |
zu machen. Wir hatten sogar eine Skizze mit ersten groben Formen | |
angefertigt ... | |
Christoph Gröner:…die zu wesentlichen Änderungen am Projekt geführt haben. | |
Toppius: Wir dachten, die Herren und Damen von der CG-Gruppe zeigen uns den | |
Vogel, wenn wir damit ankommen. So war es dann aber nicht. Schwierig wurde | |
es aber bei den Details. Wie verlässlich ist der Investor? Da konnten wir | |
nie abschließend sicher sein. | |
Und wie erging es Ihnen beim ersten Zusammentreffen, Herr Gröner? | |
Gröner: Auch wir waren zu Beginn skeptisch: Sollten wir jegliche | |
Verhandlungen blockieren und uns auf eine gewisse Weise schuldig machen? | |
Wir haben uns für den Kompromiss entschieden. Wir mussten mit rund 1,5 bis | |
2 Millionen Euro mehr Baukosten rechnen, die anderen mussten hinnehmen, | |
dass hier teilweise Wohnungen mit zwölf Euro Miete pro Quadratmeter | |
entstehen. Das hat uns sicher beiden weh getan. | |
Was macht das Gelände so besonders? | |
Toppius: Zum einen hat es eine große historische Bedeutung für den Kiez. | |
Die Gebäude standen bereits dort, ehe die Randbebauung dazu kam. Um sie | |
herum ist der Kiez entstanden. Auch die Betonsubstanz hat geschichtlichen | |
Wert. Für uns als Künstlergruppe hatte der Hof eine große ästhetische | |
Strahlkraft. Die Birke, die aus der Wand wächst, die alten Fassaden – das | |
war eine tolle Kulisse für die Konzerte und Ausstellungen, die wir dort | |
veranstaltet haben. | |
Immer wieder kommt es im Samariterkiez zu Gewalt gegen Eigentum. Vor | |
einigen Wochen wurde das Kinderzimmer eines Neubaus mit Stahlkugeln | |
beschossen, Brandsätze haben Häuser beschädigt. Jetzt kommen Sie, Herr | |
Gröner, und errichten hier ein neues Projekt. Wissen Sie, worauf Sie sich | |
da eingelassen haben? | |
Gröner: Ich kann es zwar nachvollziehen, dass sich der Bürgerfrust manchmal | |
gegen Sachen richtet. Absolut kein Verständnis habe ich aber, wenn Menschen | |
in Gefahr geraten. Dann müssen Baustellen und Bewohner beschützt werden. | |
Hier ist die Politik gefordert, um mäßigend auf gewaltbereite Personen | |
einzuwirken. | |
Mal ehrlich, Herr Gröner, kennen Sie den Kiez überhaupt? | |
Gröner: Ich kenne ihn und das Denken, das dort vorhanden ist. Zwangsläufig | |
setze ich mit linkem Denken auseinander, wenn ich Sprüche an der Wand lese, | |
die meine Enteignung fordern. Ich verstehe den Samariterkiez als einen | |
politischen Kiez, in dem man sich damit auseinandersetzt, woher wir kommen, | |
wohin wir gehen. Im Grunde genommen gefällt mir das; ich diskutiere sehr | |
gerne über solche Themen. | |
Toppius: Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es zu den Gesprächen | |
gekommen wäre, wenn die Ausgangslage anders gewesen wäre. Um solch | |
unterschiedliche Interessenlagen und Gesprächskulturen zusammenzubringen, | |
da brauchte es schon eine gewisse Drucksituation. Die war vorhanden: | |
Erstens war das Areal als Gewerbegebiet ausgewiesen, was die | |
Wohnungsbaupläne blockierte. Zweitens hatte der Bezirk früh deutlich | |
gemacht, dass es ihm wichtig ist, dass sich der zukünftige Investor mit den | |
Mietern und Interessengruppen an einen Tisch setzt. | |
Haben die Investoren bemerkt, dass sie in Berlin nicht mehr einfach | |
drauflos bauen können? | |
Gröner: Jede Region, jeder Stadtteil hat seine Eigenheiten. Der Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg will gehört werden. Die Bürger hier möchten | |
einbezogen werden, ob ein Supermarkt, Büros oder Wohnungen gebaut werden. | |
Dafür haben wir Verständnis und reagieren darauf. | |
Toppius: Es gehört zur Kultur in Friedrichshain-Kreuzberg, | |
Beteiligungsprozesse zu fordern und sich einzumischen. Nur verhindern meist | |
grundsätzliche Strukturen, dass ein produktiver Prozess entsteht. So ein | |
Projekt dauert zweieinhalb Jahre oder länger. Oft geht selbst engagierten | |
Projekten irgendwann die Luft aus. Dem ehrenamtlichen Verein steht ein | |
Unternehmen mit vielen Angestellten gegenüber, das hoch professionell | |
arbeitet. Das ist ein riesiges Gefälle. Das sollte mehr berücksichtigt | |
werden. | |
Und zwar wie? | |
Toppius: Meiner Meinung nach sollten die Investoren eine kleine Geldsumme | |
zur Verfügung stellen, um den Prozess zu befördern und das Kompetenzgefälle | |
auszugleichen. Nur so kann man in einen Denkprozess einsteigen, nur so | |
können Gruppen unkonventionelle Vorschläge machen. | |
Gröner: Das ist nicht unsere Aufgabe, das ist die Aufgabe von Parteien. Sie | |
müssen Bürgerinitiativen ermöglichen und finanzieren, ihnen beispielsweise | |
einen Architekten an die Seite stellen. Der könnte dann mit den Bürgern | |
umsetzbare Vorschläge ausarbeiten. | |
Es hapert also an politischer Unterstützung? | |
Gröner: Es gibt einen breiten politischen Konsens zur kooperativen | |
Baulandentwicklung in Berlin, der von großen Teilen der | |
Immobilienwirtschaft getragen wird, auch von uns. Dort sind klare | |
Regelungen formuliert, die einen angemessenen Ausgleich zwischen den | |
Interessen der Investoren und der Kommune herstellen. Wir können nicht | |
nachvollziehen, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die dort | |
regierenden Parteien trotz dieser klaren Rechtslage Beschlüsse fassen, die | |
der kooperativen Baulandentwicklung entgegenstehen. Das verunsichert | |
Investoren und Bauherren und weckt Hoffnungen bei der Bevölkerung, die | |
niemals erfüllt werden können. Gegen diese Haltung wende ich mich mit aller | |
Entschiedenheit. | |
Positioniert sich der Bezirk vielleicht nicht klar genug, weil er es sich | |
weder mit Bürgern noch Investoren verscherzen möchte? | |
Toppius: Teilweise fehlen eben auch die Kompetenzen auf Seiten der Politik, | |
aber ich habe ganz großen Respekt vor den Leuten, die sich gerade auf | |
Bezirksebene engagieren – da geht’s sicher nicht in erster Linie um die | |
Wiederwahl. Gerade auf dieser Ebene ist viel Idealismus dabei. | |
Gröner: Im Endeffekt muss alles einfach schneller gehen. Wir würden in | |
Zukunft gerne einen finanziellen Beitrag leisten, wenn wir die | |
Bürgerbeteiligung damit schneller und effektiver machen könnten. | |
Warum soll es die Politik den Unternehmern denn überhaupt recht machen? | |
Gröner: Als ich 17 war, also vor 30 Jahren, bin ich in meiner Geburtsstadt | |
Karlsruhe gegen Verdichtung von Stadtraum eingetreten und dafür sogar auf | |
die Straße gegangen. Wenige Jahre später habe ich die Ergebnisse und | |
Auswirkungen der Baumaßnahmen gesehen. Da ist mir klar geworden, dass eine | |
sinn- und maßvolle Verdichtung positiv ist. Sie muss in Städten Vorrang vor | |
anderen Überlegungen haben. | |
Und die Verdichtung in der Rigaer Straße gelingt? | |
Gröner: In der Rigaer Straße bauen wir zum Beispiel Hochterassen und | |
öffentliche Hofflächen. Darüber hinaus schaffen wir 2.500 Quadratmeter | |
Gewerbefläche für bezahlbare Mieten von 8 bis 10 Euro pro Quadratmeter. Das | |
Gelände als Denkmal zu erhalten wäre falsch – das widerspräche einer | |
vernünftigen Stadtentwicklung. Man kann die Zeit nicht auf diesem Weg | |
aufhalten. Täten wir das konsequent, würden wir alle heute noch in | |
Lehmhütten leben. | |
Toppius: Da muss ich widersprechen. Das Gelände und die Gebäude darauf sind | |
historisch bedeutend und schützenswert. Nur wurde eben 20 Jahre lang nichts | |
für deren Erhalt getan. Auch in Sachen Verdichtung habe ich eine andere | |
Meinung. Jeder weiß, dass die Raumaufteilung der Stadt mit ihren | |
Freiräumen, Berlin zu dem gemacht haben, was es ist. | |
Gröner: Es gibt doch immer noch genügend Freiräume in Berlin. Es liegen | |
Grundstücke bis zu 20 Jahre brach und es wird lieber mit dem Finger auf | |
„Großkapitalisten“ gezeigt als hier aktiv zu werden. Das ist falsch. Wir | |
müssen alle zusammenarbeiten, denn es muss nicht sein, dass die Grundstücke | |
so lange ungenutzt brach liegen. | |
Ihren Freiraum müssen Sie nun im Neubau gestalten, Herr Toppius. Subkultur | |
und Neubau, wie passt das zusammen? | |
Toppius: Subkultur zu transformieren ist schwer. Sie lebt von dem | |
Temporären, darüber sind wir uns im Klaren. Es geht nicht darum, die Dinge | |
eins zu eins zu übersetzen. Natürlich kritisieren das manche als Verrat an | |
der Sache. Aber bevor wir die Freiräume komplett verlieren, gestalten wir | |
sie lieber mit. Das erfordert Mut, Kompromissbereitschaft und Kreativität. | |
Und wie sieht das konkret aus? | |
Toppius: Wir versuchen gerade im Rahmen der angepeilten Zwischennutzung in | |
einer Art Modellcontainerhof auf dem Gelände, der von der CG-Gruppe zur | |
Verfügung gestellt wird, einen offenen Dialog zu ermöglichen. Wir versuchen | |
darüber nachzudenken, wie vor allem alternative Kulturakteure im zunehmend | |
verdichteten und gentrifizierten Friedrichshain-Kreuzberg weiter aktiv | |
bleiben können. Das heißt vor allem auch: mit vielen Leuten sprechen und | |
noch viel lernen. | |
Auch Sie beide haben in den vergangenen Jahren miteinander sprechen und | |
voneinander lernen müssen. Ist das ein Zukunftsmodell für die | |
Stadtentwicklung? | |
Toppius: Ich finde schon. Ähnliche Tendenzen erkennt man bereits auf dem | |
RAW-Gelände. Dort agiert der neue Investor basisorentiert. Auch die | |
Initiativen müssen aus ihren Fehlern lernen. Beim Freudenbergareal hat man | |
die Forderungen sehr vehement vertreten. Im Endeffekt wurde das Projekt auf | |
den Status quo zurückgefahren, der für die Aktiven und Anwohner nichts | |
bringt. | |
Gröner: Auf der einen Seite ist das Projekt durch den Input der Initiative | |
sicher besser geworden und passt nun viel besser in den Kiez. Auf der | |
anderen Seite sehe ich keine Zukunft, wenn die Rahmenbedingungen für eine | |
Bürgerbeteiligung sich nicht verbessern. Zwei Drittel der Investoren haben | |
sich schon aus Berlin zurückgezogen. Auch wir müssen seriös wirtschaften | |
können, mehr als 190 Mitarbeiter wollen jeden Monat pünktlich ihr Gehalt | |
haben. | |
22 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Matthias Bolsinger | |
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