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# taz.de -- Kunst im Kino: Brat mir ein Kaktus-Omelett
> Einmal quer durch die USA: Mit „Station to Station“ inszeniert der
> Multimediakünstler Doug Aitken eine Zugreise als Happening.
Bild: Die Band „White Mystery“ im Zug in „Station to Station“.
Nur weil „Station to Station“ jetzt im Kino läuft, sollte man Doug Aitkens
„High speed modern roadtrip“ nicht irrtümlich für einen Dokumentarfilm
halten. „Station to Station“ ist „ein Happening“. So sagt es der gleich…
Anfang eingeblendete Punkt 1.
Es mussten deshalb die Leute, die dem retroschicken Zug mit transparentem
Panoramadach zufällig irgendwo in der Weite des Mittleren Westens
begegneten, glauben, sie halluzinierten. Vor allem in der Nacht, wo es dank
des blinkenden LED-Lichterbands entlang der Waggons so aussah, als wären
die Casinos von Las Vegas ins Rollen gekommen, inklusive der dort
auftretenden Bands und Popstars.
Es waren dann aber nur der in New York und Los Angeles lebende
Multimediakünstler Doug Aitken und seine Freunde und Kollegen aus der
Musik-, Tanz- und bildenden Kunstszene. 24 Tage lang fuhren sie vor zwei
Jahren per Zug quer durch die USA, 4.000 Meilen vom Atlantik bis zum
Pazifik.
Alle hatte sie das Versprechen einer sich gegenseitig inspirierenden
kreativen Reisegesellschaft, die ihre Bilder, Installationen, Songs, Tänze
und Performances quer durch das Land an Orte und zu Leuten bringt, die
derlei eher selten begegnen, aus ihren Ateliers und Studios gelockt.
## Wahnwitzige Licht-Echo-Muster
Nun fuhren sie an Orte wie Winslow, Arizona, wohin sich der
Singer-Songwriter Jackson Browne zurückzog, um übers Abhauen, das
Unterwegssein und die Nützlichkeit von Zügen, also einen klassischen Topos
der US-amerikanischen Popkultur zu sinnieren. Der für seine „Uncommon
Places“-Serie berühmte Fotograf Stephen Shore machte dort einen ganzen Tag
lang Aufnahmen, die er dann beim nächsten Halt des Zuges auf den zwei
Screens des lokalen Drive-in-Kinos projizierte, im noch viel weniger
bekannten Barstow, Kalifornien.
Ed Ruscha wiederum, dessen fantastische gemalte Sonnenuntergänge Doug
Aitken und Corey Walter jetzt mit der Filmkamera einzufangen versuchten,
briet in Winslow derweil Kaktus-Omeletts fürs Publikum.
Fahrgast Jorge Pardo, der mit Kunst als Banaldesign experimentiert,
verpasste den Zugfenstern monochrom grüne, blaue, rote und gelbe Vorhänge,
wobei er bemerkte: „Trains are rhythm, are patterns.“ Und wirklich,
„Station to Station“ ist Rhythmus, ein Muster von 62 Kurzgeschichten und
Videoclips von je einer Minute Dauer, die bei einem der zehn Halts des
Zuges, vor allem aber während der Zugfahrt entstanden, wie beispielsweise
die wahnwitzigen Licht-Echo-Muster, die Aaron Koblin, ehemals Mastermind
des Data Arts Team von Google, mit dem Laser auf die Schienen des
davonfahrenden Zugs legte.
## Auch Patti Smith und Beck haben ihre Auftritte
Thurston Moore, Exgitarrist von Sonic Youth, nutzte den Zug, den er mit
Mikrofonen bestückt hatte, als Instrument; auf ähnliche Weise versuchte
Giorgio Moroder die Wüste zum Singen zu bringen. Mit Prominenz war der Zug
also reichlich versorgt. In New York, wo die Zugfahrt begann, rührt die
sichtliche Gebrechlichkeit von Alan Vega, der mit Martin Rev als
Lärmlegende Suicide auf der Bühne steht.
Bei späteren Stopps haben Patti Smith und Beck Auftritte. Dazu gibt es
lokale Acts wie in Kansas City der Auftritt der Lokalmatadore Marching
Cobras, einem sogenannten Drill Team, das schon 42 Jahre besteht. Und es
gibt den Abstecher zu Elmer Long und seiner Bottle Tree Ranch, einem
wahnwitzigen Meisterwerk der Outsider Art kurz vor Barstow an der
inzwischen nur noch wenig befahrenen Route 66.
Die Künstler, darunter Berliner und Exberliner wie Ólafur Elíasson, Thomas
Demand und Christian Jankowski, fuhren nur eine bestimmte Stecke mit.
Dadurch gestalteten sich das Programm und die Interaktion zwischen
Performern und Publikum am jeweiligen Ort, an dem der Zug zum Stehen kam,
immer wieder neu und anders. In diesem Zusammenspiel von Künstlern und den
Leuten vor Ort lag die Mission der Zugfahrt, die deshalb auch ein Happening
genannt werden darf. Ein Happening findet nämlich nur dort statt, wo alle
Mitwirkende sind. Zuschauer werden weggeschickt, dekretierte Allan Kaprow,
der Ende der 1950er Jahre den Begriff prägte.
So rigoros war Doug Aitken nicht, ihm ging es um die Ansteckungskraft der
Kunst. Ihr Virus kann ja unterschiedliche Inkubationszeiten haben, und dann
wird der Zuschauer vielleicht drei Tage später zu einem Mitwirkenden.
Rigoros war er nur, was die Flüchtigkeit des Happenings betrifft. Nein,
„Station to Station“ ist kein Dokumentarfilm, das zu sagen verbietet das
sinnenbetörende Minuten-Stakkato der 62 Acts.
19 Jul 2015
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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