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# taz.de -- Heimlich abgehängt: Ein fatale Ahnengalerie
> Das Ölporträt des Hamburger Hauptpastors und Nazis Franz Tügel hing
> Jahrzehnte in der dortigen Hauptkirche St. Jacobi. 2013 fiel auf, dass es
> nicht mehr da war.
Bild: Weg gehängt: Tügel-Porträt in der Denkmal-Werkstatt.
Auf einmal war es verschwunden, das Bild des Nationalsozialisten Franz
Eduard Alexander Tügel, der von 1934 bis 1945 Hauptpastor an der Hamburger
Hauptkirche St. Jacobi war. 1931 war er der NSDAP beigetreten, die er als
„gottgewolltes Wunder der Geschichte“ betrachtete. Hitlers Machtübernahme
hatte er in einer Predigt mit „heißem Herzen“ begrüßt. Und 1942 hatte er
sich, wie damals üblich, für die Ahnengalerie der Kirche von Julius Paul
Junghanns malen lassen – allerdings in Pastorenornat und nicht in
Nazi-Uniform, die er bei seiner Wahl zum Landesbischof getragen hatte.
Seither hing das monumentale Ölbild im Aufgang zum repräsentativen barocken
Herrensaal von St. Jacobi.
Doch vor anderthalb Jahren bekam die Geschichte ein Leck: Als die jetzige
Hauptpastorin Astrid Kleist das Bild Anfang 2013 suchte, um eine
Veranstaltung zum Gedenken an Tügels prominentestes Opfer – den
jüdischstämmigen Theologen Hans-Ludwig Wagner – vorzubereiten: Da hing es
nicht mehr.
Diesem Hans-Ludwig Wagner hatte Tügel 1937 das zweite theologische Examen
und damit das Vikariat verweigert. „Solcher Dienst ist in Ihrem Falle
undenkbar“, hatte er ihm geschrieben. Wagner fasste das als antisemitisch
auf und emigrierte 1938 nach Kanada, später in die USA. Es war knapp.
Mehrere seiner Verwandten wurden im KZ Theresienstadt ermordet.
Wagner überlebte den Holocaust, aber die Causa Tügel ließ ihm keine Ruhe.
1954 suchte er in Hamburg ein klärendes Gespräch. Doch Tügel war tot und
seine einstige rechte Hand, Hauptpastor Adolf Drechsler, erinnerte sich
nicht – obwohl er Wagner 1937 persönlich abgesagt hatte. Wagner reiste
verbittert ab, wurde aber nach seiner Pensionierung Pfarrer an der
Gedenkstätte am Ort des einstigen KZ Dachau, dem er dank des
antisemitischen Tügel entgangen war. Wagner starb 1993.
Diese bizarre Geschichte wollte Hauptpastorin Astrid Kleist zu Wagners 100.
Geburtstag im Februar 2013 in Hamburg öffentlich diskutieren und dabei auch
das Porträt von Tügel zeigen, das nun fehlte. Sie suchte intensiv und fand
es schließlich auf dem Dachboden, mit dem Gesicht zur Wand. Seit wann stand
es dort, und wie war es dort hingekommen? Wer hatte es dort schamhaft
verborgen?
Es muss, fand Kleist heraus, um das Jahr 2008 abgehängt worden sein. Damals
war die jetzige Bischöfin Kirsten Fehrs noch Hauptpastorin in St. Jacobi.
„Jemand hat Frau Fehrs darauf hingewiesen, dass das Bild Hauptpastor Tügel
darstelle, was sie bis dato nicht wusste“, sagt Pressereferentin Susanne
Gerbsch. Ob sie über die Abhängung allein entschieden habe, wisse die
Bischöfin aber nicht mehr.
## Zur historischen Aufarbeitung abgehängt
Im zweiten Telefonat klingt das schon anders. Bischöfin Fehrs habe „nach
Rücksprache mit dem Kirchenvorstand das Bild bis zu einer gründlichen
historischen Aufarbeitung abhängen lassen und gesagt, so unkommentiert
könne es dort nicht bleiben“, sagt Gerbsch. Man habe es ja auch bloß
abgehängt, um es in den Herrensaal von St. Jacobi zu bringen. Hauptpastorin
Kleist betont aber, sie habe das Gemälde auf dem Dachboden gefunden. Warum
das Abhängen nicht öffentlich gemacht wurde, bleibt unklar. Fehrs‘
Referentin lässt aber durchblicken, dass solche Details nicht von Belang
seien.
Sind sie aber doch, denn von Transparenz zeugt solch ein Vorgehen nicht.
„Ich halte nichts davon, Einzelne – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen
– aus der Ahnengalerie zu streichen, weil damit auch Geschichte geklittert
wird“, sagt der Hamburger Geschichtsprofessor Rainer Hering, der sich mit
der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die Kirche befasst. „Man muss
sich mit den Brüchen von Geschichte auseinandersetzen.“ Allerdings bedürfe
solch ein Bild einer Beschriftung. „Es muss klargemacht werden, dass es
nicht eine Galerie von Verehrungswürdigen ist“, sagt Hering zum Fall Tügel.
„Man muss diese Porträts einordnen.“
Genau hier beginnt das Problem, denn Tügel war ambivalent. Einerseits sei
er entschiedener Antisemit gewesen, habe „die Theologie hinter der Politik
zurückgestellt und gemeindeamtliche Aufgaben vernachlässigt“, sagt Hering.
Andererseits hat Tügel auch in seinem Antisemitismus unterschieden und das
mit der Bibel begründet: Getauften Juden gegenüber fühlte er sich
verpflichtet, den übrigen nicht.
Den jüdischstämmigen Brokdorfer Pastor Fritz Leiser etwa hat er nach dessen
Entlassung 1944 als Pfarrer in Hamburg-Kirchwerder eingestellt. Auch dem
Wandsbeker Pastor Bernhard Bothmann, der sich nicht von seiner Frau, einer
getauften Jüdin, scheiden lassen wollte, verschaffte Tügel eine Stelle. Und
den Arierparagraphen, der den „Ariernachweis“ zur Voraussetzung für ein
Kirchenamt machte, führte er in Hamburg nie ein.
Herausgefunden hat das alles der Historiker Stephan Linck. Die Hamburgische
Landeskirche hat ihn mit einer Studie über den Umgang der Landeskirche mit
ihrer NS-Vergangenheit beauftragt, deren zweiter Band im November
erscheint.
Linck ist es auch, der den Fall Wagner etwas milder deutet: „Tügel hatte
Wagner das erste theologische Examen unter der Bedingung erlaubt, dass er
das zweite nicht beantragen, sondern emigrieren würde“, sagt er. „Sie in
den Gemeindedienst zu schicken, ist ausgeschlossen“, habe Tügel an Wagner
geschrieben, das stimme schon. „Aber man kann das auch so interpretieren:
„Wenn wir dich auf die Kanzel stellen, gibt es sofort ein Pogrom gegen den
Juden Wagner, und das schadet uns beiden“, sagt Linck.
Das könne man als die Haltung des wohlwollenden Patriarchen Tügel deuten,
der Wagner aus der Schusslinie nehmen wollte – und dann verletzt war, als
der sich trotzdem um das zweite Examen bewarb. Damit wolle er Tügel nicht
reinwaschen, sagt Linck. Doch der Fall sei komplex. „Und gegen das Abhängen
eines Bildes bin ich als Historiker ohnehin. Es ist ein wichtiges
Zeitzeugnis.“
So sieht es auch Hauptpastorin Kleist. Sie hat sich entschieden, den
offensiven Weg zu gehen und eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge
für den Umgang mit belasteten Porträts erarbeiten soll. Vielleicht wird das
sogar bis Anfang 2016 gelingen, wenn eine große Ausstellung über Christen
und Juden nach 1945 in St. Jacobi eröffnet, mitgestaltet von Linck. Danach
soll die Schau auch durch Gemeinden touren und ausdrücklich die Diskussion
über lokale NS-Verantwortliche befeuern.
## Gemälde soll nicht an seinen alten Platz zurück
Mindestens bis dahin bleibt das Tügel-Gemälde allerdings in der
Denkmalwerkstatt von St. Jacobi. Später werde man es „als Zeitdokument
archivieren“, sagt die Hauptpastorin. „Wir werden es in dieser Form – also
als großes Gemälde – nicht wieder aufhängen. Aber wir suchen nach einer
angemessenen Form, wie Tügel in unserer Ahnengalerie vorkommen kann.“ Fürs
erste hat sie ein kleines Foto Tügels in die Fotogalerie der
Nachkriegspastoren eingereiht.
Das 1961 von Heinrich Rode stammende Ölgemälde des Tügel-Freundes und
NS-Pastors Adolf Drechsler dagegen hängt noch. Kleist will es, obwohl es
durch seine Monumentalität den einstigen Heldenkult reproduziert, nicht
einfach abhängen. „Damit wollen wir uns nochmals eingehend beschäftigen und
es in einer Veranstaltung thematisieren“, sagt sie.
Die Hauptpastorin hat Recht, denn die Diskussion über den Umgang mit
Denkmälern – und eine Ahnenreihe ist ein solches – ist eine
gesamtgesellschaftliche, in diesem Fall eine gesamtkirchliche Aufgabe, bei
der auch die Gemeinde mitzureden hat.
Das wiederum könnte schwierig werden: Zwar wurde Tügel seit den 1980er
Jahren durch mehrere Veranstaltungen entzaubert, aber für Drechsler steht
das noch aus. Den Tügel-Freund und Nachfolger, der trotz seiner
NS-Vergangenheit bis 1960 Hauptpastor in St. Jacobi blieb, haben viele
Gemeindemitglieder als aufopferungsvollen Wiederaufbau-Pastor mystifiziert.
Das werden sie sich ungern nehmen lassen.
Was Kirche aber im Kleinen bewegen kann: die virtuelle Ahnengalerie ändern,
die Homepage also. Das hat Hauptpastorin Kleist bereits getan. Bei
Amtsantritt hatte sie dort eine Tügel-Vita vorgefunden, die seine Haltung
zwar nicht verschwieg, aber arg knapp geraten war. „Uns war wichtig, mehr
zu sagen: dass Tügel überzeugter Nationalsozialist, Antisemit und Gauredner
bei den NS-nahen Deutschen Christen war, der sich auch in Uniform ablichten
ließ“, sagt Kleist.
In der Tat, die Internet-Biographie auf www.jacobus.de ist gründlich und
reicht über 1945 hinaus. „Einen Gedenkgottesdienst für die Opfer des
Nationalsozialismus lehnte er ab, wie er überhaupt jede Distanzierung von
der NS-Ideologie und seiner Unterordnung der Theologie unter die Politik
von sich wies“, ist da zu lesen. Tügel starb 1946, Drechsler 1970. Auch
Drechsler hat sich nie von seiner nationalsozialistischen Gesinnung
distanziert.
10 Jul 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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